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Sechstes Capitel.

Der kühne Feldzug begann. Wie er geführt wurde, der sinkenden Jahrszeit entgegen, und oft ihr zum Trotz, wie man endlich den staunenden Feind bis weit über den Ister fort trieb, tief in seine eignen Steppen hinein, siegreich in vielen großen und kleinern Gefechten, – das alles hat der Schreiber dieser Geschichten nicht aufzuzeichnen. Denn obgleich sein verlangender Sinn von jeher gern bey kriegerischen Thaten weilte, und er die Reihe der wenigen, die er selbst erlebt, sich durch vielfach andrer Gefechte Nachforschung und Durchschauung zu ergänzen strebt, so zieht, was er hier zu erzählen hat, ihn doch schnell über die Einzelheiten des Krieges hinüber, und drängt ihn, zu berichten, was unmittelbar auf unsern Norderhelden, und diejenigen, welche ihm die Liebsten waren, Bezug hat.

Thiodolfs Feldherrngeist, sich während der letztern Züge immer kühner und heller entwickelnd, hatte die Augen des ganzen Heeres auf ihn gezogen. Nächst Helmfrid war er der leuchtendste Stern unter allen Führern, und der große Wäringerfürst schien sich selbst auf's neue zu verjüngen in den Strahlen dieses seines aufsteigenden Lieblingsgestirns. Es strömte ein jugendlich froher Geist über alle Scharen aus, und vielleicht war nur ein Einziger, der davon unerheitert blieb, und starr, wie die Eisschollen des Isters, seinen trüben Weg hinunter trieb. Das war der riesige alte Reitersmann mit dem immer geschlossenen Helmsturz, den man nun auch kaum in Träumen mehr sprechen hörte. Als ihm Helmfrid wegen jenes Lagerüberfalls und der Rettung Thiodolfs hatte danken wollen, war keine andre Erwiedrung erfolgt, als die gewohnte dräuende Geberde, ja der wunderbare Greis hatte alsbald ein Pferd gesattelt und gepackt, und das Heer auf mehrere Tage lang verlassen. Nur bey dem nächsten Gefechte stellte er sich, heldenmüthig kämpfend, wieder ein, so daß von da an Niemand es wagte, den tapfern Genossen durch irgend eine Anrede zu verscheuchen.

Jetzt hatte man sich schon seit mehrern Wochen in Erdhütten gelagert, theils aus verlaßnen Wohnungen der Bulgaren, theils aus den Baumstämmen der weitgedehnten, noch unbehauenen Waldungen erbaut, um dem Heere während der strengern Kälte einige Rast zu gönnen, und Zeit für das Erspähen der bald anzutretenden Märsche zu finden, denn man gedachte in Kurzem den Entscheidung bringenden Hauptschlag ins Werk zu richten. Die Muße, in dieser Frist wandte Philippos mit einem seltsamen Eifer dazu an, seinem Waffenmeister ein Sprach- und Sittenmeister zu werden. Wo sich Thiodolf gegen die hergebrachte griechische Weise in Rede oder Gruß noch auf das leichteste verging, wußte es ihm der mit aller höfischen Zierlichkeit wohlvertraute Schildknabe so anmuthig bemerkbar zu machen, daß der Hauptmann daran seine Freude hatte, und oftmahls absichtlich Fehler beging, um den Jüngling zu einer Weisung zu reitzen. Solche Lehren hatten demohngeachtet günstige Folgen für Thiodolfs äußeres Wesen, vorzüglich, da sich Philippos aus dem einmahl verstatteten Rechte nicht wieder vertreiben ließ, und es auch während der vielen Tage des fortgesetzten Feldzuges unverdrossen übte. Wenn ihn dann Thiodolf bisweilen lächelnd fragte: »Aber sag' mir, Jüngling, was hast du davon, mich zum artigen, wohlredenden Hofritter zu bilden?« pflegte Philippos mit einem halb schalkhaften, halb schmerzlichen Lächeln zu erwiedern:

»Ach Herr, wenn wir siegreich in Konstantinopolis einrücken, wird es Euch schon deutlich werden, ohne daß ich armer Junge den Mund deßhalb zu öffnen brauche. Soll denn überhaupt der Beste, der das Höchste zu erringen bestimmt ist, nicht in Allem der Beste seyn? O Gott, ich möcht' Euch schmücken, wie ein dem heiligsten und lieblichsten Feste geweihetes Bild!« –

Weil aber nach ähnlichen Gesprächen oftmahls helle Thränen in Philippos Augen standen, unterließ Thiodolf lieber solche Fragen inskünftige ganz.

Noch ehe man aus diesem Lager ausbrach, bemerkte man zu allgemeinem Erstaunen, daß die bisher scheu gewordenen Bulgaren plötzlich mit einem Wagemuth und einer Zuversicht Angriffe unternahmen, wie sich dergleichen nicht Helmfrid, nicht andere alte Griechenkämpfer zu erinnern wußten. Täglich umschwärmten sie die Stellung, drangen oft sogar in geschlossenen Haufen bis dicht an die Erdhütten vor, und ließen dabey ein Geschrey ertönen, das wie Siegesjubel klang, und wie Hohn über ihre nun rettungslos verlornen Feinde. Den Muthlosern im Heer begann darüber die Kampfeslust zu entfallen, und auch die Beherzteren sahen sich besorgt nach Hinterhalten um, die vielleicht bereits den Rückzug nach dem Griechenreiche unmöglich gemacht hätten. Helmfrid, Thiodolf und ihres Gleichen sagten lächelnd zu solchen Reden:

»Im schlimmsten Falle schlägt man sich durch; aber noch soll dem Gesindel das weitere Vordringen in ihr Land nicht geschenkt seyn. Wir haben ja, die Wurzel des Uebels noch nicht.« –

Demungeachtet fanden sich immer mehr der bleichen Gesichter im Lager. Da sprach endlich Philippos:

»Das Räthselwort soll bald gefunden seyn. Ich mach' einen ihrer Führer zum Gefangenen. Der wird schon beichten.« –

Und damit sprengte er auf seinem lichtgelben Rosse, von wenigen erkornen, Jünglingen begleitet, hinaus.

Nicht lange, so kam er mit der gesuchten Beute zurück. Ein Bulgarenkrieger, den Tracht und stolzes Ansehen als einen Fürsten des Heeres bezeichneten, folgte gebunden dem Rosse des Jünglings nach, denn dieß wilde Volk wußte von der ritterlich schönen Sitte, der Kriegsgefangnen Wort zu geben und zu nehmen, nichts, daher man die Gebändigten hart verwahren mußte, wenn sie nicht entspringen sollten.

Die Kriegsobersten versammelten sich, und der Gefangene ward vorgeführt. Man hatte geglaubt, es würden Drohungen nöthig seyn, um die Veranlassung des Jubels im feindlichen Heere zu erfragen, aber der Bulgar schaute seine Sieger frech und trotzig an, und erwiederte sogleich:

»Ihr wollt gern wissen, warum Ihr verloren seyd – nun gut, die Lust kann ich Euch gönnen, denn verloren seyd und bleibt Ihr dennoch, so gewiß, als der Norderwind Kälte bringt, und der Abendwind Regen. Wisset, der mächtigste Held unsers Volkes, der junge Fürst Wladimir, hat sich erhoben zu Euerm Verderben. Lange schon saß er still in seiner Burg, und rührte sich nicht bey dem Verderb unsers Landes. Ob Kriegsmann fiel, ob Herde fiel, ob Hütte brannte vor Eurer Wuth, das kümmerte den nicht, denn er war uns bös, weil er meinte, wir hätten die schöne, stumme Wlasta, sein Bräutchen, geopfert auf unserm Herd, oder sie doch verscheucht in die Wildnisse, wo böse, kluge Raubthiere sind. Nun aber hat er's erfahren: Ihr Griechenvolk habt sie ihm gestohlen, und auf stand er mit Bogen und Schwert und Pfeil. Zudem ist von den Bergen herabgekommen unser großer Oberpriester, und hat die uralte Rüstung an, die kein Mensch außer ihm zu tragen vermag, und die fast noch schwerer ist, als Eure Waffen, – sie stammt aus wunderlicher Heldenzeit – und bald sind er und Wladimir heran. Aber Wladimir bleibt doch die Hauptsache. Dann hat Euch Well, Luft, Gluth und Staub, je nachdem's nun eben kommen wird. Hey, hey! Verloren, Ihr Griechenmänner, verlorenen!«

Er stieß die letztern Worte m einem halb singenden Tone heraus, und sprang dazu lustig in die Höhe.

Man entließ ihn, und fast alle Kriegsobersten lachten, und beeilten sich, im Lager zu verbreiten, wie wenig oder vielmehr wie gar nichts an den Hoffnungen der Feinde sey. Dieselbe sorglose Stimmung nahm auch bald in allen Scharen überhand, und man blickte mit wieder erwachter Kampfgier dem Vorwärtsrücken entgegen. Thiodolf aber, der allein bey Helmfrid zurückgeblieben war, sagte ernstheitern Antlitzes zu diesem:

»Nun gerade kommt mir die Sache ernsthafter vor, als Hinterhalt und Ueberfall sie irgend hätten machen können. Ein Held tritt an der Feinde Spitze, ein von Liebe und Rache begeisterter Held! Aber den Göttern sey Dank, nun geht auch für uns das recht ehrebringende Fechten erst eigentlich an.«

»Es ist, wie du sagst, mein tapfer Genosse;« erwiederte Helmfrid, und beyde schieden mit einem festen Händedruck von einander.


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