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Viertes Capitel.

Die Schlacht war geschlagen; unter den Strahlen der aufsteigenden Morgensonne erhub sich ein milderes, freundlicheres Treiben, das Aufsuchen und Lösen der von den Bulgaren fortgeschleppten Gefangenen, welche der weichende Feind sonst immer weiter mit sich hinaus zu führen pflegte. Aber das war ihm dießmahl unmöglich, denn die wenigen geretteten Scharen hatten sich kaum selbst davon gebracht, zwischen, Sumpf und Graben und Verhau durch, und dem von der andern Seite unter Helmfrids Befehl anrückenden Griechenheer. Nachdem Thiodolf seinen feurigen Philippos als Siegesbothen an den Wäringerfürsten abgefertigt hatte, durchstrich nun auch er ämsig das Lager, um die Befreyten zu trösten und zu erquicken.

Indem er sich einem großen Zelte näherte, vernahm er daraus hervor anmuthigen Zitherklang, der ihn auf eine unbegreifliche Weise an irgend eine Vergangenheit mahnte. Der sanfte Ton auf des wilden Schlachtfeldes Mitte zog ihn mit verdoppelter Gewalt zu sich hin, und die Vorhänge des Zeltes zurückschlagend, ward er eines Mannes ansichtig, der zwar auf Bulgarenart gekleidet war, aber in sehr auserlesene und zierliche Gewande gehüllt. Vor demselben lag auf köstlichen Decken ein kleines Kind, das er mit den Tönen seiner Zither in Schlaf zu singen bemüht schien. Er schlug die Augen beim Eintritt des Kriegsmannes empor, und Thiodolf erkannte alsbald den Sänger Romanus, dessen Lieder ihn einst so mannigfach in den Pallastesgärten von Konstantinopolis bewegt hatten.

»Willkommen, mein edler Norderheld!« sagte Romanus freundlich. »Das konnt' ich wohl wissen, daß Ihr unter den Geschwadern seyn mußtet, welche dies Lager erstürmten, ja, daß Ihr deren Anführer wart; aber mich hier unter den Bulgaren zu finden, das hättet Ihr doch wohl nimmermehr gedacht?«

»Freilich nicht,« entgegnete Thiodolf, »und am allermindesten in dieser Behaglichkeit, diesem Glanz, und zugleich als Wärter eines Kindes. Ist es ein Bulgarenkind?«

»Nein, edler Herr,« sagte Romanus. »Ich darf den Knaben fast mein eigen Kind nennen, so wundersam hat mir ihn der Himmel zugewiesen. Aber laßt mir den kleinen Schreihals in Ruh; ich trag' ihn nun schon über ein Jahr mit mir herum, und da hat er sich's angewöhnt, daß die Saiten meiner Zither ihn in den Schlaf singen. Vergönnt mir denn, daß ich während unseres Gespräches die Musik mitreden lasse; so stört er uns nicht. Aber jetzt genug davon.«

Er gab rührende, einwiegende Accorde auf seiner Zither an, daß es fast war, als schwirrten Nachtigallen mit in die Erzählung, welche er folgendermaßen begann:

     »Wohin der Sänger kommt auf seinen Pfaden
Stets widerfährt ihm sein urgöttlich Recht;
Zu Königstischen wird er eingeladen,
Geschirmt sein Haupt in Sturm und in Gefecht,
So, als dies Raubvolk zu des Reiches Schaden
Einbrach, und mancher Freye ward zum Knecht,
Da konnten sie auch mich sammt Andern fangen,
Doch statt der Bande mußt' ich Preis erlangen.

     Auch ward im Schwarm wildstreifender Barbaren
Mir eine Mähr' von süßer Liebe kund,
Die, rings umdroht von seltsamen Gefahren,
Sich rein hielt, wie in heil'gem Zauberrund.
Irr ich nicht, Herr, so bist du mit den Scharen
In Amors Dienst vereint zum selben Bund,
Drum öffnen wohl sich gern dir Herz und Sinne
Für Wladimir's und Wlasta's treue Minne.

     Jenseit des Istersmeeres grünen Wellen,
Im schönsten Land der blüh'nden Wüsteney,
Die mit der mannigfachen Früchte Schwellen,
Bulgariens Horden labt, der Arbeit frey,
Sah man ein Paar in Liebe sich gesellen,
An Hulden eins, an Schicksal zweyerley:
Prinz Wladimir, zu allem Glück erkoren,
Und Fürstinn Wlasta, schön, doch stumm geboren.

     Zwar, weil in ihr von allen edlen Gaben
Gesammelt war ein endlos reicher Hort,
Ihr stummes Winken selig'res Erlaben
Durch Herz und Sinne goß, als Andrer Wort,
Galt sie gleich einer Göttinn hoch erhaben,
Ihr mild Erscheinen hemmte Streit und Mord;
Es hieß, daß nur ihr Mund gehalten werde,
Weil unwerth sey so hohen Spruchs die Erde.

     Doch einstens thauten giftige Nebel nieder
Und Mann und Herde starb auf ödem Land,
Unheilbedeutend schwärmte das Gefieder,
Und durch die Priester ward der Spruch bekannt:
»Die Götter fordern zürnend Wlasta wieder,
Ihr heilig schweigend, reitzend Unterpfand,
Es sey dann, daß zur Priesterinn sie sich weihe,
Und unsern mächtigen Oberpriester freye.«

     Zum Opfer winkt sie: ›Ja‹ mit will'gem Neigen,
Zur Hochzeitfeyer winkt sie ernsthaft ›Nein;‹
Da hört man schon der Priester wilde Reigen,
Gekränzt zum Fest harrt der blut'ge Stein.
Doch wird sie nicht dem Götzenmahl zu eigen,
Denn Heldenwaffen funkeln durch den Hain.
Der kühne Wladimir mit seinen Scharen
Bricht vor, sich Lieb' und Freude zu bewahren.

     Die Priester und die Opferknechte fallen
Machtlos und scheu in bangem Todeskrampf,
Der Schlachtruf tönt, die Schild' und Speere schallen,
In Blut erlischt des Altars trüber Dampf;
Da ruft der Fürst: ›tragt aus den Waldeshallen
Mein süßes Lied! Derweile end' ich den Kampf!‹
Und schnell entführt nach glücklich hellen Auen
Fühlt Wlasta Heil und Freyheit auf sich thauen

     Doch kaum, daß die Erschreckte sich besonnen,
Winkt sie, und hält ihr treu Gefolge an.
Sie weint, und nicht im Uebermaß der Wonnen,
Nein, weil dem Liebling Tod'sgefahren nah'n.
Und unversehns ist sie der Schar entronnen,
Zurück zum Oferherd geht ihre Bahn.
Sie will sich eh' nochmals dem Tode weihen,
Als ihren Freund mit ihrem Volk entzweyen.

     Wohin sie auf dem Irrweg dann entschwunden, –
Man weiß es nicht, man sah sie nimmermehr.
Als Wladimir mit vielen heißen Wunden
Zurücke kam, war seine Halle leer,
Und nirgends in den Marken aufgefunden,
Scheint Wlasta schnell entführt vom Götterheer.
So glaubt's das Volk, die Priester und die Fürsten.
Doch Wladimir soll nur nach Rache dürsten.

     Vergebens, daß man ihn zum Kampf berufen,
Als dieser Krieg, das blut'ge Banner schwang.
Er sitzt verhüllt an seines Herdes Stufen,
In zorniger Wehmuth, wie Achilleus, krank.
Und, Held, dem ich dies Bild emporgerufen,
Nicht wahr, du fühlst, was ihm sein Herz durchdrang?
Bey'm Angriff riefen: ›Zoe!‹ deine Krieger.
Da wußt ich's, Thiodolf führt, und führt als Sieger!«

Thiodolf richtete sich unzufrieden empor, und wollte den Sänger zur Rede stellen, wegen des dreisten Schlusses seiner Erzählung. Da sprang Philippos zum Gezelte herein, mit Siegesglückwünschen von Helmfrid, und mit der Bothschaft, eben versammle sich ein Kriegsrath über die Benutzung des erfochtenen Sieges, Thiodolf müsse eilig dahin. Romanus hüllte das Kind in einige reiche Decken, und schritt mit lächelndem Gruße hinaus. Thiodolf warf sich auf den Rappen, flügelschnell nach der angewiesenen Stelle jagend.


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