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Vier und zwanzigstes Kapitel.


Der lange Nordlands-Winter war endlich vorüber, fröhlich rauschten im hellgrünen Laube die Wälder, von den Klippen winkten freundliche Rasenstellen herunter, die Thäler grünten, die Bäche sprudelten, nur auf den höchsten Bergesstirnen rastete noch der Schnee, und reisefertig schaukelte Folko’s und Gabrielens Barke auf den sonnigen Wogen des Meeres.

Der nun wieder genesene Freyherr, stark und frisch, als habe nie etwas Feindseliges seine Heldenkraft gehemmt, stand eines Morgens mit seiner schönen Frau am Strande, und heiter, der nahen Heimkehr froh, schauete das anmuthige Paar den einpackenden und in das Schiff ladenden Reisigen zu.

Da sagte einer aus der Schar im mannigfach kreuzenden Gespräche: »was mir aber wie das Allerschauerlichste und Wunderbarste in diesen Nordlanden erscheint, ist die Steinburg auf dem Mondfelsen; hinein bin ich zwar nicht gekommen, aber wenn ich sie auf unsern Jagden über die Tannenspitzen herüber ragen sahe, engte sich mir die Brust ordentlich ein, als müsse dort etwas Unerhörtes hausen. Und vor wenigen Wochen – der Schnee lag noch überall in den Thälern fest – kam ich unversehens ganz in die Nähe des seltsamen Baues. Der junge Ritter Sintram ging in der einbrechenden Dämmerung ganz einsam auf den Mauern umher, wie ein abgeschiedener Heldengeist, und rührte eine Zither in seinem Arme mit leisen, leisen Klagetönen, und seufzte so recht innerlich und schmerzhaft dazu – «

Der Sprechende ward vom Geräusche der Menge übertönt, und näherte sich auch mit seinem fertig geschnürten Ballen dem Schiffe, so daß Folko und Gabriele den Schluß seiner Rede nicht vernahmen.

Aber die schöne Herrinn sahe ihren Ritter mit thränenfeuchten Blicken an, und seufzte: »nicht wahr, nach jenen Berggipfeln hinüber liegt der einsame Mondfelsen? der arme Sintram thut mir doch im Herzen wehe.«

»Ich verstehe dich, du reines, holdseliges Weib, und das fromme Mitleid in deiner zarten Brust;« entgegnete Folko. und alsbald ließ er seinen schnellfüßigen Barberschimmel vorführen, befahl den Mannen seines Gefolges die Obhuth ihrer edlen Frau, und flog, von Gabrielens dankendem Kacheln begleitet, in den Sattel, und das Thal, welches zur Steinburg empor führte, hinan. –

Sintram saß auf einem Ruheplatze, vor der Zugbrücke, rührte die Saiten einer Zither, und ließ einzelne Thränen auf das Goldgewebe fallen, beynahe, wie ihn Montfaucons Reisiger beschrieben hatte. Da hauchte es wie ein Wolkenschatten über ihn hin, und er blickte empor, meinend, es kehre etwa ein rückkehrendes Kranichgeschwader durch die Luft. Aber der Himmel war ganz leer und klar und blau, und während noch der junge Ritter darüber nachsann, fiel von der wassenreichen Thurmeszinne ein großer, schöner Wurfspeer gerade vor seine Füße herab.

»Nimm ihn auf, brauche ihn gut! Nahe ist dein Feind! nahe deines lieblichsten Glückes Verschwinden!« so flüsterte es vernehmlich in sein Ohr, und ihm war, als sähe er Kleinmeisters Schatten dicht neben sich fortgleiten, in irgend eine nahe Felsenspalte des Grabens hinein.

Zugleich aber auch ging eine hohe, sehr hagere Bildung durch das Thal, dem verstorbenen Pilger einiger Maßen gleich, nur um vieles, sehr vieles größer, und hob den langen, dürren Arm furchtbarlich drohend empor, und sank in eine alte Hünengruft hinab.

In eben demselben Augenblicke kam Ritter Folko von Montfaucon schnell wie der Wind den Mondfelsen herauf gesprengt, und mußte wohl etwas von den wunderlichen Erscheinungen erblickt haben; denn indem er dicht hinter Sintram halten blieb, sahe er etwas bleich aus, und fragte ernst und leise:

»Wer waren die beyden, Herr, mit welchen ihr jetzt eben hier verkehrtet?«

»Das weiß der liebe Gott,« entgegnete Sintram. »Ich kenne sie nicht.«

»Wenn es der liebe Gott nur weiß!« rief Montfaucon. »Aber ich fürchte, der weiß von euch und eurem ganzen Treiben sehr wenig mehr.«

»Ihr redet entsetzlich harte Worte,« sprach Sintram. »Doch ich muß mir seit jenem Unglücksabend, – ach und schon seit noch früher! – alles Mögliche von euch gefallen lassen. – Lieber Herr, ihr könnt mir es glauben, ich kenne die entsetzlichen Gefährten nicht, ich rufe sie nicht, und ich weiß nicht, welch grauenvoller Fluch sie an meinen Fersen bannt. Der liebe Gott indessen hoffe ich, weiß von mir, wie ja ein treuer Hirt auch nicht des schlechtesten und wildesten Lammes vergißt, das sich von der Herde verirrt hat, und nun in der finstern Einöde mit ängstlicher Stimme nach ihm ruft.«

Da brach des edlen Freyherrn Unwille ganz. Ihm standen zwey helle Thränen in den Augen, und er sagte: »nein, sicherlich, Gott hat dein nicht vergessen, vergiß nur du des lieben Gottes nicht. Ich kam auch nicht, um dich zu schelten. Ich kam, um dich zu segnen, in Gabrielens und meinem Nahmen, Der Herr schütze dich, der Herr zügle dich, der Herr erhebe dich, und, Sintram, von den fernen Küsten der Normandie herüber werde ich nach dir schauen, und werde es erfahren, wie du gegen das Unheil anringst, das auf deinem armen Leben lastet, und wenn du es einst abgeschüttelt hast, und da stehest als ein herrlicher Sieger über Fluch und Mord, dann sollst du ein Pfand des Lohnes und der Liebe von mir empfangen, herrlicher, als du und ich es in diesem Augenblicke wissen.«

Die Worte quollen dem Freyherrn vom Munde nach Propheten-Art; er vernahm selbst nur halb, was er redete, wandte freundlich grüßend sein edles Barberroß, und flog den Thalweg nach dem Strande wieder hinab.

»Narr, Narr, dreyfacher Narr!« flüsterte Kleinmeisters zornige Stimme in Sintrams Ohr, aber der alte Rolf sang hell vernehmlich in der Burg sein Morgenlied, und dessen letzte Strophe hieß:

»Es segnet Gott,
Den, der zum Spott
Der Weltlust ist geworden,
Und zeichnet sich
Unsichtbarlich
Ihn zu dem Engelorden.«

Da drang eine selige Freude in Sintrams Herz, und er blickte noch freudiger umher, als in der Stunde, wo Gabriele ihm Schwert und Schärpe gab, und Folko ihn zum Ritter schlug.


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