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Drey und zwanzigstes Kapitel.


Auf der Burg des Ritters Biörn Gluthauge feyerte man den heiligen Abend nicht ganz so rein und schön, aber Gottes Wille erging dennoch recht sichtbarlich dabey.

Folko hatte sich auf die Bitte des Burgherrn von Gabrielen in die Halle führen lassen, und die drey saßen nun am runden Steintische bey einem köstlichen Mahle zu beyden Seiten, an großen Eßtafeln, die Mannen beyder Ritter, nach Nordländischer Gewohnheit, in voller Harnischpracht. Fast blendend erhellten Kerzen und Ampeln das hohe Gemach.

Die tiefere Nacht begann schon ihr ernsthaftes Reich, und Gabriele mahnte leise den wunden Ritter zum Aufbruche; das vernahm Biörn, und sagte: »Ihr habt wohl Recht, schöne Frau; unser Held bedarf der Ruhe. Nur lasset uns zuerst noch einem alten, ehrwürdigen Brauche sein Recht erweisen.«

Und auf seinen Wink brachten vier Reisige ein großes Eberbild feyerlich herbey getragen, das war anzusehen, wie aus eitlem Golde gefertigt, und stellten es in die Mitte des Steintisches. Biörns Mannen erhoben sich ehrerbiethig, und nahmen ihre Helme unter den Arm, und so that es auch der Burgherr selbst.

»Was soll das werden?« fragte Folko sehr ernst. »Was deine und meine Väter an jedem Juelfeste gethan haben;« entgegnete Biörn. »Wir wollen Gelübde ablegen auf den Eber Frey’s, und einen Feyertrunk dazu rund herum gehen lassen.«

»Was unsere Ahnen Juelfest hießen,« sprach Folko, »feyern wir nicht. Wir sind gute Christen, und feyern das heilige Weihnachtsfest.«

»Eins thun, und das Andere nicht lassen,« meinte Biörn. »Mir sind meine Ahnen zu lieb, um ihre Heldensitten zu vergessen. Wer es anders halten will, mag es nach seiner Weisheit thun, aber das hindert mich nicht. Ich gelobe bey diesem goldenen Eberbilde« – und schon streckte er die Hand aus, um sie feyerlich darauf zu legen.

Aber Folko von Montfaucon rief: »in unsers heiligen Erlösers Nahmen, halt! Wo ich bin, und noch athmen kann und noch wollen, soll niemand die Gebräuche des wilden Heidenthumes ungestört begehen.«

Biörn Gluthauge sahe ihn zürnend an. Die Mannen beyder Herren schieden im dumpfen Panzergerassel voneinander, und ordneten sich in zwey Scharen, jede hinter ihrem Führer, auf beyden Seiten der Halle. Man sahe schon, wie hier und dort die Helme und Sturmhauben festgeschnallt wurden.

»Noch bedenke dich, was du thust;« sagte Biörn. »Ich wollte ewigen Treubund, ja ich wollte dankbare Lehenpflicht für das Haus der Montfaucon geloben; aber störest du mich in den Bräuchen, die mir von meinen Vätern vererbt sind, da siehe nach deinem Haupte, und nach allem, was dir lieb ist. Mein Zorn kennt keine Schranken mehr.«

Folko winkte der verblassenden Gabriele, daß sie hinter seine Mannen zurück trete, und sagte zu ihr: »Muth und Freudigkeit, edle Dame! Es haben schon viele schwächere Christen um Gottes und der heiligen Kirche willen mehr gewagt, als uns hier bevorzustehen scheint. Glaubt mir, es verschlingt so leicht niemand den Freyherrn von Montfaucon.«

Gabriele wich nach Folko’s Geboth zurück, einiger Maßen beruhigt durch sein kühnes Herrscherlächeln; aber eben dieses Lächeln entflammte Biörns Ingrimm noch mehr. Er streckte seine Hand abermahls nach dem Eberbilde aus, und mochte im Begriffe seyn, ein sehr entsetzliches Gelübde zu sprechen; da raffte der Freyherr einen Eisenhandschuh Biörn’s vom Tische, und der gesunde linke Arm führte damit einen so gewaltigen Schlag gegen das Goldbild, daß es, in zwey Hälften zerschmettert, krachend auf den Ästrich stürzte. Wie versteinert standen der Burgherr und seine Mannen umher.

Aber bald rasselten die beerzten Fäuste an den Klingen, und wurden Schilde von der Wand gehoben, und ging ein zorniges, todtdrohendes Murren durch den Saal. Auf Folko’s Wink, hatte ihm einer seiner Getreuen eine Streitaxt gereicht; er schwang sie hoch und gewaltig mit der Linken, und stand wie ein rächender Cherub in der Mitte des Saales, und sprach diese Worte mit richtender Gelassenheit durch das Gemurre hin.

»Was wollt ihr, bethörte Nordlands-Mannen? Was willst du, sündhafter Burgherr? – Ihr seyd wohl Heiden geworden, und dann verhoffe ich, euch kampfrüstig zu beweisen, daß mir mein Gott nicht allein in den rechten Arm die Kraft des Sieges gelegt hat. Aber wenn ihr noch hören könnt, so hört! Auf dieses verfluchte, jetzt mit Gottes Hülfe zertrümmerte Eberbild, hast du, Biörn, deine Faust gelegt, als du schwurest, die Männer aus den Seestädten, wenn sie auch irgend in deine Macht fallen möchten, zu verderben. Und Gotthard Lenz kam, und Rudlieb kam, vom Sturme an euer Ufer getrieben. Was thatest du da, o wilder Biörn? Was thatet ihr da ihm nach, die ihr mit ihm bey dem Juelfeste waret? – Versucht euer Heil an mir! Der Herr wird mit mir seyn, wie er mit jenen frommen Männern war. Frisch in die Waffen! Und« – er wandte sich gegen seine Kriegshelden – »Gotthard und Rudlieb ist unser Feldgeschrey.«

Da senkte Biörn das schon gezückte Schwert, da wurden seine Reisigen still, und kein Auge mehr erhob sich in der Norwegsschar vom Boden. Endlich begann Einer nach dem Andern sich leise hinaus zu schleichen. Zuletzt stand nur Biörn dem Freyherrn und dessen Mannen noch ganz allein gegen über. Er schien indeß seine Verlassenheit kaum zu bemerken; aber er sank in die Knie, streckte die leuchtende Klinge neben sich hin, zeigte auf das zerschmetterte Eberbild, und sagte: »macht es mir, wie dem. Ich habe nichts Besseres verdient. Nur um das Eine flehe ich, nur um das Eine: thut mir nicht die Schmach an, großer Freyherr, eine andere Norwegsveste zu beziehen.«

»Ich fürchte euch nicht,« entgegnete Folko nach einigem Besinnen, »und so weit es seyn kann, verzeihe ich euch gern.« Damit schlug er das Kreuz über Biörn Gluthauge’s wilde Gestalt und ließ sich von Gabrielen zu seinen Kammern leiten. Die Mannen des Hauses Montfaucon schritten stolz und schweigend nach.

Nun war der harte Sinn des grimmigen Burgherrn ganz gebrochen, und mit vermehrter Demuth erwartete er jeglichen Wink Folko’s oder Gabrielens. Doch diese zogen sich mehr und mehr in den heitern Kreis ihrer Gemächer zurück, wo noch immer mitten im eisigsten Nordlands-Winter ein fröhliches Mayenleben blühete. Des Freyherrn wunder Zustand hinderte die Abendfreuden voll Mährchenlust und Saitenspiel und Sangeszauber nicht; vielmehr gab es ein neues anmuthiges Bild, wenn der schöne, hohe Rittersmann sich auf den Arm der zarten Herrinn lehnte, und beyde so, beynahe Gestalt und Dienste wechselnd, durch die kerzenfunkelnden Hallen hinwandelten, und ihre anmuthigen Grüße wie Blumen über die versammelten Frauen und Mannen ausstreueten.

Von dem armen Sintram war dabey wenig oder gar nicht mehr die Rede. Das letztere wilde Betragen seines Vaters hatte den Graus vermehrt, womit Gabriele sich an die Selbstanklage des Jünglings erinnerte, und eben weil Folko darüber ganz unbeweglich schwieg, ahndete sie desto schrecklichere Geheimnisse. Ja, sogar den Freyherrn wandelte ein geheimer Schauer an, wenn er des bleichen, schwarzlockigen Jünglings gedachte. Hatte dessen Reue doch fast an starre Verzweiflung gegränzt, und wußte auch niemand, was er jetzt eigentlich auf dem Mondfelsen in der verrufenen Steinburg treibe. Es kamen von den versprengten Reisigen heimliche Gerüchte, wie dort der böse Geist nun ganz und gar über Sintram gekommen sey, wie es niemand mehr den ihm.aushalten könne, und der finstere, räthselhafte Vogt seine Anhänglichkeit bereits mit dem Tode gebüßt habe. Folko vermochte kaum, sich der furchtbaren Muthmaßungen zu erwehren, die ihm dem einsamen Jüngling als einen verstockten Zauberer schilderten.

Und wohl mochten böse Geister um den Verbannten herrauschen, doch ohne daß er sie rief. So kam es ihm oft im Traume vor, als schwebe die schlimme Zauberinn Venus auf einem goldenen Wagen, mit beflügelten Katzen bespannt, über den Zinnen der Steinburg, und lache zu ihm herab: »thörichter Sintram, thörichter Sintram, hättest du Kleinmeister gefolgt! Nun lägest du in Helenens Armen, und der Mondfelsen hieße der Minnefelsen, und die Steinburg hieße die Rosenburg. Dir selbst aber wäre die bleiche Gestalt abgefallen und das dunkele Haar, – denn du bist nur verhext, mein Jüngling, – und milder leuchteten deine Augen, blühender deine Wangen, goldener deine Locken, als es die Welt jemahls am Ritter Paris bewundert hat. O wie dich Helene lieben würde!« – Dann zeigte sie ihm auch wohl in einem Nebenspiegel, wie er als ein wunderschöner Held vor Gabrielen kniete, und sie mit sanft erröthendem Morgenrothe in seine Arme sank.

Wenn er nun aus solchen Gesichten vom Schlummer auffuhr, pflegte er das Schwert und die Schärpe, ihm einst von der Herrinn geschenkt, mit ängstlicher Eile zu fassen, wie ein Schiffbrüchiger die rettende Trümmer erfaßt, und heiße Thränen darauf hinzuweinen, und sich heimlich zuzuflüstern: »so gab es denn doch eine einzige Stunde in meinem armen Leben, wo ich würdig und glücklich war!«

Einst fuhr er um Mitternacht vor ähnlichen Träumen empor, nur dieses Mahl mit durchdringendem Grausen; denn es war ihm gewesen, als verwirrten sich die schönen, verlockenden Züge der Zauberinn Venus gegen das Ende ihres Spruches, vor dem wunderlichen Hohne, womit sie auf ihn herab blicke, und sehe nun beynahe dem entsetzlichen Kleinmeister gleich.

Der Jüngling wußte sein verstörtes Gemüth nicht besser zu stillen, als daß er Gabrielens Schwert und Schärpe über die Schulter hing, und hinaus eilte unter des winterlichen Himmels feyerlich glänzenden Sternendom. Zwischen den entlaubten Eichen, den schneebelasteten Föhren, die einzeln auf dem hohen Burgwalle standen, ging er tiefsinnig auf und ab.

Da war es, als hebe sich ein trübes Klagegestöhn aus dem Graben herauf, das bisweilen zum Singen gedeihen wollte, aber von innerer Angst nicht konnte. Auf Sintrams: »Wer da!« ward alles still. So wie er schwieg, und weiter zu wandeln begann, lösete sich das furchtbare Röcheln und Jammern von neuem, wie aus sterbender Brust.

Sintram überwand ein Grausen, das ihn wie bey den gesträubten Haaren zurück zu reißen schien, und klomm nach dem trockenen, in Felsen gehauenen, Wallgraben schweigend hinunter. Schon war er so tief hinein, daß ihm die Sterne nicht mehr leuchteten; unter ihm regte sich eine verhüllte Gestalt; da glitt er den schroffen Abhang plötzlich mit unwillkürlicher Schnelle hinab, und stand neben dem stöhnenden Bilde. Das ließ alsbald von seinem Jammern ab, und lachte aus weiten, faltigen Weibergewändern wie eine Wahnsinnige hervor: »hoho, mein Genosse! Hoho, mein Genosse! Das ging dir wohl selbst ein wenig allzu rasch? Ja, ja, so geht es, und schau nur, nun stehest du ja dennoch nicht höher als ich, mein frommer, gewaltiger Jüngling! Gib dich geduldig darein!«

»Was willst du mir? Was lachst du? Was weinst du?« fragte Sintram heftig.

»Ich könnte dich dasselbe fragen,« entgegnete das finstere Bild, »und du würdest mir weit weniger antworten können, als ich dir. Was lachst du? Was weinst du? – Armer Mensch! – Aber eine Denkwürdigkeit will ich dir zeigen in deiner Steinveste, davon du noch gar nichts weißt. Gib einmahl Acht!«

Und die verhüllte Gestalt kratzte und nestelte an dem Gestein, und ein kleines Eisenthürchen that sich auf, und ein schwarzer Gang führte in die endlos mächtige Tiefe.

»Willst du mit?« flüsterte das seltsame Wesen. »Das geht nach deines Vaters Burg, auf dem allernächsten Wege. In einer halben Stunde kommen wir aus dem Fußboden hervor, und zwar in deiner schönen Herrinn Schlafgemach. Der Herzog Menelaus soll im Zauberschlummer liegen; dafür laß mich nur sorgen. Und dann nimmst du die zarte, schlanke Gestalt in deine Arme, und trägst sie hier auf den Mondfelsen herein, und wieder gewonnen ist, was durch deine frühere Unentschlossenheit verloren schien.«

Sintram zitterte sichtlich hin und her, furchtbar ergriffen von Liebesgluth und Gewissensangst. Aber endlich, Schwert und Schärpe an sein Herz drückend, rief er aus. »o jene schönste, rühmliche Stunde meines Lebens! Und mag alle meine Freude verloren seyn, die leuchtende Stunde halte ich fest!«

»Eine schöne leuchtende Stunde!« lachte es aus der Umhüllung, wie ein feindseliges Echo. »Weißt du denn, wen du besiegt hast? Einen alten, guten Freund, der sich nur so bärbeißig anstellte, um sich endlich zu deiner Verherrlichung von dir nieder werfen zu lassen! Willst dich überzeugen? Willst du schauen?«

Und die finstern Gewande flatterten von der kleinen Gestalt zurück und der zwergartige Krieger in fremder Rüstung, die Goldhörner auf seinem Helme, die sichelförmige Hellebarte in der Faust, derselbe, welchen Sintram auf Niflungs-Heide meinte erschlagen zu haben, stand vor ihm, und lachte: »Du siehest, mein Jüngling, auf der ganzen weiten Welt gibt es nur Traum und Schaum; so halte den Traum recht fest, der dich erquickt, so schlürfe den Schaum, welcher dir mundet! Hinein denn in den unterirdischen Gang! Er führet zu deinem Engel Helene hinauf. – Oder möchtest du deinen Freund erst noch näher kennen?«

Der Helmsturz flog auf; Kleinmeisters häßliches Gesicht starrte dem Ritter entgegen, und dieser fragte, wie halb im Traume: »bist du etwa die böse Zauberinn, Frau Venus, auch?«

»Ein Stück davon!« lachte Kleinmeister; »oder vielmehr, sie ist ein Stück von mir. Und mache du nur, daß du entzaubert wirst, und umgewandelt zum schönen Prinzen Paris; da, o Prinz Paris,« – und seine Stimme ward zum lockenden Gesange, – »da, o Prinz Paris, werde ich schön, wie du!«

In demselben Augenblicke erschien der fromme Rolf oben auf dem Wallgange, und leuchtete, eine geweihete Kerze in seiner Laterne, den vermißten jungen Ritter suchend, nach dem Graben hinab. – »Um Gott, Herr Sintram!« rief er aus, »was thut bey euch das Gespenst des Leichnams, den ihr auf der Niflungs-Heide schlugt, und den ich zu begraben nimmer vermochte!«

»Siehest du es wohl? Hörest du es wohl?« flüsterte Kleinmeister, und zog sich gegen die Schatten des unterirdischen Ganges zurück. »Der weise Herr dort oben erkennt mich recht gut. Mit deiner Heldenthat war es nichts. Pflücke nun lustig des Lebens Lust!«

Aber Sintram sprang mit gewaltsamer Anstrengung in den hellen Kreis zurück, welchen die herab gehaltene Leuchte beschrieb, und rief drohend: »Weiche von mir unruhiger Geist! Ich weiß, ich trage einen Nahmen in mir, daran du keinen Theil haben darfst!«

Zornig und furchtsam rannte Kleinmeister in den Gang, und schlug die Eisenthür gellend hinter sich zu. Es war, als hörte man ihn darin stöhnen und krächzen.

Sintram aber klomm den Wall hinauf, und winkte seinem alten Pfleger, zu schweigen, indem er nur sagte: »eine meiner besten Freuden, ja, wohl meine allerbeste Freude, ist mir genommen, aber verloren bin ich mit Gottes Hülfe dennoch nicht.«

In den Schimmern des nächsten Frührothes mauerten er und Rolf die Thür zum gefährlichen Gange mit gewaltigen Quaderstücken zu.


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