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Drittes Kapitel.


Die Sonne funkelte schon hell in das Gemach, da fuhr Sintram, wie verletzt von ihren Strahlen, empor. Er sahe den Kapellan mit unwilligem Blicke an, und sprach: »also ein Geistlicher ist hierin der Burg? Und dennoch darf der verruchte Traum mich in seiner Nähe quälen? Das mag mir ein schöner Geistlicher seyn!«

»Mein Kind,« erwiderte der Kapellan mit großer Sanftmuth, »ich habe sehr herzlich für dich gebethet, und werde es nun und immer thun, aber Gott allein ist allmächtig.«

»Ihr redet sehr vertraulich zu dem Sohne des Ritter Biörn,« rief Sintram. »Mein Kind! – Und auf du und du! – Wäre das abscheuliche Träumen nicht wieder zu Nacht an mich gekommen, ihr könntet mich herzlich zu lachen machen.

»Junkherr Sintram,« sagte der Kapellan, »daß ihr mich nicht wieder erkennt, wundert Mich keinesweges, denn wahrhaftig, auch ich erkenne euch nicht wieder. – « Und dabey wurden ihm seine Augen feucht . – Der fromme Rolf aber schauete wehmüthig in des Knaben Angesicht, sprechend: »ach lieber Junkherr, ihr seyd so unendlich besser, als ihr euch anstellt; warum thut ihr das nur? Und besinnt ihr euch denn gar nicht mehr – ihr habt ja sonst ein so gutes Gedächtniß – auf den frommen, freundlichen Herrn Kapellan, der ehemahls immer in unsere Burg kam, und euch blanke Heiligenbilder schenkte und schöne Lieder?«

»Das weiß ich wohl noch« entgegnete Sintram nachdenklich. »Damahls lebte meine selige Mutter noch.«

»Unsere gnädige Frau lebt ja noch immer, Gott sey gepriesen!« lächelte der freundliche Rolf.

»Für uns nicht, für uns kranke Leute nicht!« lief Sintram. »Und warum willst du sie nicht selig heißen? Die weiß doch sicherlich von meinen Träumen nichts?«

»Ja, sie weiß darum, Junkherr!« sagte der Kapellan. »Sie weiß darum, und ruft zu Gott für euch. Aber nehmet euch in Acht mit euerem wilden, hochfahrenden Wesen. Es könnte, ach es könnte wohl dennoch einmahl geschehen, daß sie nichts von euerem Geträume wüßte. Und das käme, wenn Leib und Seele geschieden sind, und dann wüßten auch alle heiligen Engel nichts mehr von euch.«

Sintram sank wie durchdonnert auf sein Lager zurück, und Rolf seufzte leise: »Ihr solltet mir das kranke Kind nicht so nach aller Strenge anreden, mein ehrwürdiger Herr.«

Da erhob sich der Knabe mit thränenden Augen, schmiegte sich freundlich an den Kapellan, und sagtet »laß ihn nur machen, du guter, weichherziger Rolf; dieser weiß recht sehr wohl, was er beginnt. Würdest du ihn schelten, wenn ich in eine Schneespalte glitte, und er zöge mich rasch und hart bey den Haaren herauf?«

Der Geistliche blickte gerührt auf ihn hin, und gedachte soeben einige fromme Betrachtungen auszusprechen, als Sintram staunend vom Bette sprang, und nach seinem Vater fragte. Auf die Nachricht von dessen Abreise wollte auch er keine Stunde mehr im Schlosse verweilen, und wies des Kapellans und des alten Reisigen Besorgnisse, ob eine rasche Fahrt seiner kaum wieder hergestellten Gesundheit nicht schaden werde, damit zurück, daß er sagte:

»Ehrwürdiger Herr, und lieber alter Rolf, glaubt mir nur, wenn es keine Träume gäbe, wäre ich der rüstigste junge Knappe auf Gottes Erdboden, und auch so gebe ich dem Bestem nicht gar vieles nach. Zu dem – bis über ein Jahr um diese Zeit ist es mit dem Träumen zu Ende.«

Auf seinen etwas gebietherischen Wink führte Rolf alsbald die Rosse heraus. Kühn schwang der Knabe sich in den Sattel, und sprengte, den Kapellan freundlich grüßend, pfeilschnell in die glatten Thäler des mit Schnee bedeckten Gebirges hinein

Er war mit seinem alten Reisigen noch nicht weit geritten, als er aus einer nahen Felsenbucht ein dumpfes Geräusch vernahm, fast wie das Klappern einer kleinen Mühle, aber dazwischen einer Menschenstimme, hohles, ängstliches Gestöhn. Sie wandten ihre Pferde dahin, und ein wunderlicher Anblick that sich ihnen kund.

Ein langer, todtblasser Mann, wie ein Pilgrim anzusehen, strebte mit großer Anstrengung vergeblich, sich aus dem tiefen Schnee Berg an zu arbeiten, und dabey rasselten eine Menge von Gebeinen, die er auf seinem weiten Kleide locker angeheftet trug, mit seltsamen Geräusch wider einander, und brachten jenes räthselhafte Klappern hervor.

Rolf, lebhaft zusammen schreckend, bekreuzte sich, und der kühne Sintram rief den Fremden an: »was schaffst du da? Gib Rechenschaft von deinem einsamen Treiben!«

»Ich lebe im Sterben,« entgegnete jener mit einem schauerlichen Grinzen.

»Wessen sind die Gebeine auf deinen Kleidern?«

»Sind Reliquien, junger Herr.«

»Bist also ein Wallbruder?«

»Rastlos, ruhelos; Land auf, Land nieder.«

»Du sollst mir hier nicht im Schnee verderben«

»Das will ich auch nicht.«

»Auf mein Roß sollst du dich mit aufsetzen.«

»Das will ich.«

Und alsbald war er mit unerwarteter Kraft und Behendigkeit aus dem Schnee hervor, und saß hinter Sintram, ihn mit seinen langen Armen umschlingend, auf dem Rosse, welches vor dem Klappern der Gebeine scheu wurde, und, wie vom Koller ergriffen, durch die pfadlosesten Thäler davon rannte. Bald sahe sich der Knabe mit seinem seltsamen Begleiter allein; in weiter Ferne stachelte und keuchte der geängstete Rolf umsonst den beyden Fortstürmenden nach.

Eben von einer überschneyeten Bergwand, doch ohne Stur, hinab geglitten, ward der Gaul in einer engen Schluft etwas ermatteter, und brausete und schäumte er auch nach wie vor, und konnte der Knabe seiner noch immer nicht mächtig werden, so wandelte sich doch sein athemhemmender Lauf in einen wilden, ungeregelten Trapp, und zwischen Sintram und dem Fremden erhob sich folgendes Gespräch:

»Du bleicher Mann, ziehe deine Gewande fester; so klappern die Gebeine nicht, und ich zähme mein Roß.«

»Hilft nicht, mein Knabe, hilft nicht; haben es die Gebeine nun so an der Art.«

»Drucke mich nicht so fest mit deinen langen Armen. Deine Arme sind so kalt.«

»Kann nicht anders, mein Knabe, kann nicht anders Und sey zufrieden. Drücken dir ja doch meine langen kalten Arme das Herz nicht ein.«

»Hauche mich nicht so an mit deinem erfrorenen Athem. Davor geht mir noch alle Kraft aus.«

»Muß hauchen, mein Knabe, muß hauchen. Aber beklage dich nicht. Ich hauche dich ja nicht um.«

Das wunderliche Gespräch hatte ein Ende; denn wider Vermuthen kam Sintram auf eine klare, sonnenbestrahlte Schnee-Ebene heraus, und sahe das Schloß seines Vaters unfern vor sich liegen. Noch sinnend, ob er den unheimlichen Wallbruder mit sich laden solle und dürfe, überhob ihn dieser alles Zweifelns, indem er sich rasch vom Pferde schwang, das überrascht in der wilden Eile stutzte. Darauf sagte er zu dem Knaben mit aufgehobenem Zeigefinger:

»Ich kenne den alten Biörn Gluthauge sehr wohl; nur mehr vielleicht, als allzu wohl. Grüße ihn von mir. Den Nahmen braucht er eben nicht zu wissen. Er wird mich schon an der Beschreibung kennen.«

Damit wandte sich der blasse Fremdling in ein dichtes Tannengebüsch, und verschwand rasselnd zwischen den viel durchschlungenen Zweigen.

Langsam und bedenklich ritt Sintram auf dem nun ganz ruhig gewordenen, höchst erschöpften, Rosse Schritt auf Schritt den väterlichen Hallen zu. Er wußte kaum recht, was er von seiner wunderlichen Fahrt zu erzählen habe, und was nicht; über dieß engte ihm auch die Sorge um den zurück gebliebenen frommen Rolf das Herz gewaltig ein.

Da befand er sich, ehe er es noch gedacht hatte, vor dem Burgthore. Die Brücken rasselten nieder, die Pforten thaten sich auf; ein Knappe geleitete den Junkherrn in den großen Saal, wo Ritter Biörn ganz allein an einer mächtigen Tafel, mit aufgestellten Harnischen wie umbauet, hinter vielen Flaschen und Bechern saß. Das war nähmlich so seine Art von täglicher Gesellschaft, daß er die Rüstungen seiner Urväter mit geschlossenen Visiren rund um seinen Tisch herstehen und hersitzen ließ.

Und Vater und Sohn hoben folgender Gestalt miteinander zu sprechen an:

»Wo ist Rolf?«

»Weiß nicht, Herr Vater. Der ist im Gebirge von mir abgekommen«

»Den Rolf werde ich erschießen lassen, weil er meines einzigen Kindes nicht besser zu hüthen weiß.«

»Nun könnet ihr, Herr Vater, euer einziges Kind gleich mit erschießen lassen, denn ohne den Rolf weiß ich nicht zu leben, und wo Bolzen auf ihn fliegen sollten, oder sonst ein Geschoß, da stelle ich mich dem spitzigen Zeuge in den Weg, und wahre mit meiner leichtfertigen Brust sein treues, frommes Herz.«

»So? – Ey, dann soll der Rolf nicht erschossen werden, aber ich jage ihn von der Burg.«

»Nun könnet ihr, Herr Vater, mich mit davon laufen sehen, und ich will ihm dienen als sein getreuer Knappe in Forst und Gebirge und Tann.«

»So? – Ja, dann wird der Rolf wohl hier bleiben müssen.«

»Das denke ich auch, Herr Vater.«

»Bist du ganz allein gereiset?«

»Nein, Herr Vater, sondern vielmehr mit einem seltsamen Wallbruder; der sagte, er kenne euch gut, oder wohl gar allzu gut.«

Und damit hob Sintram alles zu erzählen und zu beschreiben an, was ihm von dem blassen Manne kund geworden war. – »Ich kenne ihn auch recht gut,« sagte Ritter Biörn. »Er ist halb wahnsinnig, halb weise, wie das denn wohl bey den Menschen bisweilen höchst wunderlich zusammen zu treffen pflegt. Du aber, mein Knabe, gib dich zur Ruhe nach deiner wilden Fahrt. Du hast mein Ehrenwort, daß der Rolf gut und freundlich empfangen wird, ja auch gesucht im Gebirge, falls er zu lange ausbleiben sollte.«

»Ich verlasse mich auf euch, Herr Vater,« erwiderte Sintram halb demüthig, halb trotzig, und that nach des finstern Burgherrn Geboth.


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