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Viertes Kapitel.


Gegen Abend wachte Sintram wieder auf. Er sahe den guten Rolf an seinem Lager sitzen, und lächelte mit ungewohnter kindlicher Heiterkeit in des treuherzigen Alten freundliches Gesicht. Bald aber zogen sich seine dunkeln Augenbraunen wieder etwas trotzig zusammen, und er fragte:

»Wie hat dich der Vater empfangen, Rolf? Hat er dir ein unfreundliches Wort gesagt?«

»Da eben nicht, lieber Junkherr. Vielmehr hat er gar nicht mit mir gesprochen. Anfangs blickte er mich recht böse an; dann zwang er sich, und geboth einem Knappen, mich mit Wein und Speise gut zu erlaben, und alsdann zu euch her zu geleiten.

»Er hätte besser Wort halten können. Aber er ist mein Vater, und man muß es so genau nicht nehmen. – Ich will zum Abendimbiß.«

Zugleich sprang er auf, und warf seinen Pelzmantel über. Aber Rolf trat ihm bittend in den Weg, und sagte: »lieber Junkherr, ihr thut besser, heute in euerer Kammer zu speisen. Bey euerem Vater ist Gesellschaft, in welcher ich euch nicht gern sehe. Ich will euch auch schöne Mährchen und Lieder vorsagen.«

»Das hätte ich vor allen andern Dingen in der Welt gern, lieber Rolf,« entgegnete Sintram. »Nur ist es mir nicht gegeben, irgend einem Menschen auszuweichen. Sage mir doch, wen fände ich denn bey meinem Vater?«

»Ach, Junkherr,« sprach der Alte, »ihr habt ihn im Gebirge schon gefunden. Ehemahls, da ich noch mit dem Ritter Biörn umher reiten mußte, sind wir ihm auch bisweilen begegnet, aber ich mochte euch nichts von ihm erzählen, und auf die Burg gelangt er heute zum ersten Mahle.«

»So, so! Der wahnsinnige Pilger!« erwiderte Sintram, und blieb eine Weile in tiefen Gedanken, wie überlegend stehen. Endlich rafte er sich rasch zusammen, und sprach: »Du guter, alter Freund, ich bliebe viel lieber heute Abend ganz allein bey dir und deinen Mährchen und Liedern, und alle Pilger der ganzen Welt sollten mich nicht weglocken aus dieser stillen Kammer. Nur Eins ist dabey zu bedenken. Ich empfinde eine Art von Scheu vor jenem blassen, baumhohen Manne, und dergleichen darf ein Rittersohn nicht in sich aufkommen lassen. Sey mir nicht böse, mein Rolf, aber ich muß nun durchaus dem Wallbruder in sein wunderliches Antlitz sehen.«

Und somit machte er die Kammerthür auf, und ging mit starken klingenden Schritten nach dem Saale zu.

Der Wallbruder und Ritter Biörn saßen einander gegen über am großen Tische, auf welchem viele Kerzen brannten, und es war seltsam anzuschauen, wie zwischen den vielen leblosen Harnischen die zwey hohen und blassen Gestalten sich regten, und aßen und tranken.

Indem der Pilger sich nach dem eintretenden Knaben umsahe, sprach Ritter Biörn: »den kennt ihr schon; das ist mein einziges Kind, und euer Reisegefährte von heute Vormittag.«

Der Wallbruder heftete einen langen Blick auf Sintram, und entgegnete kopfschüttelnd: »daß ich doch eben nicht wüßte!«

Da fuhr der Knabe ungeduldig auf: »nun ich muß bekennen, ihr theilt zu gar ungleichen Theilen! Meinen Vater glaubtet ihr allzu gut zu kennen, und mich, so scheint es, kennet ihr allzu schlecht. Sehet mir in das Angesicht. Wer ließ euch auf seinem Rosse mitreiten, und wem machtet ihr zum Danke sein gutes Roß scheu und toll? Sprechet, wenn ihr könnt!«

Ritter Biörn lächelte kopfschüttelnd, aber sehr zufrieden, wie er es immer bey dem wildesten Betragen seines Sohnes an der Art hatte; der Pilger dagegen zog sich voll ängstlicher Scheu zusammen, als drohe ihm eine furchtbar überkräftige Gewalt. Zuletzt brachte er in fast blödsinniger Angst die Worte heraus: »ja, ja, mein lieber junger Held, ihr habet ja sehr vollkommen Recht; Ihr habet in allem großes Recht, was ihr nur irgend vorzudringen beliebt.«

Da lachte der Burgherr laut auf, und rief: »ey Pilgersmann, ey Wundermann, wie ist es denn nun mit deinen seltsam vornehmen Mahnungen und Sprüchen? Hat dich der Knabe so mit einem Mahle stumm und matt gemacht? Wehre dich doch, Propheten-Bothe, wehre dich doch!«

Aber der Wallbruder warf einen furchtbaren Blick nach Ritter Biörn hinüber, davor dessen Gluthaugen beynahe zu erlöschen droheten, und sprach mit feyerlicher, donnernder Stimme: »zwischen dir und mir, mein Alter, ist es ein Anderes. Wir haben uns eben nichts vorzuwerfen. Und passe einmahl auf: Dir will ich ein Liedlein in die Laute singen.« – Er griff hinter sich; wo an der Wand eine vergessene, kaum halb besaitete Zither hing, die er jedoch mit wunderbarer Gewalt und Gewandtheit nach wenigen Accorden wieder in den Stand zu setzen wußte, und hob diesen Gesang zu den tiefen traurigen Tönen des Instrumentes an:

»Das Blümlein war meine, war meine!
Doch hab’ ich verspielt mein seliges Recht,
Doch bin ich vom Ritter geworden zum Knecht
Durch die Sünde, die Sünde alleine.
Das Blümlein war deine, war deine!
Was hielt’st du nicht fest dein seliges Recht?
Du Ritter nicht mehr, du Sündenknecht,
Nun bist du so graunvoll alleine!

»Hüthe dich!« rief er noch mit gellender Stimme darein, und riß dazu so gewaltig in die Saiten, daß sie alle wieder mit klagendem Jammergeschrey zersprangen, und eine Wolke Staubes aus dem Boden der alten Zither seltsam herauf quoll, den Sänger wie mit Nebelduft umhüllend.

Sintram hatte ihn während des Singens scharf angesehen, und es kam ihm zuletzt unbegreiflich vor, daß dieser ein und derselbe mit seinem Reisegefährten hätte seyn können. Ja, der Zweifel stieg ihm beynahe zur Gewißheit einer Verwechselung, als sich der Fremde wieder mit ängstlicher Scheu nach ihm umsahe, entschuldigend und tief verneigend die Zither an ihren alten Ort hing, und dann entsetzlich furchtsam aus dem Saale rannte, im seltsamen Abstiche gegen das hochmüthige, feyerliche Ansehen, welches er gegen Ritter Biörn gezeigt hatte.

Auf diesen fiel jetzt des Knaben Blick, und er sahe ihn ohnmächtig, wie vom Schlage gerührt, auf seinen Sessel zurück gelehnt. Sintrams Geschrey rief den frommen Rolf und andere Diener in den Saal, und nur nach angestrengter Mühwaltung erwachte vor deren vereintem Bestreben der Burgherr, obgleich mit noch immer verwilderten Blicken, und ließ sich still und nachgiebig zur Ruhe bringen.


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