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Siebenzehntes Kapitel.


»Seht, edler Herr, – « sprach am nächsten Morgen Sintram auf Folko’s Begehren, mit auszuziehen, »unsere Schneeschuhe, welche wir Skier nennen, flügeln wohl den Lauf, daß er fast windesrasch Berg unter geht, auch schneller Berg an, als uns irgend wer zu folgen vermag, und auf der Ebene hohlt kein Roß uns ein, aber nur dem geübten Meister dienen sie zum Heile. Es ist, als sey ein Kobolds-Geist in sie gebannt, furchtbar verderblich dem fremden, welcher sie nicht von Kindheit an zu brauchen gelernt hat.«

Etwas stolz entgegnete Folio: »ist es denn etwa das erste Mahl, daß ich in eueren Bergen bin? Ich habe dieses Spiel schon vor Jahren getrieben, und Gottlob, jede ritterliche Übung befreundet sich leicht mit mir.«

Sintram wagte nichts mehr einzuwenden, noch weniger der alte Biörn. Auch fühlten sich beyde beruhigter, als sie sahen, mit welcher Gewandtheit und Sicherheit sich Folko die Skier an die Füße schnallte, ohne zu erlauben, daß ihm jemand dabey helfe. Der Zug ging Berg an einem schon lange umsonst bedroheten, blutgierigen Bären nach. Bald war man genöthiget, sich zu trennen, und Sintram both sich dem Freyherrn zum Waldgesellen an. Dieser, gerührt von des Jünglinge tiefer Demuth und Ergebung, vergaß alles, was ihm in der letzten Zeit unheimlich an der bleichen, verworrenen Gestalt vorgekommen war, und sprach ein sehr freundliches Ja.

Als man nun höher und immer höher hinaufklomm in die weißen Gebirge und von manchem schwindlichen Gipfel die tiefer liegenden Höhen und Klippen überschauete, wie ein plötzlich im wildesten Sturme versteintes oder vielmehr vereisetes Meer, hob sich immer freyer und fröhlicher des edlen Montfaucon starke Brust. Er sang Krieges- und Liebeslieder in die scharfblaue Luft hinein, Lieder aus seinem Fränkischen Heimathslande, das Echo hallte sie in den vielverschlungenen Kluften wie staunend zurück. Dabey klomm er Berg an und glitt Berg nieder in fröhlichem Spiele, brauchte kräftig und sicher den stützenden Stab und schwenkte sich rechts und wieder links, wie es ihm ein fröhliches Behagen eingab, so daß Sintram seine frühere Besorgniß in bewunderndes Staunen umwandelte, und die Jäger, welche den Freyherrn noch im Auge behalten hatten, in lauten Jubel ausbrachen, der ganzen Reihe weiter und weiter die neue Herrlichkeit ihres Gastes verkündend.

Das Glück, welches den edlen Folko bey seinen Waffenthaten fast immer begleitete, schien ihn auch hier nicht verlassen zu wollen. Er und Sintram fanden nach kurzem Suchen die sichere Spur des Raubthieres, und folgten ihr mit freudig klopfendem Herzen so sturmesschnell, daß wohl selbst ein geflügelter Feind ihrer Verfolgung nicht hätte entkommen mögen. Aber der, welchen sie suchten, dachte an keine Flucht. Mürrisch lag er in der Höhle eines beynahe senkrechten Abhanges, dem Gipfel nahe, und zürnte über den Jagdlärm, und harrte nur in seinem trägen Grimme, daß ein Widersacher sich genug heran wage, um ihn blutig zu fassen. Jetzt waren Folko und Sintram nahe bey dem Felsen, die Andern weit durch die vielverschlungene Öde zerstreuet. Die Spur zeigte nach oben- und beyde Jagdgesellen klommen hinan, auf verschiedenen Seiten, damit ihre Beute ihnen um so weniger fehlen könne. Folko stand zuerst auf dem einsamen Gipfel, und spähete umher. Eine weite, unabsehbare Schneegegend dehnte sich spurlos vor ihm aus, am fernsten Ende in die bereits abendlich dämmernden Wolken verschwimmend. Schon glaubte er, von seines furchtbaren Wildes Fährte abgekommen zu seyn.

Da brüllte es neben ihm aus der Felsenschluft, und schwarz und unbehülflich hob sich der Bär über den Schnee hervor, und stellte sich aufrecht, und schritt mit funkelnden Augen gegen den Freyherrn an. Sintram arbeitete indessen, im Kampfe mit immer herabgleitenden Schneemassen, vergebens, die Höhe zu erklimmen.

Froh eines lange nicht versuchten, fast ihm ganz neu gewordenen Krieges, fällte Herr Folko von Montfaucon seinen Jagdspeer, und wartete den Angriff des Unthieres ab. Ganz nahe ließ er es an sich heran kommen, so daß es schon mit den grimmigen Tatzen nach ihm langte; da that er seinen Stoß, und das Lanzeneisen fuhr tief in des Bären Brust. Aber noch immer vorwärts drängte heulend und brüllend der gräßliche Feind, nur die Querstange des Speeres hielt ihn auf, und tief mußte sich der Ritter in den Boden einstämmen, um dem zornigen Anpressen zu widerstehen, immer dicht vor sich das abscheuliche, blutlechzende Thiergesicht, das heisere Gebrüll, halb in Todesangst, halb in Mordlust ausgestoßen, dicht an seinen Ohren.

Endlich ward des Bären wüthende Kraft immer schwächer, und reichlich strömte das schwarze Blut über den Schnee. Er wankte; ein kräftiger Stoß warf ihn rückwärts, daß er stumm geworden über den Klippenhang hinunterstürzte. In demselben Augenblicke stand Sintram neben dem Freyherrn von Montfaucon.

Athem schöpfend sagte Folko: »so habe ich denn noch nicht den Preis der Jagd in meinen Händen. Und haben muß ich ihn, so gewiß es mir gelang, ihn zu gewinnen. Nur da der Schneeschuh an meinem rechten Fuße scheint mir beschädigt. Meinst du, Sintram, daß er noch hält, um über den Abhang hinab zu gleiten?«

»Laßt lieber mich hinab,« sagte Sintram. »Ich hohle euch des Bären Haupt und Klauen herauf.«

»Ein echter Rittersmann,« entgegnete Folko etwas unwillig, »thut kein Ritterstück halb. Ob mein Schneeschuh hier halten wird, frage ich dich.«

Indem Sintram sich darnach hinbeugte, und im Begriffe stand, nein zu sprechen, sagte plötzlich jemand dicht neben ihnen: »ey freylich, ja! das versteht sich von selbst.« Folko meinte, Sintram habe gesprochen, und glitt pfeilschnell hinab, während dieser sich staunend umsahe. Kleinmeisters verhaßte Gestalt fiel ihm in das Auge.

Eben wollte er ihn zürnend anreden, da hörte er den furchtbaren Sturz des Freyherrn, und schwieg entsetzt stille. Auch unten im Abgrunde blieb es lautlos und still.

»Nun, worauf wartest du?« sagte Kleinmeister nach einer Weile, »Er hat den Hals gebrochen. Gehe zu Hause nach der Burg, und nimm die schöne Helene für dich.«

Sintram schauderte. Da hob sein häßlicher Gefährte an, den Reitz Gabrielens zu preisen, mit glühenden, zauberischen Worten, daß dem Jüngling daß Herz vor nie gekannter Sehnsucht schwoll. Er dachte des Gestürzten nicht anders, als einer nieder gerissenen Scheidewand zwischen ihm und dem Himmel; er wandte sich nach der Burg.

Da tönte ein Rufen aus der Kluft herauf: »Mein Waidgeselle, hilf! mein Waidgeselle, hilf! Ich lebe noch, aber ich bin sehr wund.«

Sintram wollte hinab, und rief schon dem Freyherrn entgegen: »ich komme!« Da sprach Kleinmeister: »dem zerbrochenen Herzog Menelaus ist doch nicht mehr zu helfen, und die schöne Helene weiß es auch schon. Sie wartet nur, daß Ritter Paris komme, sie zu trösten.« Und mit abscheulicher List schlang er jenes Mährchen in das Leben hinein, und seine flammenhauchenden Lobpreisungen der schönen Frau zwischen durch, und ach, der verblendete Jüngling gab ihm nach, und floh!

Wohl hörte er noch fern herüber des Freyherrn Ruf: »Ritter Sintram, du, dem ich den heiligen Orden gab, eile dich nun, und hilf! Die Bärinn kommt mit ihren Jungen, und mir ist der Arm gelähmt! Ritter Sintram! Ritter Sintram! Eile dich, und hilf!«

Das Rufen verhallte vor der stürmischen Eile, in welcher die zwey auf ihren Schneeschuhen dahin fuhren, und vor den bösen Worten Kleinmeisters, die den Stolz verhöhnten, womit noch jüngst der Herzog Menelaus dem armen Sintram begegnet sey. Endlich rief er aus: »Glück zu Frau Bärinn! Glück zu, ihr jungen Bärenknaben! Nun haltet ihr ein köstliches Mahl! Nun speiset ihr den Schrecken der Heidenschaft, den, um welchen die Mohrenbräute weinen, den großen Freyherrn von Montfaucon. Nun wirst du nicht mehr, o du mein zierlicher Herr Ritter, nun wirst du nicht mehr vor den Scharen rufen: Montjoy, heiliger Dyonis!«

Aber kaum war dieser geweihete Nahmen aus Kleinmeisters Munde gekommen, als er schon ein ängstliches Geschrey erhob, sich verzerrt hin und herringelte, und endlich im jetzt beginnenden Schneegestöber winselnd und händeringend davon flog.

Sintram stieß seinen Stab gegen die Erde, und stand. Wie sahen ihn das weite Schneefeld, die fern herüber ragenden Berge, und schwarzdunkeln Tannenwälder – wie sahe ihn alles so verwundert im starren, bedrohlichen Schweigen an! – Er dachte, nieder zu sinken unter dem Gewichte seines Elendes und seiner Schuld. Das Läuten einer fernen Einsiedlerglocke tönte wehmüthig herüber.

Laut weinte er durch die hereinbrechende Nacht: »meine Mutter! Meine Mutter! Ich hatte ja doch auch einmahl eine liebe, sorgliche Mutter, und die sagte, ich wäre ein frommes Kind!«

Da wehete es ihn an, wie leiser Engelstrost. Montfaucon seye vielleicht noch nicht gestorben, und schnell wie der Blitz flog er die Bahn zum Felsenhange zurück.

Angekommen bey der entsetzlichen Stelle, bog er sich ängstlich spähend über die Klippe hinab. Ihm half der eben in voller Pracht empor steigende Mond.

Da lehnte Ritter Folko von Montfaucon blutig und bleich, halb kniend, gegen die Felsenwand, sein rechter Arm hing zerschmettert und ohnmächtig herab; man sahe wohl, er hatte sein tapferes Schwert nicht aus der Scheide bringen können. Und dennoch hielt er mit stolzen Heldenblicken, mit trotzig drohendem Anstande die Bärinn und ihre Jungen fern, daß sie nur zornig brummend um ihn herum schlichen, zwar jeden Augenblick zum wüthenden Anfalle bereit, und doch wieder jeden Augenblick zurückschreckend vor der auch noch in Wehrlosigkeit herrlichen Siegergestalt.

»O welch ein Held hätte hier untergehen können!« seufzte Sintram; »und ach durch wessen Schuld!« – Im Augenblicke aber auch flog sein Wurfspeer gemessenen Schwunges hinab, und die Bärinn röchelte verscheidend in ihrem Blute, heulend flohen die Jungen davon.

Der Freyherr blickte staunend empor. Sein Angesicht glänzte wie verklärt im Schimmer des Mondes, ernst, streng und freundlich, einer Engelserscheinung gleich. »Komm herunter!« winkte er, und Sintram glitt voll eiliger Sorgfalt Berg ab. Er wollte sich mit dem Verwundeten beschäftigen, aber Folko sprach: »erst nimm des Bären Haupt und Klauen ab, den ich erschlug. Ich habe meiner schönen Gabriele den Preis des Jagens verheißen. Dann komm zu mir und verbinde mich. Mein rechter Arm ist gebrochen.«

Sintram that nach des Freyherrn Geboth. Als nun die Siegespfänder genommen waren, und der zerschmetterte Arm geschient, geboth Folko dem Jünglinge, ihn nach der Burg zu führen.

»Ach Gott, wenn ich euch nur in das Auge blicken dürfte, sprach Sintram leise; oder wenn ich nur überhaupt wüßte, wie ich euch nahe kommen soll.«

»Du warest freylich auf recht sehr bösen Wegen.« entgegnete Montfaucon ernst, »aber was gelten wir Menschen denn allzumahl vor Gott, hülfe die Reue nicht! Immer ja bist du es, der mir mein Leben errettet, und so mit mache dich getrosten Muthes auf.«

Der Jüngling faßte den Freyherrn sanft und kräftig unter den linken Arm, und beyde schritten im Mondlichte schweigend ihres Weges fort.


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