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Zweytes Kapitel.


Nach einiger Zeit kam der fromme Rolf langsam und leise herein, und blieb verwundert in der leer gewordenen Halle stehen. Er hatte in den entfernten Gemächern, wo er das Kind wieder zur Ruhe gebracht, nichts von dem wilden Aufbruche seines Ritters vernommen. Der Kapellan berichtete ihm das Vorgefallene auf gütige Weise, und sagte dann:

»Aber, lieber Rolf, ich möchte euch wohl um die seltsamen Worte fragen, mit welchen ihr vorhin den kranken Sintram wieder einwiegtet. Sie klangen so fromm, und waren es gewiß auch, und dennoch habe ich sie nicht verstanden:

Ich glaube und kann nicht glauben.«

»Ehrwürdiger Herr,« entgegnete Rolf, »seit meiner frühesten Kindheit besinne ich mich, daß keine der schönen Geschichten im Evangelio mich so gewaltig angefaßt hat, als die, wo die Jünger den besessenen Knaben nicht heilen konnten, und der verklärte Erlöser endlich selbst vom Berge herab kam, und die Bande zerriß, womit der böse Geist das geängstete Kind an sich fest gekettet hielt. Mir war immer, als müsse ich den Knaben gekannt und gepflegt haben, und in guten Stunden sein Spielgefährte gewesen seyn. Und wie ich nun zu Jahren kam, da lag mir die Noth des Vaters um seinen vergeisterten Sohn auf dem Herzen. Das war denn wohl alles eine Vorbedeutung auf unsern armen Junkherrn Sintram, den ich liebe, gleichwie ein eigenes Kind, und nun quellen mir bisweilen die Worte des weinenden Vaters im Evangelio recht aus dem Herzen herauf: ›ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!‹ und etwas Ähnliches mag ich auch wohl heute in meiner Angst gesungen und gebethet haben. Lieber ehrwürdiger Herr Kapellan, es wird mir bisweilen recht dunkel vor dem Sinne, wenn ich es bedenke, wie ein fürchterlicher Spruch des Vaters so entsetzlich an dem armen Kinde haften kann, aber Gottlob! mein Glaube und mein Hoffen bleibt oben.«

»Lieber Freund Rolf,« sagte der Geistliche, »Alles, was ihr von dem armen Sintram redet, verstehe ich nur halb, denn mir ist unbekannt, wann und wie das Unheil über ihn gekommen ist. Bindet nun kein Eid, oder sonst ein feyerliches Wort, euere Zunge, so thut mir kund, wie es sich damit begeben hat.«

»Von Herzen gern,« entgegnete Rolf. »Ich habe mich lange darnach gesehnt. Aber ihr waret ja, wie gänzlich abgeschieden von uns. Nur jetzt darf ich den schlafenden Junkherrn nicht länger allein lassen, und Morgen in aller Frühe muß ich ihn meinem Ritter nachführen. Kämet ihr wohl mit zu dem guten Sintram, theuerer Herr?«

Der Kapellan faßte sogleich selbst die kleine Leuchte, welche Rolf mitgebracht hatte, und sie schritten durch die langen Bogengänge davon.

In dem kleinen fernen Zimmerchen fanden sie den armen Knaben fest schlafend. Auf sein ohnehin schon sehr bleiches Gesicht fielen die Strahlen der Lampe recht wunderlich. Der Kapellan blieb eine ganze Zeit lang tief nachsinnend vor ihm stehen, und sagte endlich:

»Es ist wahr, er trug schon von seiner Geburt her etwas strenge und scharfgebildete Züge, aber jetzt sieht er für ein Kind beynahe furchtbar aus. Und dennoch muß man dem ehrlichen Schläfer gut seyn, man mag wollen oder nicht.«

»Ganz recht, lieber, ehrwürdiger Herr!« entgegnete Rolf, und man sahe es ihm an, wie seine ganze Seele dabey war, wenn irgend ein Wort zu Gunsten seines lieben Junkherrn Sintram gesprochen ward. Darauf stellte er die Leuchte so, daß sie den Knaben nicht blenden konnte, führte den Geistlichen zu einem bequemen Sitze, und hob, ihm gegen über Platz nehmend, folgender Maßen zu sprechen an:

»An jenem Weihnachtsfeste, wovon euch mein Herr gesagt hat, war zwischen ihm und seinen Mannen vielfach die Rede von den deutschen Handelsleuten, und wie man den Stolz der immer mächtigern Hafenstädte niederpressen möge. Da streckte Herr Biörn seine Hand aus nach dem bösen Eberbilde von lauterem Golde, und verhieß, ohne alle Barmherzigkeit die Deutschen Kauffahrer zum Tode zu bringen, welche ihr Schicksal, es sey auch auf welche Art es wolle, lebendig in seine Macht gerathen lasse.«

»Die holde Verena erbleichte, und wollte dazwischen reden, aber es war zu spät, heraus das blutige Wort. Und gleich, als müsse der Tyrann des Abgrundes alsbald den ihm verfehmten Vasallen an vielen Banden auf einmahl erfassen, kam auch zu gleicher Zeit ein Wächter in den Saal, und meldete zwey Bürger aus einer Deutschen Handelsstadt, ein Greis und sein Sohn, seyen hier gestrandet, und stehen draußen, den Schutz des Burgherrn anrufend.«

»Das griff den Ritter schauderhaft an die Seele, aber er vermeinte, durch sein übereiltes Ehrenwort und den vermaledeyten heidnischen Goldeber gebunden zu seyn. Wir Knechte erhielten Befehl, uns mit scharfgespitzten Stahllanzen im Schloßhofe zu versammeln, um so auf den ersten Wink die armen Schutzgenossen recht schnell abzufertigen.«

»Das erste Mahl und auch hoffentlich das letzte Mahl in meinem Leben sagte ich nein zu den Gebothen meines Herrn. Und das sagte ich recht laut und in freudiger Entschlossenheit. Der liebe Gott, der wohl am besten wissen muß, wen er in seinen Himmel haben will und wen nicht, rüstete mich aus mit Beharrlichkeit und Kraft.«

»Und siehe da, Ritter Biörn mochte spüren, woher die Widersetzlichkeit seines alten Knechtes komme, und daß dergleichen in Ehren zu halten sey. Er sprach halb zürnend, halb spottend: ›gehe hinauf zu den Fenstern meiner Frau. Die Zofen laufen ängstlich hin und her; sie mag unwohl seyn. Gehe hinauf, Rolf der Fromme, sage ich dir, so kommen Weiber und Weiber zusammen.‹«

»Ich dachte: ›spotte du nur!‹ und ging stillschweigend meines angewiesenen Weges.«

»Da begegneten mir auf der Stiege zwey wunderliche und recht furchtbare Leute, die ich noch nie gesehen hatte; auch weiß ich nicht, wie sie in die Burg gekommen sind. Der eine war lang und groß, und sahe entsetzlich blaß aus, und sehr, sehr mager; der andere war ein kleines Männchen mit ganz abscheulichen Gesichtszügen und Mienen. Ja, als ich mich zusammen nahm und recht genau hinsahe, kam es mir wahrhaftig vor – «

Ein leises Wimmern und Zucken des Knaben unterbrach die Rede. Zu ihm hineilend sahen Rolf und der Kapellan, wie eine grauenvolle Angst auf seinem Antlitze lag, und sich die Augen krampfig aufthun wollten und nicht konnten. Der Geistliche schlug das Kreuz über ihn; da legte sich nach und nach der seltsame Zustand, das Kind schlief ruhig, und die Beyden gingen leise wieder nach ihren Sitzen zurück.

»Ihr sehet, es thut nicht gut, die zwey Furchtbaren näher zu beschreiben,« sagte Rolf. »Genug, sie schritten nach dem Hofe hinunter, ich zu den Kammern meiner Herrinn hinauf. Wohl war die zarte Verena vor entsetzlicher Beängstigung in halber Ohnmacht, und ich eilte, ihr mit der Einsicht beizustehen, die mir der liebe Gott von den heilenden Kräften in Kraut und Luft und Stein verliehen hat. Aber kaum etwas erhohlt, geboth sie mir schon mit der stillheiligen Gewalt, die ihr an ihr kennt, sie hinunter zu geleiten in den Hof: sie müsse das Schreckniß dieser Nacht werden, oder selbst mit untergehen. Wir mußten an dem Bettchen des schlafenden Sintram vorbey; ach Gott, mir fielen die heißen Thränen aus den Augen, wie er so still und ruhig athmete, und lächelte in seinem freundlichen Schlummer!« –

Der alte Reisige hielt die Hand über seine Augen, und weinte bitterlich. Dann fuhr er gesammelter wieder fort:

»Wir naheten uns den Fenstern der untern Treppe; da vernahmen wir deutlich die Stimme des ältesten der beyden Kaufherren, und durch die Scheiben ward mir bey dem Fackelschimmer auch sein edles Angesicht klar, und daneben das blühende Haupt seines Sohnes. – ›Ich rufe Gott den Herrn zu Zeugen,‹ rief er aus, ›daß ich diesem Hause kein Leid zu thun gedachte. – Aber ich muß wohl in die Heidenschaft gerathen seyn, statt in eines christlichen Ritters Burg, und wenn es denn also ist, so stoßet nur zu, und du, mein herzlieber Sohn, stirb, geduldig und standhaft; im Himmel werden wir erfahren, warum es nicht anders seyn konnte.‹ – Mir war, als sähe ich die beyden Furchtbaren mit im Gedränge der Reisigen. Der Blasse hatte ein großes Sichelschwert in der Hand, der Kleine einen wunderlich gezackten Speer.«

»Da riß Verena das Fenster auf, und rief wie mit Flötentönen durch die wilde Nacht: ›mein seelenlieber Herr und Gemahl, um eures einzigen Kindes willen erbarmet euch dieser frommen Männer! Errettet sie vom Tode, und widerstehet den Versuchungen des bösen Geistes!‹ – Der Ritter antwortete in seinem Grimme – laßt mich nicht sagen was. Er setzte sein Kind auf das Spiel, er rief Tod und Teufel herbey, wenn er sein Wort nicht halte, – still! Der Knabe zuckt schon wieder. Laßt mich die finstere Kunde schnell zu Ende bringen.«

»Ritter Biörn geboth seinen Knechten, daß sie zustoßen sollten, und winkte mit so entsetzlich flammenden Blicken, daß er davon bisweilen noch Biörn Gluthauge geheißen wird; zugleich erzeigten sich die zwey furchtbaren Fremden sehr geschäftig. Da rief Verena mit durchdringender Angst: ›Herr, mein Erlöser, hilf! – ‹ Und verschwunden waren die beyden Schreckgestalten, und wild, wie geblendet, tosete der Ritter und sein Schloßgesind wider einander, ohne sich zu beschädigen, oder auch ohne die gefährdeten Handelsleute treffen zu können. Diese neigten sich ehrerbiethig gegen Verenen, und schritten still bethend zu den Burgthoren hinaus, die eben jetzt, von einem schneeigen Wirbelwinde getroffen, plötzlich aus ihren Riegeln fuhren, und den Weg in das Gebirge frey ließen.«

»Die Herrinn und ich standen noch wie zweifelnd auf der Stiege; da war es mir, als sähe ich die zwey entsetzlichen Gestalten neben mir vorbey huschen, nur ganz lose, leise und duftig, aber Verena rief mich an: ›um Gott, Rolf, hast auch du den großen, bleichen Mann gesehen, und den kleinen häßlichen, die hier das Treppengeländer hinauf hüpften?‹ – Ich flog hinterdrein, ach, und fand den armen Knaben in eben dem Zustande, worin ihr ihn vor wenigen Stunden gesehen habet. – «

»Seit dem kommt es immer um diese Zeit wieder, und überhaupt ist der Junkherr von da her seltsam verwandelt. Die Burgfrau sahe die sichtbare Strafe und Mahnung der Himmelsmächte in dieser Begebenheit, und weil auch Ritter Biörn von Tage zu Tage, statt sich zu bekehren, immer mehr Biörn Gluthauge ward, meinte sie, für sich und ihr armes Kind einzig und allein in den Mauern eines Klosters ewige Seligkeit und zeitliche Rettung erbethen zu können.«

Rolf schwieg, und der Kapellan sagte nach einigem Sinnen: »jetzt begreife ich es, warum mir vor sechs Jahren Biörn lieber ohne näheres Erklären seine Sündhaftigkeit eingestand, und in das Klosterbegehr meines Beichtkindes willigte. Noch mußte sich wohl ein Überbleibsel von Scham in seinem Herzen regen, und regt sich vielleicht noch. Auf alle Weile durfte die zarte Himmelsblume Verena nicht länger in der Nähe dieses Orkans bleiben. Wer aber soll nun den armen Sintram schützen und retten?«

»Das Gebeth seiner Mutter,« entgegnete Rolf. »Seht, ehrwürdiger Herr, wenn die Frühlichter so herüber ziehen, wie jetzt, und die Morgenlüftlein so durch das angestrahlte Fenster flüstern, – da ist mir es immer, als sehe ich die lieben Augen der Burgfrau leuchten, als hörte ich ihrer Stimme leise hauchenden Klang. Die fromme Verena wird nächst Gott schon helfen.«

»Und auch unser andächtiges Rufen zum Herrn,« fügte der Kapellan hinzu, und er und Rolf knieten inbrünstig und schweigend bethend im ersten Morgenrothe am Bette des bleichen Knaben, der in seinen Träumen zu lächeln begann.


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