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Ein und zwanzigstes Kapitel.


Die Erbauung dieser Stunde gedieh aus der himmlisch blendenden Begeisterung wieder zur klaren, still besonnenen Anschauung des wirklichen Lebens, und der geheilte Weigand legte den Mantel mit den Todtengebeinen von sich, sprechend: »ich setzte meine Buße mit darin, diese furchtbaren Überbleibsel herum zu tragen, in der Meinung, es könnten welche dem von mir Gemordeten angehören. Deßhalb suchte ich tief in den Betten verströmter Waldwasser, hoch in den Nestern der Adler und Geyer darnach umher. Und bey meinem Suchen war es mir bisweilen, – ob das wohl eine bloße Täuschung seyn mochte? – als begegne ich jemanden, der beynahe so aussehe, wie ich, aber um vieles, um vieles gewaltiger, und doch wohl noch blässer und noch ausgezehrter« –

Ein bittender Wink Sintrams hemmte den Lauf dieser Worte. Sanft lächelnd neigte sich Weigand nach ihm hin, und sagte:

»Ihr kennet nun den tiefen, unendlich tiefen Kummer, der mich zernagte, ganz. Da wird meine Scheu und meine liebevolle Innigkeit zu euch kein Räthsel mehr für euer Herz und euere Milde seyn. Denn, Jüngling, wie sehr ihr auch dem furchtbaren Vater gleicht, der Mutter Herz und Milde habt ihr doch, und deren Abglanz überleuchtet euere bleichen, strengen Züge, wie Morgenroth, das um Eisberge und über verschneyete Thäler mit leisen Freudenlichtern fließt. Und ach, wie so lange ihr einsam gewesen seyd in euch selbst, mitten unter dem Gewimmel der Menschen! Und wie lange ihr euere Mutter nicht gesehen habt, mein armer, herzenslieber Sintram!«

»Es geht mir auch, wie einer Quelle aus dürrer Wüste,« entgegnete der Jüngling, »und mir wäre vielleicht ganz und gar geholfen, könnte ich euch nur lange behalten, und mit euch weinen, lieber Herr. Aber das ahndet mir schon: Ihr werdet nun sehr bald von mir genommen seyn.«

»Ich glaube wohl,« sprach der Pilger, »daß mein voriges Lied beynahe mein letztes war, und eine ganz nahe, nahe Weissagung auf mich enthält. Ach, aber wie des Menschen Seele ein immerfort durstendes Erdreich ist, – je mehr uns Gott an Gnaden bescheert, je flehender schauen wir nach neuen Gnaden aus, – so möchte ich vor meinem hoffentlich seligen Ende noch Eins erbitten. – Es wird mir freylich nicht zu Theil,« setzte er mit sinkender Stimme hinzu; »denn solcher hohen Gabe fühle ich mich allzu unwerth.«

»Es wird euch dennoch zu Theil,« sagte der Kapellan fröhlich und laut. »Soll ja doch erhöhet werden, wer sich selbst erniedriget hat, und wohl darf ich den vom Morde Gereinigten zum Abschiede vor Verena’s heiliges und verzeihendes Antlitz führen.«

Hoch streckte der Pilger seine beyden Hände gegen den Himmel empor, und ein ungesprochenes Dankgebeth quoll aus seinen strahlenden Augen, seinen selig lächelnden Lippen. Sintram aber blickte wehmüthig zur Erde, und seufzte leise in sich hinein: »ach, wer mit dürfte!«

»Du armer, guter Sintram,« sagte der Kapellan mit sanfter Freundlichkeit, »ich habe dich wohl vernommen, aber es ist noch nicht an der Zeit. Noch dürfen die argen Gewalten in dir das zornige Haupt erheben, und Verena muß ihre und deine Sehnsucht zügeln, bis alles rein ist in deinem Sinne, wie in dem ihrigen. Tröste dich damit, daß Gott sich dir entgegen neiget, und daß die ersehnte Freude kommen wird; wenn nicht hier, doch sicherlich jenseits.«

Der Pilger aber, wie aus einer Verzückung zu sich kommend, stand kräftig von dem Sessel auf, und sprach: »beliebt es euch, mit mir hinaus zu wandeln, Herr Kapellan? Bis die Sonne am Himmel steht, können wir an den Klosterpforten seyn, nahe, auch ganz nahe ich dem Himmel.«

Vergeblich stellten der Kapellan und Rolf ihm seine Ermattung vor; er sagte lächelnd, davon könne hier ja gar die Rede nicht seyn, und gürtete sich, und stimmte die Zither, welche er sich zur Reisegefährtinn erbath. Sein entschiedenes Betragen überwand fast ohne Worte jeden Einspruch, und schon hatte auch der Kapellan sich zur Reise gerüstet, da blickte der Pilger sehr gerührt nach Sintram hin, der in seltsamer Müdigkeit halb schlummernd auf ein Ruhebett nieder gesunken war, und sagte: »wartet noch. Ich weiß, dieser will erst ein Schlummerliedchen von mir.« – – – Des Jünglings freundliches Lächeln schien Ja zu sprechen, und der Pilger rührte mit leisem Finger die Saiten und sang:

»Schlaf ruhig, süßer Knabe!
Dir schickt dein Mütterlein
Des Sanges holde Gabe
Zur Lagerstatt herein.
Sie bethet still und ferne
Für deine Seligkeit;
Sie käme freylich gerne,
Doch hat sie keine Zeit.

Und wenn du wirst erwachen,
Da thu’ bey jeder That,
In allen deinen Sachen,
Nach dieses Liedes Rath:
Lausch’ auf der Mutter Stimme
Ob Ja, ob Nein sie spricht,
Und wie Verführung glimme,
Den Weg verfehlst du nicht.

Verstehst du recht zu lauschen,
Und edle Bahn zu gehn,
Wird oft ein holdes Rauschen
Die Wange dir umwehn.
Dann fühl’ im stillen Frieden,
Daß sie dir Beyfall gibt,
Die, ob von dir geschieden,
Doch Herz an Herz dich liebt.

O wunderkräft’ge Labung,
O seliges Lebenslicht,
Deß himmlische Begabung
Den Höllengrimm zerbricht!
Schlaf’ ruhig, süßer Knabe,
Dir schickt dein Mütterlein
Des Sanges holde Gabe
Zur Lagerstatt herein.«

Sintram schlief lächelnd und leise athmend einen tiefen Schlummer. Rolf und der Vogt blieben an seinem Bette sitzen, während die zwey Reisenden in die milde Sternennacht hinaus zogen.


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