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Die verbrannten Briefe

Nur noch vier Tage sind mir bis zum Verlassen der Festung geblieben. Ich sitze in meiner Zelle am Tisch vor meinen aufgehäuften Papieren und weine und lache abwechselnd.

Der Kommandant hat mir soeben erklärt, daß die ganzen Hefte, die ich mitnehmen will, dem Polizeidepartement zur Zensur unterbreitet werden müssen. »Von Schlüsselburg darf kein Wort erwähnt werden. Nach der Durchsicht bekommen Sie sie zurück.« Mechanisch wiederholte ich das Gehörte: »Kein Wort über Schlüsselburg. Später bekommen Sie sie zurück!«

Zum letzten Mal sehe ich meine Manuskripte durch und schreite dann an die Vernichtung dessen, was mir einst so viel Trost und Freude gab. Fieberhaft arbeitet meine Hand und löscht die teueren Zeilen meiner Kameraden aus, die mich so oft gerührt und gestärkt haben. Nie mehr werde ich sie sehen, und eigenhändig muß ich diese schnöde Arbeit tun, sie vernichten. Noch einmal lese ich jeden Zettel, durchdrungen vom Bewußtsein, daß es das letztemal ist.

Hier ein ganzer Stoß: ernste, scherzhafte, rührende. In ihnen spiegeln sich die durchlebten Gefängnisfreuden, Mißverständnisse, Versöhnungen, Dankbarkeitskundgebungen, verschiedenartige, denkwürdige Minuten unseres Lebens wider. Hier diese schöne, feine Handschrift: ganze literarische Aufsätze Lopatins. Da – Lukaschewitsch, der liebe Lukaschewitsch! Er ist so groß und so gut – mit seinen durchsichtigen Kinderaugen. Ich würde unter tausenden seine Handschrift erkennen. Dazu eine geologische Karte als Geschenk. Dann wieder ein Zettel von ihm, datiert vom März 1902, der mich tief rührt und mich hoch erhebt. Soll ich ihn tatsächlich auch verbrennen? Tränen fließen aus meinen Augen. Ein Zettel von Pochitonows Hand, als er noch gesund war. Da – einer von Wasili Iwanow, nachdem ich ihn für den unpassenden Scherz, daß Lagowski weggeführt worden sei, beleidigt hatte. Hier wieder eine Zeichnung von Lopatins Hand: eine Säule, auf ihr ein Mäuschen (ich), unten ein Löwe (Lopatin) und dazu der Wahlspruch: Ich diene, aber bediene nicht. Oh, du stolzer Löwe Lopatin! Wieder Lukaschewitsch: ein paar Zeilen mit der Zeichnung eines bunten Vogels. Gedichte und Zettel von Noworusski. Ein Zettel in englischer Sprache von Popow. Es ist unmöglich, sich des Lachens zu enthalten; in einem komischen Kauderwelsch dankt er mir für das Obst aus meinem Garten. Morosows Gedichte. Vieles, vieles andere. Ernst und scherzhaft, – zart und gütig!

Ich lese, und ein Gefühl der Freude und Dankbarkeit für alle Liebe, mit der die Leidensgenossen mich beschenkt haben, erfüllt mich. Es scheint mir wunderbar, wie sie unter diesen Bedingungen, die so geeignet waren, böse und hart zu machen, so viel nie versiegende, aktive Liebe und Zärtlichkeit bewahren konnten, um sie mir mit nie abnehmender Wärme und Energie zu spenden. Ich verglich sie mit mir selbst: wie unvorteilhaft war für mich der Vergleich! So oft schien es mir, daß ich nichts, entschieden gar nichts mehr lieb habe. Es schmerzte mich, daß ich nicht jene Güte in mir habe, die unter allen Umständen eine Quelle der Wärme für die Umgebung ist.

Alle meine Schätze haben vor mir Revue passiert. Schon sind sie zerrissen; ich zünde das Zündhölzchen an, nichts als ein Häuflein Asche ist von all dem übriggeblieben.

Ich habe etwas verloren, etwas zu Grabe getragen. Ein Stück menschlicher Seele, die Widerspiegelung der Seele, die mir ergeben war, sich mir hingegeben hatte.

Lebt wohl, teuere Freunde! Lebt wohl, ihr, die ihr mir so viel gegeben habt, lebt wohl, ihr, die ihr mir eure Liebe für das Wenige, das ich euch gab, gespendet habt.


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