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Der 1. März 1881

Am 14. Februar fuhr der Zar durch die Kleine Sadowaja nach dem Michael-Tattersall. Der Tunnel war um diese Zeit bereits fertig, aber die Mine noch nicht gelegt.

Als wir davon erfuhren, waren wir über das langsame Arbeiten unserer Techniker außer uns. Die nächste Gelegenheit würde vielleicht einen Monat auf sich warten lassen.

In der nächsten Sitzung beschloß das Komitee, alle Vorbereitungen bis zum 1. März zu Ende zu führen. Die Mine und die Bomben mußten zu diesem Termin fertig sein. Unsere Aktion umfaßte drei verschiedene Pläne; alle drei verfolgten das eine Ziel, das zum siebentenmal in Angriff genommen wurde; endlich mußte nun das Attentat ein Resultat zeitigen! Der Hauptplan bestand in einer Explosion von der Käsehandlung aus; von diesem Plan hatten nur die Mitglieder des Komitees Kenntnis; sollte diese Explosion nicht rechtzeitig eintreten, so sollten Ryssakow, Grinewitzki, Timofej Michailow und Jemeljanow von beiden Ecken der Sadowaja Bomben werfen; sollte aber auch das aus irgendwelchen unvorhergesehenen Gründen mißlingen, dann sollte zuletzt Scheljabow sich mit dem Dolch auf den Zaren stürzen und die Sache zum Abschluß bringen.

Seit diesem Beschluß lebten wir wie im Fieber. Seit fast 3 Monaten bestand unsere Käsehandlung im Hause Mengden. Bogdanowitsch und Jakimowa spielten ihre Rolle nach außen hin als die Inhaber des Ladens vorzüglich. Doch im Handel waren sie schwach, und die benachbarten Händler überzeugten sich bald, daß sie keine gefährlichen Konkurrenten waren. Um diese Zeit hatten wir wenig Geld, und der Käseankauf war gering. Wie gering unsere Geldmittel in dieser für uns so wichtigen Periode waren, beweist der Umstand, daß, als ich 300 Rubel für den Ankauf von Ware beschaffte, dieses Geld für uns ein Glück war.

Das Aussehen des Ladens war sehr anständig; auf dem Ladentisch lagen allerlei Sorten Käse, nur die Käsetonnen waren leer; wir füllten sie mit der Erde, die wir aus dem Tunnel holten. Wir wußten nicht, wie es kam, aber die Polizei richtete plötzlich ihre Aufmerksamkeit auf dieses Haus.

Am Abend des 27. Februar verhaftete die Polizei Trigoni, der neben einigen anderen im Tunnel arbeitete und wahrscheinlich bespitzelt wurde, und Scheljabow, der gerade bei Trigoni war. Die Nachricht von diesem Unglück traf uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Suchanow brachte sie uns am Morgen des 28. Februar. In der Stadt verbreitete sich das Gerücht, daß die Polizei einem außerordentlich wichtigen Anschlag auf den Zaren auf der Spur sei und dabei wurde jener Stadtteil genannt, in dem sich der Käseladen befand. Bald kam auch Bogdanowitsch und erzählte, eine angebliche Sanitätskommission wäre dagewesen. Die Sache hing an einem Haar. »Was bedeutet diese Feuchtigkeit?« fragte der Polizeikommissar und wies auf die Spuren der Nässe, die neben einer der mit nasser Erde gefüllten Tonnen sichtbar waren. Zu Ostern habe ich Sahne vergossen, erwiderte ruhig Bogdanowitsch. Hätte der Kommissar in die Tonne gesehen, so würde er gewußt haben, was für eine Sahne das war!

Im Hinterzimmer lag in allen Ecken Erde, die dem Tunnel entnommen war. Sie war mit Koks und Stroh bedeckt, und eine Matte lag darüber. Die angebliche Sanitätskommission hätte bloß diese Dinge zu entfernen brauchen, und wir wären entdeckt worden. Aber alles ging glücklich vorüber, und da nichts Verdächtiges gefunden wurde, war der Laden, wie Bogdanowitsch sagte, gewissermaßen legalisiert. Das Werk, das wir mit so viel Mühe und übermenschlichen Anstrengungen aufgebaut hatten, das unseren fast zweijährigen Kampf zu Ende führen sollte, war in Gefahr, am Vorabend seiner Verwirklichung zusammenzubrechen. Alles konnten wir ertragen, nur das nicht!

Nicht die persönliche Gefahr des einen oder anderen von uns war es, was uns so maßlos erregte. Unsere ganze Vergangenheit, unsere revolutionäre Zukunft, alles hatten wir auf diese Karte gesetzt, auf den 1. März; die Vergangenheit, in der wir 6 Anschläge auf den Zaren ausgeführt hatten, und die uns 21 Todesurteile eingetragen hatte, und die Zukunft – die helle und weite, die wir den kommenden Geschlechtern erobern wollten: dies alles stand für uns auf dem Spiel. Kein noch so eisernes Nervensystem wäre imstande, eine derartige Anspannung auf die Dauer zu ertragen.

Und doch schien alles sich gegen uns verschworen zu haben; Kletotschnikow, unseren Schutz und Schirm, hatten wir verloren; der Käseladen war in größter Gefahr. Scheljabow, dieser tapfere Kamerad, der zur Leitung der Bombenwerfer bestimmt worden war und beim Attentat eine der verantwortlichsten Rollen spielen sollte, wurde am Vorabend des Attentats aus unserem Plan gestrichen; man mußte unverzüglich seine Wohnung von allem kompromittierenden Material säubern und sie aufgeben. Die Wohnung, wohin die Bomben gebracht werden sollten, schien nach einer Mitteilung ihrer Bewohner Sablin und Helfman auch bespitzelt zu werden; dieser verzweifelten Situation setzte es die Krone auf, daß, wie wir zu unserem Entsetzen erfuhren, der Zünder in der Mine noch nicht gelegt worden, und keine von den vier Bomben fertiggestellt war. Am nächsten Tag aber hatten wir den 1. März, einen Sonntag, an dem der Zar vielleicht die Sadowaja passieren würde ...

Unter diesen Umständen versammelten sich die Mitglieder des Vollzugskomitees am 28. Februar zu einer außerordentlichen Sitzung. Nicht alle Mitglieder waren anwesend, da man keine Zeit gehabt hatte, alle zu benachrichtigen. Außer den Inhabern der Wohnung, Issajew und mir, waren anwesend: Perowskaja, Anna Pawlowna Korba, Suchanow, Gratschewski, Frolenko, Lebedewa; vielleicht waren auch Tichomirow und Langhans da – genau erinnere ich mich nicht. Und alle beherrschte dasselbe aufgeregte Gefühl, dieselbe Stimmung. Als daher Perowskaja die Frage stellte: ob wir nicht, falls der Zar morgen die Kleine Sadowaja meiden würde, das Attentat mit Bomben ausführen sollten, antworteten alle einmütig: Handeln, handeln! Um jeden Preis muß gehandelt werden. Der Zünder muß gelegt werden. Die Bomben müssen bis morgen fertig sein; neben der Mine oder unabhängig von ihr müssen sie angewandt werden. Nur Suchanow erklärte, er sei nicht imstande, etwas Bestimmtes zu sagen, da man Bomben noch nie angewandt habe.

Unverzüglich wurde Issajew nach dem Laden geschickt, um den Zünder zu legen; die Wohnung Scheljabows und Perowskajas wurde mit Hilfe Suchanows und der Offiziere geräumt, Perowskaja zog zu mir. Wir hatten keine Zeit mehr, alle Mitglieder des Komitees, ja nicht einmal jene Genossen, die die Signale geben sollten, zu benachrichtigen. Aber die Rollen waren rechtzeitig verteilt und der Treffpunkt mit allen verabredet worden.

Um fünf Uhr abends erschienen Suchanow, Gratschewski und Kibaltschitsch in unserer Wohnung, um die ganze Nacht an der Anfertigung der Bomben zu arbeiten. Am Abend überredete ich Perowskaja, schlafen zu gehen, damit sie morgen im Besitz ihrer Kräfte wäre, ich selbst arbeitete mit den drei Männern bis zwei Uhr nachts mit. Die ganze Nacht brannten die Lampen und das Feuer im Kamin; die Männer arbeiteten die Nacht hindurch. Als Perowskaja und ich um sieben Uhr erwachten, waren zwei Bomben fertig. Perowskaja trug sie in die Wohnung Sablins in der Teleschnaja; dann ging Suchanow fort; schließlich half ich Gratschewski und Kibaltschitsch, die zwei übrigen Blechbüchsen mit Explosivstoff zu füllen, und Kibaltschitsch trug sie fort. Am 1. März um 8 Uhr früh, nach fünfzehnstündiger Arbeit von drei Personen, waren vier Bomben fertig. Um 10 Uhr kamen in die Wohnung Sablins: Ryssakow, Grinewitzki, Jemeljanow und Timofej Michailow. Perowskaja gab ihnen genaue Anweisungen, wo sie stehen und, nachdem der Zar vorbei sein werde, zusammentreffen sollten.

 

Laut Anordnung des Komitees sollte ich am 1. März bis 2 Uhr nachmittags zu Hause bleiben, um die ›Kobosews‹ bei mir zu erwarten. Es war nämlich verabredet, daß Bogdanowitsch eine Stunde ehe der Zar die Straße passiere den Laden verlassen solle, Jakimowa aber sofort nach dem Signal, daß der Zar auf dem Newski-Prospekt gesehen sei. Der elektrische Strom sollte von einem Dritten eingeschaltet werden, der das Geschäft als Fremder verlassen sollte, falls er nicht unter den Trümmern des Hauses zugrunde ginge.

Um 10 Uhr kam dieser Genosse – es war Frolenko – zu mir. Erstaunt schaute ich ihn an, als er aus einem mitgebrachten Paket Wurst und Rotwein auspackte, auf den Tisch stellte und mit der größten Ruhe zu essen begann. Nach dem gestrigen Beschluß und der schlaflosen, in Vorbereitungen zugebrachten Nacht befand ich mich in einem so aufgeregten Zustand, daß es mir unfaßbar erschien, wie ein Mensch jetzt essen oder trinken könne. »Was machen Sie?« fragte ich ganz entsetzt. Es schien mir unfaßbar, daß er essen wollte, während ihm in ein paar Stunden der sichere Tod unter den Trümmern bevorstand. »Ich muß vollkommen Herr meiner Kräfte sein,« erwiderte mir ruhig der Genosse und begann zu essen, ohne sich durch mich stören zu lassen. Ich konnte mich vor dieser Willenskraft nur beugen. Dieser Mensch dachte keinen Augenblick an den sicheren Tod, der ihm bevorstand, er hatte nur einen Gedanken, daß er zur Erfüllung seiner Aufgabe alle seine Kräfte brauche.

Weder Bogdanowitsch noch Jakimowa waren gekommen; Issajew kehrte dagegen mit der Nachricht zurück, daß der Zar die Sadowaja nicht passiert habe, sondern direkt aus dem Tattersall nach Hause gefahren sei. Ich ging von Hause fort mit der Überzeugung, daß das Attentat infolge irgendwelcher unvorhergesehener Umstände nicht zur Ausführung gekommen sei.

In Wirklichkeit schlug der Zar einen anderen Weg ein, aber hier zeigte Perowskaja, wie sehr sie Herrin der Situation war. Sie erfaßte sofort, daß der Zar auf dem Rückweg den Katharina-Kanal entlang fahren werde, und beschloß, nur mit den Bomben vorzugehen. Sie ging zu den Bombenwerfern, wies ihnen ihre neuen Plätze an und verabredete mit ihnen, daß sie das Signal durch Winken mit ihrem Taschentuch geben werde.

Gegen 2 Uhr erfolgten nacheinander zwei Detonationen, die an Kanonenschüsse erinnerten: die Bombe Ryssakows zerschmetterte die Kutsche des Zaren, die Bombe Grinewitzkis traf den Zaren selbst. Einige Stunden später waren sowohl der Zar wie Grinewitzki tot.

Als ich nach Issajews Rückkehr auf die Straße ging, war dort alles still. Aber eine halbe Stunde später, als ich bei Uspenski war, kam Iwantschin-Pissarjew mit der Kunde herauf, daß in der Stadt Explosionen erfolgt seien, daß der Zar getötet sei, und man in den Kirchen schon seinem Nachfolger den Eid leiste.

Ich stürzte fort. In den Straßen sprach die erregte Menge vom Zaren, von seinen Wunden, von Blut und Tod. Ich kehrte heim, die Freunde hatten von den Vorgängen noch keine Ahnung, und ich konnte vor Erregung kaum hervorbringen, daß der Zar getötet sei. Ich weinte, ebenso die anderen; der Alp, der jahrzehntelang auf dem jungen Rußland gelastet hatte, war beseitigt.

Dieser Moment, das Blut des Zaren, rächte die Greuel der Gefängnisse und der Verbannung, die Grausamkeiten und Gewalttaten, die an Hunderten und Tausenden unserer Gesinnungsgenossen verübt worden waren; eine schwere Last fiel von unseren Schultern, die Reaktion (so schien es uns) mußte nun endlich der Arbeit zur Erneuerung Rußlands weichen.

In diesem feierlichen Moment waren alle unsere Gedanken dem künftigen Wohl unseres Vaterlandes gewidmet.

Bald kam Suchanow freudig erregt, umarmte und begrüßte alle. Das von uns in den nächsten Tagen verfaßte Schreiben an Alexander III. spiegelte treu die allgemeine Stimmung der Petersburger Mitglieder der Partei in jenen Tagen wider. Das Schreiben war maßvoll und voll Takt und hat Anerkennung und Mitgefühl in ganz Rußland hervorgerufen. In Westeuropa veröffentlicht rief der Brief Aufsehen in der ganzen westeuropäischen Presse hervor; selbst die gemäßigtesten und konservativsten Blätter billigten die Forderungen der russischen ›Nihilisten‹ und äußerten die Meinung, sie seien gerecht und vernünftig und gehörten zum größten Teil schon längst zu den selbstverständlichen Bestandteilen des europäischen Lebens.

Am 3. März kam Kibaltschitsch zu uns mit der Nachricht, daß die Wohnung der Helfman in der Teleschnajastraße entdeckt und sie selbst verhaftet sei, Sablin aber, ihr Wohnungskamerad, der immer sorglos und frohen Sinnes war, habe sich eine Kugel durch den Kopf gejagt. Während der Verhaftung sei in ihrer Wohnung T. Michailow erschienen und habe bei seiner Verhaftung bewaffneten Widerstand geleistet. Unser erster Gedanke war, daß die Wohnung durch Ryssakow verraten worden war; denn wir wußten ganz genau, wer die Adresse der Wohnung kannte und wer sie besuchte. Wir beschlossen sofort, daß Kobosews, anstatt – wie wir vorher beabsichtigt hatten – zu warten, bis der Explosivstoff aus der Mine beseitigt wäre, den Laden sofort verlassen und noch am selben Abend aus Petersburg abreisen sollten.

Um drei Uhr kam Bogdanowitsch, um sich von mir zu verabschieden, am Abend kam Jakimowa und zog sich bei mir um; beide, ebenso wie noch einige andere Parteimitglieder, verließen auf Anordnung des Komitees Petersburg noch am gleichen Abend.

Kaum verging eine Woche, und wir verloren Perowskaja, die auf der Straße verhaftet wurde. Ihr folgte Kibaltschitsch – wahrscheinlich infolge einer Denunziation seiner Wirtin. Bei Kibaltschitsch wurde Frolenko verhaftet. Kurz darauf Iwantschin-Pissarjew. Der weiße Terror wütete. Viele Jahre später, nachdem im Jahre 1917 das Archiv der zaristischen Regierung geöffnet worden war, überzeugte ich mich, daß der Verräter ein Arbeiter Okladski war, der 1880 in der Sache Kwatkowskis verurteilt worden war.

Das Komitee beschloß, daß einige Mitglieder, darunter auch ich, die Stadt verlassen müßten. Aber wir alle brannten vor Ungeduld, die für unsere organisatorischen Ziele so geeignete Zeit auszunutzen; wir sahen rings um uns einen glühenden Enthusiasmus: selbst Leute, die immer passiv und indifferent gewesen waren, baten um Aufträge und um Arbeit und boten ihre Dienste an; alle möglichen Zirkel baten uns, mit ihnen in Verbindung zu treten. Unser Erfolg war berauschend, und wäre nur Ehrgeiz unsere Triebfeder gewesen, so hätten wir jetzt vollauf Befriedigung gefunden. Wer die Periode nach dem 1. März nicht miterlebt hat, kann sich keine Vorstellung von der Bedeutung dieses Tages für uns als revolutionäre Partei machen. Leicht begreiflich, wie peinlich jedem die Notwendigkeit sein mußte, in diesem Moment Petersburg zu verlassen, besonders für jene, die an ihre Kraft und an die Notwendigkeit glaubten, sie gerade jetzt nicht der Arbeit zu entziehen. Ich versuchte, das Komitee zu überzeugen, daß ich jetzt unmöglich aus Petersburg fortkönne und bat um die Genehmigung, bleiben zu dürfen. Ich wurde darin von Suchanow unterstützt, und das Komitee willigte ein, wenn auch leider nicht auf lange. Aber am 1. April kehrte Grigori Issajew nicht mehr nach Hause zurück; ähnlich wie schon viele andere Genossen im Laufe dieses Monats wurde auch er von irgendeinem Verräter auf der Straße der Polizei ausgeliefert. Mittlerweile hatte sich unsere Wohnung in ein förmliches Magazin verwandelt, alles Mögliche war hier aufgestapelt worden; nach der Liquidierung der Arbeiterdruckerei brachte man das Schriftmaterial und alles Zubehör zu uns; als man das Laboratorium schloß, brachte Issajew einen großen Vorrat Dynamit zu uns und alles andere, das aus seiner Wohnung zu entfernen er für wichtig hielt. Nach Frolenkos Verhaftung hatten wir die Hälfte des bei ihm aufbewahrten Paßbureaus übernommen, ebenso die ganze Literatur. Dieser ganze Reichtum durfte der Partei nicht verloren gehen; ich beschloß, nicht eher die Wohnung zu verlassen, bis ich alles in Sicherheit gebracht hätte.

Am 2. April fing ich mit dem Packen an. Um 1 Uhr nachmittags kam Gratschewski zu mir. Er teilte mir mit, daß die Genossen mich schon als verloren betrachteten. Außerdem sagte er mir, daß schon vom frühen Morgen an die Portiers straßenweise zum Polizeipräsidium gerufen würden, um durch sie die Persönlichkeit eines am Vorabend verhafteten jungen Mannes festzustellen, der sich hartnäckig weigere, seinen Namen und seine Adresse anzugeben. Niemand von uns zweifelte, daß es sich um Issajew handle. Trotzdem billigte Gratschewski mein Vorhaben, alles bei mir Aufbewahrte zu retten. Ich bat ihn, zu diesem Zweck Suchanow herbeizuholen. Suchanow war so energisch und entschlossen, daß selbst das Unmöglichste für ihn möglich war.

Einige Stunden später erschien Suchanow in Begleitung zweier Marineoffiziere; mit dem ihm eigenen Organisationstalent räumte er die Wohnung im Laufe von zwei Stunden vollkommen aus. Gegen 8 Uhr abends, als er fertig war, drang er darauf, daß ich die Wohnung verlasse. Ich war sicher, daß die Polizei vor dem nächsten Morgen nicht zu mir kommen könne, da Issajew seine Adresse nicht angeben würde, und die Portiers unserer Straße noch nicht zur Polizei gerufen worden waren. Als ich am nächsten Tag, dem 3. April, früh morgens hinaus ging, um mich auf der Straße umzusehen, bemerkte ich vor dem Tor eine typische Spitzelgestalt, die dem Portier einschärfte: »Unbedingt vor 12, unbedingt vor 12!« Nun war es Zeit, die Wohnung zu verlassen. Bald erschienen zwei Frauen, die ich noch erwartet und durch das verabredete Signal darüber informiert hatte, daß die Wohnung noch sicher sei. Sie nahmen den Rest der Sachen an sich, und kurz nach ihnen ging auch ich. Eine Stunde später kamen die Gendarmen: der Samowar, aus dem ich vor dem Weggehen Tee getrunken hatte, soll noch warm gewesen sein ...

Der 3. April war der Tag der Hinrichtung unserer Zarenmörder: Das Wetter war wunderschön, ein heiterer Frühlingstag, die Sonne strahlte. Als ich das Haus verließ, war das »Volksschauspiel« soeben zu Ende, rings um mich sprach alles von der Hinrichtung. Ich bestieg zufällig die Straßenbahn, die vom Semjonowski-Platz, dem Platz, wo die Hinrichtung stattgefunden hatte, zurückkehrte, und war erfüllt von schmerzlichen Gedanken an Perowskaja und Scheljabow. Alle waren erregt, doch niemand sah man Trauer an. Mir gegenüber saß ein schöner Mann – ein Bürger mit kohlschwarzem Haar, krausem Bart und flammenden Augen. Das schöne Gesicht war von Leidenschaft verzerrt: ein echter Henker, bereit, die Leute zu köpfen! ...


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