Max Eyth
Der Kampf um die Cheopspyramide
Max Eyth

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16. Kapitel
Horch, der Wilde tobt schon an den Mauern

Zwei Wochen waren vorübergegangen. In den drei größeren Gasthöfen von Kairo fühlte man den nahenden Sommer. Die Zugvögel auf der damals mit verwildertem Gestrüpp bedeckten, halbversumpften Esbekiye, nach welcher Shepheards Hotel und das heute verschwundene Hotel de l'Orient hinausblickten, sowie im niedlichen Palmengärtchen des Hotel du Nil waren gen Norden abgezogen. Die menschlichen Wintergäste Ägyptens gedachten nicht ohne heimliches Vergnügen, und laut jammernd über die wachsende Hitze, es ihnen nachzutun. Doch war das europäische Treiben in der nördlichen Ecke der alten Kalifenstadt noch nicht ganz verschwunden, und da und dort richtete sich ein deutscher Gelehrter, ein zäher englischer Geschäftsmann oder ein französischer Abenteurer mit hochfliegenden Plänen darauf ein, dem Sommer im Niltal zu trotzen. Buchwald hatte im Innern der Stadt in einem Winkel hinter dem Hotel du Nil einen prachtvoll wilden Garten gefunden, der durch ein finsteres, nicht zwei Meter breites Gäßchen zugänglich war, und hinter demselben ein großes, leeres, halbzerfallenes Mamelukenhaus aus dem vorigen Jahrhundert. Es gehörte einem verkommenen Pascha aus Mohamed Alis Zeiten, der dem Maler mit zitterndem Schmunzeln ein paar kahle, in Staub erstickte, skorpionenbewohnte, aber hohe luftige Zimmer vermietete. Dort hatte er nach etlichen Tagen ein fast ideales Atelier eingerichtet und sammelte eifrig Skizzen zu seinem großen Bild, welches schon in einem halben Dutzend Entwürfen an den Wänden umherstand. Joe Thinker, der sich von den leiblichen und geistigen Anstrengungen seines ersten ägyptischen Feldzugs erholt hatte, schrieb und rechnete mit unermüdlichem Eifer und wechselndem Erfolg im kühlen Halbdunkel seines Gasthofzimmers, wenn er nicht seinen Freund Buchwald besuchte, um dessen Bild die wünschenswerte Geistesrichtung zu geben. Dies gelang mehr und mehr. Eine fast alttestamentliche Prophetengestalt war schon aus dem harten, sklaventreibenden Pharao geworden, welchem die keuchenden Ägypter in scheuer Anbetung gehorchten. – Herr Ben, inmitten einer wachsenden Schar von Freunden und Bekannten, war in fieberhafter Tätigkeit. Er hatte es in der Tat nicht so leicht gefunden als er erwartete, die Wege für seinen Vortragsabend zu ebnen. Das Vorgehen erschien der internationalen Gesellschaft Kairos zu fremdartig, zu ernsthaft. O'Donald war allerdings nach einigem witzelnden Zaudern in Bewegung geraten und half dem großen Wasserschwärmer, wie er ihn nannte, lachend, sich in den höheren ägyptischen Kreisen zurechtzufinden. Hierfür bot ihm, als dem Leiter einer Zweig-Geschäftsstelle der ›Ägyptischen Handels-Gesellschaft‹, seine Bank alle erforderlichen Anknüpfungspunkte, denn vom vizeköniglichen Pascha bis herab zum bartlosen Effendi war zu jener Zeit alles in Baumwollgeschäften, Maschinenkäufen und Anlehnsspekulationen verwickelt. – Auch Fritschy, der unter Fräulein Schütz erstaunliche Fortschritte in der englischen Sprache machte und einer gefährlichen Verfeinerung seiner ehrlichen Monteurnatur entgegenging, war in der gleichen Richtung von anerkanntem Nutzen. Herr Ben, eine Bezeichnung, die wie ›Herr Joe‹ sich im Hotel bis herab zu den schwarzen Stiefelputzern eingebürgert hatte, brauchte für seine Pläne und seine innere Befriedigung nicht bloß die Spitzen der Aristokratie des Landes. Er schwärmte dafür, das Volk, für dessen Wohl er zu arbeiten gedachte, hinter sich zu sehen. Fritschy sollte das Volk beschaffen. »Wackerer Thinker!« schloß O'Donald, wenn er sich hierüber aussprach, und die heitere Skepsis seines Wesens aus allen Poren dampfte. Dieses Verhältnis hinderte ihn jedoch nicht, auch Herrn Joe wohlwollend auf die Schultern zu klopfen. Der Doktor schien ihm ein so hilfloses Kind zu sein, daß er ihn nicht ohne Zärtlichkeit zu behandeln vermochte. Beide, O'Donald und Fritschy sorgten nebenher eifrigst für die Damen. Miss Thinker hatte ihr Malzeug hervorgeholt und entwarf Landschaften mit nach der Natur gezeichneten Vordergründen und indischen Sonnen- und Mondaufgängen von überraschender Wirkung. Fräulein Schütz studierte die Geschichte Ägyptens im Mittelalter und durchforschte die Kalifen- und Mamelukengräber, wenn sie irgend jemanden bewegen konnte, sie zum Bab en Nasir oder zum Bab Tulun hinaus zu begleiten. Fritschy, wenn auch innerlich widerstrebend, zeigte eine rühmliche Beweglichkeit. Er fühlte, daß er für das höhere geistige Leben, in das er eingeführt wurde, nicht undankbar sein dürfe.

Nur Buchwald hatte in diesen vierzehn Tagen ein erwähnenswertes kleines Abenteuer erlebt. In seinen Streifereien durch die entlegensten Winkel der herrlich zerfallenen Kalifenstadt, in der es von Modellen wimmelte, die schon vor viertausend Jahren ein naturalistischer Maler als echte Volkstypen ausgewählt hätte, glaubte er eines Tages zu bemerken, daß er von einem tiefverschleierten Fellahweibchen förmlich verfolgt wurde. Doch verlor sie sich, sobald er in der Nähe seiner Wohnung in die Bazars der Mukli einbog. Als er jedoch am folgenden Tag gegen Mittag von einer ähnlichen Wanderung nach Hause kam, fand er die kleine Haifa eifrig beschäftigt, seine Pinsel zu waschen. Der Boab – der Hauswächter – entschuldigte sich laut und suchte ihm deutlich zu machen, daß er sein Möglichstes getan habe, aber daß die Kleine Gewalt gegen Gewalt setze und sich nicht vertreiben lasse. Als er ihr mit einigen nicht sehr freundlichen Bemerkungen die Pinsel wegnahm, und den Rat erteilte, ohne Verzug nach Kafr oder zum Kuckuck zu gehen, hüllte sie sich schamhaft in ihren Schleier und setzte sich in die Ecke des Ateliers, still, wie ein Häufchen blauer Baumwolle. In seiner Not ging er zu Shepheards und holte Joe Thinkers Dragoman. Das Baumwollhäufchen belebte sich sofort, aber das Ergebnis war nicht das erhoffte. In einer stürmischen Szene, in welcher Haifa die Rolle einer kleinen Wildkatze spielte, erlitt Ibrahim ben Musa eine völlige Niederlage, da Buchwald – unerklärlicherweise, wie der Dragoman gekränkt bemerkte – ihm nicht gestattete, zu körperlichen Gewaltsmaßregeln überzugehen. Schließlich erklärte sie, doch etwas erschöpft von dem lebhaften Gedankenaustausch mit dem alten Ibrahim und in Tränen ausbrechend, daß sie kein Bakschisch wünsche. Sie wolle nur die Pinsel waschen, was ihr Recht und ihre Pflicht sei. Sie habe dies immer getan und werde bis zum letzten Pinselstrich bei dem Maler ausharren.

Was war zu tun? Glücklicherweise war in dem Hause Raum für zwanzig Haifas. Der Mamelukenprinz, der es gebaut hatte, mußte wohl für eine ähnliche Anzahl Sorge getragen haben. Wenn man in eines der verlassenen Gemächer eine Binsenmatte legte, und einen alten Teppich darüber warf, so war für die Kleine eine fürstliche Wohnung eingerichtet. Buchwald gab den Kampf vorläufig auf, was Haifa sofort bemerkte und mit einem schrillen Freudentriller begrüßte. Dann ergriff sie zwei Kullahs, die im Zimmer standen und eilte hinaus, um ihre Tätigkeit zu beginnen. Allerdings ließ Buchwald noch am Abend mit Hilfe des Dragomans und eines an der Ecke der Mukli sitzenden Straßenschreibers einen Brief an den Schech von Kafr aufsetzen, um dieser Amtsperson mitzuteilen, wo sich das verlaufene Mädchen befinde und ihren Angehörigen unnötige Sorge zu ersparen. Weder der Schech noch die Angehörigen ließen jedoch etwas von sich hören. So hatte Buchwald, ob er wollte oder nicht, als unerwarteten Anfang zur Begründung eines Hausstandes ein diensteifriges Mägdlein erhalten, und mußte sich bis auf weiteres dreinfügen. –

In der Hoffnung, diesen bedrohlichen Zuwachs seiner Junggesellenwirtschaft in kürzester Frist wieder los zu werden, kümmerte sich der Maler möglichst wenig um das Treiben der kleinen Wilden. Er war deshalb auch mehr und mehr erstaunt, wie sie, neben dem Waschen der Pinsel und der Versorgung des Ateliers mit Trinkwasser, wichtige Pflichten einer höheren Kultur, die ihr früher völlig unbekannt gewesen sein mußten – das Aufräumen der Zimmer, das Abstauben von Tischen und Stühlen, das Stiefelputzen und Ausbürsten umherliegender Kleidungsstücke –, an sich riß. Einige Tage später erklärte sich dieses Geheimnis. In dem auf der anderen Seite des Gartens liegenden Hotel de Nil trieb sich ein kleiner schwarzer Junge herum. Er war der Diener und Eselsjunge einer im Hotel wohnenden Schauspielerin und ein durchtriebener Spitzbube, versicherte der deutsche Portier des Hauses. Dieser Junge hatte Haifa ebenfalls entdeckt und trug ihr ohne Verzug seine Freundschaft an, wofür er, zähnefletschend vor Vergnügen, manche kräftige Ohrfeige eintauschte. Trotz der zur Schau getragenen Verachtung, mit der Haifa den kleinen Chalil behandelte, benutzte sie ihn als Lehrmeister und Ratgeber in Fragen europäischer Zivilisation, so daß Buchwald auch den Jungen manchmal in seinen Zimmern traf, woran beide, Haifa und Chalil, nicht den geringsten Anstoß zu nehmen schienen. Ja, er kam in die peinliche Lage, daß seine Stiefel eine ganze Woche lang mit der Wichse der ihm sonst unbekannten Schauspielerin gewichst wurden, ehe er wenigstens diesem Verhältnis ein Ende machen konnte.

 

An der Gasthofstafel des Hotel Shepheard war man bei den Äpfeln und Orangen angelangt, und die geräumige Veranda, die bereits seit einer halben Stunde im rasch wachsenden Abendschatten des Hauses lag, begann sich zu beleben wie täglich um dieselbe Stunde. Listige ältere Herren und kluge Damen ohne Alter verzichteten auf die letzten Genüsse eines satten Gaumens, um die bequemeren Schaukelstühle zu besetzen, mit denen Zech, der Hotelbesitzer, den berühmten Vorplatz seines Hauses ausgestattet hatte. Wer später kam, mußte seinen Stuhl mitbringen oder seine müden Glieder auf das eiserne Geländer stützen, das die Plattform umgab. Vor derselben, auf der Straße, war es schon still geworden. Unter den Sykomoren, entlang der andern Seite des Wegs, lagen noch ein paar halbschlummernde Eselsjungen mit ihren Tieren, in der Hoffnung auf einen Ritt im Mondschein. Ein Schlangenbändiger kauerte an der Treppe und begann aus einem zerrissenen Sack lässig zwei seiner Zöglinge hervorzuziehen und sie, wie zum eigenen Vergnügen, um Hals und Arme zu schlingen. Auch drüben in dem Buschwerk der Esbekiye war es noch still und kein unruhiges Licht flimmerte in den bläulichen Schatten, die sich auf das ganze Bild herabsenkten.

Nur ein erfahrener Beobachter hätte entdeckt, daß mit jeder Viertelstunde eine nicht gewöhnliche Bewegung in der Umgebung des Gasthofs wuchs. Ein außerordentliches Ereignis schien sich vorzubereiten, das jedermann mit einer gewissen Spannung erwartete, von der er möglichst wenig verraten zu wollen schien. Shepheards Hotel war von jeher die Hauptniederlassung der Engländer gewesen. Es war deshalb natürlich, daß auch auf seiner Veranda der gedämpfte englische Ton vorherrschte. Ein Fremder hätte im Hotel d'Orient, auf der andern Seite der Esbekiye, vor dem ein Dutzend Tischchen boulevardartig aufgestellt waren, in zwei Minuten alles erfahren, was er zu wissen wünschte. Obgleich die Franzosen nichts von der ›conférence d'un Monsieur anglais‹ erwarteten, wurde dort das kommende Ereignis von allen Seiten beleuchtet, und die Hälfte der Gesellschaft wäre gegen ihren Willen bereit gewesen, zu ›assistieren‹, hätte sie nur sicher sein können, Madame Geraldinens Schlangentanz im Café français nicht zu versäumen.

Doktor Thinker war seines Schaukelstuhls in der rechten Straßenecke der Veranda sicher, wenn an dem betreffenden Tag kein unwissender Fremder angekommen war. Ein historisches Recht, das sich auf einen vierzehntägigen Besitz stützt, wird auch in einem ägyptischen Gasthof anerkannt und geachtet. Neben ihm saß O'Donald auf einem gefährlich krachenden Kindersesselchen; hinter beiden stand Buchwald, der sich auf das Geländer stützte, alle drei in halblautem, leidenschaftslosem Gespräch über die Dinge, die um sie her vorgingen und in der Stimmung, in der sich der Mensch nach einem heißen Tage und einem späten, nicht zu leichten Mittagsmahl der Arbeit des Verdauens hingibt.

Der marmorbelegte Platz um sie her füllte sich nach und nach mit satten Leuten, die, ähnlich wie sie, behaglich plaudernd und diskret lachend aus dem Hotel heraustreten und sich dem Genusse von Zigarren und Zigaretten in allen erdenklichen Variationen hingaben. Die Amerikaner, denen man auf der Spitze der Pyramide begegnet war, befanden sich noch hier. Herr Switchley geleitete seine zentnerschwere Gattin zum solidesten Sorgenstuhl, der sich überdies gegen die Hotelwand stützte, und das Privateigentum der Familie Switchley war. Dann begann er stillvergnügt über das Geländer der Veranda zu spucken, um einer vertrockneten Aloe neue Lebenshoffnungen einzuflößen. Längst hatten sich friedliche Verhältnisse zwischen England und Amerika herstellen lassen, und Buchwald war sogar von Jemima gebieterisch ersucht worden, ihr Malstunden zu geben. Dies hatte Harry Webster hintertrieben, so daß sich der Maler eines Gefühls der Dankbarkeit selbst gegen dieses minder liebenswürdige Glied der angelsächsischen Rasse nicht ganz erwehren konnte. Ähnlich, wenn auch etwas anders, fühlte die schöne Amerikanerin, oder vielmehr die amerikanische Schöne. Der Chirurgus hatte deshalb seine Abreise nach England aufopferungsvoll um vierzehn Tage verschoben und hoffte, in nicht allzu ferner Zukunft in den Vereinigten Staaten praktizieren zu dürfen; ja, in gewissem Sinne tat er es jetzt schon. Im dunkelsten Winkel der Veranda beriet er sich mit Miss Jemima, ob nicht ein Mondscheinritt in der Schubraallee dem zu erwartenden Vortrag vorzuziehen wäre, und schon war er im Begriff, die erforderlichen zwei Esel heranzuwinken. Die Selbständigkeit der amerikanischen Frau, die er in Jemima – nicht ohne Furcht und Zittern – häufig zu bewundern Gelegenheit hatte, gab der Sache jedoch eine Wendung in entgegengesetzter Richtung. Miss Switchley schwärmte für geistige Genüsse und entschied sich gegen die Esel. Harry mußte sich auf einen liebeleeren Abend gefaßt machen. ›Die verdammten Thinker!‹ dachte er, bekanntlich nicht zum erstenmal, und faßte sich und Jemimas rundliche Hand. Ein aufrichtiger, fester Gegendruck war sein Lohn.

Später erschien Ben Thinker und hinter ihm ein noch kleinerer, noch rosiger aussehender junger Herr. Beide waren in Gala: weißer Halsbinde, schwarzem Frack und in Beinkleidern von derselben ernsten Färbung. Man bemerkte sofort, daß Herr Ben den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit bildete und daß er dies nicht allein seinem in Ägypten ungewöhnlichen Anzug verdankte. Er grüßte diesen und jenen mit flüsternder Geschäftigkeit und schien einige Mühe zu haben, Glückwünsche und Komplimente abzuweisen. Wie ein etwas ungeschickter Schatten folgte ihm sein junger Begleiter, dem es bei der Sache weniger wohl zu sein schien. Die Ecke, in der Joe und seine Freunde saßen, vermieden beide bei ihrem Umgang geflissentlich. Auch der Doktor spielte den Gleichgültigen, folgte den zweien aber mit den Augen und sagte nach einer Pause traurig:

»Da geht er, mein armer Bruder, und macht seine Bücklinge vor jedem leeren Schädel, der ihm begegnet, um ein Werk zu fördern, das im voraus bestimmt ist, zugrunde zu gehen; um eins zu hindern, für das uns alle Zukunft danken wird. Und er meint es gut und ehrlich, soweit kenne ich meinen leiblichen Bruder! Aber welche Verirrung! Welche Selbsttäuschung und – das ist das Schlimmste – welche Täuschung anderer. Dabei diese Erniedrigung seiner selbst, um der Schandtat die verbrecherischen Wege zu ebnen. Sagen Sie nicht, ich gebrauche zu starke Worte, Herr O'Donald. Sehen Sie nur, wie er jetzt dem Franzosen die Hand schüttelt – einem Franzosen! Ein Suezkanalmann, wenn ich recht unterrichtet bin; einer von den Metermenschen, die bereit sind, einen Graben durch die Landenge zu lügen, auf der schon der Pharao des Auszugs in seinen Sünden unterging. Ist es nicht ekelerregend? Sehen Sie, der Franzose bringt ihm einen Türken. Natürlich – schüttle ihn, bis er mit dem Kopfe wackelt! Es ist eine Schmach!«

»Kennen sie den andern Herrn im Frack, den Jungen?« fragte Buchwald, um seinen erregten Freund auf andere Gedanken zu bringen. Aber es half nichts.

»Er sagt, er kämpfe für seine Ideale«, fuhr dieser erbittert fort. »In einem gewissen Sinne ist dies ja richtig. Aber was müssen es für Ideale sein, für die man in dieser Weise kämpft. Ich kämpfe, scheint mir's, auch für Ideale. Wäre es mir möglich, so weit herabzusinken? Vor dem Dämos förmlich zu kriechen, damit er mir gnädigst erlaube, ihn zu füttern und zu tränken.«

»Bei Georg, ich wollte, unser Freund von Schubra wäre hier«, rief O'Donald entzückt. »Sie fragten, wer Herr Bens Schatten sei. Jetzt weiß ich's: Fritschy ist's; einer der Monteure von Halim Pascha. Ich hätte ihn gleich erkennen sollen. Er trägt sein Monatsgehalt auf unsere Bank, soweit er ihm übrig bleibt. Die Leute sind unsinnig gut bezahlt. Wie der Frack den Menschen hebt, unglaublich! Ein niedliches Bürschchen ist's, so oder im Arbeitskittel, das wollen wir ihm lassen. Bei Zeus, jetzt macht er Fräulein Schütz den Hof: das reinste Kavalierchen.«

»Traurig!« wiederholte Joe. »Sie sehen, wie diese Richtung alle Verhältnisse zerrüttet. Und ich frage immer wieder –: wozu?«

»Nun, das werden wir ja sehen, wenn wir gesund bleiben!« entgegnete O'Donald, wenig geneigt, in den grämlichen Ton des Doktors einzustimmen. »Eins müssen Sie Ihrem Herrn Bruder zugestehen: er arbeitet wie ein Pferd und macht entsprechende Fortschritte. Es ist nicht meine Sache, in diesem Familienzwist Partei zu ergreifen. Wenn mich Herr Ben um eine Gefälligkeit bittet, die mir keine Mühe macht, so stehe ich zu seiner Verfügung, fast so gern wie Ihnen. Ich denke, wir wollen fortfahren, mit offenen Karten zu spielen, Herr Thinker. Ich weiß und brauche kein Geheimnis daraus zu machen, daß er Terrain gewinnt, über alles Erwarten. Sie werden sich rühren müssen, wenn Sie Schritt mit ihm halten wollen.«

»Keine Furcht! Ich bin meiner Sache sicher«, versetzte der Doktor. »Sie braucht solche Hilfsmittel nicht, und nichts wird mich bewegen, zu seinen Mitteln herabzusteigen.«

»Sie scheinen mir so verwerflich nicht«, meinte O'Donald. »Ihr Bruder sieht sich in der Welt um, mit der er zu tun hat, er rührt sich, er spricht, als ob er an seine Sache glaubte, er geniert sich nicht, einen Sultan am Rockknopf zu packen. Bescheidenheit ist eine Zier, doch – sehen Sie, das ist wieder eine seiner neuesten Errungenschaften!«

Es kamen nun auch Leute von außen angefahren und angeritten: plaudernd und lachend, eine Truppe Franzosen vom Hotel d'Orient, ein paar deutsche Gelehrte aus dem Hotel du Nil, fast alle ansässigen Engländer, die eine Stellung im Lande einnahmen: Fred George, der Telegraphendirektor, Jeffrey Bey, der Direktor der Eisenbahnen, Douglas, der Leiter der staatlichen Spinnereien, Wilson, der Oberingenieur des Vizekönigs und schließlich auch jüngere Ägypter, die sich redlich aber erfolglos bemühten, französischen Boulevardiers ähnlich zu sehen. Der letzte Ankömmling war einer dieser Herrn. Er hüpfte aus einem einspännigen Kabriolet, vor dem zwei elegante Saise herliefen, und kam rasch die Treppe herauf, süßlich lächelnd und nach rechts und links grüßend. Der junge Mann konnte kaum zwanzig Jahre alt sein. Ben sowohl als Fritschy gingen ihm entgegen und begrüßten ihn mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit.

»Sehen Sie!« wiederholte O'Donald. »Ich möchte Ihnen wünschen, Herr Joe, Sie hätten diesen Fang gemacht. Die Sache wird zu einseitig.«

»Wieder ein Französchen!« spottete Thinker mit ungewohnter Bitterkeit.

»Ein Vollblut-Araberchen, wenn ich bitten darf«, berichtigte der Prokurist. »Das ist Osman-Effendi, lieber Doktor, Sohn des MufetischsMufetisch ist der Titel des Regierungspräsidenten einer Provinz; auch des Generaldirektors der vizeköniglichen Güter und Finanzen. Sadyk Pascha. Wissen Sie, daß sein Papa vor acht Tagen Pascha geworden ist? Der Sohn des kommenden Mannes, oder vielmehr des gegenwärtigen, wird bald genug Bey sein. Wenn Sie den Alten gewännen, wäre dies freilich noch besser, denn man sagt, er habe den Vizekönig in der Tasche. Das ist wohl nur halb wahr, soweit ich Seine Königliche Hoheit einzuschätzen vermag. Aber der einflußreichste Mann am Hof ist Sadyk heute und bis auf weiteres. Ein Fellah, Sohn eines Fellahs; so geht es hierzulande. Allerdings eine Milchverwandtschaft: seine Mutter war die Amme des Vizekönigs. Der kleine Osman, der übrigens, genaugenommen, nur der Adoptivsohn Sadyk Paschas ist, kam vor ein paar Monaten aus Paris zurück, wo der Diamant geschliffen wurde, wie Sie sehen. Der Vater versteht kein Wort außer Arabisch nach unten und ein wenig Türkisch nach oben. Damit scheint er allen Diplomaten und Bankiers von Kairo gewachsen zu sein und bis heute die bodenlosen Geldschränke des Vizekönigs gefüllt zu haben. Ismael Pascha glaubt deshalb an ihn wie an seinen Koran. Wenn es Ihnen gelänge, diesen einzigartigen Fellah von Ihren Pyramidenträumen zu überzeugen, brauchten sie keine Vorträge im Hotel Shepheard zu halten. – Aha, jetzt erklärt sich die Gegenwart der Herren Franzosen!«

Was O'Donald zu diesem Ausruf hinriß, war eine mehr als elegant gekleidete Dame, die auf einem prächtigen weißen Esel vor der Veranda still hielt. Ein kleiner pechschwarzer Neger hielt mit komischer Würde das stolze Tier am Zügel. Die Reiterin trug einen gewaltigen Hut mit drei bunten Federn – weiß, rot und blau –, einen großartigen goldgelben Chignon, ein scharlachrotes Zuavenjäckchen, ein Kleid aus weißem gazeartigem Stoff, in dem kleine goldene Sterne eingewebt waren und eine Krinoline, deren Behandlung auf dem Esel ein Meisterstück weiblicher Taktik war, wenn auch ihre schöne Besitzerin das unter den Umständen Unmögliche nicht zu leisten vermochte: einen niedlichen Fuß und gelbe Lederstiefelchen mit zweizollhohen Absätzen zu verbergen. Drei Herren aus der französischen Gruppe stürzten die Stufen der Veranda hinunter, um die reizende Geraldine aus dem Sattel zu heben, kamen aber zu spät. Die wenigen Damen, die sich bereits in der Gesellschaft befanden, schienen dagegen die neue Erscheinung nicht zu bemerken und setzten die Unterhaltung mit ihrer Umgebung mit erhöhtem Eifer fort, während die schöne Reiterin, keck nach allen Seiten grüßend, über die Veranda rauschte und im Hoteleingang verschwand.

»Sapristi«, lachte O'Donald, der von dem Sprachgemisch Kairos nicht unberührt geblieben war. »Sie operiert heute mit schwerem Geschütz. Wird Ihnen bange, Herr Buchwald?«

Während alles andere, was jung und männlich war, die Hälse neugierig gestreckt hatte, war der Maler in fast auffallender Weise zurückgetreten, so daß der Pfeil, der aus zwei braunen blitzenden Augen in seiner Richtung abgeschossen wurde, den guten Doktor voll ins Gesicht traf.

»Sie kennen die Dame, Herr Thinker?« fragte der Prokurist, ihm zutraulich die Finger in die Rippen stoßend. »Bei George! Ich hätte es Ihnen nicht zugetraut; aber stille Wasser –«

»Ich habe keine Ahnung!« rief Joe entrüstet.

»Na, eine Ahnung dürften Sie immerhin haben. Das wäre ganz harmlos, denn Madame Geraldine befaßt sich nicht mit Ahnungen. Nach allem, was man in der Nähe der Esbekiye hört« – die Stimme des Prokuristen sank plötzlich zu einem vertraulichen Flüstern herab – »wäre es ein kluger Schachzug, wenn Sie sich die Gunst dieser Dame sicherten – in allen Ehren, natürlich; in allen Ehren!«

Herr Thinker warf dem leichtfertigen Plauderer einen Blick zu, der ihn vernichtet hätte, wenn es nicht O'Donald gewesen wäre.

»Es ist der neue Stern im Café français«, fuhr dieser fort, »kommt direkt aus Paris, hat in London getanzt und stammt aus Böhmen, behauptet die kleine Triangel. Mehr kann man in Kairo kaum verlangen. So soll namentlich Sadyk Pascha denken. Doch ist dies wahrscheinlich erlogen, wie alles was man in Kairo sagt. Wäre es wahr, so könnte Madame Geraldine Ihre Pyramide retten, wenn es irgend jemand in Ägypten kann.«

»Herr O'Donald, Sie sind – Sie sind wirklich –« des Doktors Stimme zitterte vor Erregung – »nehmen Sie mir's nicht übel: ich fürchte, Sie sind unfähig, einen ernsten Gedanken ernsthaft zu erfassen.«

»Da haben Sie recht«, versetzte der Prokurist mit der unbefangensten Miene. »Aber Achtung! Hier kommt noch etwas vom schwersten Kaliber. Ihr Herr Bruder hat wahrhaftig nicht umsonst getrommelt und gepfiffen. Wenn Sie sich meinen Winken hartnäckig verschließen, werden Sie unfehlbar den kürzeren ziehen. Sehen Sie: Diese Freundschaft! Und Scherif-Pascha ist der künftige Minister des Innern, so sicher als Nubar Pascha der heutige ist. Diese zwei Herren sitzen auf derselben Schaukel.«

Ein schmuckes, zweispänniges Gefährt hielt vor dem Gasthof, ein kleiner wohlbeleibter Herr von noch jugendlichem, sehr aufgewecktem Aussehen stieg aus und ging mit Ben, der rasch an den Wagenschlag getreten war, Hand in Hand die Treppe herauf. Man sah sofort: der Hauptgast des Abends war angekommen. Gefolgt von Fritschy traten die Herren ohne Verzug in das Hotel und schlugen den Weg nach dem Speisesaal ein. Eine allgemeine Bewegung bemächtigte sich der Veranda. Alles strömte hinter Fritschy her, der in der letzten halben Stunde merkwürdig rasch gelernt hatte, sich wie andere hohe Herrn herablassend zu verneigen, und mit vielem Anstand die Honneurs machte. Niemand außer O'Donald hätte den Monteur von Thalia jetzt wiedererkannt. Der Prokurist hatte in Ägypten Gelegenheit gehabt, ähnliche Umwandlungen öfter zu beobachten.

Zech, der Gasthofbesitzer, hatte die Tische aus dem Speisesaal entfernen und die Stühle in feierlichen Reihen aufstellen lassen. Nur am oberen Ende des Saals war ein Tisch, mit einem bunten persischen Teppich bedeckt, stehen geblieben, hinter dem, der Versammlung zugewandt, Scherif Pascha Platz nahm. Zu seiner Rechten saß Ben Thinker, der jetzt mit englischer Gelassenheit über den sich füllenden Saal wegblickte, zur Linken der junge Osman-Effendi, welcher, seit Scherif erschienen war, etwas weniger selbstbewußt um sich sah. Neben Thinker ließ sich Fritschy nieder. All das hätte in Europa nicht korrekter und ernsthafter aussehen können. Selbst eine allerdings etwas unförmliche Glocke stand vor dem Pascha, mit der er spielte, während er sich leise mit seinem Nachbarn unterhielt.

Lärmend, in allen Sprachen der Welt plaudernd, hatte die Gesellschaft im Saal Platz genommen. Die ganze europäische Kolonie Kairos war erschienen, alle Konsuln, außer dem englischen – »was sehr bemerkt wurde« – mit ihren Damen, Kaufleute und Handwerker, die wandernden Insassen der Gasthöfe, ja sogar eine kleine Zahl eingeborener Würdenträger, Beys und Effendis, teils in europäischer, teils in ägyptischer Tracht. Die Neuheit der Veranstaltung und der Eifer, mit dem Ben Thinker, Fritschy und O'Donald dafür gesorgt hatten, daß die Einladung allgemein bekannt wurde, hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Sakuntala und ihre Freundin waren aus dem Garten gekommen, wo Fritschys Wölfchen untergebracht war und viel besucht wurde, als sie den Lärm des sich füllenden Saales hörten und hatten am Ende der ersten Stuhlreihe Platz genommen. Hinter ihnen saßen Joe, Buchwald und O'Donald. Am anderen Ende hatte sich Madame Geraldine rauschend niedergelassen, umgeben von ihren französischen Freunden, deren Geplauder und Lachen das allgemeine Gesumme beherrschte. Unmittelbar vor dem Tisch saß die Familie Switchley und zwei deutsche Gelehrte, Professor Prückner und Dr. Suchmann, die sich auf der Durchreise nach Oberägypten befanden, wo sie untersuchen wollten, ob die neueren Ausgrabungen zu Theben mit einem von ihnen geschriebenen Buch übereinstimmten. Auch sonst fehlte es in der Versammlung nicht an bekannten, fast berühmten Namen; man wurde zu jener Zeit leicht berühmt, wenn man afrikanischen Boden betrat. – Ben Thinker konnte zufrieden sein.

Da Scherif Pascha, der viel Sinn für Mechanik besaß, den Klöppel der Präsidentenglocke mit vieler Mühe ausgehakt hatte und nicht wieder einzuhängen vermochte, klopfte Fritschy mit seinem Taschenmesser gegen die Wasserflasche, bis verhältnismäßige Stille eingetreten war, worauf sich der Pascha langsam erhob. Wie manche der ägyptischen Herren, deren Jugendjahre in die Zeit Mohamed Alis fielen, hatte auch er seine Erziehung in Paris erhalten, sprach fließend Französisch und etwas Englisch und fühlte sich einer derartigen Versammlung gegenüber nicht fremd. Er begann:


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