Max Eyth
Der Kampf um die Cheopspyramide
Max Eyth

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3. Kapitel
Die schwarze Flagge

Wir dampften munter stromaufwärts. Es war einer jener herrlichen, erfrischenden Morgen, die zu Anfang des Februars in Ägypten landesüblich sind. Ein zarter Duft lag über den Ufern des Nils und schuf aus den schlichtesten Bildchen: einer kleinen Moschee, einer Gruppe von Palmen, die noch im Halbschlummer die Blätterkronen senkten – eine Märchenwelt voll Lieblichkeit. Wohl sah aus senkrechter Höhe das dunkle, fast schwarze Blau des Himmels in drohender Klarheit auf uns nieder; hier unten hatten die schiefen Strahlen der Sonne, die über das sanft bewegte Wasser tanzten, noch nicht die Kraft, den Morgendunst zu erdrücken. Wenn sie in einigen Stunden von oben herunter brannten, war's mit Duft und Märchenwelt zu Ende. Um so gieriger atmete man jetzt in vollen Zügen die köstliche Luft, die uns, nach einer der unerträglichen Chamsinnächte, von Norden her in sanften Stößen frisches Leben zuführte. Arbeitslustig blies sie zugleich hinter und vor uns ein Dutzend glänzend weißer Segel von Nilbooten vor sich her, so daß der emsig plätschernde kleine Dampfer den Fellahfahrzeugen aus der Pharaonenzeit gegenüber Mühe hatte, seine Würde als Kind unserer Tage und als Triumph des neunzehnten Jahrhunderts aufrecht zu erhalten. Auf geradlinigen Flußstrecken, die in der Windrichtung lagen, hatten jene sogar, nach Art der Fellachin, die Frechheit, mehr als Schritt mit uns zu halten. Wir gewannen jedoch in den Krümmungen, und der sinkende Strom, in dessen Bett sich bereits die weißen Köpfe zahlreicher Sandbänke zeigten, bot reichlich Gelegenheit, unsere größere Steuerfähigkeit und Beweglichkeit zur Geltung zu bringen.

»Lohnend« im Sinne des fürsorglichen, aber sensationslüsternen Baedekers war die Fahrt allerdings nicht. Unseren Horizont bildeten meist die steil abfallenden Lehmwände des Nilufers und die niederen Dämme, welche vom Juli bis Dezember die Hochwasser des Stromes einschließen, jetzt aber scheinbar zwecklos sich parallel mit dem Fluß hinziehen. Rechts von uns, wo da und dort die Wüste ihren Sand bis in das grünlich-gelbe Wasser hereinrieselt, sah man gelegentlich sanfte Hügel in endloser Ferne sich verlieren und die toten Riesenflächen Libyens in der Morgensonne schimmern. Links, gegen Osten, erschienen nicht selten Fellahdörfchen mit ihren spärlichen Baumgruppen und flachen, schmucklosen Lehmhäusern in bläulichem Schatten. In ihrer Nähe zeigte sich dann auch das stille Leben des Deltas: ein paar Frauen in dunkelblauem Hemd, die, im Wasser stehend, ihre Krüge füllten und die schwarzen, flatternden Burkos – ihre Gesichtsschleier – züchtig zusammenrafften, um uns mit Anstand besser beobachten zu können; der dunkelblaue Schattenriß eines Kamels oder eines Trüppleins von Eseln, die unter Bergen von Klee fast verschwanden, oder auch eines dicken, würdigen Dorfschechs, auf der Kruppe des kleinsten der Tierchen sitzend, das mit unglaublichem Eifer seine schwere Last den Damm entlang trug. Zwischen den Dörfchen schien eine fast leblose Welt in den Tag hinein zu schlummern. Ein paar Pelikane, die nachdenklich auf einer Sandbank standen, ein Geier, der auf der träge dahinschwimmenden Leiche eines ertrunkenen Schafes saß, waren Ereignisse.

Die Morgenstimmung wäre vielleicht etwas zu einförmig geworden, hätte sie nicht fröhlicher Lärm auf dem Vorderteil des Boots von Zeit zu Zeit unterbrochen. Dort war die ganze Bootsmannschaft einschließlich der Fahrgäste damit beschäftigt, das Geschenk des Schechs von Thalia seinem Lebenszweck dienstbar zu machen. Der erste Sonnenstrahl des Tages nach einer Nacht voll Angst und Schrecken war auch der letzte gewesen, den das arme, aber wohlgemästete Tier sehen durfte. Der Reis verstand sich vortrefflich auf das Schlächterhandwerk, und nun halfen Abu Sa, mein Sais und die Bootsleute eifrig beim Fellabziehen und Zerlegen des Tiers. Es sollte, ehe wir gegen Nachmittag Kairo erreichen konnten, den Glanzpunkt eines festlichen Mahles bilden. Selbst Fritschy beteiligte sich an diesen Vorarbeiten. Er hatte das Wölfchen, nunmehr mein Eigentum, wieder entlehnt und nach vorn geschleppt. Dort freute sich der kleine Wilde zunächst mit dem Egoismus der Jugend an dem Schicksal seines gestrigen Leidensgenossen. Dann verfolgte er mit dem höchsten Interesse die Gebräuche einer ihm unverständlichen Kultur und verschlang mit dem alten, undankbaren Geknurr und Gezisch jeden blutigen Bissen, den ihm Fritschy zuwarf.

Ich selbst hatte mir ein Tischchen zurechtgerückt und skizzierte. Wie ich mir einbildete, war ich damit beschäftigt, einem glücklichen Gedanken Form und Gestalt zu geben, und in jener hierfür besonders förderlichen Stimmung, ohne die auch Dichter nichts zustande bringen. Es handelte sich um folgendes: Der befruchtende Wert der Tausende von Brunnenschächten des Deltas, an denen in diesem Augenblick hundertundfünfzigtausend Ochsen mühselig Wasser schöpfen, konnte verdoppelt werden, wenn statt der Ochsen kleine Dampfmaschinen die doppelte Menge Wasser aus ihnen herauspumpten. Pumpen und Maschinen müßten aber ohne Schwierigkeit von Brunnen zu Brunnen fahren können, so daß jede Pumpe drei oder vier Brunnen bediente; sonst würde die Anzahl der Maschinen, die ein größeres Gut nötig hätte, etwas beängstigend werden und die Anschaffungskosten zu hoch kommen. Auch würde voraussichtlich selbst die kleinste Dampfmaschine den einzelnen Brunnen zu rasch trocken pumpen und müßte darin müßig stehen, bis das Sickerwasser ihn wieder gefüllt hätte. Aus diesen Betrachtungen ergab sich meine Aufgabe. Wir brauchten eine dreipferdige Dampfpumpe, die mit Kessel und Maschine, mit Saug- und Druckröhren von Brunnen zu Brunnen lief, und sich fast von selbst an die Arbeit machte, wo sie Wasser fand. Blatt auf Blatt füllte sich mit den Möglichkeiten der Lösung des Problems, mit jedem Blatt aber wurde die Sache greifbarer. Ich fühlte, wie mir das Wasser zu Kopf stieg. Diese Fahrt von Thalia nach Kairo sollte nicht umsonst gefahren werden, darüber, wenn auch noch über sonst nichts, war ich völlig im klaren.

Auch die Sonne begann jetzt fühlbar zu brennen. Wir waren drei Stunden unterwegs und näherten uns der Deltaspitze: dem Punkte, wo sich der Nil in den Rosetta- und Damiettearm spaltet. Die Sandbänke wurden häufiger. Der Rosettanil bildet hier zahlreiche Buchten, Kanäle und Inseln, zwischen denen man sich ohne Vorsicht und Ortskenntnis nicht zurechtfindet. Der Reis stand jetzt selbst am Steuer, ohne sein scheinbar trübes, aber sehr aufmerksames Auge von den Vorgängen auf der improvisierten Schlachtbank ganz abzuwenden. Schon stiegen an vier Punkten des Horizonts eigentümliche, turmartige Bauten in die Höhe, die kaum in eine ägyptische Landschaft passen wollten. Es waren die Brückenköpfe der Barrage von Kaliub, jenes Stauwerks, das seinerzeit dazu bestimmt war, im Dienst eines großartigen Bewässerungsplanes die beiden Nilarme an dieser Stelle zu sperren. Ich hatte das merkwürdige Denkmal französischer Ingenieurkunst, von dem man im ganzen Lande mit einem Gemisch von Bewunderung und Verachtung sprach, aus dem niemand klug werden konnte, schon fünfmal passiert, aber noch nie Zeit gefunden, es näher zu besichtigen. Diesmal hatte ich im Sinne, bei der großen Schleuse anzuhalten, und mit eigenen Augen zu prüfen, was an dem üblichen Für und Wider zwischen französischen und englischen Berichten Wahres sein mochte. Von der Ferne sahen die ziegelroten, zinnengekrönten Türme stattlich genug aus, so daß das Minarett von Kaliub, das jetzt ebenfalls auftauchte, sich neben denselben kaum sehen lassen konnte.

Die Aufmerksamkeit der ganzen Schiffsbesatzung richtete sich jedoch mit einmal nach einer anderen Richtung. Etwa anderthalb Kilometer westlich von uns, scheinbar hinter einer größeren, bebauten Insel, die wir gerade umschifften, ragte schlank wie eine Binse die mächtige Segelstange einer großen Dahabie in die Luft, an der das schlaff flatternde Segel müßig hin- und herschlug. Von der Spitze der Stange, hoch über dem Horizont, den an dieser Stelle ein dichtes Gebüsch von Kaktusfeigen bildete, hing eine schwere, unförmige, schwarze Flagge, wie sie – das war auf den ersten Blick zu erkennen – auf dem Nil noch nie gesehen worden war. Fritschy kam mit schafblutigen Händen auf mich zu und bat mich um meinen Feldstecher. Er sah wortlos, mit steigendem Staunen durch das Glas. Dann gab er es mir zurück.

»Wenn wir in Tonkin wären«, meinte er ratlos, »würde ich sagen, es sähe einer schwarzen Flagge zum Verwechseln ähnlich und wir seien nicht weit von Flußpiraten.«

Auch ich studierte jetzt den Gegenstand mit angestrengter Aufmerksamkeit.

»In diesem Fall könnten Sie behaupten«, sagte ich unter dem Glas hervor, »wir stünden einer Bande von vier Seeräuberhäuptlingen gegenüber. Sooft der Wind das Ding hebt, sieht man vier Spitzen.«

Er nahm mir das Glas von den Augen; die Aufregung entschuldigte die kleine Formlosigkeit. Zögernd sagte er darin, nach einer langen Pause:

»Wenn wir auf einer Hochzeit in Straßburg wären, würde ich sagen, es ist ein Frack.«

Nun riß ich ihm das Glas aus der Hand. Der Wind breitete das schwarze Rätsel gerade in fast horizontaler Richtung in meinem Gesichtsfeld aus. Wahrhaftig! Es konnte nichts anderes sein. Es war ein Frack!

»Rückwärts«, schrie ich dem Reis zu. »Abu Sa! Wo ist Abu Sa?«

Der Dragoman, ein sorgsamer Hausvater, der hoffen konnte, heute abend nach längerer Trennung die Seinen wiederzusehen, hatte sich soeben die Schafsnieren in ein Papier gewickelt und dieses in seinen weiten türkischen Hosen verschwinden lassen. Er kam deshalb sehr erschrocken herbeigelaufen, und war hocherfreut, als er merkte, daß es sich nur um ein Gespräch mit dem Reis handle. Es galt, diesem begreiflich zu machen, daß er zurückzufahren habe, um an der unteren Spitze der Insel in den Kanal einzubiegen, in dem die befrackte Dahabie liegen mußte. Ob die wunderliche Flagge ein Notsignal war, oder einen Faschingsscherz bedeutete, war unwesentlich. Es lohnte sich, der Sache auf den Grund zu kommen.

Der Reis protestierte. Dort sei, bei dem jetzigen Stand des Nils keine Durchfahrt möglich; auch sei der Fluß an der Stelle, wo wir uns befanden, zu schmal, um den Dampfer zu drehen. »So fahren wir rückwärts!« befahl ich und nach einigem weiteren Parlamentieren, bei dem Abu Sa, seiner Nieren gedenkend, einen ungewohnten Eifer an den Tag legte, fühlte sich der Reis bewogen zu gehorchen. In zehn Minuten waren wir wieder an der unteren Spitze der Insel und fuhren vorsichtig in den sie umfassenden rechtsseitigen Arm. Mehr als einmal konnten wir das zähe Schlürfen hören, wenn der flache Kiel des Boots durch den Sand schnitt, und fühlten, wie sich der Schiffskörper gewaltsam hob. Der Reis verfehlte darin nicht, mir einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen, aber wir kamen vorwärts. Hinter einer scharfen Biegung erreichten wir eine teichartige Bucht, wo, auf einer Sandbank, welche den sich verengenden Kanal fast sperrte, eine große, frisch bemalte Dahabie hilflos festlag. Ein Dutzend nackter Bootsleute standen bis an die Hüften im Wasser, besprachen sich leidenschaftlich, hatten aber sichtlich alle Versuche aufgegeben, das Fahrzeug wieder in Bewegung zu setzen. Langsam, mit rühmlicher Vorsicht, fuhr mein Reis auf seinen verunglückten Gefährten zu. Eine Minute lang war unser Boot nicht weit davon, ebenfalls festzusitzen, schließlich aber lagen wir fast an der Seite der Dahabie, in achtzig Zentimeter Wasser, einer Tiefe, in der es meinem kleinen Dampfer gerade noch wohl war.

Die verunglückte Dahabie war ein neues, einmastiges Boot, mit einer Reihe spiegelblanker Fenster, die auf vier Kajüten schließen ließen. Ein rot- und weißgestreiftes Zeltdach schmückte das Oberdeck, auf dem amerikanische Schaukelstühle und andere Zeichen modernster Zivilisation prunkten. Hilflos hing das lateinische Segel von der fast senkrecht aufgerichteten, riesenhaften Segelstange, an deren höchster Spitze noch immer der Frack kläglich wie ein Gehenkter hin und herschaukelte. Auf dem Vorderteil des Bootes stand ein schneeweiß gekleideter Dragoman, der uns mit lautem Geschrei in schlechtem Englisch begrüßte, neben ihm ein pechschwarzer Koch und ein Reis in grünem Turban, dessen schwarzbraunes Gesicht und glühende Augen bitterböse dreinsahen. Hinter diesen Dreien fast versteckt, bemerkte man zwei Gestalten, die nicht nach Ägypten gehörten, eine Frau und einen Mann in einer Tracht, die den fernsten Osten verriet. Die übrige Schiffsmannschaft war uns teilweise entgegengeschwommen und versuchte jetzt mit lautem Freudengeschrei den Dampfer zu erklettern, während meine Leute fröhlich auf den Scherz eingehend, ihnen mit Ruderstangen auf die Finger schlugen.

Auf dem Oberdeck, dem Dach der Kajüten, standen ebenfalls drei Gestalten: ein unverkennbarer Engländer mit rotem Vollbart, von kleiner Statur und rundlichen Formen, in grauem Reiseanzug, einem Korkhelm mit weißem Schleier auf dem Kopf, einen riesigen Sonnenschirm in der Hand. Hinter ihm befanden sich eine größere und eine kleinere Dame in weiß und hellgelb. Schon aus der Ferne bemerkte ich, daß der Herr mit ungewöhnlicher Lebendigkeit auf und ab ging und keineswegs den Eindruck eines unglücklich Gestrandeten machte, dessen letzte Hoffnung in der zufälligen Begegnung mit einem Süßwasser-Samariter lag. Auch schien er keiner von denjenigen seiner Landsleute zu sein, die unter allen Verhältnissen die Regeln der heimischen Etikette festhalten, denn er erkundigte sich schon aus weiter Ferne, seinen Dragoman überschreiend, nach meiner Gesundheit: »How do you do, Sir? I hope, you are quite well!«

Ich erwiderte, die Reihe sei eigentlich an mir, zu hoffen, daß er sich, in der Erwartung eines drohenden Schiffbruchs, wohl befinde. Dies schien ihn so lebhaft zu belustigen, so daß er nur mit einem schallenden Gelächter antworten konnte. Nach einiger Zeit, während wir hin und her manövrierten, um der Dahabie möglichst nahe zu kommen, ohne selbst festzufahren, teilte er mir mit, er habe sich noch nie besser befunden, bat mich dringend, an Bord zu kommen, und »to take something«, etwas zu mir zu nehmen.

Ein Blick konnte jeden überzeugen, daß das Boot ohne Hilfe eines Dampfers vor Juli, wenn der Nil wieder steigen mußte, nicht mehr los kommen konnte. Es hatte seine Nase fußtief in dem zähen Schlamm begraben, der schon halb trocken aus der schmutzig gelben Flut aufstieg. Trotzdem, nachdem ein Gangbrett zwischen beiden Schiffen ausgeworfen war, und wir auf demselben, jeder an seinem Ende, uns gegenüberstanden, begrüßte mich der Herr mit allen Zeichen patronisierenden Wohlwollens. Zum Glück kannte ich meine Engländer schon gut genug, so daß ich auch diese Form, um Hilfe in der Not zu bitten, nicht mißzuverstehen brauchte.

In der Tat, man konnte dem Mann nicht böse sein, wenn man in sein rundes, rotes Gesicht sah, das unter dem blendenden Sonnenschirm förmlich strahlte. Der rote wallende Bart ließ etliche graue Flocken noch nicht aufkommen. Dagegen umrahmte den kahlen Schädel ein Kranz weißer freundlicher Löckchen, an denen, frisch wie Morgentau, die Schweißtropfen eines ungezügelten Eifers blitzten. Man sah dies, so oft er sicherheitsventilartig seinen Helm lüftete, als ob er etwas Dampf ablassen wollte. Kleine, blaugraue Äuglein von rastloser Lebendigkeit schienen in allen Richtungen nach Punkten zu suchen, die der Aufmerksamkeit und des unmittelbaren Eingreifens wert sein mochten. Selbst wenn er nur zuhörte, war er ein Bild der verkörperten Energie, ohne persönlich aufdringlich zu erscheinen. Sein ganzes Wesen schien sich mehr den Dingen als den Menschen hinzugeben. Im übrigen verriet seine ganze Figur einen Schotten von nicht ganz gewöhnlichem Typus. Um so unverfälschter war sein Dialekt, den zu verstehen ich einige Mühe hatte, obgleich er mit seinem breiten A und gutturalen Ch deutscher klang als jedes andere Englisch.

Einleitungen und Übergänge schienen seine Stärke nicht zu sein: Er sei im Begriff eine Reihe von Versuchen zu machen, die allerdings für den Augenblick auf eine unvorhergesehene Schwierigkeit gestoßen seien, rief er mir zu. Ich möchte doch herüber kommen und mir die Sache erklären lassen. Er bitte darum. Er sei auf dem Weg nach Tantala, um einen Ingenieur namens Weit aufzusuchen, aber er habe keine Eile.

Ich spitzte die Ohren. Es gab kein Tantala weit und breit. »Thalia vielleicht?« schrie ich hinüber.

Er rief nach seinem Dragoman. Ja; Thalia hieß der Platz.

Nun ist Thalia ein Dörfchen, das seit ein paar Jahrtausenden kein Sterblicher aufgesucht hat, der nicht dort geboren wurde, und kaum ein solcher, denn die Eingeborenen hatten nie Veranlassung, es zu verlassen. ›Weit‹ aber, auf englisch White, konnte nichts anderes sein, als einer der zahllosen Versuche, meinen Namen dem britischen Geschmack mundgerecht zu machen. Es war in der Tat Zeit, dem Herrn näher zu treten. Er schüttelte mir heftig die Hand, als ich meinen Fuß auf seine Dahabie setzte:

»Sehr erfreut, Sie zu sehen; sehr erfreut! Gestatten Sie, daß ich mich selbst vorstelle: Mister Thinker, Mister Ben Thinker aus London, Glasgow und Glenisloch, Schottland. Es ist mir ein großes Vergnügen, Mister – Mister –«

Er sah mich fragend an.

»Eyth, Herr Thinker – wenn ich Sie richtig verstanden habe«, sagte ich, so deutlich als möglich, und versuchte im Handschütteln mit ihm zu wetteifern.

»Eyth – Weit – Weit – Eyth – ganz richtig!« rief er freudig erregt. »Das ist alles dasselbe in diesem Land Babylonien. Das Arabische macht mich ein wenig konfus, namentlich die Namen. Eyth? Jawohl, Eyth. Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Wie geht es Ihnen, Herr Eyth. Sehr erfreut!«

»Es ist in der Tat ein glückliches Zusammentreffen, wenn Sie wirklich auf dem Weg nach Thalia waren«, sagte ich. »So wie die Sachen stehen, hätten Sie ihr Ziel vor August nicht erreicht. Sie sitzen ziemlich fest hier, Herr Thinker.«

»Nicht der Rede wert! Ich habe keine Eile«, versicherte der Engländer mit strahlenden Blicken. »Allerdings wollte ich Sie aufsuchen. Meine Bankiers in Kairo, die Ägyptische Handelsgesellschaft, haben Sie mir empfohlen. Sie kennen den Prokuristen, O'Donald? Ein vortrefflicher junger Herr! Er sagte mir, Sie seien der richtige Mann. Sie würden mir über die Wasserverhältnisse Ägyptens allen nötigen Aufschluß geben können. – In Schubra fand ich Sie nicht; so nahm ich eine Dahabie, um Sie in Tartara zu besuchen und mich mit Ihnen ein wenig zu unterhalten.«

»Thalia, Herr Thinker!« mahnte ich. »Das erste, was wir tun sollten, scheint mir übrigens, Sie wieder loszubekommen. Wenn ich Sie nicht zufällig entdeckt hätte, verehrter Herr –, das heißt –«

Ich sah nach oben. Hoch am blauen Himmel, von der Brise wieder einmal hübsch horizontal ausgebreitet, hing noch immer an der Spitze der fast senkrechten Segelstange der Frack, der uns zum Umkehren veranlaßt hatte.

»Zufällig! Nennen Sie das Zufall?« rief er freudig. »Ich wußte, daß mein Notsignal wirken würde. Kundel, wer hat jetzt recht?« Das rief er auf das Oberdeck hinauf, von wo die Frauen auf uns herabsehen. »Die Dame in Weiß ist meine Nichte, Herr Eyth; ich werde Sie sogleich vorstellen. Wir stritten uns. Ich sagte, eine Flagge hilft nichts; aber an einem Frack am unrechten Platz fährt niemand vorbei, ohne ihn genauer anzusehen; ziehen wir den Frack hinauf! Nun frage ich Sie, hatte ich recht oder nicht? Wären Sie hier, wenn ich zwanzig Flaggen aufgezogen hätte? – Praktisch! – Sie ist alles, nur praktisch ist meine liebe Kundel nicht.«

»Vor allen Dingen aber müssen wir versuchen, Sie loszuschleppen, Herr Thinker«, wiederholte ich. »Das scheint mir für den Augenblick das Praktischste zu sein. Der Nil sinkt mit jeder Stunde, und mit jeder Stunde werden wir schwierigere Arbeit haben.«

»Keine Eile, keine Eile!« rief Thinker mit unerschütterlichem Vertrauen in die Zukunft. »Zunächst will ich Sie mit meinem jüngsten Experiment vertraut machen, das eine Revolution auf dem Nil anbahnen muß. Eine brillante Idee, wenn sie auch noch nicht ganz die gewünschte Wirkung erzielt hat. Haben Sie schon eine Erfindung gemacht, die dies auf den ersten Wurf tat? Wenn Ihnen das passiert sein sollte, so war sie nichts wert.«

Er zog mich gewaltsam nach dem Vorderteil des Schiffs, über ein Gewirr von Seilen und Flaschenzügen, Schlingen und Rollen, die in allen Richtungen am Boden hin nach rückwärts gegen das Steuerruder und nach vorn zum untern Ende des Segelbaums liefen.

»Sie haben natürlich selbst beobachtet«, fuhr er eifrig fort, »wie die Nilschiffer ihre Boote steuern und zugleich die Stellung ihres großen lateinischen Segels ändern, um das Boot bei allen Windrichtungen in möglichst ungeschickter Weise vorwärts zu bringen. Es interessierte mich vom ersten Augenblick an, als ich die Burschen manövrieren sah. Nun sage ich mir: Der Mann am Steuer und der Junge am Segel sind zwei Elemente. Es muß eine Stellung für das Steuerrad und das Segel geben, bei der ein Maximum von Bootgeschwindigkeit in der gewünschten Richtung herauskommt. Sie sind Ingenieur, Herr Eyth; Mathematiker, sagte mir unser gemeinsamer Freund O'Donald. Sie verstehen mich. Es läßt sich zweifellos ein Takelwerk konstruieren, durch dessen Vermittlung der Steuermann gleichzeitig mit der Stellung des Ruders die Stellung des Segels regelt und dabei das günstigste Ergebnis für die Schiffsgeschwindigkeit erzielt. Dies bringt heute ein Fellahjunge am Ende eines Stricks nicht zuwege; Sie sehen dies ein. Gut! Es ist mir gelungen, das Verhältnis zwischen Segel und Ruder festzustellen. Ich habe provisorisch, natürlich nur provisorisch unsere Dahabie mit der Vorrichtung ausgestattet, die dies selbsttätig bewirkt, das heißt, die durch die Stellung des Steuerruders auch die Stellung des Segels regelt. Darin liegt der Kern einer Revolution: einer Revolution auf dem Nil!«

»Aber«, begann ich, ohne weiterzukommen. In der Absicht, die Lage der Dinge in ihrem ganzen Elend zu überblicken, hatte ich mich rasch umgedreht. Die beiden Kapitäne, der meinige und der Thinkers, stellten wenige Schritte von uns ähnliche Betrachtungen an und waren in regem Gebärdenaustausch begriffen, wie er den Arabern eigen ist. Der meine lachte, Thinkers Mann sah aus wie die Nacht, verschlang seinen Herrn mit stechenden Blicken und schlug sich mit dem Zeigefinger heftig gegen die schwarzbraune Stirne; eine Bewegung, die nicht mißzuverstehen war. Auch Thinker hatte sie verstanden. Er brach plötzlich ab und seufzte zornig.

»Sie glauben nicht, Herr Eyth«, sagte er, weggehend, »mit welchen Vorurteilen ein Erfinder zu kämpfen hat. Das ist nicht allein mit Fellachen der Fall. Wenn wir nicht den Wunsch in uns trügen, dem törichten Volke nützlich zu sein, die Überzeugung, der Menschheit voranzuschreiten! Kommen sie!«

Wir machten uns nicht ohne Schwierigkeit aus dem Seilgewirr los, das unsere Füße umgarnte und gingen die Treppen zum Oberdeck hinauf, wo sich die Damen befanden. Nicht ohne Verwunderung bemerkte ich, daß Fritschy bereits oben war und sich im besten Einvernehmen mit der schöneren Hälfte unserer gestrandeten Freunde befand. Er stellte soeben der kleineren der Damen das Wölflein vor, das unter ihnen auf dem Deck des Dampfers wie toll an seinem Strick zerrte. Und was noch erstaunlicher war: Er sprach sein zutrauliches Elsässer ›Dütsch‹, und die Dame schien ihn zu verstehen.

Herr Thinker führte mich auf die größere zu.

»Kundel!« rief er in nachlässig fröhlichem Ton, der für eine korrekte Vorstellung kaum paßte, »hier ist Mister Weit, den wir in Tanagra besuchen wollten. Er hat den Stiel umgedreht, wofür du ihm dankbar sein wirst. Mister Weit –«

»Eyth – Eyth!« bat ich dringend.

»Mister Eyth – diese arabischen Namen! Herr Eyth, erlauben Sie mir, Ihnen mein Mündel und Nichte, Miss Kundel vorzustellen: – Mister Eyth, Miss Thinker –«

Die junge Dame lächelte erst mich, dann ihren Onkel an und sagte:

»Wie wäre es, wenn du Herrn Eyth meinen richtigen Namen mitteilen wolltest.«

»Oh«, sagte der Onkel, »man beliebt heute als Prinzessin zu empfangen. Auch gut. Mister Eyth – Miss Sitta Sakuntala Thinker, Tochter der Rani von Nirwapura im nördlichen Dekan, Indien. War das richtig, Madame? Sie geben zu, Herr Eyth, ›Kundel‹ ist einfacher.«

So plötzlich konnte ich mich von der Einfachheit Kundels, Sakuntalas und der ganzen Sachlage nicht überzeugen. Es war eine mehr als mittelgroße überaus zierliche Gestalt, die vor mir stand. Auch die Ätherischste der Engländerinnen hätte einen andern Eindruck gemacht, obgleich die Haltung des Kopfs, die Bewegungen der mädchenhaften Erscheinung englischer Herkunft zu sein schienen. In den regelmäßigen Gesichtszügen lag jedoch etwas völlig fremdes. Die Hautfarbe war dunkler, der Schnitt von Nase und Mund fast ideal regelmäßig. Man hätte darin jene geistlose Schönheit finden können, in die sich das klassische Ideal so leicht verirrt, wenn nicht ein paar große, leuchtende Augen die Züge wie mit einem Blitz erhellt hätten, sooft das Mädchen die langen, schwarzen Wimpern aufschlug. Und diese Augen waren dunkelblau. Die etwas niedere Stirne bedeckte zur Hälfte pechschwarzes Haar, das sich in sanften Wellen nach den kleinen Ohren zog, die wie Rosenmuscheln aus dem Dunkel hervorschimmerten. – Ein solches Mädchen hieß der Onkel Kundel! Dazu gehörte immerhin einiger Mut.

Mit einem kleinen Schrei beantwortete die zweite Dame Thinkers spöttischen Warnungsruf, ließ Fritschy stehen und lief, indem sie sich noch einmal lächelnd nach ihm umsah, auf uns zu.

»Miss Bertha Schütz – Mister Eyth. Mister Eyth – Miss Bertha Schütz!« Diesmal war die Vorstellung wie aus einem Komplimentierbuch geschnitten. »Miss Schütz hat die Güte, meiner Nichte Gesellschaft zu leisten, nachdem sie drei Jahre lang ihre Erziehung geleitet hat. Ich gebrauche sie jetzt, mit ihrer Erlaubnis, als Konversationslexikon. Sie ist ein wandelndes Buch, das ich täglich mehr bewundern würde, wenn es nicht in deutschen Lettern gedruckt wäre. Sie leisten in Ihrem Vaterland Erstaunliches auf diesem Gebiet, Herr Eyth!«

Ich verneigte mich, etwas gefaßter. Fräulein Schütz machte, vielleicht dem Landsmann zu Ehren, einen unenglischen Knicks, warf dann aber ihr Köpfchen auf gut englisch in den Nacken, zeigte ihr hervorragendes Stumpfnäschen dem blauen Zenit und suchte sich nach Möglichkeit ein würdiges, matronenhaftes Aussehen zu geben. Es war ein kleines, blondes, lebhaftes Persönchen, mit einem runden Kindergesicht, das ungemein altklug dreinsehen konnte, wenn sie daran dachte, ihre Würde zu wahren, den gegenteiligen Eindruck aber machte, wenn sie mit weitaufgerissenen braunen Augen voller Neugier die Welt um sich her betrachtete. Ob das kindliche oder das altkluge Gesicht ihr eigenes sein mochte, war schwer zu entscheiden. Manchmal ist es auch mir schwierig geworden, Bücher in deutschen Lettern zu entziffern.

Die beiden Schiffskapitäne, die zum mindesten Vettern zu sein schienen, hatten sich mittlerweile verständigt. Hag-Ali, der grünbeturbante, bat Herrn Thinker um die Erlaubnis, sämtliche Stricke und Taue des neuen Patentsegelsteuerapparates abnehmen und zur Rettung des unglücklichen Opfers der Wissenschaft benutzen zu dürfen, was mit einer grimmigen Handbewegung gestattet wurde. Mein weißbeturbanter Reis versicherte sich meiner selbstverständlichen Zustimmung, den Dampfer zum Abschleppen der Dahabie von der Sandbank zu gebrauchen. Mit viel Geschrei und Kommandieren, wobei sich die beiden Dragomane, die von dem ganzen Vorgang nichts verstanden, besonders hervortaten, wurden zwei Trossen improvisiert, und das Hinterteil der Dahabie mit dem des Dampfers verbunden, der jetzt fünfzig Schritte stromabwärts in leidlich gutem Fahrwasser lag, und, den Ernst der Aufgabe erkennend, dicke Wolken schwarzen Rauches ausstieß. Thinker setzte sich mit plötzlich eingetretener Ruhe auf einen Feldstuhl, als ob ihn die ganze Sache gar nichts anginge. Fritschy, dieser unglückselige Fritschy, wurde ohne Zaudern von den Damen benutzt, sich den Vorgang erklären zu lassen.

Nachdem die Seile befestigt waren und mein Reis das Steuerrad auf dem Dampfer ergriffen hatte, übernahm ich vom Oberdeck der Dahabie aus das Kommando. Langsam anziehen. Go abead, full steam! Dampfer verstanden leider schon damals auch auf dem Nil nur englisch. Das kleine Boot zog an; die Seile spannten sich und zitterten wie Geigensaiten. Man fühlte den kräftigen Zug durch den ganzen Schiffskörper, auf dem wir standen, aber keine Bewegung. »Zurück!« – Die Seile senkten sich und verschwanden teilweise im Wasser. – »Vorwärts!« – Ich versuchte es mit kleinen, vorsichtigen Stößen, ein nicht ganz ungefährliches Vorgehen. Aber ohne etwas zu wagen, war hier nichts zu gewinnen. Beim dritten Stoß riß mit einem lauten Knall das linke Seil, flog wie eine riesige Peitschenschnur in die Luft und versank im Wasser. Fräulein Schütz begleitete den Zwischenfall mit einem pflichtschuldigen Mädchenschrei. Thinker sagte ruhig: »Sehr gut! Das zählt eins für uns!« Er schien das Ganze für einen Wettkampf zwischen der festsitzenden Dahabie und dem beweglichen Dampfer anzusehen und sich dabei auf die Seite der Dahabie gestellt zu haben. Dann rückte er mit erwachendem Interesse seinen Feldstuhl näher an die Brüstung des Decks und wartete auf die Dinge, die kommen sollten.

Das zerrissene Seil wurde in einer Viertelstunde nach arabischen Zunftregeln zusammengeflickt. In solchen Lagen lassen sich Fellachin zu Wasser und zu Land nicht aus der Fassung bringen. Je zerrissener eine Vorrichtung ist, um so wohler ist es ihnen dabei. Die Sicherheitsventile auf dem Dampfer bliesen jetzt ab wie toll; das hatte ich auf dem Gewissen. Die beiden Reise ließen die gesamte Schiffsmannschaft ins Wasser springen, und jeder der Leute schien jetzt bereit, die Welt aus den Angeln zu heben. Laut und häufig wurde dabei die Vermutung geäußert, daß der englische Herr ein unermeßliches Bakschisch verteilen werde, sobald die Dahabie schwimmen sollte. – Nun endlich begann der Dampfer wieder anzuziehen und den Urschlamm des Flußbetts aufzuwühlen. Fünf, zehn Minuten vergingen erfolglos. Die Spannung auf den Gesichtern der Frauen machte der Angst, die Ruhe auf dem des Onkels der Langeweile Platz. Der kleine Dampfer schwankte in seiner Überanstrengung am Ende der Trossen hin und her, wie ein Betrunkener. Dabei kam er dem Ufer gefährlich nahe. Auf einen Augenblick hieben die Schaufeln des linken Rades hörbar in den Sand. Ein Zittern ging durch den Rumpf der Dahabie. Sie hatte sich bewegt. Das Kampfgeschrei der Araber, die schiebend und ziehend wie Frösche um das Boot hüpften, wurde betäubender. Der Dampfer gab Gegendampf, dann stürmte er mit zorniger Energie wieder vorwärts. »Ja Salaam! Ja Getan!« O Friede! O ihr Gläubigen! heulten die Frösche. – Wieder ein Stoß. – Wenn jetzt die Seile nicht rissen, waren wir gerettet. Man hörte das Glitschen und Gleiten durch den Schlamm. Das Boot neigte sich weit nach rechts und gleich darauf nach der linken Seite, so daß Fräulein Schütz wieder zu schreien gezwungen war und sich an Fritschys Arm anklammerte, der mir einen hilfeflehenden Blick zuwarf. Noch ein Stoß und wir schossen in das offene Fahrwasser hinaus, die ganze braune Schiffsmannschaft am Ufer der Sandbank zurücklassend. Jubelnd stürzte sich der Trupp, wie auf ein Signal, eine Minute später ins Wasser und, allerhand fröhliche Allotria treibend, schwamm uns nach.

Ben Thinker hatte noch mitten im Sturm des Flottwerdens eine Anzahl Sodawasserflaschen geöffnet und mit dem Material, das sein Dragoman herbeischleppte, ein halbes Dutzend Gläser kunstgerecht gefüllt. Es war schottischer Whisky aus bester Quelle.

»Auf eine glückliche Heimfahrt!« rief er, indem er mir ein Glas anbot und Fritschy winkte.

»Ohne Patentsegelsteuer!« sagte ich.

»Meinethalben«, gab er zu. »Das ist jetzt Nebensache. Ziehen Sie mich erst aus diesem verdammten Sandwinkel heraus, dann sollen Sie sehen, was mein Patent wert ist. Ich brauche Spielraum, wie alles, was zu leben wert ist. Doch zur Hauptsache. Ich wollte Sie aufsuchen und nun habe ich Sie lebendig eingefangen. Was können Sie mehr verlangen?«

»Und was verschafft mir eigentlich diese Ehre?« fragte ich, während er mich einlud, Platz zu nehmen. Die Boote, die den Hauptstrom erreicht hatten, schickten sich an, flußabwärts zu steuern. Man konnte jetzt den Dingen ihren Lauf lassen.

»Das ist so rasch nicht gesagt, Herr Eyth«, begann Ben Thinker nach einer Pause. »Ich bin Ingenieur, Zivilingenieur. Nicht von Beruf wie Sie. Ich habe kein Geschäftsbüro, es ist bei mir Herzenssache.«

»Das kann beides zusammen der Fall sein«, meinte ich.

»Es ist's aber nicht, in meinem Fall. Bei mir ist's Herzenssache, und schon seit Jahren beschäftige ich mich mit der Bewässerung der Welt. So ganz im allgemeinen geht das nun allerdings nicht. Man muß einzelne trockene Punkte ins Auge fassen, will man der ganzen Menschheit nützen. Das ist auch bei andern Dingen so.«

Ich nickte und trank. Sein Whisky schien mir mehr wert zu sein als seine technische Lebensweisheit. Doch war ich bereit, das weitere geduldig abzuwarten. Er setzte sich bequemer in einen amerikanischen Schaukelstuhl, während ich das liebliche Bild der zwei Damen auf mich wirken ließ, die in einiger Entfernung noch immer Fritschy examinierten.

»Wenn man die unglaublichen Fortschritte der Technik seit fünfzig Jahren in Rechnung zieht«, fuhr er fort, »so begreift man kaum, daß es noch beträchtliche Teile der Erde gibt, die nicht bewässert sind. Haben Sie von den Marskanälen schon gehört? Es ist eine Schande für uns. Oder nehmen Sie Indien. Leider war ich selbst nie dort, aber ich habe mich seit Jahrzehnten mit indischer Landwirtschaft beschäftigt und alles, was Sie an Wohlbehagen auf unserem Boote sehen, verdanken wir indischer Bewässerung. Sie finden das unglaublich. Ich kann Ihnen, wenn wir nach Kairo kommen, noch viel mehr dergleichen zeigen. Kundel! Herr Eyth will nicht glauben, daß wir unser Dasein indischer Bewässerung verdanken.«

Die junge Dame lächelte herüber.

»Es ist so, Herr Eyth, wenn Sie meinen Onkel richtig verstehen wollen«, sagte sie mit einer Altstimme, die wie Samt klang und mir durch Mark und Bein ging.

»Ich wollte schon, Miss – Miss –«

»Kundel!« half Thinker nach, der sich an meiner Verlegenheit ergötzte.

»Miss Thinker!« sagte ich mit Betonung, »aber Ihr Onkel macht es mir nicht gerade leicht, ihn zu verstehen.«

Sie konnte kaum siebzehn Jahre zählen, aber sie flößte mir einen Respekt ein wie die Königin von Saba, wenn Ihre dunkle Majestät das Boot plötzlich beehrt hätte. Die Wahrheit zu sagen: Ich verstand weder den Onkel noch die Nichte. Fritschy schien sich dreimal schneller in die wunderliche Gesellschaft gefunden zu haben.

»Wir werden uns verstehen, Herr Eyth«, sagte Thinker ermutigend und holte die Flasche unter seinem Stuhl hervor. »Lassen Sie sich ein wenig erklären«, – damit schenkte er ein. – »Auch mit Ägypten habe ich mich ernstlich beschäftigt, und habe einen Plan für das Land, ich sage Ihnen, einen Plan, in dem Millionen stecken. Wir sind schon seit acht Tagen in Kairo. Hotel Shepheard. Ich rechne auf Ihren Besuch. Meine Absicht ist vor allen Dingen, mich zu überzeugen, daß mein Plan rasch und zweckentsprechend ausgeführt werden kann. Dazu ist es ohne Zweifel wünschenswert, die heute vorliegenden Verhältnisse zu kennen. Ich war da und dort überrascht, nicht alles so zu finden, wie ich es nach schriftlichen Angaben annehmen mußte, und da fragte ich gelegentlich bei meinem Bankhaus nach, ob die Herren mir die nötigen Aufschlüsse geben könnten. Geld – ja, so viel ich wolle; Aufschlüsse – nein. Aber wenn ich Herrn Eyth, den Ingenieur von Halim Pascha, besuchen würde, der gehe zur Zeit in Wasser und Dampf auf. Und nun habe ich Sie und bitte, mir Aufschlüsse zu geben.«

»Aber verehrtester Herr Thinker, das ist so einfach nicht, wie Sie denken«, sagte ich. »Was wollen Sie eigentlich wissen? Wo soll ich anfangen?«

»Ich weiß, ich weiß!« rief mein neuer Freund etwas ungeduldig. »Man sagte mir im Büro der Handelsgesellschaft, Sie seien ein Deutscher. Ich erwarte nichts anderes. Die Deutschen wissen alle so viel, daß nichts aus ihnen herauszubekommen ist. Verstopfung der Geistesfunktionen. Ganz natürlich.«

Dies ärgerte mich denn doch, obgleich es in einem Ton gesagt war, aus dem man beim besten Willen keine kränkende Absicht heraushören konnte. Aber es ist seit langen Jahren das Los der Deutschen gewesen, geärgert zu werden. Ich konnte mich demselben nicht ganz entziehen.

»Sehen wir also zu«, sagte ich deshalb etwas scharf, »was bei Ihnen herauskommt, mit dem Nichtswissen.«

Er sah mich mit großen, unschuldigen Augen an. Er hatte sichtlich keine Ahnung von dem, was mich bewegte.

»Nehmen Sie noch etwas Whisky!« meinte er begütigend, wie wenn er mir eine Medizin aufschwatzen wollte. Dann, indem er mich von Zeit zu Zeit fragend ansah, begann er ruhig zu erzählen, was er vom Nil wußte: von seinem regelmäßigen Steigen im Juni und Juli, von den Überschwemmungen zwischen August und November, die das ganze Land geschaffen hatten und es heute noch befruchten, von dem Eindämmen der besser gepflegten Ländereien, um sie vor dem jährlichen Hochwasser zu schützen und den Anbau von Pflanzen wie Baumwolle und Zucker zu ermöglichen, die ein volles Jahr zum Reifen bedürfen. Dann kam er auf das Sinken der großen tropischen Nilwelle, das von Dezember an den ägyptischen Landmann zwingt, während acht Monaten das Wasser aus dem tiefen Flußbett, oder aus den Tausenden von Brunnenschächten, welche das Sickerwasser des Stromes speist, auf die Höhe des Ackerlandes zu schleudern, zu ziehen oder zu pumpen und Tausende und Abertausende von Menschen und Tieren in einförmiger, mühevoller Arbeit verzehrt, wenn das Volk sein tägliches Brot wachsen sehen will. Ich begann meinen neuen Freund etwas höher einzuschätzen. Er wußte zweifellos mehr von einem fremden Lande als ein Normalengländer zu wissen für nötig findet.

»Ist es nicht eine Schande, frage ich Sie noch einmal«, – schloß er seinen Stegreifvortrag, »daß in unseren Tagen, in der Zeit des Dampfs, der Wissenschaften, des uferlosen Fortschritts diese Millionen Pferdekräfte aus Menschen- und Tiermuskeln gesaugt werden, anstatt mit ein wenig Nachdenken die Natur zu zwingen, für uns, ihren Herrn und Meister, zu arbeiten? Ja, sehen Sie mich nur an, Herr Eyth, ich meine auch Sie, trotz Ihrem Dutzend Dampfmaschinen. Das sind ja alles Spielereien, die einem Pascha genügen mögen, und den vielleicht zugrunderichten; aber nichts, das die Millionen berührt, um die es sich hier handelt. Sie schwimmen gedankenlos auf dem Nil herum wie ein kleiner Seekönig und jeder Tropfen des gelben Wassers, das ihr Dampfschiffchen trägt, könnte zum Heil der Menschheit von einer Baumwollstaude aufgesaugt werden, wenn er da wäre, wo er sein sollte. Sie haben ein Pumpwerk von 180 Pferden in Ihrem Schubra, und Sie sollen ein paar hundert Pferdekräfte weiter aufstellen. Was wollen Sie eigentlich mit der Zwergwirtschaft?«

Er wurde immer röter und gröber, mein wunderlicher Freund; aber es schien ihm so furchtbar ernst, daß es unmöglich war, ihm böse zu sein: Und hatte ich nicht selbst im Stillen fast das gleiche gedacht, erst gestern Abend? »Dazu, wenn man weiß«, fuhr er ruhiger fort, »wie es die Leute vor dreitausend Jahren in diesem selben Ägypten getrieben haben, und schon vor tausend Jahren und heute wieder an den großen Flüssen in Indien. Dorthin sollten Sie einmal gehen und sich die alten Anicuts›Anicut‹ nennt man in Indien die Wehre oder Staudämme, welche quer durch ein Flußbett gelegt, dazu dienen, das Wasser zum Zweck landwirtschaftlicher Bewässerung aufzustauen. des Cauvery, des Coleroon, des Godavery ansehen. Die kenne ich wie meine Tasche, und schäme mich für Sie, wenn ich Ihren Nil ansehe.«

»Aber ich bitte Sie, Herr Thinker«, unterbrach ich ihn endlich, »der Nil gehört wirklich nicht mir.«

»Ich weiß, ich weiß! Sie sind nur ein Deutscher«, sagte er mit einer mich entschuldigenden Handbewegung. Es dürfte nützlich sein, daran zu erinnern, daß wir noch nicht 1866 schrieben, und damals in der ganzen Welt ›nur‹ Deutsche waren. »Aber die Franzosen, diese Schwätzer, tun, als ob ihnen hier Land und Wasser gehöre. Und was haben sie daraus gemacht: Sehen Sie!«

Er deutete nach vorn. Dort, am Horizont, stieg jetzt das prachtvolle Bauwerk der Barrage, die den Rosettaarm des Nils sperrt, in seiner ganzen imposanten Länge vor uns auf. Es hatte das Aussehen einer riesigen Brücke von 75 durch kräftige Rundbogen verbundenen Pfeilern, die je von einem zierlichen Türmchen gekrönt waren, während in der Mitte und an beiden Enden ein stattlicher Monumentalbau mit Türmen und Zinnen das etwas einförmige, aber gewaltige Gesamtbild schmückte. Wir erblickten trotzdem so nur die Hälfte des ganzen Werkes, denn wir fuhren zu tief zwischen den steilen Uferböschungen dahin, um etwas von der entsprechenden Brücke über den Damiettearm des Stroms zu sehen.

»Ich weiß nicht viel mehr von diesem roten Zuckerbäckermachwerk, als daß es nichts taugt«, begann Thinker nach einiger Zeit aufs neue, »und daß der alte Mohamed Ali einen seiner besten Gedanken hatte, als er den Bau der Barrage beschloß, und einen seiner schlechtesten, als er die Ausführung den Franzosen übertrug. Ansehen aber wollte ich mir das Ding doch, und da Sie in Schubra nicht zu finden waren, nahm ich die Dahabie und wollte Sie in Tantala dazu abholen. Wäre mein Patentsteuersegel nicht ein wenig in Unordnung geraten, so hätte ich Sie schon gestern abend aufgefunden. Nun mußte ich heute früh den Frack zu Hilfe nehmen.«

Wenn man, wie ich, wochenlang einsam jenseits der Grenze der Zivilisation zu arbeiten hat, so ist ein Gast aus dem Diesseits, mag er sich auch noch so wunderlich gebärden, ein freudiges Ereignis, das man dankbar begrüßt, und mit sechs Stunden oder auch mit einem geopferten Tag gerne bezahlt. Auch hatte ich ja selbst den Wunsch gehabt, die Barrage des Näheren zu besichtigen und da ich jedenfalls bis zum Abend Kairo erreichen konnte, so war mir Thinkers Vorschlag willkommen. Wir hatten die Schleuse erreicht, die sich am östlichen Ende der Brücke befindet. Eine ganze Flotte, wohl dreißig Nilboote, die der frische Morgenwind zusammengeblasen hatte, lagen entlang der sauber gepflasterten Böschung und warteten, bis die Reihe des Durchschleusens an sie kam. Der Dampfer hörte auf zu ziehen, und die Dahabie legte sich langsam an seine Seite. Ich ging nach vorn, um die nötigen Weisungen zu geben. Dort fand ich Fritschy auf einem Feldstühlchen zwischen den beiden Damen, in lebhafter Unterhaltung. Sie trieben römische Geschichte. Warnend erhob ich meinen Zeigefinger und errötend erhob er sich. Fräulein Schütz versicherte mir, daß sie in Herrn Fritschy einen hervorragenden Gelehrten entdeckt habe, der ihnen auf ihrer beabsichtigten Nilfahrt von größtem Nutzen sein könnte. Seine Mitteilungen über Kleopatras Nadel und deren Verhältnis zu Antonius seien hochinteressant gewesen.

Ich entschuldigte mich, die gemeinsamen Studien unterbrochen zu haben, und sprang auf meinen Dampfer, um für einige Minuten den Befehl zu übernehmen. Da ich die Flagge Halim Paschas führte, hatten wir das Recht, vor allen anderen Booten durchgeschleust zu werden. Ich beabsichtigte, nachdem dies geschehen war, die Boote anlegen zu lassen, um der Barrage unseren Besuch abzustatten. Mittlerweile sollte Mansur el Habeschi nach bestem Wissen und Gewissen das Schaf zurechtbraten, so daß wir bei der Rückkunft ein festliches Gabelfrühstück vorfänden. Der Koch aber machte ein sehr langes Gesicht. Das Schaf beiseite lassend, nagte meine Küche an den letzten Vorräten, die wir mit uns führten. Selbst das Salz sei auf der Neige. Abu Sa aber wußte Rat. Er hatte sich mit dem Dragoman der Dahabie rasch befreundet; beide bemächtigten sich mit seltener Zuvorkommenheit der schwierigen Aufgabe, das Festmahl vorzubereiten. Ich konnte sie den vereinten Kräften des diensteifrigen Paares vertrauensvoll überlassen und fuhr vorsichtig, die Dahabie dicht hinter mir, in die gewaltige Schleuse ein, deren eiserne Riesentore sich langsam und feierlich vor uns auftaten. Es hatte doch manchmal sein Angenehmes, unter der Flagge eines künftigen Vizekönigs zu segeln. Und die indische Prinzessin, die ich im Schlepptau führte! – Dies alles stimmte nicht übel mit der geheimnisvollen Welt des Orients, in der ich mich mit jedem Tage mehr zu Hause fühlte und die noch immer fast täglich etwas bot, das daran erinnerte, daß es eine Märchenwelt ist.


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