Max Eyth
Der Kampf um die Cheopspyramide
Max Eyth

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9. Kapitel
Leben in Gräbern

Ein köstlicheres Schlafgemach als ein Grab gibt es auf dieser Welt schwerlich, träumte Buchwald, der sich im Halbschlummer für einen alten griechischen Philosophen hielt. Dann rief er, mit wohliger Behaglichkeit: »Guten Morgen, Herr Thinker! Auferstehung!« und drehte sich nach der Felswand, um noch etwas weiter zu schlafen. Die lautlose Stille veranlaßte ihn jedoch, sich aufzurichten, und nun erst bemerkte er, daß Thinkers Feldbett leer stand und daß der helle Tag durch die Türöffnung hereindämmerte. Er war allerdings rücksichtsvoll gedämpft, als wolle er die Morgenstimmung der Langschläfer dieser Felsenhöhlen nicht stören. In den Frühstunden warf die Chefrenpyramide den Schatten eines riesigen Dreiecks über die ganze nächste Umgebung und schützte auch die Gräber vor den Strahlen der aufgehenden Sonne, während am Abend die nach Osten gekehrte Felswand, in welche die Höhlen eingehauen sind, im eigenen Schatten lag. In der weiten lybischen Wüste gab es wohl keine Stätte, sei es zum Schlafen oder zum Wachen, die sich solcher Vorzüge rühmen konnte.

Erst als der Maler in die frische Morgenluft hinausgetreten war, wurde er sich bewußt, daß ihn ein kaum merklicher Modergeruch umgeben hatte und daß ihm jetzt erst der reine Odem des jungen Tages entgegenströmte, der den Menschen bis in die Fingerspitzen mit dem Drang erfüllt, zu leben, zu genießen und zu schaffen. Das hatte wohl auch Thinker so früh herausgelockt, der auf ›seinem‹ Steine saß und dem Dragoman Audienz erteilte. Er war trotz allem nicht ganz glücklich. Sein Rasierspiegel hing zwar über zwei Tänzerinnen des Hochzeitsfestes an einem nicht ganz ungünstigen Platz, das Rasiermesser aber war durch eine rätselhafte Verkettung von Umständen in Kairo geblieben. Des weiteren berichtete Ibrahim Ben Musa, daß sich der beträchtliche Salzvorrat, den man eingekauft hatte, vielleicht im Nilwasser bei Gise aufgelöst habe; jedenfalls sei er verschwunden. Ferner: in der Nacht sei der Esel des Herrn Malers ausgebrochen und gehe in der Entfernung von etlichen Kilometern in der Wüste spazieren, was die Abwesenheit des Sais und einer reichlicheren Menge von Waschwasser erkläre. All dies war jedoch von geringer Bedeutung. Thinker verlangte von Ibrahim sechs bis zwölf Männer: Fellachin mit Hauen und Strohkörbchen, wie er sie gestern an Bewässerungsgräben hatte hantieren sehen, um seine Forschungsarbeiten ohne Verzug beginnen zu können. Der Dragoman schüttelte den Kopf bedenklich, bis er erfaßt hatte, daß sein Engländer diese Leute um jeden Preis haben wolle. Dann schmunzelte er. Wenn ihm jeder der Arbeiter aus seinem Tagelohn einen oder anderthalb Piaster bezahlte, ließen sich allerdings beträchtliche Ausgrabungen vornehmen, dachte er im stillen. Er werde sofort nach Kafr gehen, sagte er laut und geschäftseifrig, und sehen, was zu machen sei. Die Fellachin von Kafr seien zwar faul und teuer; namentlich teuer. Wenn ihnen aber Seine Hochwohlgeboren vier Piaster versprechen wollten oder fünf, und ein kleines Bakschisch – Inschallah! – so würden sie vielleicht zu bewegen sein, mit Vorsicht ein wenig zu arbeiten!

»Gut; sehr gut!« rief Thinker, hocherfreut. »Du scheinst ein geborener Unternehmer und Organisator zu sein, Ibrahim. Gehe, so schnell du kannst. Knausere nicht; ich muß die Leute haben. Und bringe sie dort an die nächste Ecke der Cheopspyramide, wo wir mit der Arbeit beginnen werden. Nimm meinen Esel. Du könntest schon längst fort sein!«

Das letztere bezweifelte Ibrahim kopfschüttelnd. Sein Herr war gut, aber zu hastig; das mußte man ihm abgewöhnen. Langsam, in tiefes Sinnen versunken, ging er nach den Zelten und berechnete, wie viel in der Woche zwölfmal anderthalb Piaster täglich für ihn ausmachten.

»Sieben mal achtzehn Piaster! Nicht übel.« Dann ging er etwas schneller.

Als Vorbereitung zum Frühstück stellte Buchwald das Feldtischchen und die zwei Stühle vor die Höhle ins Freie, was sich sehr gut ausnahm. Dann aber entstanden mannigfache Schwierigkeiten, und die beiden Anachoreten sahen zu spät, daß es nicht klug getan war, den Dragoman von seinen Berufspflichten zu entbinden und auf die Suche nach Arbeitern auszusenden. Kein noch so lautes Englisch oder Deutsch bewog den Koch, sich nach Milch umzusehen. Es gab in fingerhutgroßen Schalen heißen schwarzen arabischen Kaffee, so dick wie ein Mehlbrei, der gut und erfrischend, aber weit davon entfernt war, die gewaltige Schüssel nahrhaften Milchkaffees zu ersetzen, die zu den Lebensbedingungen Buchwalds gehörte. Ebenso entschiedenen, wenn auch nur passiven Widerstand setzte Jakub dem Wunsch Thinkers entgegen, daß schon so früh am Tage in eine Sardellenbüchse eingebrochen werden möge. Dagegen erläuterte er in längerer, fließender Ansprache den Herrn, die kein Wort davon verstanden, wie beim gestrigen denkwürdigen Nilübergang sämtliche Eier zerbrochen und in die Nachbarkiste eingedrungen seien. Dort, in der Hitze auf dem Weg nach den Pyramiden, hätten sie unbemerkt eine Art wilden Omelettes mit Schinken erzeugt, das er klagend herbeibrachte. Richtig war, daß sich auch der Schinken in einem wahrhaft jammervollen Zustand befand. Dann erschien der Sais mit dem verlorenen Esel über der Felswand und erzählte von oben herab eine lange Geschichte von seinen belohnungswürdigen Anstrengungen. Den Esel habe allerdings schließlich ein Mann aus dem benachbarten Abusir gefunden, der jetzt bei den Zelten warte, um sein wohlverdientes Bakschisch in Empfang zu nehmen. Manchmal glaubte Thinker Anklänge an hebräische Worte zu hören, die ihm Veranlassung boten, die kühnsten Schlüsse bezüglich des Inhalts der unversieglich fließenden Mitteilungen zu ziehen. Aufs freudigste aber begrüßten beide Einsiedler das Wiedererscheinen Ibrahims, der unerwartet bald an der Spitze von neun Mann hinter der südwestlichen Ecke der Chefrenpyramide auftauchte. Als die Truppe näher herangekommen war, stellte sich allerdings heraus, daß die Mehrzahl der erwarteten Männer kleine Jungen, drei davon sogar Mädchen waren. Fünfe der Schar hatten jedoch Hacken, und alle Strohkörbchen. Für einen Anfang war dies nicht ganz hoffnungslos.

Vor allen Dingen wurde der Sais auf dem wiedergefundenen Esel nach Kairo abgesandt. Einen langen Zettel, den er dem Direktor des Hotels Shepheard zeigen sollte, verbarg er sorgfältig unter seinem Tarbusch. Buchwald hatte die Liste der augenblicklichen Bedürfnisse mit Hilfe der ganzen Gesellschaft angefertigt. Sie begann: ein Rasiermesser, vierzig Eier, einen kleinen Schinken, einen Thermometer, einen kupfernen Kochtopf, vier Pfund Makkaroni, Rauchkerzchen gegen den Modergeruch in unseren Gräbern, und so weiter. Trotz aller Fürsorge hatte man in der Tat mancherlei vergessen, wie sich jetzt herausstellte. Um so tröstlicher war, daß der Sais bis gegen Abend zurück zu sein versprach.

Damit waren die häuslichen Sorgen für heute erledigt; man konnte freien Geistes an die ernsteren Aufgaben des Tages gehen. Die Fellahmädchen voran zog die kleine Karawane singend und plaudernd dem Fuß der Cheopspyramide zu: Thinker in würdigem Schwarz, unter einem mächtigen weißen Sonnenschirm, als Feldherr, hoch zu Esel; Buchwald, neben dem seinen herschreitend, auf dessen Sattel Malkasten, Stuhl und Schirm befestigt waren. Auch er wollte den Tag nicht ohne eine Skizze vorübergehen lassen, die sich ja wohl finden würde.

An der Nordwestecke des Riesenbaus angelangt, zog Thinker die Zügel und musterte sorgfältig die Unebenheiten des sandigen Grundes, aus dem die mächtigen Kalkblöcke, welche die Kante der Pyramide bilden, in gigantischen Staffeln emporsteigen. Der Wind hatte hier den Wüstensand meterhoch angeweht, so daß die unterste Horizontalschicht des Baues völlig begraben war. Eine wellenförmige Vertiefung schien trotzdem anzudeuten, daß an dieser Stelle in früheren Jahren gegraben worden war. Hier mußte der verschwundene Eckstein gelegen haben, dessen in den Fels gehauenes Fundamentlager in erster Linie zu suchen war.

Die Entfernung des Oberflächensandes war Kinderspiel. Doch mußte eine ungewöhnlich weite Grube angelegt werden, wenn man einige Meter in die Tiefe gehen wollte, da der Sand keine steile Böschung zuließ. Die Jungen arbeiteten mit vergnüglicher Neugier; das Graben nach vermeintlichen Schätzen war ihnen keine ungewohnte Beschäftigung, und die mit ihren Körben hin- und herwandernden Mädchen sangen schrille Ghaselen eigener Dichtung, in denen das Wort Bakschisch wie gewöhnlich die Hauptrolle spielte. Der Dragoman handhabte den Stock des Sais warnend, jedoch in müder Herrscherlaune, und die beiden Forscher saßen neugierig und zufrieden am Rand der entstehenden Vertiefung, aus der nach und nach festere, mit Scherben und Knochenstückchen gemischte Erde hervorkam. Doch immer wieder schweifte ihr Blick staunend an den Seiten der Pyramide empor, wo sich die horizontalen Schichten des Bauwerks in meterhohen Treppen übereinandertürmten.

»Welche Mühe es sich gegeben haben muß, dieses Volk der Finsternis«, begann Thinker nach einer langen Pause, »die Tausende von dreieckigen Felsblöcken herunterzureißen, die seinerzeit die treppenartigen Seitenflächen bedeckten und eine glatte Oberfläche herstellten, wie wir sie noch an der Spitze der Chefrenpyramide sehen! Sie konnten halb Kairo mit den wertvollen Steinen bauen und doch findet man heute nichts mehr von ihnen in den ältesten Häusern der arabischen Stadt. Vielleicht ruhte der Fluch der Vergänglichkeit auf den Gebäuden, bei denen sie verwendet wurden. Man sagte mir, daß in den Wänden der Gama Amt, der ältesten Moschee Alt-Kairos, ein paar dieser Steine eingemauert seien. Ich gäbe viel darum, wenn es wahr wäre. Es war mein erster Ritt in Kairo, aber bis jetzt suchte ich vergeblich. Als die kunstvolle Verschalung diese Seitenwände noch bedeckte, hatte man keine Mühe, ihren Neigungswinkel auf die Sekunde zu bestimmen. Heute kann jeder aus den meterhohen Stufen, die eher einem Steinbruch gleichen, als einer Fläche, herauslesen, was er will. So kamen ein Dutzend falscher Maße in die Welt, mit denen die Herren Ägyptologen die Wahrheit verdunkeln. Zwei Dinge müssen vor allem festgestellt werden, so daß kein Zweifel mehr möglich ist: die Entfernung der Ecksteine der Pyramide oder in anderen Worten die Länge ihrer Grundfläche und der Neigungswinkel der Seitenflächen. Wenn nur ein einziger wohlerhaltener Stein der uralten Verschalung aufgefunden würde – er müßte mit Gold aufgewogen werden. Howard-Vyse soll im Jahre 1836 einen dieser Blöcke aus hartem fast marmorweißem Kalkstein ausgegraben und nach England geschickt haben. Dort lag er vielleicht in einem der Keller des britischen Museums; tatsächlich ist er in unerklärlicher Weise spurlos verschwunden. Ist es nicht manchmal, als ob die Macht des Bösen ihr Spiel treibe, um die arme Menschheit so lange als möglich im Dunkeln tappen zu lassen. Warum? Manchmal erfüllt mich diese Frage mit sündhafter Bitterkeit. – Hallo!« –

Thinker war aufgesprungen und starrte nach einer Stelle, wo in einer Entfernung von zehn Schritten zwei besonders eifrige Jungen, die in der Hauptgrube keinen Platz mehr gefunden hatten, den Sand in die Luft schleuderten. In der Tiefe von etwa eineinhalb Metern wurde die scharfe Kante eines bläulichweißen Felsblocks sichtbar.

»Hierher! Hierher!« rief er und zum erstenmal sah Buchwald, daß auch sein würdiger Freund das Gleichgewicht der Seele verlieren konnte, denn er packte zwei der Fellachin gleichzeitig am Hals und stieß sie nach der Stelle, wo die Jungen arbeiteten. Vergeblich suchte der Dragoman zu erfassen, was er übersetzen solle. Doch nach wenigen Minuten war der kleine Wirbelsturm vorüber und sämtliche Hacken damit beschäftigt, Schutt und Sand rings um den mächtigen Stein zu lockern. Thinker selbst hatte dem kleinsten der Fellachin sein Werkzeug entrissen. Er arbeitete wie drei und leistete ungefähr so viel als ein halber Fellah. Leider bedarf der Gebrauch selbst einer primitiven Hacke mehr Übung und Erfahrung als Begeisterung. Doch war nach zehn Minuten rings um den weißen Steinblock eine tiefe Grube entstanden. Er war mindestens acht Fuß lang und die regelmäßige Form seiner drei Langseiten, sowie die wunderbare Glätte der einen derselben ließen unzweifelhaft erkennen, daß hier vor Jahrhunderten einer der ersehnten Verschalungssteine liegen geblieben war.

Thinker richtete sich endlich auf und trocknete den Schweiß von der Stirn. Er schien nicht bloß erschöpft, sondern auch innerlich tief ergriffen zu sein.

»Lieber Buchwald, Sie bemerkten, wie ich seine Gegenwart ahnte!« sagte er leise. »Welcher Anfang unserer Arbeiten! Dies ist der schönste Augenblick meines Lebens. Ob uns noch schönere vorbehalten sind, weiß ich nicht. Aber wenn wir auch nichts weiter entdecken sollten, als was uns dieser erste Morgen beschied, so ist meine weite Reise, das Studium der letzten zwanzig Jahre reichlich belohnt.«

Der Maler konnte diesem Gefühlssturm nicht widerstehen. Er schüttelte Thinker heftig die Hand und beglückwünschte ihn zu dem unverhofften Erfolg.

»Sie sehen«, rief der Doktor, wieder in die Grube springend und vor dem Stein niederkniend, »wie scharf seine Kanten sind, wie unzweideutig der Winkel, die Neigung der Seitenflächen zu erkennen und zu messen ist. Der Block ist groß genug, um diesen Winkel nach Sekunden zu bestimmen. 54 Grad, 16 Minuten und 13 Sekunden erwarte ich. 54 Grad, 16 Minuten und 13 Sekunden wird er aufweisen, und damit für immer jedem Zweifel den Kopf zertreten.«

»Daß er 54 Grad hat, und etwas darüber, glaube ich mit bloßem Auge sehen zu können«, meinte der Maler, in der Hoffnung, seines Freundes Freude dadurch noch zu erhöhen. Aber er kam schlecht an.

»Nein!« sagte Thinker heftig. »Was kann das menschliche Auge anders in solchen Dingen, als uns irreführen. In solch oberflächlicher Weise darf hier nicht verfahren werden! Nicht um Grade handelt es sich, sondern um Zehntel von Sekunden. Sechzehn Sekunden werden uns wirklich gute Instrumente angeben. Das glaube und weiß ich. Aber die große Wahrheit hängt an den Dezimalen.«

Buchwald schwieg beschämt.

»Um eins aber möchte ich Sie bitten«, fuhr der Doktor fort. »Wollen Sie mir ein feierliches Versprechen geben? Wir sind hier in einem fremden Land, fern von unserer Heimat, in einem halbwilden Teil der bewohnten Erde und wissen nicht, was uns die nächsten Tage bringen mögen. Ich bin ein alter Mann und Erschütterungen wie die heutige können unerwartete Wirkungen haben. Wenn mich je etwas Menschliches befallen sollte, wollen Sie diesen Stein behüten, wie – wie Ihren Augapfel. Wollen Sie ihn nach Europa bringen und in die Hände meines Freundes und Meisters Piazzi Smyth niederlegen? Bei ihm ist er sicher, als das verehrt zu werden, was er wirklich ist – als der Schlüssel – einer der Schlüssel des großen Geheimnisses der Cheopspyramide.«

Buchwald maß den acht Fuß langen Schlüssel mit bedenklichem Blick und versprach lächelnd, zu tun, was der Doktor verlangte. Es war ihm nicht möglich, den Ernst der Aufgabe völlig zu würdigen.

»Nun kann ich ruhig sterben«, sagte dieser mit wehmütiger Freude; »das heißt, wir wollen ohne Verzug unsere Forschungen fortsetzen und den Eckstein suchen.«

Er streichelte die scharfe Kante seines marmornen Fundes noch einmal zärtlich mit der Hand, stieg aus der Grube heraus und bat Ibrahim, alle Fellachin an der Stelle zu vereinigen, wo er die Fundamentspuren vermutete, von denen schon frühere Pyramidenforscher berichtet hatten.

 

Dem Maler wurden nun aber die Grabarbeiten zu einförmig und zu unkünstlerisch. Er bat den erstaunten Thinker, ihn auf einige Stunden in Gnaden zu entlassen. Er wolle sich in der Nachbarschaft umherziehend nach eigenem Gutdünken seine Geistesnahrung suchen. Man könne ja gegen Mittag bei der Höhlenwohnung wieder zusammentreffen, um nach Küche und Keller zu sehen und während der heißen Stunden des Tags Ruhe und Erfrischung zu suchen. Damit zog er, seinen Esel mit dem Malgerät am Zügel führend, an der Nordseite der Cheopspyramide entlang. An der Ostseite der großen liegen drei kleine Pyramiden, von denen die mittlere von der Tochter des Cheops erbaut sein soll und eine Entstehungsgeschichte verewigt, die Thinker ohne Zweifel als eine Erfindung Beelzebubs entrüstet zurückgewiesen hätte. Jetzt stand das halbzertrümmerte Bauwerk bescheiden und traurig genug neben seinem riesigen Nachbar. An dieser Gruppe vorüberziehend kam Buchwald an die Kante des Tafellandes, wo der Fels gegen das Niltal hin steil abfällt. Auch hier ist das Gestein mannigfach von Grabhöhlen durchbrochen, die mit Bildwerken und Inschriften bedeckt sind. Vor dem sogenannten ›Zahlengrab‹ des Chafra, des Wächters und Priesters der großen Pyramide und seiner Gattin, der Priesterin der Neith, fühlte er sich versucht, eine Farbenskizze aufzunehmen. Doch zog ihn die Neugier weiter, und selbst der eigentümliche Tempelbau, den etwas weiter südlich Mariette vor zwei Jahren entdeckt und aus seinem fünf Meter tiefen Sandlager herausgegraben hatte, hielt ihn nicht fest. Erst vor der Sphinx blieb er stehen. In der grellen Beleuchtung des nahenden Mittags lag auf dem halb zertrümmerten Gesicht ein schmerzlicher Zug, der Buchwald eigentümlich berührte. Hier war eine treffliche Gelegenheit zu ein paar Stunden stiller Studien und einer Landschaftsskizze in Gelb und Weiß, voll grausamen Sonnenlichts. Sie konnte zu einem Bild des lebendigen Todes führen, wie es in Europa wohl nirgends gefunden werden könnte.

Rasch war der Esel an einen Stein gebunden, die fliegende Malerwerkstätte aufgebaut und die Skizze in ihren Umrissen auf der Leinwand festgelegt. Die starren Linien der toten Welt ringsumher waren einfach genug. Nicht so einfach war es, aus dem zerbröckelnden Felsgestein die uralten Züge einer verschwundenen Rasse herauszulesen, aus denen, trotz ihrer Starrheit, unverkennbar ein eigentümliches geistiges Leben sprach. Und noch schwieriger fand es Buchwald, einen Begriff von der flimmernden, errötenden Sonnenglut zu geben, die das ganze Bild überflutete und selbst die schwarzblauen Schatten durchglühte, welche an wenigen Punkten das leuchtende Gelb, das schmerzende Weiß des Gesteins unterbrachen. Doch in der Stille dieser Wüste gab es keine Zeit. Er konnte ungestört ihren Farben und Formen nachträumen und darauf warten, daß sie ihm ihr Geheimnis verrieten. Es war eine jener Stunden, in denen Künstler träumen und Träume schaffen, und Buchwald fühlte mit steigender Wärme, daß etwas zu entstehen im Begriff war, wenn ihn nichts störte. Was sollte ihn aber stören?

Darauf antwortete allerdings die Beduinenjugend aus Kafr bald genug, die längst aus vorsichtiger Entfernung die Wanderung des einsamen Fremdlings beobachtet hatte. Seitdem er sich niedergelassen, hatte sie hinter dem nächsten Sandhügel eine gedeckte Stellung eingenommen, von wo aus der eine oder andere der Jungen meist auf dem Bauche kriechend dem ahnungslosen Gegner gefährlich nahegerückt war, um dann ohne allen Grund aufzuspringen und im Sturmschritt hinter dem Hügel wieder Deckung zu suchen. Dort wurde flüsternd ein erregter Kriegsrat gehalten:

Was macht der Fremde? – Was hat er vor dem Vater des Schreckens – das ist im Mund der Araber der Name der Sphinx – niederzusitzen und mit seinem Zauberkasten zu hantieren? Er malt! Erklärte ein älterer Bursche, der schon öfter in Kairo gewesen war und Lebenserfahrung besaß. Das tun diese Ungläubigen oft. Niemand weiß, weshalb. Es ist nutzlos, was sie machen; man kann es weder essen noch trinken. Wenn es auch den Dingen ähnlich wird, die sie darstellen wollen, so ist ihr Tun nur um so unbegreiflicher. Denn der Abklatsch ist nie so gut, als das Bild, das man in einem Spiegel sieht. Und wer bezahlt ein Bild in einem Spiegel? Es ist weniger als nichts wert.

»Und doch muß der Fremde einen Zweck haben bei seinem Treiben«, sagte ein alter Mann, der mit einem halben Dutzend anderer herbeigeschlichen war. »Er scheint unter seinem Schirm hart zu arbeiten, und wer setzt sich in der Mittagshitze in die Wüste ohne Zweck? Vielleicht malt er den Vater der Schrecken, den Wächter, der unser Dorf beschützt. Das kann er nur tun, um Zauberei zu treiben. Gutes kann dabei nicht herauskommen.«

»Sein älterer Bruder treibt es noch schlimmer, hinter der großen Pyramide«, sagte einer der jüngeren. »Er gräbt Löcher in den Boden und sucht nach Schätzen. Ich komme von dort, um es euch zu sagen; mir wurde angst und bang.«

»Es sind ungläubige Hunde, alle beide«, murrte der Alte. »Der Prophet wird sie verdammen!«

»Mittlerweile können sie Menschen und Vieh mit ihren Zauberkünsten verderben!« flüsterte der Junge, hob einen Stein auf und schleuderte ihn, mit einem wunderlichen Gemisch von Angst und Wut in seinen beweglichen Gesichtszügen gegen den Maler. Gleichzeitig warf sich die ganze Gesellschaft wie auf Kommando flach auf den Bauch, so daß Buchwald nur den Stein zwei Schritte von seinem Standort niederfallen sah und daraus schließen konnte, daß er nicht ganz allein war.

Nach längerer Pause kam ein zweites Geschoß. Ein kleiner Junge sprang in einer Entfernung von zwanzig Schritten hinter einem Stein auf, rannte pfeilschnell über den nächsten Sandhügel und verschwand hinter einer Mastaba.

Wieder ein Stein, der diesmal bis vor die Füße des Malers rollte. Diese steinschleudernde Einsamkeit wurde nachgerade unbehaglich. Doch zeigte sich jetzt wenigstens ein greifbares lebendes Wesen. Ein etwa zwölfjähriges Fellahmädchen in langem blauem Hemd, mit einer Kullah – einer jener landesüblichen, porösen Wasserflaschen – im Arm kam den Hügel herunter, aus dessen Richtung die Steine geflogen waren und schritt sichtlich völlig furchtlos auf Buchwald zu. Sechs Schritte hinter ihm machte sie halt und betrachtete seine Leinwand aufmerksam. Sie schien ihr ungefährlich zu sein, denn plötzlich kam sie auf ihn zu und bot ihm mit jener schönen Bewegung, halb Schüchternheit, halb gastliches Wohlwollen, die man auf guten Bildern von Rebecca und Eleasar sieht, ihren Krug an. Er trank. Das kühle, erfrischende Nilwasser war ein köstlicher Genuß unter dem glühenden Sonnenschirm. Dann gab er dem Mädchen einen halben Piaster.

Das Bild der kleinen Rebecca war mit einem Schlage verschwunden. »Bakschisch!« schrie das Kind mit schriller Stimme und schwang das Geldstück triumphierend in der Luft. Zehn, zwölf Köpfe tauchten gleichzeitig hinter dem Sandhügel auf und bald war der Maler umgeben von einer scheinbar harmlosen, lebhaft gestikulierenden Bande von braunem Gesindel, dessen Neugier die Besorgnis vor dem Zauberer siegreich überwunden hatte. Die Zutraulichkeit der Burschen wäre schlimmer geworden, als das Steinewerfen, wenn nicht die Kleine laut erklärt hätte – was allerdings Buchwald nicht verstand –:

»Ich bin deine Frau! Ich werde dich beschützen. Fort, ihr Söhne von Hunden!«

Sie hatte dem kleinsten Jungen einen Stock entrissen, und stellte sich tapfer vor den Maler, um den sie einen fünf Schritte weiten Kreis freihielt, wobei ihre kleine, aber scharfe Zunge eine wirksamere Waffe sein mochte als ihr Stöckchen.

Von der Stunde an hatte Buchwald auch in den folgenden Tagen einen Trabanten und eine Leibwache. Sie erschien mit ihrem Kullah morgens in aller Frühe vor den Grabkammern und verschwand abends mit der Sonne. Er sprach deutsch mit ihr, während des Malens; sie plauderte arabisch, in langen Geschichten. Natürlich verstanden sie sich mit keinem Wort, aber es ging vortrefflich. Ihren halben Piaster nahm sie jeden Abend in Empfang, ohne ihn zu fordern und ohne Scheu, als eine selbstverständliche Sache. Dafür hielt sie den Kullah gefüllt und lief eine Stunde weit ins Dorf, so oft dies nötig war. Auch mahnte sie den Esel an seine Pflicht, wenn sich das gelangweilte Tier auf den Weg machte, um einen entfernteren Dornbusch zu untersuchen. Ihre Hauptarbeit aber sah sie darin, die Beduinenjungen in achtungsvoller Entfernung zu halten. »Sei nicht bange«, sagte sie, wenn ein besonders frecher Kerl sich zu sehr herandrängte. »Bin ich nicht deine Frau? Ich werde dich beschützen.«

Gegen Mittag an jenem ersten Tag wurde die Hitze auf der kahlen Felsfläche unmenschlich, so daß auch die Fellachin, einer nach dem andern, lautlos verschwanden. Selbst die Sphinx hatte in der Beleuchtung der fast senkrechten Sonnenstrahlen einen andern Gesichtsausdruck angenommen und sah drein wie eine mürrische, halbschlummernde Negerin. Es war weniger als wertlos, an der sorgfältigen Studie weiter zu arbeiten, welche in lichtem Hellbraun aus dem satten Kobalt des wolkenlosen Himmels hervortrat. Buchwald klappte sein fliegendes Atelier zusammen und pilgerte an der Seite seines Esels, eifersüchtig gefolgt von seiner kleinen Frau, der Westseite der Chefrenpyramide zu.

Thinker erwartete ihn bereits. Er saß erschöpft, ein Bild des Jammers und der Entmutigung auf seinem Stein. Überrascht fragte Buchwald, was ihn betroffen habe.

»Nichts gefunden!« rief er ermunternd, ohne die Antwort abzuwarten. »Aber mein lieber Herr Thinker, Sie können nicht erwarten, alle halbe Stunden einen Marmorblock der Verschalung zu entdecken. Wenn sie nicht bis aufs Fundament des Ecksteins gekommen sind, so ist es auch noch nicht aller Tage Abend, nicht einmal des heutigen.«

»Da haben Sie ohne Zweifel recht«, entgegnete der Gelehrte, sich den Schweiß von der Stirne trocknend. »Was aber kann ich ohne Leute machen, wenn ich bis zum Abend aller Tage hier sitze. Sie waren kaum ein Stündchen weg, so lief mir die ganze Gesellschaft ohne weiteres davon. Das sei zu harte Arbeit, meinten sie. Der Älteste der Leute erklärte dem Dragoman, man könne nicht wissen, ob sie nicht den Afrit der großen Pyramide erzürnten und den Vater der Schrecken aufweckten, wenn sie am Fuß seines Hauses unter dem Befehl eines Ungläubigen herumkratzten. Hat Effendini dies Werk befohlen, fragten sie mich. Hast du einen Firman vom Sultan? Hast du uns ein Bakschisch gegeben, als wir den großen Stein für dich ausgruben? Sollen wir uns und unsere Kinder arm und unglücklich machen, weil es dir beliebt, hier nach Schätzen zu graben?«

»Und weit mehr!« fiel Ibrahim ben Musa ein, der mit feuchtem Bart aus der improvisierten Küche und Speisekammer herauskam, in der sein Bruder, der Koch, wirtschaftete. »Dinge, die ich nicht zu verdolmetschen wage. Ich fürchte, wir werden sie nicht mehr sehen, diese Lumpen. Es sind Söhne von Schweinen.«

Buchwald traute dem würdigen Greis nicht ganz. Sein scharfes Malerauge sah in den niedergeschlagenen Lidern des Alten ein listiges Zucken, das ihm nicht gefiel. Für den Augenblick aber ließ sich nichts anderes machen, als das Nötigste: Denn auch an Thinkers gedrückter Stimmung war vielleicht mehr der Hunger schuld, als das mißglückte Ende der Vormittagsarbeit. Wurde doch selbst Buchwalds Farbenskizze, für die er ein begeistertes Lob erwartet hatte, ungnädig aufgenommen.

»Warum malen Sie dieses verdrießliche Götzenbild«, sagte der Engländer halb zornig, »an das schon Moses gedacht hat, als ihm dort drüben am Sinai der Herr befahl: Du sollst dir keine andern Götter neben mir machen. Sie finden auf diesem Totenfeld so einzig Großes und Schönes zu malen, und verlieren ihren ersten Morgen auf diese Weise! Lichteffekt, sagen Sie? Ich kenne nur einen Lichteffekt, und der kommt von dort!« –

Dabei deutete er nach der Spitze der Cheopspyramide.

Es war ein Glück, daß der Koch die Suppe brachte, denn mit ihr stellte sich auch bei Thinker wieder menschlicheres Denken und Fühlen ein. Jakub schien in der Tat der Beste des Musaschen Kleeblatts zu sein. Er hatte trotz der fehlenden Eier eine ganz erträgliche Mahlzeit zustande gebracht, an der sich im Hintergrund auch Buchwalds kleine Frau beteiligte. Sie hieß Haifa und war die Schwester des Imams von Kafr, erklärte der Dragoman, der sie zuerst zu treten versucht hatte, dafür aber Buchwalds Faust zu sehen bekam, vor der er eine instinktive Abneigung empfand. Die Kleine hatte ihr Harem in einer benachbarten Felsritze aufgeschlagen und ließ sich dort bedienen wie eine Prinzessin. Ihre Erziehung in einer Fellahhütte am Rand der Wüste mochte manch kleine Untugend entschuldigen – schüchtern war sie nicht.

Nach Tisch – wenn es erlaubt ist, diese Redeform im Zusammenhang mit Thinkers Riesenkoffer zu gebrauchen, auf dem kunstvoll gespeist wurde, nachdem sich das blecherne Feldtischchen zu diesem Zweck für zu klein erwiesen hatte – nach Tisch hatten die zwei Anachoreten Gelegenheit, ihre Grabwohnung von der idealsten Seite kennen zu lernen. Das dämmerige Halbdunkel, die köstliche Kühle, die Freiheit von Moskitos und andern Lebewesen verwandter Art boten den Genuß einer Mittagsruhe, wie ihn kein Vizekönig, kein Khalif sich hätte besser wünschen können. Dabei mit halbgeschlossenen Augen den in Stein verewigten Hochzeitstanz zu verfolgen, der vor viertausend Jahren das Fest einer Prinzessin von Arsinoë geziert haben mochte, oder die Gänse zu zählen, die zu jener Zeit der Stolz eines heimlichen Rats – Name unleserlich – des Königs beider Ägypten gewesen waren, und dann hinüberzusegeln in das Reich der Träume, in dem sich Gänse und Prinzessinnen im Gewirr blaugrüner indischer Blumen verloren, denn den Träumen ist auch die träumerischste Wirklichkeit nicht fern genug! – Leider waren beide Einsiedler noch zu wenig an die süßen Pflichten einer morgenländischen Mittagsruhe gewöhnt und lagen bald wieder mit offenen Augen auf ihren Bettstätten, die Lage der Dinge erwägend.

»Das einzig Richtige ist, Onkel!« rief, sich vergessend, plötzlich Buchwald, indem er wie eine ausgelöste Stahlfeder aufsprang, »den Schech von Kafr aufzusuchen, und ihn für die Graberei zu interessieren.«

Dann wurde er sehr rot, während Thinker sich langsam erhob, und ihn erstaunt ansah.

»Träumen Sie öfter von Ihren Anverwandten?« fragte er in aller Unbefangenheit. »Es ist ein gutes Zeichen für einen jungen Mann, lieber Buchwald. Aber es muß schmerzlich sein, so weit entfernt von teuren Angehörigen plötzlich zu erwachen und dazu in einem Grab. Ich hoffe, daß Sie mir kein Heimweh bekommen.«

Buchwald lachte künstlich, gab aber keine weiteren Aufschlüsse über seine Familienverhältnisse. Er hatte die unangenehme Empfindung, seit kurzem der ehrliche Mensch nicht mehr zu sein, der so hoffnungslos unglücklich gewesen war.

»Ich glaubte, anderswo zu sein«, sagte er ausweichend. »Was ich sagen wollte, – ich habe es aus Reisebeschreibungen älteren Datums –: in diesen Ländern ist nichts zu machen, wenn man sich nicht auf die Obrigkeit des Distrikts stützen kann. Deshalb schlage ich vor, wir reiten heute abend nach Kafr hinunter und machen dem Dorfschech unsere Aufwartung. Es hätte gestern schon geschehen sollen. Wenn uns jemand die Leute verschaffen kann, die Sie brauchen, so ist es dieser Herr.«

Der Gedanke lenkte Thinkers ganze Aufmerksamkeit auf seine große Aufgabe zurück.

»Wahrhaftig, Sie haben recht«, rief er freudig. »Ich betrachte es als eine wahre Fügung, daß ich Sie gefunden habe, mein Freund! Auf, zu Pferde!«

Auch Ibrahim ben Musa, der rasch geweckt wurde, hielt zum erstenmal einen Vorschlag Buchwalds für nicht ganz unausführbar, schien ihm sogar mehr und mehr Geschmack abzugewinnen, während er leise murmelnd Pläne überdachte wie er bei den bevorstehenden Verhandlungen den eigenen Vorteil sichern könnte. Das Ergebnis seines Sinnens war offenbar befriedigend. Sonst hätte ihn die Tatsache sichtlicher verstimmt, daß er eine Viertelstunde später zu Fuß hinter den zwei Eseln seiner Herren in leichtem Trabe folgen mußte, da der Sais mit dem dritten Esel vor Abend nicht zurückerwartet werden konnte.

In einer kleinen, aber warmen halben Stunde war das Lehmhüttendörfchen am Fuße des Pyramidenhügels erreicht. Die kleine Haifa war eine wichtige Persönlichkeit geworden und führte die Gesellschaft nach dem Haus des Schechs, der einzigen Lehmhütte des Orts, die sich eines ersten Stockwerks rühmen konnte. Dort hinter zwei grünen Fensterläden befand sich das Harem des Dorfoberhauptes. Es ruhte noch alles in sanftem Mittagsschlummer und nur langsam sammelte sich das übliche Gefolge von Fellachin beiderlei Geschlechts um die kleine Karawane. Auch hatte der Dragoman längere Zeit den Klopfer an der grünen Haustüre in Bewegung zu setzen, ehe ein Diener erschien und den ungewohnten Besuch in den Hof hinter dem Hause führte, eine Binsenmatte auf eine Lehmbank warf und die Fremden einlud, Platz zu nehmen. Nach weiteren zehn Minuten brachte er drei Täßchen brennend heißen Kaffees, die man nach feierlicher Verneigung, dem Beispiel des Dragomans folgend, schlürfte. Dann öffnete sich das kleine Hinterpförtchen des Hauses und der Schech erschien in eigener Person: ein würdiger alter Herr in grünem Turban und braunem Kaftan. Er begrüßte seine Gäste mit stiller Feierlichkeit und einem Anstande, der Buchwald in Verlegenheit versetzte. Man fühlte, trotz aller Ärmlichkeit, in diesen Bettlern eine tausendjährige Kultur, von deren Feinheiten wir Europäer keinen Begriff haben. Dann winkte der Schech Thinker, neben ihm auf der Lehmbank Platz zu nehmen, während für Buchwald ein zerbrochener Strohsessel gebracht wurde. Schließlich befahl er seinem Sais, die Dorfbevölkerung ein wenig zum Hof hinauszujagen, und noch etwas Kaffee zu bringen. Erst nachdem sich all dies mit bedächtiger Ruhe abgespielt hatte, wandte er sich fragend an Ibrahim ben Musa.


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