Max Eyth
Der Kampf um die Cheopspyramide
Max Eyth

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Teil

Luft

            Ein Erdenkind, trotz deinem Elfenleibe
Und Elfensinn, bald trotzig, bald verzagend;
In Ernst und Spiel die tollsten Streiche wagend,
Als wär' das Leben nur zum Zeitvertreibe.

Ruhloses Nichts, kennst du das Wörtchen: Bleibe?
An jedem Stein ohnmächtig dich zerschlagend,
Dann jubelnd welkes Laub gen Himmel tragend,
Als wär dir nicht zu hoch die Sonnenscheibe.

Doch immer wieder zieht dich's erdenwärts.
So dringst du auch ins arme Menschenherz
Und hilfst ihm pochen, ohne Rast und Ruh.

Es brennt in dir, es lebt und stirbt mit dir,
Es irrt, wie du, durch alle Himmel schier,
Denn ach, es ist ein Erdenkind, wie du.


15. Kapitel
Im Schweiß deines Angesichts

Es wurde unerträglich. Noch nie war ich in einer ähnlichen Lage gewesen; noch nie in meinem Leben hatte mich eine solch beängstigende Beklemmung niedergedrückt. Wir krochen auf allen vieren weiter, wobei ich meine Willenskraft tüchtig zusammennehmen mußte, um die bleischweren Beine nachzuschleppen. Die Decke schien sich immer tiefer herabzusenken, die Wände des Ganges rückten enger zusammen. Dabei war es stockfinster. Mein eigenes Lämpchen erhellte kaum einige Quadratdezimeter des fingerdicken, modrigen Staubs, in dem bei jedem Ausgreifen die Hand versank. Von dem Licht meines Vordermanns sah ich, über mir, nur von Zeit zu Zeit einen Schimmer zwischen seinem Leib und den Armen hindurchzittern, die sich mammutartig fortbewegten; denn alles Gefühl für Größenverhältnisse war mir entschwunden. Es ging steil aufwärts.

»Wo sind wir eigentlich?« fragte ich mit halberstickter Stimme.

»Im südlichen Luftkanal der Königskammer!« keuchte Joe Thinker, der mich in seinem Eifer gelegentlich von hinten anstieß. »Unter einem Winkel von neunundzwanzig Grad achtundfünfzig Minuten und einundfünfzig Sekunden aufsteigend. Genau die geographische Breite der Pyramide.«

»Luftkanal!« höhnte ein dünnes zitterndes Stimmchen vor uns. »Luftkanal! O ihr blinden Blindenführer! Aber still! Hört ihr ihn?«

Wir hielten an und wagten kaum zu atmen. Durch die Todesstille konnte man ein knisterndes Geräusch vernehmen, ähnlich dem, das wir selbst beim Vorwärtskriechen gemacht hatten. Meine Beklemmung wurde immer peinlicher. Eine unerklärliche Angst schnürte mir die Kehle zu.

»Wer ist es?« brachte ich endlich heraus.

»Der alte Cheops«, antwortete die dünne Stimme vor mir, kaum hörbar. »Heut oder nie! Er kriecht alle fünfundfünfzig Jahre aus der Grabkammer zu seinen Schätzen, der versteckte Halunke. Endlich sind wir ihm auf der Ferse.«

»Um Gottes willen – und wer sind denn Sie?« fragte ich, im Vollgefühl einer hilflosen Verwirrung.

»Ich? – Kennt mich niemand mehr?« fragte das Stimmchen hochmütig. Gleichzeitig merkte ich, daß sich der Mann aufrichten wollte, aber mit dem Hinterkopf heftig an die Decke stieß. Es war ein Glück, daß er einen Turban trug, was uns der weiche Klang des Aufschlagens verriet. Er schüttelte sich zornig und sah über die linke Schulter. Zwei Katzenaugen glühten im Dunkel wie brennende Kohlen; nur grün.

»Wer ich sei?« wiederholte er. »In den Staub, junger Mann! Ich bin Al Mamun der Kalif, der Sohn Haruns, des Gerechten. Auf die Knie, Christ! hätte ich Ihnen vor tausend Jahren zugerufen. Übrigens sind Sie es schon«, setzte er etwas ruhiger hinzu.

»Vorwärts, vorwärts!« rief Thinker hinter mir. »Heute ist der fünfte Tag des fünften Monats im zweimal fünfhundertundfünfundfünfzigsten Jahr, wenn ich richtig rechne, seitdem Eure Majestät das heilige Gebäude erbrachen. Jedenfalls kommt jetzt meine Generation an die Reihe, und ich glaube selbst: Sie haben recht. Es ist der nie genug zu verehrende Cheops, der Neffe Melchisedeks, der uns voran kriecht.«

»Ja Salaam, Herr Doktor, nicht so laut! Er darf nicht merken, daß wir ihm folgen«, flüsterte der Kalif ängstlich, aber gierig weiterkriechend. »Rubine, Saphire, Smaragde – Edelsteine ohne Zahl, und Gold – es prickelt mir in allen Fingern – Gold – Gold wird er uns zeigen!«

»Er wird uns offenbaren, was seit Jahrtausenden verborgen lag«, rief Thinker, alle Vorsicht vergessend, indem er mich rücksichtslos vorwärts stieß. O du Weisester der Weisen, Licht! – Licht!

Mit meinen Kräften war es zu Ende. Ich machte noch einen letzten verzweifelten Versuch, mich vorwärts zu schieben, und sank dann auf die Steinplatten. Aber im selben Augenblick wurde es tageshell.

»Es war doch der Luftkanal; wir sind durch!« schrie Thinker, jubelnd.

»Wieder betrogen!« kreischte Mamun und kollerte in wilden Sätzen über die Stufen der Pyramide in die Tiefe.

Ich riß die Augen auf so weit ich konnte. Ein schwarzes, entsetztes Gesicht starrte mich an; eine schüchterne, fast zärtlich weiche Hand lag auf meiner Schulter. Es war Mansur el Habeschi, der Koch, der den Morgenkaffee hereingebracht hatte und mich in den Kleidern, den Kopf nach unten, auf dem Diwan des Speisezimmers fand. Er war heftig erschrocken. Derartiges war bisher nie vorgekommen. Jetzt schmunzelte er. Der Baschmahandi trank nicht; sollte er an Haschisch geraten sein? – Die ersten Strahlen der Morgensonne fielen mir durch das Laub der Orangenbäume vor meinem Fenster voll ins Gesicht. Kein Wunder, daß es in meinem verrückten Traum hell geworden war. Nun war es vorüber. Ich schüttelte mich und trat in den strahlenden Garten hinaus, in dem ein frischer Morgenwind die Blätter der Bananen und Palmen sanft hin und her wiegte. Ja, Gott sei Dank, diese Hirngespinste lagen hinter mir!

Eine halbe Stunde später war ich auf dem Wege nach unsern Baumwollfeldern bei Damanur, ein paar Kilometer unterhalb Schubras. Ich hatte mein Pferd satteln lassen, obgleich an einem arbeitsvollen Tage, wie es der kommende zu werden versprach, ein Esel für meine und andere ägyptische Verhältnisse bequemer und nützlicher gewesen wäre. Aber ich wollte so schnell als möglich aus dem Dunstkreis dieser Nacht herauskommen, und hierfür war ein Morgenritt auf dem munteren, etwas eigenwilligen Araber, den mir Halim Pascha geschenkt hatte, geeigneter. Hinter den Haremsgärten von Schubra öffnet sich das flache Land des Deltas, das die Bahn nach Alexandrien durchschneidet. Entlang derselben läuft ein leidlich gepflegter Weg. Dort ließ ich das Pferd laufen, und als mir ein Eisenbahnzug in den Rücken kam, brauchte ich nicht dafür sorgen, daß wir schnell genug vorwärts kamen. Keuchend blieb mein armer Sais zurück, der sonst mit jedem galoppierenden Pferd Schritt zu halten wußte, ehe ich das Tier zum Stehen bringen konnte, das mit seinen klugen verwunderten Augen dem Zuge folgte, bis er in weiter Ferne, im Blaugrün der aufsprossenden Baumwollfelder verschwunden war.

Dort drüben hinter dem Erdhügel, unter welchem eine kleine altägyptische Stadt begraben sein mochte, lag das einzige kahle Feld des großen, wohlbebauten Gutes, auf dem zur Zeit experimentiert werden konnte. Mais, Weizen und Klee bedeckten alles übrige mit üppigem Grün, und endlose Reihen von Baumwollstauden sprossten aus den hochgewölbten Beeten, welche mit dem uralten Einzinkenpflug und mühseliger Handarbeit hergestellt werden mußten. Die altägyptischen Werkzeuge schienen den Fellachin hierfür noch immer die geeignetsten, wenn sich die Leute auch den Dampfpflug für die harte Arbeit des ersten Aufbrechens des Bodens gefallen ließen, sobald die Erde für ihren ägyptischen Pflug zu trocken geworden war. Doch selbst hinter dem Dampfpflug waren Hunderte von Leuten wochenlang beschäftigt, die Beete zu formen, in welche die Baumwollsaat gelegt werden mußte, und die dazwischenliegenden Furchen zu vertiefen und zu säubern, in denen dem keimenden Pflänzchen das lebenspendende Wasser zugeführt wurde.

Die in dieser Weise beschäftigten Arbeiter waren mir seit meinem ersten Frühling am Nil ein Dorn im Auge gewesen, wenn auch damals Fellachenarbeit spottbillig zu haben war. Man lächelte über mich: Ich verstehe dieses Land noch nicht. Als aber der Baumwollsturm der sechziger Jahre über das Delta brauste und zugleich der Suezkanal Tausende von Arbeitskräften verschlang, fing man auch in hohen und höchsten Kreisen an, Fellaharme zu zählen. Es war nicht schwierig gewesen, Halim Pascha, der ein paar Jahre weiter voraussah als seine Landsleute, zu überreden, mich einen Versuch mit einem Dampfkultivator machen zu lassen, der diese Arbeit des Schollenbrechens, Beeteformens und Gräbenziehens mit einem Schlage verrichten sollte, und der, wenn er, wie ich beabsichtigte, drei Gräben gleichzeitig herstellte, die Arbeit von achtzig Leuten ersetzen konnte.

Dies war der Gedanke, der mich vor einem Jahr in lebhafte Erregung versetzt hatte. Es ließ sich ja alles mögliche Schöne davon erwarten. Man glaubt in jüngeren Jahren leicht und fest, achtzig Menschen glücklich zu machen, wenn man eine Maschine in die Welt stellt, die ihnen die Arbeit abnimmt. Auch gehört der erste Akt des Erfindens zu den höchsten Genüssen, die das Leben zu bieten vermag, ganz abgesehen von den Hoffnungen und Illusionen, die ihn wie liebliche, goldschimmernde Luftspiegelungen umgeben. Auf dem Papier sah alles vortrefflich aus: der gewaltige Rahmen des Gerätes, die Art wie er gesteuert und gedreht werden sollte, die drei Furchenpflüge, welche die Gräben auswerfen mußten, die wuchtigen Stachelwalzen zwischen den Pflügen, die die Schollen zu zerbrechen und die Beete zu formen hatten. Selbst Halim Pascha konnte es kaum erwarten, diesen neuesten Triumph seiner Schubraer Musterwirtschaft in Tätigkeit zu sehen. Denn er war, wie Mohamed Ali, sein großer Vater, von Zeit zu Zeit mit Leib und Seele Landwirt und kannte die Bedürfnisse seines heimatlichen Bodens wie nicht viele seinesgleichen. So wurden die Zeichnungen des Apparates vor einem Dreivierteljahr mit dem dringenden Ersuchen nach England geschickt, die Ausführung schleunigst in Angriff zu nehmen und die Geräte bis spätestens November, zu Anfang der Pflug- und Pflanzzeit, in Alexandrien abzuliefern. Versuche in England machen zu lassen wäre fast wertlos gewesen, denn dort fehlten alle entsprechenden Vorbedingungen und damit auch das Verständnis für die Brauchbarkeit der Maschine. In üblicher Weise traten alle erdenklichen Verzögerungen ein, so daß aus November Februar geworden und die wichtigste Jahreszeit für den Gebrauch des ersehnten Baumwollpflugs verpaßt war. Vor vierzehn Tagen endlich kam die Nachricht aus Alexandrien, daß auf den Bergen von Maschinen, die sich seit zwei Jahren im dortigen ›Arsenal‹ anhäuften, unerklärliche Eisenteile gefunden werden, die vielleicht nach Schubra gehörten. Die Begleitscheine seien mit vielem andern verloren gegangen. Allah fügte es, daß sich alles zusammenfand und nun sollten in dem einzig übriggebliebenen Felde die ersten Proben mit dem neuen Werkzeuge gemacht werden. Der sonnverbrannte, steinharte Boden war allerdings geeignet genug, seine Leistungsfähigkeit aufs schwerste zu prüfen.

Dort stand es nun, zwischen den zwei behaglich rauchenden Dampfpflugmaschinen, hübsch rot und blau angestrichen, umgeben von dem Trüpplein der Araber, welche die Bemannung des Dampfpflugs ausmachten und neugierig wie Kinder das Riesenspielzeug betrachteten. Sie waren offenbar mit seiner Zusammenstellung kaum fertig geworden, denn Hämmer und Schlüssel lagen noch ringsumher. Die Zugseile der Dampfmaschinen waren noch nicht angehakt, und ein paar Leute hämmerten unter dem Apparat, während ich vom Pferde stieg. Als ich auf sie zutrat, tauchte Fritschys rosiges Gesicht röter als gewöhnlich und freundlich grinsend unter dem wuchtigen Gestell auf.

»Tausend alle Welt, Fritschy, seit wann sind Sie hier«, rief ich, denn ich hatte meinen Monteur seit vierzehn Tagen nicht mehr gesehen. Mit dem raschen Instinkt seiner Klasse fühlte er, daß sich ein Donnerwetter über seinem Kopf zusammenzuziehen drohte. Aber er war der Gefahr gewachsen. Mit einem Schwung saß er auf dem hohen Sitz des Kultivators, probierte das Steuerrad und begann von oben herunter zutraulich und wohlwollend mit mir zu parlamentieren.

»Seit gestern nachmittag, Monsieur, s'il vous plaît, – und ein wahres Glück dazu! Die Kerle hatten alle drei Pflüge verkehrt angeschraubt, so daß sie rückwärts hätten fahren müssen, um eine Furche zu ziehen. Nun kann's losgehen! Gestern abend sah das Ding aus, wie ein verrückter Seekrebs. Heute hat es wenigstens ein menschliches Aussehen. Man weiß, wo Kopf und Schwanz ist; man sieht, wo es hin will.«

Er betrachtete sein Werk wohlgefällig, denn er wußte, je länger ich in ähnlicher Weise beschäftigt war, um so sicherer mußte sich das Gewitter verziehen, ohne Schaden zu tun. Man war zu jener Zeit in Ägypten gezwungen, mit brauchbaren Leuten vorsichtig umzugehen, so daß ich mich manchmal nicht ungern stellte, als merkte ich das Spiel nicht.

»Wirklich – er sieht nicht schlecht aus!« sagte ich nach einer Pause, während ich mit schwer zu verhehlender Befriedigung die Gestalt betrachtete, die meine Idee angenommen hatte. Etwas überrascht steht man in solchen Augenblicken immer vor dem eigenen Werk.

»Er sieht aus, als ob man die Welt damit linieren könnte«, bestätigte Fritschy, mit vielleicht erheuchelter Begeisterung. »Hakt die Seile ein, ihr Faulpelze!« rief er den Fellachin zu, die uns mit offenen Mäulern zuhörten. »Es geht doch nichts über ägyptische Esel. Alle drei Pflüge sahen nach rückwärts, so wahr ich hier sitze! Sie sind in Schubra auch nicht klüger als in Thalia, wo der Nasir in der Rauchkammer seiner Lokomobile Feuer anzünden ließ.«

»Das bringt mich drauf, Fritschy«, begann ich jetzt ernst, »wo in Kuckucks Namen waren Sie in den letzten vierzehn Tagen?«

»Ich?« fragte Fritschy erstaunt. »Haben Sie mich nicht an die Engländer verliehen?«

»Auf zwei, drei Tage, ja«, versetzte ich entrüstet; »aber nicht auf ebensoviele Wochen. Und ohne mir ein Wort zu sagen! Das geht denn doch –«

»Übers Bohnenlied«, half mir der freche Bursche. »So sagt Meister Hubbe in Stuttgart auch. Ich bin ganz Ihrer Ansicht, Herr Eyth, und bitte Sie um Verzeihung, wenn dies nötig sein sollte. Aber Sie sind selbst schuld daran. Seit vierzehn Tagen lebte ich in Todesängsten, aus verschiedenen Gründen, und in der jüngsten Zeit mehr als einmal in Lebensgefahr. An der Barrage unten gings noch an. Dort mußte ich Stangen schießen und lernte tauchen wie ein Nilpferd. Das ganze Zementlager des verdammten Bauwerks habe ich abgeschnitten, drei Meter unter Wasser. Fragen Sie Fräulein Schütz! Alles aber hat seine Grenzen. Die Pyramide war mir zuviel! – In pechschwarzer Nacht, in Gräbern herumkriechen mit Frauenzimmern! – Nicht, daß es nicht durchaus anständig zuging – alle Achtung! – zu sehr! – Sind Sie schon einmal von der Großen in zehn Minuten heruntergeklettert, mit einer Dame im Arm, weil sich unten zwei alte Gentlemen in den Haaren lagen?«

»Warum, alle Wetter, sind Sie nicht zurückgekommen, wenn Ihnen das alles so mißfiel?« fragte ich.

»Bin ich nicht hier?« war die vorwurfsvolle Gegenfrage. »Habe ich mich nicht förmlich geflüchtet, gestern nachmittag, während alles schlief und mich ohne weiteres in diesem einsamen Versteck von einem Feld an die Arbeit gemacht, wo Ihnen die Fellachin jeden Pflug verkehrt angeschraubt hatten? Machen Sie mit mir was Sie wollen, Herr Eyth. Schicken Sie mich sobald als möglich nach Thalia zurück oder nach Oberägypten oder nach Timbuktu. Nach Kairo gehe ich nicht mehr, ehe der Wind umgeschlagen hat und eine gewisse Dahabie abgesegelt ist. Es ist zu gefährlich für mich.«

Daß es Fritschy zur Hälfte ernst war, daß er zur anderen Hälfte Theater spielte, ließ sich vermuten. Er war eben doch ein halber Franzose und hatte dabei etwas von der treuherzigen Frechheit des Alemannen, der man nicht lange böse sein konnte, selbst wenn es sich um ernstere Dinge gehandelt hätte.

»Sie haben Narrenglück«, sagte ich deshalb nach dem mißlungenen Versuch, eine strenge Amtsmiene zu bewahren. »Nach allem, was ich von Thalia erfahre, ist dort in Ihrer Abwesenheit kein vernichtendes Unglück passiert. Der Dampfpflug scheint stillzustehen und die Pumpe arbeitet noch, beides zur vollen Zufriedenheit des Nasirs, so daß Sie ebensogut in Gise und Kaliub als dort unten aufgehoben waren. Und Monier, der Güterdirektor von El Mutana, wegen dessen ich Sie mitnahm, schreibt, daß er vor drei Wochen nicht hier sein könne. Also ist auch in dieser Sache nichts verloren. Das Klügste ist, Sie bleiben vorläufig, wo Sie sind, und helfen mir experimentieren. Alle Hände voll zu tun findet sich in und um Schubra immer, und das scheint mir das Beste für uns alle.«

»Nom de dieu!« rief der Monteur plötzlich und sprang von seinem Sitz auf, doch blieb er auf dem Geräte stehen, schützte seine Augen vor der Sonne, die ihm voll ins Gesicht schien, und blickte gegen Schubra. Auf dem Weg von den Palastgärten her sah man zwei Esel, die in raschem Trab auf uns zukamen.

»Er ist allein«, murmelte Fritschy. »Das ist wenigstens etwas.«

»Wer?« fragte ich. »Können Sie die Leute erkennen? Das ist kaum möglich, auf diese Entfernung.«

Fritschy setzte sich wieder, halb ergeben, halb trotzig.

»Den gelben Dragoman kenne ich auf zehn Kilometer!« sagte er. »Es ist Mister Ben, wie sie ihn bei Shepheards heißen, Ben Thinker. Ich wette, er sucht mich. Aber, Herr Eyth –: was Sie sagten, war ein Versprechen. Ich lasse mich nicht mehr ausleihen. Sklaverei ist abgeschafft unter dem neuen Vizekönig. Und wir haben alle Hände voll zu tun, in und um Schubra; hieß es nicht so? Bon! Dann will ich's abwarten. – Sollen wir losfahren? He, ihr Lumpen« – dies ging die Fellachin an – »marsch auf die Maschinen!«

Er warf eine nicht allzu kleine Erdscholle nach einem der Maschinisten und traf ihn sehr geschickt zwischen die Schulterblätter. Der Mann sah sich einen Augenblick zornig um; da aber all seine Freunde lachten, lachte er auch und galoppierte gutmütig der fernen Maschine zu, um seines Amts zu walten. Ehe er sie erreicht hatte, kamen die zwei Reiter quer über das Feld auf uns zu. Ben Thinker stieg rasch ab, trocknete sich den Schweiß von der Stirne und begrüßte mich mit lebhaftem Händeschütteln.

»Lord bless you – Gott segne euch!« rief er, sichtlich hocherfreut; »hier sind Sie ja alle beisammen! Den einen suche ich, den andern finde ich. Glück muß der Mensch haben. Wie geht es Ihnen, Herr Eyth. Tausend noch einmal, was ist das für eine Riesenlandkrabbe?«

Ben war in seiner gewöhnlichen Stimmung, die ihn überall mit Glücksfällen überschüttete, voller Lebens- und Tatenlust. Er stieg, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, auf den Kultivator, setzte sich neben Fritschy und begann, das Instrument zu studieren.

»Sehr gut, sehr gut!« sagte er nach einer kurzen Pause. »Kräftig genug, um unserer guten Mutter Erde alle Eingeweide aus dem Leib zu reißen und Hackfleisch daraus zu machen. Das ist der einzige Fehler von Fowler und seinen Leuten; ich kenne es von Schottland her. Ihr glaubt, es sei eure Lebensaufgabe, die Welt umzudrehen und auf den Kopf zu stellen. Manchmal mag dies ja gut sein, aber nicht überall. – Nun hören Sie einmal, Herr Eyth: lassen Sie das alles liegen und stehen; es ist das einzig richtige für die nächsten paar Jahre. Haben Sie mein Briefchen erhalten?«

»Gestern abend, Herr Thinker«, antwortete ich; »und ich beabsichtige halb und halb, Sie morgen in Kairo aufzusuchen.«

»Und mit Ihnen, lieber Fritschy habe ich wirklich ein ernstes Wort zu reden«, wandte sich der Engländer an den verlegenen hin und herrückenden Monteur. »Als ich gestern abend nach Ihnen sah, waren Sie verschwunden, spurlos, in den Boden gesunken. Ich brauchte Sie notwendig, um das Modell meines neuen Nadelgewehrs abzuändern. Sie blieben verschwunden. Selbst Fräulein Schütz wußte Sie nicht zu finden und machte ein Gesicht, als ob sie auch etwas abzuändern hätte. Ich habe noch nie einen unangenehmeren Abend zugebracht. Das geht nicht. Man verläßt seine guten Freunde nicht wie ein Dieb in der Nacht, während sie einen kleinen Mittagsschlaf halten. – Gestern abend?« wandte sich der ruhelose Mann wieder an mich, als ob all das nur ein nebensächlicher Zwischensatz gewesen wäre. »Echt ägyptisch! Ich gab den Brief vorgestern, morgens um neun Uhr, auf die Post, und Sie erhalten ihn gestern nacht. Zehn Stunden für viereinhalb Kilometer! Und dann wollen Sie mich – halb und halb – übermorgen – aufsuchen! Lieber Herr Eyth, weiß man hierzulande daß wir im neunzehnten Jahrhundert leben? Aber ich glaube wahrhaftig, daß man in diesem verkommenen Kulturland so wenig ahnt wie man mit der Zeit, als wie man mit dem Wasser umzugehen hat.«

»Ich dachte bisher, die alten Ägypter wüßten mehr vom Wasser als die heutigen Engländer«, entgegnete ich ruhig.

»Sagen Sie Franzosen, und wir sind einig!« rief Thinker eifrig. »Stellen diese Leute das größte Stauwerk mitten in den größten Fluß der Welt, vergeuden dabei anderthalb Millionen Pfund Sterling und wissen nun nicht, was sie damit machen sollen. Haben Sie – Sie, Herr Eyth, vom Wert des Wassers für dieses erstaunliche Land eine Ahnung?«

»Entfernte Vermutungen«, versetzte ich lachend. »Seit drei Jahren habe ich infolge davon mehr geschwitzt, als irgendein zweiter Sterblicher in derselben Zeit.«

»Und doch!« fiel Ben Thinker entrüstet ein. »Hier sitzen Sie, zehn Meilen von diesem Wunderwerk moderner Bausinnlosigkeit und stellen Pumpen auf in allen Enden und Ecken und pusten und rauchen und verbrennen Kohle zu dreißig Schilling die Tonne und könnten das alles umsonst haben, wenn Ihr Stauwerk einen Pfifferling wert wäre. Verzeihen sie; man wird grob, wenn man dergleichen mitansehen muß.«

»Sprechen Sie sich aus, Verehrtester; wir sind im Freien«, sagte ich, beruhigend; »nachträglich bitte ich zu bedenken, daß die Barrage nicht mir gehört; nicht einmal meinem Halim Pascha, der Ihnen übrigens von Herzen zustimmen würde.«

»Das ist das Schlimmste«, fuhr der Engländer fort. »So etwas gehört niemand, wenn es verpfuscht ist. Und doch kostet es nur einen Gedanken, um den glänzenden Plan Mohamed Alis lebendig zu machen und Millionen, Millionen, sag ich Ihnen, aus der feuchten Erde zu stampfen. Natürlich kostet's auch den Kopf, der den Plan erdenkt, und ein paar Hände, die ihn ausführen. Deshalb habe ich Ihnen geschrieben. Sie sollen ihn mit mir teilen.«

Ich war alt genug, um zu wissen, welch gefährliche Menschen Erfinder sind, kurz nachdem sie eins ihrer goldenen Eier gelegt zu haben glauben. Nicht nur ist die Sache, für die sie schwärmen, in neun von zehn Fällen ein nicht zu erfassendes Irrlicht, sie selbst müssen im Zustand ihrer Hypnose mit der größten Vorsicht behandelt werden, wenn man einen persönlichen Zusammenstoß der peinlichsten Art vermeiden will. Ich heuchelte deshalb zunächst das bereitwilligste Entgegenkommen:

»Darf man wissen, worin dieser Gedanke besteht und wie ich mich daran beteiligen kann?«

»Zunächst wünsche ich nur, Ihren Rat einzuholen«; sagte der Erfinder herablassend. »Sie sind schon ein halber Ägypter; gerade was ich brauche. Können wir nach Ihrem Haus zurückreiten? Sie müssen mir eine Stunde schenken, in der ich mich aussprechen kann, eine Stunde oder zwei. Später werden Sie mir Ihr Leben aufdrängen, davon bin ich fest überzeugt.«

»Aber Sie sehen, werter Freund, ich bin eben im Begriff, selbst eine Erfindung in die Welt zu setzen«, bemerkte ich.

»Ach was! Ich sagte es Ihnen ja. Sie können nichts Gescheiteres tun, als alles liegen und stehen lassen, was auf dem unglückseligen, steinharten Boden steht. Wasser ist die Seele dieses Landes. Sehen Sie denn das nicht ein? Fühlen Sie es nicht?«

»Und ich erwarte jeden Augenblick Halim Pascha«, versetzte ich, eigensinnig werdend. »Er möchte sich an meinen Triumphen beteiligen, denn er glaubt glücklicherweise, es sei größtenteils seine Idee, was Sie hier sehen.«

»Sie sind ein Politikus!« rief Thinker, mit sichtlich wachsender Achtung. »Um so besser. Ich glaube, das tut mir in der Tat ein wenig Not. Nun also hören Sie! Aber lassen Sie mich von Ihrer Landkrabbe herunterklettern. Dort, im Schatten der Bäume, können wir alles etwas kühler betrachten.«

»Also hören Sie!« begann er wieder, indem er meinen rechten Arm unter seinem linken durchzog und mit seiner rechten Hand den oberen Knopf meines Rockes festhielt. So spazierten wir im Schatten der Tamariskengruppe auf und ab, die am Rande des Feldes stand, während er mir seine neuesten Ansichten und Pläne auseinandersetzte, die, wie mir schien, unter dem Einfluß der ägyptischen Sonne etwas rasch in die Höhe geschossen waren.

Der Gedanke der Barrage, die, wenn sie gelungen wäre, das Delta von einem Ende des Jahrs zum andern mit Nilwasser gespeist haben würde, indem sie die sogenannten Sommerkanäle gefüllt gehalten hätte, fand seine volle Billigung. Alles andere war nutzloses, kleinliches Kinderspiel. Aber die Barrage stand am falschen Platz. Der Untergrund an der Spitze des Deltas war zu junges, aufgeschwemmtes Land. Er konnte ein derartiges Bauwerk wohl tragen, aber keinen seitlichen Wasserdruck aushalten. Diese Lehre hatte man mit anderthalb Millionen Pfund bezahlt. Nun wußte man jedenfalls eins: daß die Barrage verlegt werden müßte, um ihren Zweck zu erfüllen. Oberhalb Kairos war der Boden altes festes Land; dort konnte selbst der felsige Untergrund erreicht werden. Dies war der richtige Platz für ein wirksames Stauwerk und damit war die Lösung der Aufgabe gegeben. Nichts war einfacher als das hier, oberhalb Kairos, aufgestaute Wasser dem eigentlichen Delta zwischen den zwei großen Nilarmen zuzuführen. Auf beiden Seiten des Stromes mußte es zunächst auf der Höhe der Nilufer talabwärts in zwei Kanälen geleitet werden. Der östliche Kanal könnte im Vorbeigehen Kairo mit Wasser versehen, wie keine Stadt des Orients getränkt war. Dann bei Kaliub konnte der Oberbau der alten nutzlosen Barrage dazu gebraucht werden, einen gußeisernen, kanalartigen Trog von den entsprechenden Abmessungen zu tragen, so daß nurmehr das aufgestaute Wasser von zwei Seiten her die Spitze des Deltas erreichte, und sich von dort aus in den vorhandenen Sommerkanälen über das ganze Land bis an das Meer ausbreitete und immergrüne Gärten schaffen müßte, wo wir heute, sechs Monate jährlich, die fruchtbarsten Felder in brennender Dürre schmachten sehen. – Der Plan mußte einem angehenden alten Ägypter, wie mir, ein bißchen phantastisch klingen. Doch Thinker war zweifellos einer von den kleinen Poeten unserer Zeit und wußte andere fortzureißen, auch wenn sie sich in der ersten Viertelstunde sträubten. Ganz nutzlos sind selbst in unseren Tagen die Poeten nicht; fast war ich bereit, so viel zuzugeben. Doch gewann mein kühleres Denken wieder die Oberhand, als Ben eine Pause machte, um Atem zu holen und sich den Freudenschweiß von der Stirne zu wischen.

»Das ist alles wunderschön, lieber Herr Thinker«, sagte ich nachdenklich. »Aber was mag es kosten? Und wer wird für Ihren Garten bezahlen?«

»Was er kostet ist ganz gleichgültig, wenn Sie gütigst berechnen wollen, was er einbringt«, antwortete Thinker munter. »Ich gehe gern darauf ein, denn jetzt kommen wir auf meinen glänzendsten Gedanken: das reinste Ei des Columbus!«

Er faßte mich wieder am Rockknopf, um jeden Fluchtversuch vorzubeugen, denn er fühlte wohl, daß er einem kritischen Augenblick entgegensehe. Der Bau eines völlig neuen Stauwerks würde allerdings eine hübsche Summe erfordern, gab er zu, aber die Hälfte – zwei Drittel war schon getan. Das gesamte Baumaterial und mehr als man brauchte, lag in prächtigen Steinquadern am Ufer des Nils, bereit, versenkt zu werden.

Natürlich starrte ich ihn ungläubig an. War der Mann aus dem Häuschen? Aber er packte meinen Rockknopf nur etwas fester und fuhr fort:

»Kennen sie die große Pyramide?«

»Und ob!« rief ich, über diese Abschweifung entrüstet; wahrhaftig, der Engländer mißbrauchte meine Geduld. Die Sicherheitsventile der Dampfpflugmaschinen bliesen ab, wie besessen; Fritschy saß ungeduldig auf dem Pflug, bereit loszufahren. Es war endlich Zeit, an ehrliche Arbeit zu denken.

»War das alte Ungetüm je zu etwas gut?« fragte Thinker, mich scharf ansehend.

»Nicht, daß ich wüßte«, versetzte ich.

Thinker hielt jetzt still und schüttelte mich ein wenig. – Dann sagte er feierlich:

»Heute hat seine Stunde geschlagen. Aus dem nutzlosesten Bausteinlager, das sie hinter Gise aufgetürmt haben, soll der Segen über das Land kommen. Jeder seiner Felsblöcke soll unser neues Stauwerk fester und sicherer aufbauen. Jeder Stein soll den Millionen Brot geben, die diesen Garten der Welt bewohnen werden.«

In diesem Augenblick riß der Knopf ab, an dem er mich gehalten hatte. Er sah ihn lange nachdenklich an und warf ihn dann verächtlich weg, als ob mich dieser nicht unwesentliche Teil meines Anzugs nicht das geringste anginge. Ich selbst war zu entsetzt, um die Gelegenheit zu benutzen, zu entkommen. Der Gedanke Thinkers war schändlich, aber wirklich – er hatte etwas Großartiges. Solche Gedanken, in ihrer Art, hatten die Eroberer der alten Welt; warum nicht auch unsere Heroen? Dürfen wir nicht, wie sie, zerstören, um aufzubauen?

»Die ganze Frage ist«, fuhr Thinker mit einer, wie mir schien, gekünstelten Gleichgültigkeit fort, »wie wir die Sache in Bewegung bringen. Zeit ist Geld. Jedes Jahr, das wir verlieren, ist nachweislich so und so viel Millionen Verlust. Ein Kind muß dies einsehen. Daß mir jemand den Gedanken wegnimmt und mit ihm vorausrennt, befürchte ich nicht. Wir haben genug zu tun, sie hinter uns herzuschleppen, die Vielfraße und Gedankenfaultiere, die in dem gesegneten Lande herumsitzen. Es ist deshalb meine Absicht, zur Einleitung des Feldzugs meinen Plan in einem Vortrag in Shepheards Hotel zu entwickeln. Das wird sie aufrütteln. Wie ein Posaunenstoß soll es durch die träge Gesellschaft schmettern.«

»Lieber Herr Thinker«, sagte ich besorgt. »Sie vergessen sich. Wir sind nicht in England. In dieser Weise läßt sich eine derartige Sache in Ihrer Heimat fördern. Hier haben Sie nichts mit dem Volke zu tun, wenn Sie für das Volk arbeiten wollen. Eine öffentliche Meinung, die Ihnen nützlich oder schädlich sein könnte, gibt es nicht. Sie sind in Ägypten.«

»Das ist mir ganz gleichgültig«, versetzte Thinker. »So würde ich es in England machen; so mache ich es hier. Die Herrn Fellachin werden sich über kurz oder lang an die englische Weise gewöhnen, wenn sie einmal unser Wasser trinken.«

»Natürlich können sie tun, was Sie wollen. Ägypten ist, wenigstens für Europäer, ein freies Land«, bemerkte ich, »nur hätten Sie dann nicht nötig gehabt, meinen Rat einzuholen. Aber es bleibt dabei: Der Vizekönig ist der einzige Mann, um den Sie sich zu kümmern haben, er und vielleicht ein halbes Dutzend der kleinen Paschas, die ihn umgeben. Alles übrige braucht für Sie nicht zu existieren. Dieses Verhältnis hat seine Nachteile, aber es ist bequem, sobald Sie den richtigen Weg gefunden haben: Wenn Sie eine Rechnung von achtzehn Schillingen bezahlt haben möchten, gehen Sie zum Vizekönig; wenn Sie die große Pyramide auf die Spitze stellen wollen, gehen Sie zum Vizekönig.«

»Daran habe ich selbst schon gedacht und wollte Sie hierüber um Rat fragen«, versetzte Ben.

»Das Einfachste ist, Sie veranlassen Ihren Konsul«, begann ich bereitwillig.

»Coalville!« unterbrach er mich zornig. »Wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen, so sprechen sie nicht von diesem eingebildeten Narren. Ich hatte den unglücklichen Gedanken, ihn gestern zu besuchen; genau zu dem Zweck, auf den Sie lossteuern. Ich verlangte von ihm, beim Vizekönig eingeführt zu werden, um ihm meine Pläne vorzulegen. Das Kamel starrte mich mit seinem amtlichen Schafsgesicht an und ehe ich halb fertig war, sowie ich auf meinen Hauptgedanken, die Pyramide, zu sprechen kam, erklärte er, daß er mit solchen Phantastereien nichts zu tun haben wolle. Ein ähnlicher Thinker habe ihn soeben nicht ganz gutwillig verlassen. Dieser Herr habe ihm eine ganze Stunde lang das tollste Zeug ähnlicher Gattung vorgeschwatzt. Sie können sich denken, Herr Eyth, daß ich auf dies hin kein Blatt vor den Mund nahm. Was ging es mich an, ob er sich mit meinem Bruder herumgestritten hatte oder nicht? Ich fragte ihn, wer ihn bezahle? Er schien es nicht zu wissen. Ich klärte ihn auf. wir, die Steuerzahler von England und wir erwarten von unseren Dienern, ob sie in Kairo sitzen oder in Westminster, daß sie uns achtungsvoll anhören und tun, wofür sie bezahlt sind. Es war dann allerdings nur noch die Frage, wer den andern rascher aus dem Konsulatsbüro hinausbefördern werde, und dabei war ich leider im Nachteil. Eigentlich war mein unglückseliger Bruder an der ganzen Geschichte schuld. Der muß ihm, unmittelbar vor meinem Besuch, den ohnehin schwachen Kopf verwirrt haben. Aber zu machen ist mit Coalville nichts mehr, das werden Sie zugeben.«

»Schade, aber nicht überraschend«, sagte ich. »Diese Herren wollen mit ihrer Eitelkeit gegängelt werden. Es ist ein verhältnismäßig harmloses Mittel und ohne Mittel geht es eben nicht in dieser Welt. Sie haben sich den einfachsten Weg in den Audienzsaal des Vizekönigs selbst verlegt. Wir müssen einen andern finden.«

»Deshalb suchte ich Sie auf«, sagte Ben etwas kleinlaut.

»Und hier kommt Halim Pascha wie gerufen«, rief ich. »Der Onkel des Vizekönigs, Herr Thinker, und sein Nachfolger, vorausgesetzt, daß alles bis dahin mit rechten Dingen zugeht. Zu verachten wäre auch er nicht, wenn Sie für die Zukunft arbeiten, was ich stark vermute.«

Der Engländer ließ mich los und rückte seinen Hemdkragen zurecht, der im Eifer des Gesprächs eine selbständige Stellung angenommen hatte.

»Ich rechne darauf, Herr Eyth, daß Sie mich vorstellen«, sagte er dann dringend. »Der künftige Vizekönig darf nicht im Ungewissen darüber bleiben, was ihm bevorsteht.«

Der kleine, elegante Korbwagen, mit zwei weißen Vollblutarabern bespannt, tanzte in gefährlichen Sätzen über die Furchen des brachliegenden Baumwollfeldes auf uns zu. Noch während er im Gange war, sprang Rames Bey, der Adjutant und Leibmameluk des Paschas ab, ein prächtiger, blondhaariger Tscherkesse in grüner, goldgestickter Türkentracht. Fast ebenso rasch und gewandt folgte Halim in heller europäischer Kleidung, den roten Tarbusch auf dem Kopfe. Das dunkle Gesicht mit den blitzenden, schwarzen Augen und die kleine, bewegliche Gestalt verrieten das Beduinenblut, auch wenn man ihn nicht im Kreise seiner türkischen Vettern sah. Er schien in bester Laune zu sein, und kam freundlich grüßend auf mich zu.

»Guten Tag, Herr Eyth«, rief er, während ich mit meiner noch jungen orientalischen Feierlichkeit Stirne und Brust berührte. »Nun, wie geht es?«

Er sprach, wie immer mit Europäern, sein Pariser Französisch, aus dem in unverkennbarer Weise das Quartier latin herausklang, in dessen Nähe er mehrere Jahre verlebt hatte, und eilte, ohne einen Augenblick zu verlieren, auf den Baumwollpflug zu. Der etwas überraschte Fritschy sprang von seinem Sitz auf, fiel zwischen dem Gestänge des Geräterahmens durch und salutierte in dieser unbehaglichen Stellung nach Zuavenart, was er in seiner Kindheit zu Mühlhausen erlernt haben mochte, während der Engländer seinen Helm auf den Hinterkopf schob, und damit ernst, aber herablassend zu grüßen glaubte.

»Wir waren eben im Begriff, den ersten Versuch zu machen, Monseigneur!« sagte ich, äußerlich lächelnd, innerlich etwas verstimmt. Es ist immer peinlich, derartige Probefahrten in großer Gesellschaft vornehmen zu müssen, aber es ging nun einmal nicht anders. Thinkers unzeitiger Besuch hatte mir den halben Morgen verdorben.

»Schön, daß ich nicht zu spät komme«, sagte der Pascha. »Es macht Spaß zu sehen, wie sich solch ein Ding zum erstenmal rührt. Aha, Sie haben die Pflüge umgedreht. Ich habe sie gestern selbst anschrauben lassen, während Sie auf der Gesira waren. Sapristi – das sieht jetzt etwas anders aus! – Nun, meinetwegen; es wird auch so gehen. Fahren Sie los! – Rames, die Zigaretten!«

Der Mameluk holte sein silbernes, edelsteinbesetztes Etui aus der grünen Jacke und tat, was seines Amtes war. Halim Pascha puffte zweimal in die Luft und warf das Spielzeug weg. Ich gab dem Maschinisten auf der Maschine, vor der wir standen, ein Zeichen. Dieser pfiff und die ferne Maschine fing an, das Seil anzuziehen. Im nächsten Augenblick saß ich neben Fritschy auf dem Gerät, das Steuerrad in der Hand, und riß den Hebel zurück, der die drei schweren Furchenpflüge in die Höhe hielt. Mit einem dumpfen Schlag fielen sie zu Boden und bohrten sich leise knirschend in die Erde.

Es war ein Augenblick jener Spannung, die das Leben eines Ingenieurs lebenswert macht. Die stille Arbeit von Monaten mußte in den nächsten Minuten ihre Früchte zeigen. An sich war wohl der neue Pflug kein großes Werk, doch war er ein Teil des Ganzen und konnte diesem Ganzen einen neuen Wert und den Antrieb zu weiteren Fortschritten geben. All diese kleinen Dinge bildeten die Glieder einer großen Kette, an der ich seit Jahren mit Lust und Liebe schmiedete.

Und es schien zu gehen – es ging! Die drei Pflüge öffneten drei tiefe Furchen in dem aufgewühlten Boden. Jeder schob die Schollen, die er aus dem Grund heraufbrachte, nach rechts und links auseinander. Die ihm folgenden entsprechend gestalteten Walzen zermalmten die größeren Klumpen und gaben den Furchen und den dazwischen liegenden hohen Beeten eine regelmäßige, fast allzu glatte Form, wie sie die Hacke des Fellahs nach tagelanger Arbeit nie hergestellt hätte. Die Dampfmaschine, die uns zog, lief allerdings für einen ersten Versuch dieser Art viel zu rasch – die Gegenwart Halims war hieran schuld – so daß ich kaum Zeit fand, gelegentlich nach rückwärts zu sehen. Ich brauchte, gemeinsam mit Fritschy, alle Aufmerksamkeit, das Gerät in gerader Linie zu steuern. Auch waren wir bald in einer Wolke von Staub eingehüllt, durch die ich Halim Pascha erblickte, der in kaum würdigen Sprüngen uns nachrannte. Hinter ihm kam Rames Bey, welcher mit dem Stoizismus des echten Mameluken im Laufe eine zweite Zigarette anzuzünden suchte und hinter diesem folgte Ben Thinker, den die Freude an allem Neuen, das sich bewegt, mitriß. Durch das Knirschen der Pflüge und das polternde Geräusch der schweren Ringelwalzen hörte ich von Zeit zu Zeit das »Bravo, bravo, Monsieur Eyth!« Halims; eine herzerquickende Begleitung zu dem ungewohnten Lärm, mit dem wir über das Land brausten.

Jetzt hielt das Gerät still. Wir waren ohne Unfall am andern Ende des Feldes angelangt. Hinter uns lagen drei- bis vierhundert Meter lange Beete, bereit die Baumwollsaat aufzunehmen, zwischen ihnen drei wohlgeformte Gräben, in die im nächsten Augenblick das befruchtende ›rote‹ Nilwasser hätte eintreten können. Sie waren nicht übermäßig geradlinig; hierfür war die Geschwindigkeit und der Mangel an Übung im Steuern des Apparates zu groß gewesen. Aber für einen ersten Versuch war das Ergebnis alles, was man erwarten konnte. Mir wurde warm und wohl ums Herz und Halim Pascha hüpfte über die Gräben hin und her, wie ein Schuljunge.

»So hab ich mir's gedacht. So mußte es kommen«, rief er mir zu. »Das wäre wieder ein Schritt vorwärts, aber nicht der letzte. Nun brauchen wir noch eine Pflanzmaschine und dann – dann –«

»Wir sind noch nicht ganz über dem Graben, Hoheit«, rief ich zurück und gab das Zeichen zum Wenden. Dies sollte durch den Zug der jetzt fernen ersten Maschine geschehen, die langsam angelassen werden mußte. Ich hatte dies dem sonst leidlich aufmerksamen Maschinisten dringend eingeschärft, aber wie vorauszusehen war, hatte er die Mahnung längst vergessen; zu Ehren des Paschas, dessen Gegenwart die Leute zu außerordentlichen Leistungen anspornte. Mit einem tollen Stoß setzte die Maschine ein. Die drei Pflüge hoben sich aus dem Boden, der breite Rahmen des ganzen Gerätes wurde herumgerissen, so daß Fritschy und ich nur durch einen glücklichen Zufall nicht vom Sitz geschleudert wurden, das steuernde Vorderrad stellte sich senkrecht zur Gangrichtung und riß den Boden auf, wie ein wildgewordenes Nilpferd. Für einen Augenblick, bis wir ihm wieder die erforderliche Richtung geben konnten, sah es aus, als ob alles in Stücke gehen müßte. Aber es gelang, mit dem Aufwand aller Kräfte, das Rad einzustellen, und stürmisch, brausend und krachend, polternd und glitschend ging es wieder vorwärts. Die zweite dreifache Reihe von Beeten lief, wie ein brauner lebendiger Wasserstrom, unter uns weg.

»Bravo, Monsieur Eyth, bravo!« rief Halim, uns abermals nachjagend.

Ich war nicht mehr so siegessicher. Eine bange Beklemmung fühlte ich nur halb, weil keine Zeit dazu war, sie ganz zu fühlen. Da hörte man plötzlich einen dumpfen Knall; aber es ging noch immer vorwärts, polternd und knirschend. Alles schien in Ordnung, nur das Vorderrad machte jetzt eine eigentümliche Bewegung, wie wenn es nach links ausweichen und mit dem ganzen Geräte davon laufen wollte. Doch konnte man es noch halten. Da warf plötzlich Fritschy beide Arme gen Himmel. Ich sah rückwärts. Schon dreißig Schritte hinter uns stand in der dritten Furche, die dort plötzlich aufhörte, einer der drei Pflüge, ruhig, als ob ihn die ganze Sache nichts anginge. Er war, aus irgendeinem unerklärlichen Grund, abgerissen.

Also doch! dachte ich, in der Bitterkeit meines Herzens. Der übliche Anfang einer guten Sache und ein verlorenes Jahr! –

Ich konnte nicht weiter weltweiseln, denn ich mußte das Steuer mit aller Kraft festhalten, um nicht in der tollsten Weise über das Feld geschleppt zu werden. So ging es noch vierzig Schritte weiter, ehe der Maschinist auf der ziehenden Maschine Fritschys erhobene Arme und den schrillen Notpfiff der andern zu bemerken geruhte und stillhielt.

Halim Pascha war bei dem abgerissenen Pflug stehengeblieben. Thinker, der sich jetzt im Sturm des Gefechts ohne weitere Umstände als Mitarbeiter fühlte, lag vor dem Gußstück auf den Knien und untersuchte seine Bruchstellen. Es war ein guter, gesunder Bruch; ein fehlerhafter Guß hatte das Unglück nicht verschuldet, ebensowenig die ungenügende Stärke des Pflugkörpers, der jede Baumwurzel ausgerissen hätte. Aber noch ehe ich die Gruppe erreichte, wurde mir klar, wo die Ursache des Unheils zu suchen war. Beim gewaltsamen Wenden des Gerätes hatte sich der große, verhältnismäßig leichte Rahmen des Apparats verbogen. Die Walzen hatten infolge hiervon auf den Pflug gedrückt und dieser Druck ohne Zweifel den Pflugkörper abgeknickt, der dann eine zweite Reise über das Feld nicht mehr ertrug.

»Machen sie kein so schwarzes Gesicht«, sagte Halim munter; »das Ding kann repariert werden. Sie haben schon schlimmeres Flickwerk in unsern Schubraer Werkstätten fertig gebracht. Geht's dort nicht, so haben wir die Staatsfabrik in Bulak zur Verfügung und schließlich England. Das braucht uns keine Sorge zu machen. Das Prinzip der Maschine ist richtig, so viel hat sich gezeigt; die Arbeit, die sie hinlegt, ist vortrefflich. Alles übrige braucht weiter nichts als Geduld, die Sie in Ägypten schon noch lernen werden, und Zeit, an der es nur unvernünftigen Menschen fehlt. Den Vernünftigen gibt Gott so viel als sie brauchen, und mehr!«

»Kleinigkeit!« rief Thinker, sich aufrichtend. Er fühlte instinktiv, daß ihn Halim verstehen müßte, wenn ermöglichst laut und gebrochen englisch spreche, denn diese Regel, behauptet er, habe sich bei seiner Reise durch Deutschland glänzend bewährt. »Kleinigkeit – Wieder machen lassen. Nur Geld-Tasche – nicht Kopf. – Aber ich – größeres, unvergleichlich größeres – Fürstengedanken – Königsgedanke! –«

Halim, der wie sein Neffe, der Vizekönig, mehr englisch verstand als er zugab und auf diese Weise aus den Gesprächen seiner Besucher mit ihren Dolmetschern manches erfuhr, was er sonst nicht gehört hätte, sah den unbekannten Stammler verwundert und dann mich fragend an. Thinker verneigte sich in so korrekter Weise, und sein Gesicht, das aus Begierde, zu helfen, mitzuarbeiten, förmlich glühte, kam hierbei so sehr zur Geltung, daß sich die Miene des Paschas, die bewölkt zu werden drohte, wieder aufhellte. Es war merkwürdig, wie sich in diesen dunkeln Zügen die innere Bewegung spiegelte, wenn er sich gehen ließ und wie steinern sie sein konnten, wenn er es wollte.

Nun aber ging für mich ein Dolmetschen los, das mir fast den Atem raubte. Halim war in vieler Beziehung ein echter Sohn seines Landes, war doch seine Mutter ein Kind der Wüste gewesen. An Wasser knüpfte sich für ihn alles, was ihm nützlich, lieblich und poetisch erschien, an die wasserlose Dürre alles Hassenswerte und Beängstigende. Thinker merkte rasch, daß er seinen Mann gefunden habe. Aus den geöffneten Schleusen seiner Seele stürzte ein Wildbach von Worten, in dem ich unterzugehen drohte. Nur in einem doppelt verkürzten Auszug konnte ich dem Pascha deutlich machen, für was sich der Engländer ereiferte, und mehr als einmal verriet die gespannte Aufmerksamkeit und das lebhafte Mienenspiel des Prinzen, wie ich es noch nie an ihm bemerkt hatte, daß er Thinker auch ohne Übersetzung verstand.

»Sagen Sie Ihrem Freund«, wandte er sich nach einer langen Auseinandersetzung über die Ursachen des Versagens der Barrage an mich, »sagen Sie ihm, wenn ich einmal Vizekönig werde, Barrage oder nicht, soll kein Tropfen roten Nilwassers mehr ins Meer fließen.«

»Das ist ein Wort, eines Königs würdig!« rief Thinker begeistert. Wie mich vor einer Stunde, hätte er den Pascha um ein Haar am Rockknopf gepackt, wenn ich nicht rasch dazwischen getreten wäre. Das Gefühl wohlwollender Herablassung, das jeden Briten ergreift, wenn er einem foreigner, einem Nichtengländer begegnet, der Verständnis für seine Pläne zeigt, drohte ihn fortzureißen. Als er jetzt auf die Pyramide zu sprechen kam, stutzte der Pascha kaum merklich. Er verstand es vortrefflich, Fremden gegenüber seine orientalische Gemessenheit zu bewahren. Dann lachte er und meinte: Auch er habe für die Pyramiden keine allzugroße Verehrung. Man könnte es zur Not ertragen, wenn eine weniger den Horizont von Schubra schmückte.

»Das einzige, was mir heute zu denken gibt«, schloß Thinker triumphierend, »ist, wie die Sache so rasch als möglich ins Werk gesetzt werden könnte. Ach! Wenn das herrliche Land das Glück hätte, unter der Führung und Herrschaft Eurer Königlichen Hoheit zu stehen – aber – aber –«

Halim Paschas Stirne zog sich in Falten. Kein Wunder. Thinker hatte keine geschickte Art, mit der Tür ins Haus zu fallen. Nach einer Pause sagte er:

»Direkt kann ich nichts für Sie tun, Herr Thinker. Mein Neffe, der Vizekönig, regiert und ist zur Zeit nicht einmal im Lande. Ob er Geld für Ihre Pläne hat, wenn er aus Stambul zurückkommt, müssen Sie ihn selbst fragen. Daß er es braucht, weiß der Himmel.«

»Darin liegt meine Stärke!« rief der unerschütterliche Engländer. »Wenn ich Gelegenheit fände, ihm meine Berechnungen vorzulegen, hätte ich gewonnen.«

Halim zuckte kaum merklich mit den Schultern.

»Sie denken sich die Sache sehr einfach«, sagte er lächelnd. »Mein Neffe hat seinen eigenen Kopf und seine Umgebung, eine traurige Bande, umschwindelt ihn täglich mit Projekten, die das Ihre weit übertreffen.«

Thinker stutzte. War der Pascha am Ende nicht so naiv, wie alle übrigen beturbanten Großen, denen er bisher begegnet war? Für die Ironie des Arabers hatte der wackere Engländer kein Verständnis. Er erzählte von dem geplanten Vortrag in Shepheards Hotel.

Halim lachte etwas unzweideutiger. »Schaden kann das ja nichts«, meinte er wohlwollend. »Ihre Landsleute werden zuhören und keine Miene verziehen; die Herrn Franzosen werden ihre Witze darüber machen. Aber den Nil werden Sie auf diese Weise kaum aufstauen. Das kann nur der Vizekönig, wenn er will und ihm die rechten Leute zugeführt werden. Seit einiger Zeit ist der kleine Sadyk Bey sein Ohr und Auge: ein Fellah; aber ein Schlaukopf! Ich wollte, ich könnte Ihre Pläne fördern, aber – nun ja, es ist unmöglich, daß ich mich mit diesen Menschen einlasse.«

Die Unterhaltung hatte eine Richtung genommen, die ihn sichtlich verstimmte. Der Hof des Vizekönigs und der seines Thronfolgers hatten nach uraltem Herkommen seit einiger Zeit aufgehört, sich zu verstehen und das Gewitter, das später über Halims Haupt ausbrechen sollte, begann bereits sich zu sammeln.

»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Herr Thinker?« fragte er plötzlich, indem er sich rasch umwandte und seinem Korbwagen zuschritt; »Ihre Pläne haben mein lebhaftes Interesse.«

Wir folgten ihm. Ich übersetzte.

»Wenn Eure Königliche Hoheit einem Ihrer Leute gestatten wollten, mich ein paar Wochen lang zu unterstützen« – sagte Thinker, dem ein glücklicher Gedanke durch den Kopf schoß.

»Wen?« fragte Halim scharf, mit jenem rasch geweckten Mißtrauen, das in hohen ägyptischen Kreisen zum guten Ton zu gehören schien. Wer nicht intrigierte oder Intrigen fürchtete, gehörte kaum in diese Welt.

»Herrn Fritschy«, versetzte Thinker, »ein intelligenter junger Mann, der mir sehr nützlich sein könnte.«

»Den Monteur von Thalia?« lachte Halim, indem er mich ansah.

»Er spricht genügend englisch für meine Zwecke«, fuhr Thinker fort, »der spricht französisch und arabisch und er hat eine rasche Auffassungsgabe, wie – wie ich sie außerhalb Englands nicht zu finden erwartete.«

»Ein Kompliment für uns, Herr Eyth«, spottete Halim. »Sapristi, die Herren Engländer wissen uns zu beurteilen! Aber Fritschy können Sie haben, so lange Sie wollen. Sorgen Sie dafür, daß Thalia in der Zwischenzeit nicht zu Grunde geht, Herr Eyth, und lassen Sie sich von Ihrem Baumwollpflug das Herz nicht abdrücken! Er ging ja vortrefflich. Bonjour, Messieurs!«

Er war in den Wagen gesprungen, streckte zwei Finger nach Thinker aus, die dieser zu ergreifen nicht rasch genug war, denn im gleichen Augenblick zogen die ungeduldigen Araber an und das Korbwägelchen flog über die Furchen des alten Baumwollfeldes, daß es zumeist nur auf einem Rad zu tanzen schien.

Thinker machte ein Gesicht, wie wenn er die Welt erobert hätte.

»Ein vortrefflicher Herr«, murmelte er; »sehr verständig, sehr intelligent! Wissen Sie was, Herr Eyth«, fuhr er nach einer Pause fort, die wir brauchten, um unsere Gedanken in das Alltagsleben zurückgleiten zu lassen, »mir ist's, als ob dort drüben am Horizont die Pyramide schon verschwunden wäre und ich den Nil mit meinen Händen aufhalten könnte. Man spürt bei diesen orientalischen Herren, trotz allem, was er uns sagte, doch immer etwas davon, was Macht ist.«

»Man merkt auch, wie leicht sie durch die Finger schlüpft«, sagte ich. »Hierfür sind Sie noch nicht lange genug im Lande, Herr Thinker.«

Dann rief ich Fritschy beiseite und erzählte ihm, was sich zugetragen hatte. Sein Gesicht verzog sich, daß es wie ein lebendiges Bilderrätsel aussah. Er wünschte offenbar, daß ich denken sollte, wie schwer er sich mißhandelt fühle, und konnte doch eine heimliche Freude kaum verbergen.

»Ich vermute, es gibt ein Schicksal hierzulande, sagte er düster. »Die Türken und Araber sind fest davon überzeugt, und beugen sich, wenn es sie packt.«

»Sie können nichts Klügeres tun als ihr Beispiel nachahmen«, unterbrach ich ihn, ohne mich auf seine Betrachtungen näher einzulassen. »Gehen Sie ruhig mit Herrn Thinker. Was Sie zu tun haben ist weiter nichts als eine angenehme Spielerei, fürchte ich. Aber auf ein paar Wochen kommt es Ihnen unter den Umständen nicht an, wenn sie gut dafür bezahlt werden. Mittlerweile kommt Monier aus Oberägypten, und dann kann aus meinem Plan für Sie immer noch etwas werden. Er wäre der erste Franzose meiner Bekanntschaft, dem es mit dem Heiraten ernst wäre, das er seinem künftigen Monteur zumuten will.«

»Ich bin ein Christ«, sagte Fritschy wehmütig und leider nicht mit dem Ernste, den die Bemerkung verdient hätte. »Wenn mich ein türkisches Schicksal ereilen sollte, so werde ich es tragen müssen, ob ich mich sträube oder beuge. Ich glaube selbst, letzteres bleibt das Vernünftigere. Gehen wir, Herr Thinker! Aber ich muß bitten, mir eine schickliche Arbeit zu geben und mich vor den Gefahren zu schützen, die mein zeitweiliger Beruf mit sich bringt. Ich bin nur geliehen. Herr Eyth und Halim Pascha wünschen mich wieder ganz und ungeteilt zurückzuerhalten.«

Thinker sah den alemannischen Komiker verwundert an. Er hatte ihn glücklicherweise nicht verstanden; ich selbst verstand ihn nur halb. Nach weiteren zehn Minuten war alles Nötige besprochen und geregelt. Ich bat Fritschy, mich von Zeit zu Zeit wissen zu lassen, was er treibe, und mir namentlich immer mitzuteilen, wo er sich befinde, so daß ich ihn nach Bedarf jederzeit zurückrufen könnte. Ben Thinker war selbstverständlich damit einverstanden, und Fritschy versprach, mich auf dem laufenden zu erhalten. Dann ritten die beiden nebeneinander in der Richtung von Kairo davon, befriedigt, aber sehr laut plaudernd, denn Fritschys mangelhafte Kenntnisse der englischen Sprache schienen dies zu verlangen.

Ich war endlich allein mit meinem Baumwollpflug. Es war der rechtsseitige Pflugkörper, der gebrochen war, so daß sich das Gerät infolge des einseitigen Widerstandes nicht mehr steuern ließ. Ich ließ deshalb die Reste des verunglückten Pflugs entfernen, den mittleren abschrauben und an die Stelle des gebrochenen setzen. So konnte wenigstens eine Zeitlang weiter gearbeitet werden, um diese und jene praktische Frage zu studieren, auf die ein neues Geräte eben nur im Felde Antwort gibt. Vieles erschien hoffnungsvoll. Dagegen waren verschiedene Teile des Hauptrahmens für das gewaltsame und unvorsichtige Wenden an den Enden des Feldes, auf das man in Ägypten rechnen muß, zweifellos zu schwach. Das sind Dinge, die eben nur die Erfahrung entscheidet, und diese zu sammeln gehört zum Geschäft des Erfinders ebensosehr als der erste glückliche Gedanke. Der Rahmen hatte sich nach einer weiteren Stunde des Arbeitens bei einer zu raschen Wendung noch etwas mehr verbogen. Bei der nächsten Fahrt über das Feld brachen gleichzeitig die beiden übriggebliebenen Furchenpflüge ab. Ich hatte dies erwartet und beabsichtigt, so lange zu arbeiten, bis irgendeine Katastrophe der weiteren Tätigkeit ein Ende machen würde.

Nun saß ich auf den verbogenen Trümmern meiner Maschine, trocknete mir den Schweiß von der Stirne und skizzierte Pläne für die erforderliche Verstärkung des Rahmens, die schlimmstenfalls in Bulak ausgeführt werden konnten. Aber wie die Verhältnisse dort lagen, mußten Wochen, ja Monate vergehen, ehe wir hoffen durften, wieder im Felde zu sein. Die Sonne brannte jetzt fast senkrecht auf mich herunter, die Eisenteile, die ich berührte, waren brennend heiß. Ich konnte mich einer trüben Stimmung nicht ganz erwehren. Es war doch ein einförmiges, einsames, mühseliges Leben auf den vertrockneten Feldern des endlosen Deltas. Alles um etwas mehr Baumwolle, Reis oder Zucker in die Welt zu setzen!

Geduld! – Ihr habt gut reden, zu Hause hinter dem gemütlichen Glas Bier, oder selbst in den kühlen Zeichensälen, wo sich große Pläne und sinnreiche Gedanken so hübsch aufs Papier werfen lassen. Geduld! Und dabei ist der alte Spruch: ›Dornen und Disteln soll dein Feld tragen‹, noch nicht einmal verjährt. »He da, Achmed! Ja, Mansur! Spannt die Seile ab und führt den Krüppel so vorsichtig als möglich in die Werkstatt. – Aber aufgepaßt! Es hat keine Eile mehr; vorsichtig!«


 << zurück weiter >>