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XXXVI. Pols Brief.

Obgleich der Vicomte im stillen zugab, daß Gefahr im Anzuge sei, verriet sein Auftreten nichts davon. Im Gegenteil. Er war sich nicht klar über die Absicht der Banditen und es war ihm recht zweifelhaft, wie das Abenteuer verlaufen wurde. Aber er befand sich hier einer neuen Sensation gegenüber, die seine Nerven kitzelte, und deshalb war er im Grunde sehr vergnügt, was er auch durch gute Laune an den Tag legte. Es fehlte nur eine Tasse Kaffee, oder ein Glas Wein, damit es den Anschein hatte, als ob er in einem Salon säße und über die gleichgültigsten Dinge der Welt konversierte. Sein gleichgültiges Auftreten reizte die anderen.

»Ich kann mir denken,« sagte er, »daß keiner von den Herren Banditen einen Brief schreiben kann. Ein Mann mit solcher Stirnlocke wie Sie, Tommi, kann natürlich nicht orthographisch richtig schreiben. Falls ich einen Brief für Sie an Ihre Herzliebste schreiben soll, dann können Sie überzeugt sein, daß niemand solch echte Gefühle in einem Brief auszudrücken versteht wie ich. Gestern habe ich erst einen Brief für meine Köchin geschrieben an ihren Soldaten. Geliebter Roland, so fing ich an ... Nein, nein, mein lieber Harry, schwenken Sie den Totschläger lieber nicht so heftig durch die Luft. Er könnte mich treffen und ein bewußtloser Mann kann nicht mehr schreiben. Also, meine Herren Abschaum, wenn es sich um einen Liebesbrief handelt, so bin ich bereit. Ich begreife nur nicht, warum Sie sich so viel Ungelegenheiten machen wegen einer ganz gewöhnlichen Liebesepistel an Ihre Köchin. Ich hätte auch für weniger zu Diensten gestanden. Heißt sie Kathinka? Ist sie sehr schön? Wie beliebt, mein lieber Tommi? Sie lachen in Gedanken an die Schöne, bravo, oder zeigten Sie nur Ihre Zähne?«

»Eine Minute,« sagte Tommi und legte seine Uhr vor sich auf den Tisch.

»Wie beliebt?« fragte Pol, »was meinen Sie?«

»In einer Minute halten Sie Ihren Schnabel,« antwortete der Mann mit der Stirnlocke, und indem er seinem Kameraden einen Blick zuwarf, fügte er hinzu:

»Hast du verstanden, Harry.«

»Ja freilich,« antwortete Harry, indem er den Totschläger hin und her bewegte, um ihn in Schwung zu bringen.

Pol zeigte mit seinem Finger auf die Uhr.

»Eine Minute,« rief er, »ausgezeichnet. Ich bin nicht recht in Stimmung, meine Herren, das bedauere ich, denn Sie ahnen nicht, was ich im Laufe einer Minute sagen kann. An dem vernarbten Messerstich an Ihrem Hals, Sie schwarzhaariges Wildschwein, sehe ich, daß Sie mit einem ehrenwerten Mann, den Sie wahrscheinlich bestehlen wollten, im Kampf gewesen sind. Ihr verfaultes Herz stinkt durch Ihren Atem, Sie Kloakensohn. Ihre gräßlich langen Finger sind schmutzig von dem Futter in anderer Leute Taschen. Ihre Augen blinzeln angestrengt, weil Sie sich ausnahmsweise nicht in der Dunkelheit eines Hinterhalts befinden. Ihre Füße, die in gestohlenen Stiefeln stecken, die Sie einem armen Schuhmacher mit sieben unversorgten Kindern entwendet haben, scheinen dazu geschaffen, anderen Fußtritte zu versetzen. Sie hätten unmittelbar nach Ihrer Geburt öffentlich gehängt werden müssen. Wenn ich recht täte, so würde ich meinem Freund bei der Polizei einen Brief schreiben: Hier sitze ich zusammen mit zwei Erzhalunken, halte einen Galgen in Bereitschaft und teile dem Oberarzt beim Krankenhaus mit, daß gleich zwei ff. Kadaver kommen. Halt!«

Pol hob den Zeigefinger.

»Noch zwei Sekunden,« rief er. »Es war im letzten Augenblick. Jetzt werde ich den Mund halten, meine Herren.«

Worauf er die Lippen aufeinanderpreßte und die Arme kreuzte.

Der Revolver bebte in der Hand des Verbrechers, der vor Wut zitterte. Pol beobachtete ihn neugierig und dachte: Wenn er derartig zittert, kann der Schuß leicht losgehen. Der Verbrecher lachte. Aber es war ein seltsames Lachen. Und Pol hatte recht, als er vorhin fragte: Lachen Sie, oder zeigen Sie die Zähne? Harry aber, Harry mit dem Totschläger war vollständig paff über Pols Frechheit und ganz imponiert über seinen Vorrat an Schimpfworten. Erst sah er Pol an, der vollständig unberührt dasaß und seinen Lackschuh vor der Nase seines Kameraden auf- und abwippte. Darauf sah er seinen Kameraden mit grenzenlosem Erstaunen an, als ob er sagen wollte:

»Warum lebt dieser Windhund noch?«

Laut sagte er:

»Die Zeit vergeht, Bussi.«

Bussi war also der Kosename des Mannes mit der Stirnlocke. Pol merkte es sich.

Bussi legte den Revolver auf den Tisch.

»Ich muß sagen, daß Sie ausgezeichnete Einfälle haben. Was aber den Brief anbetrifft, so scheinen wir uns darin ganz einig zu sein.«

»Wirklich, das freut mich.«

»Ja, ich gehe auf Ihren Vorschlag ein, daß Sie einen Brief an Ihren Freund bei der Polizei schreiben.«

»Worauf ich sofort meinen Vorschlag zurückziehe,« sagte Pol.

Bussi stampfte wütend mit dem Fuß auf die Erde.

»Sie wollen mit Ihrem verfluchten Geschwätz Zeit gewinnen,« sagte er, »es soll Ihnen aber nicht glücken. Hören Sie, was ich von Ihnen verlange. Ich will, daß Sie einen Brief an einen Mann bei der Polizei schreiben, Sie haben ja oder nein zu antworten, ob Sie es wollen.«

»Ich habe keine Tinte,« sagte Pol.

»Ja oder nein!«

»Ja, zum Teufel. Haben Sie doch ein wenig Geduld, Mensch.«

»Sie haben mich lange genug aufgehalten,« schrie Bussi wütend. »Hol die Tintenflasche von dort hinten, Harry. So, hier haben Sie Tinte. Dort liegt Papier.«

»Ich habe aber keine Feder,« sagte Pol.

Harry warf eine Feder auf den Tisch und benutzte die Gelegenheit, um Pol eine behaarte und drohende Faust unter die Nase zu halten.

Pol wendete das Blatt hin und her. »Soll ich auf dieser Seite anfangen oder lieber auf der anderen?« fragte er.

»Harry,« sagte der Mann mit der Stirnlocke, »gib ihm eine Ermahnung.«

Harry schwang den Totschläger.

»Halt,« schrie Pol, »rühren Sie mich nicht an, man schlägt keinen Menschen, der eine Feder in der Hand hält.«

Diese seltsame Behauptung hemmte wirklich Harrys primitive Energie.

Pol hielt die Feder bereit. Er blickte fragend zu Bussi auf.

»Schreiben Sie,« sagte Bussi: »Lieber Krag.«

Pol pfiff durch die Zähne.

»Schreiben Sie!« brüllte Bussi.

»Erlauben Sie mir nur eine Bemerkung,« sagte Pol gefügig. »Obgleich ich kein Taschendieb, ja nicht einmal für den Galgen vorausbestimmt bin, so verfüge ich dennoch über eine gewisse Höflichkeit. Gestatten Sie, daß ich lieber Herr Krag schreibe.«

»Zum Teufel, schreiben Sie meinetwegen, was Sie wollen. Also lieber Herr Krag, sind Sie fertig?«

»Lieber Herr Krag – weiter.«

»Kommen Sie sofort und ganz unbemerkt nach Nummer 32 im Hotel ›Zum goldenen Pfau‹. Kommen Sie verkleidet und in aller Heimlichkeit. Klopfen Sie dreimal an die Tür. Ich erwarte Sie.«

»Hallo,« rief Bussi plötzlich und griff nach seinem Revolver, »wer da?«

Es hatte an die Tür geklopft, drei lange und drei kurze Schläge.

»Das ist Doras Signal,« sagte Bussi. »Oeffne ihr, Harry.«

Harry öffnete die Tür.

Es war Asbjörn Krag.


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