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XLI.

Torben riß die Tür auf. Durch den Korridor trieb glutroter, erstickender Rauch. Der Förster, Christensen und mehrere andere drangen durch den Rauch.

»Der ganze südliche Flügel steht in Flammen!« schrie Christensen, »wir haben keine Minute zu verlieren.«

Dr. Hengler stürzte zur Tür. »Die Sammlungen!« rief er.

Torben stellte sich ihm in den Weg: »Gerade die Sammlungen brennen,« sagte er, »der Blitz hat in den drei Zimmern eingeschlagen.«

Dr. Hengler drängte Torben mit Gewalt beiseite und eilte auf den Korridor hinaus. Er versuchte durch den beißenden Rauch vorwärtszudringen, wurde aber wieder zurückgedrängt.

Es half nichts, man mußte den bedrohten Teil des Hauses verlassen, das Feuer griff mit furchtbarer Geschwindigkeit um sich.

Dr. Hengler zog die Knechte in sein Zimmer und zeigte auf den fremden Mann, den er niedergeschlagen hatte und der noch immer bewußtlos am Fenster lag.

»Nehmt euch seiner an,« sagte er, »es ist der Einbrecher von heute morgen. Er glaubte, daß er heute nacht mehr Glück haben würde, leider aber geriet er in mein Zimmer. Er hat wohl noch nie einem Boxer gegenübergestanden, denn er heulte jämmerlich auf.«

Die Knechte hoben den Bewußtlosen auf ihre Schultern und trugen ihn hinaus.

Es war eine seltsame Prozession, die sich durch die Korridore bewegte, von Rauch umwirbelt. Voran die Knechte mit dem Bewußtlosen auf ihren Schultern, dann die vier Männer, die während der letzten bewegten Stunden in dem Drama die Hauptrollen gespielt hatten, Rist in seiner Lohndienerkleidung, der Professor halb angezogen, Torben in seinem roten, türkischen Morgenrock, Dr. Hengler fertig angekleidet, mit seinem Automantel überm Arm, zum Widerstand oder zur Flucht bereit.

Im Verein bildeten diese Männer ein lebendiges Bild von der hastigen Entwicklung der Ereignisse in den Nachtstunden, jeder einzelne hatte sich der Entscheidung genähert und schließlich hatten sie sich in dem flammenden Lichtschein des Brandes zusammengefunden. Es war, als ob Dr. Hengler sich noch einmal bedachte, er blieb stehen und blickte zurück. Jetzt knisterten die Flammen in der Tiefe des Korridors, und schwarze Balkenreste von durchgebrannten Wänden hoben sich wie Silhouetten von dem hellen Feuer ab.

»Es ist zu spät,« sagte Torben.

»Zu spät,« wiederholte Hengler.

Plötzlich ballte er seine Faust vor Torbens Gesicht und sagte: »Sie haben Glück gehabt, verfluchtes Glück!«

Torben war jetzt ganz ruhig. »Sie aber auch,« sagte er nur.

Er hob die Hand mit dem Revolver, betrachtete die hübsche Waffe liebevoll und steckte sie darauf in die Tasche.

Als sie draußen im Garten waren, breitete Torben befreit die Arme aus. »Jetzt beginnt der Regen herabzuströmen,« rief er.

Der ganze obere Teil des Südflügels war vom Feuer umringt, der Regen aber fiel dichter und dichter, der Rauch war schwefelgelb und wurde wie erstickende Daunendecken auf das Feuer herabgeschlagen. Nicht lange, und das Feuer würde besiegt sein. Das Hofgesinde rannte in dem erleuchteten Hause mit den Löschgeräten herum, auf den Gartenwegen lärmte es von herbeieilenden Menschen.

Unter einer großen Eiche, vor dem Regen geschützt, in seinen Mantel gehüllt, stand Guggenheim und betrachtete das brennende Schloß.

»Wenn das Feuer auf den Südflügel begrenzt werden kann, ist der Schaden nicht allzu groß,« sagte er.

»Hören Sie nur, wie der Regen strömt,« sagte Torben, der zu ihm getreten war, »er ist wie eine Erlösung. Wie wunderbar die Luft zu atmen ist. Es wird nicht mehr lange dauern, dann ist das Feuer gelöscht. Und auf den Ruinen werde ich den Hof meiner Vorfahren von neuem erbauen. Ich fühle, wie meine ganze Energie wiederkehrt. Ein böser Traum ist vorbei.«

»Ich werde Ihnen helfen,« sagte Guggenheim.

Nicht weit von ihnen standen Rist und Arvidson. Der Professor sagte: »Im Grunde ist mir heute nacht nichts überraschend gekommen, nur ein einziger Umstand: der fremde Mann, der in Henglers Zimmer eingedrungen war.«

»Ich komme soeben aus der Wohnung des Verwalters,« sagte Rist. »Der Mann ist jetzt bei Bewußtsein. Ich habe mit ihm gesprochen. Es ist ein Umherstreifer, der aus Kopenhagen gekommen ist, ein ehemaliger Seemann, der lange Zeit in Amerika war. In der Aufregung spricht er Englisch. Er ist tatsächlich der Einbrecher von heute morgen. Lieber Professor, es kommt häufig vor, daß eine ganz zufällige Sache in eine andere hereinspielt. Dafür gibt's im Polizeileben häufig Beispiele. Eine ganz unkomplizierte Affäre kann dadurch sehr verwickelt werden und den Detektiven schwere Nüsse zu knacken geben. Wäre die Entscheidung nicht so schnell gekommen, würde der Besuch des Mannes in den geheimnisvollen Zimmern uns das größte Kopfzerbrechen bereitet haben. Der Kerl ist seit einiger Zeit hier in der Gegend herumgestreift, hat von den geheimnisvollen Zimmern gehört, hat sich gedacht, daß sie große Werte enthalten und hat einen Einbruch versucht. Heute morgen wurde er überrascht und mußte flüchten. Heute nacht aber hat er den Versuch wiederholt. Er dachte, daß das Gewitter ihm eine glänzende Gelegenheit dazu bot. Er versuchte sich durch Henglers offenstehendes Fenster einen Weg zu bahnen, und das war sein Pech. Er stieß ein paar furchtbare Schreie aus. Einen Augenblick dachte ich, es sei ...«

»Wer?« fragte der Professor.

Statt zu antworten, horchte Rist auf ein Geräusch. Ein lustiges Lächeln umspielte seine Lippen.

»Wir sind lange genug beisammen gewesen,« sagte er, »jetzt trennen sich unsere Wege wieder. Können Sie das Auto hören, Professor?«

»Ja,« sagte Arvidson, »es entfernt sich.«

»Er ist bereits im Walde,« murmelte Rist nachdenklich, »er fährt sehr schnell. An dem Arbeiten des Motors kann ich hören, daß es Henglers Auto ist.«

»Und das hören Sie ruhig mit an?« fragte der Professor erstaunt, »Sie, der Polizeibeamte Rist, stehen hier, während Hengler flüchtet?«

»Er hat das Spiel verloren,« antwortete Rist ruhig. »Er kann keinen Schaden mehr tun, das Drama ist zu Ende.«

»Manches verstehe ich von diesem Drama,« sagte der Professor, »vieles aber ist mir noch unklar. Warum lassen Sie diesen Mann laufen? Ist es nicht, als ob man ein Spiel dadurch entscheidet, daß man die Bricken umstößt?«

»Sie irren sich,« antwortete Rist, »das Spiel ist entschieden, und Torben hat den Gewinn eingestrichen. Und das Spiel ist nicht zufällig beendigt worden, sondern dadurch, daß der eine Spieler von dem Manöver des Gegenspielers geschlagen worden ist. Vor wenigen Stunden begriff auch ich nicht mehr als Sie. Als ich aber Kopenhagen verließ, war ich so weit, daß ich die Lösung des Rätsels haben würde, wenn ich Antwort auf nur eine einzige Frage erhielt.«

»Und welche Frage war das?«

»Wer ist Hengler?«


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