Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXXV.

Das Hofgesinde stand stumm da und scharte sich um den Verwalter. Ihre düsteren, verschlossenen Gesichter verrieten, was sie dachten: Sie hatten sich eine bestimmte Meinung über das Geschehene gebildet, da aber niemand nach ihrer Meinung fragte, kamen sie auf Bauernart mit verblümten Andeutungen.

Auch der Verwalter verbarg seine Gedanken hinter Stillschweigen, als ob er meinte: man glaubt uns ja doch nicht. Mitten im Haufen stand der Förster, die Hände in den Taschen und die Beine gespreizt. Sein Blick ging von einem zum anderen und schien immer erbitterter zu werden; er braute einen fürchterlichen Fluch zusammen. Professor Arvidson sah gereizt und nervös aus. Er hatte seine Müdigkeit jetzt überwunden und war in jenem überwachen Zustand, der nervös erkämpfte Ruhe ist und Veranlassung zu den bedauerlichsten Uebereilungen gibt; er war sehr blaß.

Der Kunsthändler Dr. Hengler aber blickte höflich lächelnd, ganz harmlos von einem zum anderen und bedauerte, ungelegen gekommen zu sein. Plötzlich wurde er sehr ernst.

»Es sieht so aus, als ob sich hier etwas Unangenehmes ereignet hätte,« sagte er, »heute nacht, wie ich annehme?«

»Nein, heute morgen,« antwortete der Professor, »vor kaum einer Stunde.«

»Ist ein Unglück geschehen?«

Der Professor antwortete nicht.

»Hoffentlich nichts, was sich nicht wieder gutmachen läßt,« fuhr der Kunsthändler fort.

»Ein Einbruch,« sagte der Förster kurz.

Der Kunsthändler machte eine bedauernde Gebärde, und indem er auf das eingeschlagene Kellerfenster deutete, sagte er:

»In diesen großen unbewohnten Häusern ist es nichts Ungewöhnliches; vermutlich aber bewahrt die Familie Milde ihr Silber nicht im Keller auf.«

»Sie irren,« antwortete der Professor, »der Dieb ist auf diesem Weg ins Haus gekommen und hat sich dann vom Keller durch die Korridore weiter hinaufgearbeitet. Sehen Sie die drei Fenster dort, von denen das eine offen steht? Zu diesen drei Zimmern war der Dieb vorgedrungen, als man ihn überraschte. Es sind die drei berühmten Zimmer, von denen wir sprachen bei dem vorzüglichen Diner im Hotel Phönix, wie Sie sich vielleicht entsinnen werden. Die drei Zimmer, die der alte Baron Milde jahrelang verschlossen hielt, was sie für andere so interessant machte.«

Der Kunsthändler sah neugierig zu dem Fenster hinauf; er verriet nicht die geringste Unruhe. Darauf wandte er sich an den Professor und sagte mit einer eigenartigen Betonung: »Auch mich hat diese seltsame Tatsache sehr interessiert. Hat der Dieb Schaden angerichtet?«

»Wie ich Ihnen bereits sagte, wurde er bei der Arbeit gestört.«

»Und ergriffen?«

»Danach fragen Sie?«

Der Kunsthändler wurde plötzlich aufmerksam und sah Arvidson fragend an. »Es interessiert mich,« antwortete er. »Ich setze voraus, daß er gefaßt wurde, da so viele Menschen zugegen waren.«

»Er ist nicht gefaßt worden.«

»Das ist ja sehr bedauerlich.«

»Er entfloh durch das mittlere Fenster,« antwortete der Professor, »das, welches noch offen steht und wo die weiße Gardine flattert.«

»Das ist wirklich ein akrobatisches Kunststück,« sagte der Kunsthändler nachdenklich, »dabei kann er kaum etwas mitgenommen haben. Ist Torben hier?« fragte er plötzlich.

»Torben ist angekommen, aber er schläft.«

»Sonst pflegt er zeitig auf zu sein,« sagte der Kunsthändler.

»Er hat die ganze Nacht nicht geschlafen.«

»Aha,« sagte der Kunsthändler fast scherzend, »ich nehme an, daß er zu Bett gegangen ist, unmittelbar bevor man den Dieb entdeckte.«

»Warum nehmen Sie das an?« fragte Arvidson, der immer gereizter wurde. »Gestatten Sie mir eine Frage, mein Herr. Kommen Sie direkt aus Kopenhagen?«

»Ja.«

»Mit diesem Automobil?«

»Natürlich.«

»Das kann man dem Wagen nicht ansehen.«

»Ich habe ihn in einem Wirtshaus etwas aufputzen lassen.«

Lorenzo Hengler trat dicht an den Professor heran: »Herr Nervenarzt,« sagte er mit einem gewissen Ton in der Stimme, »Herr Nervenarzt, wollen wir nicht drinnen im Haus zusammen sprechen. Der blendende Sonnenschein geniert mich.«

»Wenn Sie meinen, daß wir uns noch etwas zu sagen haben?«

»Und im übrigen geniert mich auch diese Oeffentlichkeit,« fuhr der Kunsthändler fort, indem er einen Blick auf das Hofgesinde warf, das sich mehr und mehr zurückgezogen hatte.

Der Förster hatte währenddessen Hengler und den Professor mit Neugierde betrachtet. Er begriff, daß Arvidsons Gereiztheit eine bestimmte Ursache haben müsse, und er wollte ungern, daß die Leute Zeuge eines Auftritts werden sollten.

Darum führte er die beiden Herren ins Haus.

Dort stand noch alles, wie Baron Milde es an jenem schicksalsschweren Tag verlassen hatte. Die Halle trug das Gepräge seines sicheren persönlichen Geschmackes, die Wände waren reich mit Waffen geschmückt, ohne daß der Raum dadurch jenes Prahlende bekam, wie es sonst der Fall zu sein pflegt, wenn Jäger ihre Trophäen aufhängen.

Der Kunsthändler wollte die Treppe hinaufsteigen. Professor Arvidson aber hielt ihn zurück.

»Hier sind wir keiner Neugierde mehr ausgesetzt,« sagte er, »und können frei miteinander reden. Sind Sie sich klar darüber, daß der Dieb vor einer Stunde entwich?«

»Wenn Sie es mir sagen, bin ich mir natürlich klar darüber,« antwortete Hengler.

Gleichzeitig aber verriet sein Gesicht ein ganz unverstelltes Erstaunen über Arvidsons Benehmen. Hatte es doch den Anschein, als ob der Arzt Streit mit ihm suchte.

»Meine Bemerkung scheint keinen sonderlichen Eindruck auf Sie zu machen,« fuhr der Professor gereizt fort, »ich bewundere Ihre Verstellungskunst.«

»Ich verstehe Sie ganz und gar nicht,« antwortete der Kunsthändler.

»Vielleicht werden Sie mich besser verstehen, wenn ich Ihnen erzähle, wie der Einbrecher aussah,« antwortete der Professor, »denn es ist uns geglückt, sein Aeußeres festzustellen. Auf der linken Backe hatte er eine Narbe, er sah wie ein Ausländer aus und sprach auch Englisch. Außerdem verschwand er vor einer guten Stunde.«

»Der Zusammenhang Ihrer Auseinandersetzung ist mir nicht ganz klar,« sagte der Kunsthändler, »auf das Signalement hin wird der Bursche in einer Gegend, wo alle Leute sich kennen, leicht zu fassen sein. Was aber hat Ihr Hinweis auf den Zeitpunkt mit der Sache zu tun?«

»Ich meine, daß man in einer Stunde sein Aussehen total verändern kann. Wir meinen in dem Dieb einen Mann wiederzuerkennen, der schon früher in Kopenhagen mit dieser Sache in Verbindung gestanden hat, einen Mann, der sich Stamsund nennt und mit phänomenaler Behendigkeit in vielen verschiedenen Verkleidungen auftritt.«

Hengler starrte den Professor an und machte eine bedauernde Bewegung, als ob es ihm unmöglich sei, seinem Gedankengang zu folgen. Darauf machte er von neuem Miene, die breite Treppe hinaufzusteigen, jetzt aber trat der Professor ihm unverhohlen in den Weg und breitete seine Arme aus.

»Sie wünschen die drei Zimmer oben zu sehen?« fragte er.

»Ja,« antwortete der Kunsthändler, »mein Metier bringt es mit sich, daß ich mich für solche Sachen interessiere.«

»Ich lasse Sie nicht durch,« sagte der Professor bestimmt.

Der Kunsthändler stutzte, zog sich dann aber sofort mit einer höflichen Verbeugung zurück.

»Gut,« sagte er, »dann warte ich, bis Torben kommt.«


 << zurück weiter >>