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XI

Anfangs hatte Professor Arvidson den jungen Rist nicht ausstehen können, sein Wesen war so ganz anders, als das des ernsten zurückhaltenden Arztes. Jetzt aber konnte er ihn gar nicht mehr entbehren, weil das äußere, etwas geckenhafte Wesen des jungen Mannes eine wirkliche Persönlichkeit verbarg.

Enevold Rist war Dandy in einer Zeit, die sonst von Amerikanismus, Sport und Motorbenzin geprägt ist. Oberflächliche Beobachter würden ihn schlapp und dekadent nennen. Er kleidete sich mit übertriebener Sorgfalt. (Es graute Sune Arvidson, wenn er berechnete, wie viele Stunden am Tage der junge Mann auf seine Toilette verwandte.)

Er verabscheute Sport und liebte seltene Blumen. Er tanzte ungern, weil eben die modernen Tänze ihm wie eine Art Sport erschienen. Ueberhaupt schätzte er zuviel Bewegung nicht, ging aber doch lieber zu Fuß, als mit der Straßenbahn oder einem Auto zu fahren. Man nahm allgemein an, daß er nichts tat, ja daß er den Müßiggang so sehr liebte, daß er sogar die Nacht zu Hilfe nehmen mußte. Darum sah man ihn häufig in den berüchtigtsten Nachtlokalen, doch stets elegant, gemessen und mit einem müden Lächeln auf den Lippen. Selbst in den ausgelassensten Kreisen war eine Atmosphäre von kühler Einsamkeit um ihn. Seine kleinen intimen Mittagsgesellschaften waren berühmt; er genierte sich nicht, selbst in die Küchen der mondänen Hotels hinunterzusteigen, um nach dem Rechten zu sehen. Auf sein Urteil legten selbst die berühmtesten Oberköche Wert. Er kam häufig in die gelehrten Bibliotheken und die tiefen Weinkeller der Stadt, besuchte aber selten Theater. Shelley kannte er in- und auswendig, nicht aber Chaplin. Das nüchterne und trainierte Leben der Jugend sprach ihn nicht an, dagegen fand er Behagen an künstlichen Stimulationsmitteln. Er liebte alte englische Branntweine aus kleinen, feingeschliffenen Gläsern. Wenn er absolute Einsamkeit brauchte, suchte er sie an einem Bartisch, wo er dann stundenlang stumm saß und grübelnd auf seine Stiefel starrte. Zur Vollständigkeit seiner Charakteristik sei noch hinzugefügt, daß die Damen sich über ihn ärgerten und gleichzeitig für ihn schwärmten, er aber bedeckte alle seine Abenteuer mit einem rätselhaften Schweigen, wie jener edle und gottesfürchtige Athos in den »Drei Musketieren«.

Professor Arvidson hatte noch nicht herausbekommen, wie Rists Stellung bei der Polizei eigentlich war. Jedenfalls war es eine sehr geheimnisvolle Stellung, denn selbst auf der Polizei kannten ihn nur wenige, und der Chef der Detektei hatte Arvidson aufs inständigste gebeten, ihn nicht zu verraten. Der Chef hatte gesagt: »Er selbst hat diese Art des Auftretens gewählt, und sie hat bereits glänzende Resultate erzielt. Ueberall bringt man ihm tiefes Vertrauen entgegen und darum erfährt er so viel. Jeder meint, daß er ein Taugenichts ist, wenn auch ein eleganter und geschmackvoller.«

Arvidson legte auch keinen Wert darauf, etwas anderes zu erfahren, als was er mit Bestimmtheit wußte: daß Enevold Rist reich sei und einen Spleen hatte.

Während der Professor hastig sein Frühstück einnahm, saß Rist ihm gegenüber und erzählte:

»Eine Autodroschke ausfindig zu machen, die zu einer bestimmten Zeit dort und dort in der Stadt gesehen wurde, ist natürlich eine rein handwerksmäßige Beschäftigung und gehört unter das langweilige Ressort der Polizei. Man kann die Aufgabe im Laufe einer Stunde lösen, oft nur durch telephonische Anfragen bei den verschiedenen Haltestellen; heute nacht aber dauerte es etwas länger, weil der Chauffeur glücklicherweise eine kleine Panne hatte.«

»Glücklicherweise?« fragte Professor Arvidson.

»Ja, darum kam er nicht vor heute morgen um fünf Uhr nach der Garage zurück. Der Chauffeur heißt Sörensen, wenn es Sie interessiert. Nicht? Auch gut. Also gestern abend um elf Uhr war Sörensen von einem Herrn mit breitrandigem Hut auf dem Rathausplatz gekapert worden. Von dem Dieb, wenn Sie wollen. Er ließ sich zum St. Annaplatz fahren und das Auto an der Ecke halten, wo Sie es sahen. Dort an der Ecke wartete eine Dame, eine große dunkle Dame, in Regenmantel und Lederhut. Sörensen weiß nichts anderes von ihr auszusagen, als daß sie eine feine Dame gewesen sei. Der Herr verließ das Auto und wechselte einige Worte mit der Dame. Es war also eine Verabredung. Darauf stieg die Dame in das Auto und wartete, während der Herr den Besuch in Mildes Arbeitszimmer machte. Währenddem kamen Sie und der junge Milde vorbei, konnten aber die Dame im Dunkel des Autos nicht sehen. Wissen Sie, lieber Herr Professor, ich bewundere ihn.«

»Wen?«

»Den Mann mit dem Künstlerhut. Er ist mit vollendeter Frechheit aufgetreten, denn er konnte ja nicht wissen, ob die Wohnung leer sei. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, daß Sie sich in einem Zimmer aufgehalten hätten, das wäre sicher nicht angenehm für Sie gewesen!«

»Warum nicht?«

»Ein solcher Mensch zögert nicht, jedes Hindernis aus dem Wege zu räumen. Er suchte etwas Bestimmtes, das er mit aller Gewalt haben wollte. Die Götter nur wissen, was es gewesen sein mag, vielleicht ein Dokument.«

»Hat er es denn gefunden?«

»Das weiß ich nicht. Wir haben heute nacht die ganze Wohnung aufs genaueste durchsucht. Soweit wir aber feststellen können, fehlt nichts von Wert. Aber natürlich können wir nicht wissen, welche Papiere in dem Dokumentenschrank aufbewahrt waren. Der Mann ist kein gewöhnlicher Dieb. Wir sind uns wohl einig, wer es gewesen ist?«

»Der Mörder. Was aber hat er gesucht?«

»Wahrscheinlich ein Dokument, das uns auf seine Spur bringen kann, und das er darum dort nicht länger zu lassen wagte. Es muß ein wichtiges Dokument gewesen sein, denn tatsächlich hat er ja Leben und Tod deswegen eingesetzt. Ist es nicht ein seltsamer Gedanke, Herr Professor, daß der Mann, dem Sie gestern in der Haustür begegneten und mit solch ahnungsvollem Interesse nachblickten, bis er im Auto verschwand, der Mörder war und den Beweis für sein Verbrechen bei sich trug?«

Den Arzt durchfuhr ein Ruck des Unbehagens. Er sah Rist an. Jetzt hatte der kleine Geck wieder die Miene, die Arvidson nicht leiden konnte, diese Miene von Harmlosigkeit, die eine unerträgliche Ironie verdeckte. Er saß dort lässig im Stuhl, indem er Hut und Handschuhe auf seinem Knie balancierte. Sein Gesicht war jetzt fast grau nach der durchwachten Nacht, und das eine Auge starrte groß und fragend durchs Monokel. Er schien Generationen von Verderbtheit zu verkörpern.

»Sie haben mir noch nicht erzählt, wohin das Paar gefahren ist,« sagte Professor Arvidson etwas gereizt, »das müssen Sie doch wissen.«

»Sie fuhren längs des Küstenweges zum Strandpavillon,« antwortete Rist, »höchst sonderbar, nicht wahr, denn da war doch sicher schon alles geschlossen; es regnete ja. Dort stieg der Herr mit seiner Dame aus, bezahlte reichlich, faßte seine Dame untern Arm und ging mit ihr zu Fuß den schmalen Pfad, der zur Eisenbahnstation führt. Jetzt aber trat der glückliche Umstand ein, daß Sörensen einen Schaden an seinem Motor bekam und ihn reparieren mußte. Und darum erlebte er, daß die große dunkle Dame eine halbe Stunde später an ihm vorbeifuhr, nach der Stadt zu. Jetzt saß sie in einem kleinen dreisitzigen Wagen, einem grauen Sportauto, nach Sörensens Beschreibung einen Maf-Wagen. Er hat sie mit Sicherheit erkannt. Am Steuer dagegen saß ein Mann in einem gelben Gummikragen, mit einer großkarierten Sportmütze. Ich habe Sörensen ausdrücklich gefragt, ob er in diesem Mann den Herrn mit dem Künstlerhut wiedererkannt habe. Das wagt er aber nicht mit Bestimmtheit zu behaupten.«

»Sicher ist er es gewesen,« bemerkte der Professor eifrig, »er hat natürlich nur seinen Anzug gewechselt.«

Rist zuckte die Achseln und fuhr fort:

»Ich habe die wachthabenden Schutzleute auf den Straßen ausgefragt, und es ist mir geglückt, die Route dieses Autos durch die Stadt festzustellen.«

Professor Arvidson war ganz erregt vor Spannung.

»Wenn wir dieses Fahrzeuges doch nur habhaft werden könnten!« sagte er.

»Herr Professor,« fragte Rist, »haben Sie Ihren Kaffee getrunken?«

Arvidson nickte.

»Und Ihr Ei gegessen?«

»Was meinen Sie?« fragte der Professor ungeduldig.

»Dann bitte, blicken Sie mal aus dem Fenster. Das Auto, von dem wir sprechen, hält nämlich unten auf der Straße!«


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