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XIII.

Professor Sune Arvidson ging mit Unlust zum Abendessen, dennoch wollte er es nicht versäumen. Er hatte nie für Geselligkeit in öffentlichen Lokalen geschwärmt; wenn er ein einzelnes Mal daran teilgenommen hatte, war es in Gesellschaft guter Freunde, meistens Studiengenossen, gewesen. Allerdings war Torben von Milde ein alter Bekannter von ihm, doch fühlte er in der Gegenwart des jungen Landjunkers einen gewissen Zwang; ihre Lebensarbeiten und Lebensanschauungen waren so verschieden, und außerdem hatte der neue Herr von Marienburg sich hinter einer Kälte verschanzt, die fast feindlich wirkte. Dazu kam der unsympathische Eindruck, den er plötzlich von Lorenzo Hengler bekommen hatte; er wußte eigentlich gar nicht, warum sein Urteil über den angesehenen Kunsthändler sich plötzlich verändert hatte, aber er hatte das Gefühl, daß er vor ihm auf der Hut sein müsse.

Das kleine Essen im Hotel Phönix aber verlief besser, als er gedacht hatte. Es zeigte sich, daß Hengler ein ausgezeichneter Wirt war, der alles vorher aufs beste arrangiert hatte. Als schließlich die Zigarrenkisten mit den feinen Havannas auf den Tisch kamen und der duftende Rauch seine Spiralen durch die Luft sandte, nahm das Gespräch von selbst eine intime Wendung. Man sprach ziemlich viel von dem großen Kunstinteresse des verstorbenen Barons – der Professor wußte nicht, wie sie ursprünglich auf dieses Thema gekommen waren, später hat er sich überlegt, daß es wohl durch Henglers Geschicklichkeit angeregt worden war.

Professor Arvidson begriff, daß es Hengler angelegen war, die Hand auf Mildes hinterlassene Kunstschätze zu legen, daß er aber gleichzeitig sein Interesse zu verbergen suchte. Vorläufig schienen Torben und Hengler sich darüber geeinigt zu haben, daß Hengler seinen großen Sachverstand bei der Ordnung der Sammlung zur Verfügung stellen sollte. Auf Weiteres aber hatte Torben sich nicht einlassen wollen, er war ein bequem veranlagter Mensch und wollte sich nicht durch irgendwelche Bestimmungen übereilen; jedes Zureden prallte an ihm ab.

»Alle, die meinen Vater kannten,« sagte er, »wußten, daß er ein zurückhaltender, fast scheuer Mann war, dem alles Hervortreten ein Greuel war. Er wünschte, daß die Oeffentlichkeit nichts anderes von ihm wußte, als daß er seine ererbten Güter aufs beste verwaltete. Auch ich betrachte es als meine Lebensaufgabe, meine Tage der musterhaften Verwaltung meiner ererbten Güter zu widmen, und ich bin der Ansicht, meine Herren, daß die Erfahrungen, die ich im Auslande und durch meine Studien erworben habe, dazu dienen, diese Aufgabe zu vertiefen. Ich glaube kaum, daß große Leidenschaften meinem Naturell liegen, aber natürlich werde ich auch künstlerische Liebhabereien pflegen, soweit sie mit der Lebensführung eines Landedelmannes vereinbar sind. Ich glaube, mein Vater genierte sich ein wenig wegen seiner Schwärmerei für Kunst. Eine solche Schwärmerei kann ebenso wie die Leidenschaft für Frauen einen Mann weit treiben. Mein Vater aber war zu gleichgewichtig, um sich von seiner Liebhaberei hinreißen zu lassen. Ich glaube aber, daß sich auf Marienburg Dinge finden, von denen niemand weiß, weil er sie vor anderen verbarg.«

Hierzu bemerkte Hengler: »Man weiß jedenfalls, daß Ihr Vater sehr geheimnisvoll aufzutreten liebte. Niemand wußte recht von seinen Einkäufen Bescheid, niemand kennt bis auf den heutigen Tag seine Sammlung genau. Dies alles aber beweist nur den ungewöhnlichen Charakter Ihres Vaters: er war Sammler nur der Kunst wegen.«

»So sehr fürchtete er, daß seine Kunstsammlung allgemein bekannt wurde, daß er auf Marienburg ein großes Zimmer ganz abgeschlossen hielt, das niemand betreten durfte. Dort hat er sicher viele wertvolle Erwerbungen aufbewahrt.«

»Ist das nicht abermals ein Beweis für sein Feingefühl?« meinte Hengler. »Er wünschte nicht, daß die Sachen profaniert werden sollten. Sie wissen nicht, welchen Schmerz stupide und gleichgültige Menschen wirklichen Kunstkennern zufügen können.«

Torben versank tiefer in Erinnerungen. »Ich entsinne mich noch,« sagte er, »wie einst Handwerker auf dem Hof waren und durch ein Mißverständnis in dies Zimmer eindringen wollten! Was gab es da für einen Krach! Nie habe ich meinen Vater so zornig gesehen. Und das waren doch einfache Arbeiter, die gar kein Urteil über die Dinge hatten.«

»Auch die Familie durfte dieses Zimmer nicht betreten?« fragte Professor Arvidson.

»Nein. Wir machten auch nie den Versuch; wir betrachteten es als eine Sonderlichkeit meines Vaters und respektierten sie. Menschen, die alten Familien angehören, haben ja oft Sonderlichkeiten.«

»Jetzt aber sind Sie wohl gespannt, was das geheimnisvolle Zimmer enthält?«

»Nein, gar nicht, lieber Professor,« antwortete Torben, »ich bin nicht gespannter darauf als auf die Familientabellen meines Vaters. Vielleicht langweilt beides mich. Mein Vater aber wird sicher seinen letzten Willen über diese Dinge wie über manches andere hinterlassen haben, und diesen Willen werde ich natürlich respektieren. Mein Vater war ein Mann der Ordnung.«

»Sie aber, Herr Professor,« sagte Hengler und blickte neckend zu Arvidson hinüber, »Sie würden natürlich voller Spannung das geschlossene Zimmer auf Marienburg öffnen?«

»Und Sie?« antwortete Arvidson.

»Natürlich, aber in meiner Eigenschaft als Kunstfanatiker. Sie jedoch, Herr Professor, haben eine andere Schwärmerei, Sie lockt das Geheimnisvolle, das Unaufgeklärte.«

»Vielleicht.«

»Aus diesem Grunde interessieren Sie sich auch wohl so sehr für den Kriminalfall. Ihren Bemerkungen habe ich entnommen, daß Sie mit der Polizei in enger Verbindung stehen. Man ist der Ansicht, daß man den richtigen Täter noch nicht gefunden hat. Ist es nicht so?«

Der Professor nickte, indem er einen verstohlenen Blick zu Torben hinüberwarf, der stumm in seine glühende Zigarre starrte.

Mit einer seltsam vertraulichen und eindringlichen Stimme fuhr Hengler fort: »Ich habe gelesen, daß man einen bestimmten Mann, einen Amerikaner sucht, der, nach dem Signalement, nicht schwer zu finden sein wird.«

»Trotzdem ist er verschwunden,« sagte Professor Arvidson.

»Ja, ich habe es gelesen. Könnte man sich nicht aber die Möglichkeit denken, daß der Mann trotzdem noch hier in der Stadt ist?«

»Mit dieser Möglichkeit wird auch gerechnet.«

»Gesetzt den Fall, daß es einen Mann gibt, der seinen Aufenthaltsort kennt ...«

»Bitte, zeigen Sie ihn uns!«

»Es ist natürlich nur eine Wahrscheinlichkeitsberechnung. Aber ich meine, daß der Verhaftete, Knud Aage Hansen, es wissen muß. Lassen Sie ihn los, und er wird sicher früher oder später seinen Mitschuldigen aufsuchen. Ein solches Experiment aber wagt die Polizei natürlich nicht, aus Furcht, daß dann auch dieser Mann ihr entkommt. Es ist nicht schwer, in einer großen Stadt unterzutauchen. Man muß eine große Stadt nicht verlassen, dadurch gibt man sich nur eine Blöße.«

»Sie glauben also, daß der Mann sich noch immer in Kopenhagen aufhält?«

»Ja,« antwortete Hengler. Plötzlich beugte er sich zu Torben hinüber: »Verzeihen Sie, daß unsere Unterhaltung eine für Sie so peinliche Wendung genommen hat,« sagte er eifrig, »es war recht unbedacht von uns.«

Torben antwortete nicht; er schenkte sich ein Glas Kognak bis an den Rand und trank es aus. Im selben Augenblick kam der Oberkellner und flüsterte Professor Arvidson etwas zu.

Dieser stand mit einer Entschuldigung auf. Ein Herr wünsche ihn zu sprechen. Draußen im Vestibül wartete dieser Herr.

Es war Rist. Das erste, was der junge Polizeibeamte sagte, war: »Helmer Stamsund ist noch in der Stadt. Er ist heute nacht gesehen worden!«

Helmer Stamsund war der Mann mit der Narbe, Knud Aages Mitschuldiger, von dem man eben gesprochen hatte.


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