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XV.

Die beiden Herren standen eine Weile und betrachteten einander stumm. Rist aber besaß Geistesgegenwart genug, seine Ueberraschung zu unterdrücken. In seiner Stimme war keine Bewegung zu spüren, als er die Hand auf den nächsten Stuhlrücken legte, dem Fremden eine Verbeugung machte und fragte:

»Ist Ihnen das Licht zu stark, dann will ich es dämpfen.«

»Keine Umstände meinetwegen,« sagte der Fremde höflich, »das Licht ist mir sehr angenehm. Bei starkem Licht treten die Gesichtszüge schärfer hervor, und ich liebe es sehr, den Ausdruck meiner Mitmenschen zu studieren.«

»Gut,« antwortete Rist. »Wir sind einander allerdings nicht vorgestellt, doch glaube ich, Sie zu kennen. Jedenfalls vom Hörensagen. Sie sind Helmer Stamsund.«

Der andere nickte und lächelte, als ob er sagen wollte: Ist das nicht sehr überraschend?

Rist fuhr indessen unangefochten fort: »Und da Sie sich in meinem Hause befinden, darf ich wohl annehmen, daß auch Sie wissen, wer ich bin. Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen.«

Rist deutete einladend mit der Hand auf den Stuhl, aus dem Stamsund sich erhoben hatte, und erst nachdem der Fremde Platz genommen, setzte er sich auf einen Stuhl ihm gegenüber.

»Ich schulde Ihnen eine Erklärung,« begann der Fremde.

Rist aber unterbrach: »Da Sie mir zu so ungewöhnlicher Zeit einen Besuch abstatteten, müssen Sie mir eine bestimmte Frage beantworten, bevor ich diese Unterhaltung fortsetze.«

Der Fremde gab höflich zu erkennen, daß er zu jedem Aufschluß bereit sei.

Rist fragte: »Darf ich Sie hier in Ihrer Eigenschaft als Einbrecher begrüßen?«

»Sie meinen,« berichtigte der Fremde, »ob ich Sie bestehlen wollte? Nein, das war nicht meine Absicht.«

»Das ist mir lieb zu hören,« antwortete Rist.

Es war, als ob zwei kühle und formvollendete Kavaliere einleitende Bemerkungen wechselten.

»Sie sind erstaunt, daß ich Sie zu so ungewöhnlicher Zeit aufgesucht habe,« meinte der Fremde.

»Das eigentlich nicht,« beeilte Rist sich zu antworten, »denn ich bin fast nur zu dieser Tageszeit hier draußen zu treffen. Nur bedauere ich, daß ich nicht zu Hause war, um Sie zu empfangen. Wie in aller Welt aber sind Sie hereingekommen?«

»Durchs Fenster.«

»Natürlich. Das hätte ich mir selbst sagen können. Welches meiner Fenster waren Sie so freundlich zu zertrümmern?«

»Keines. Das Fenster, durch das ich hereinkam, stand offen.«

»Das ist unmöglich, mein Herr. Die Fenster sind stets geschlossen, wenn ich nicht hier bin. Und wie Sie wohl wissen, habe ich eine sehr einfache Bedienung, die zeitig am Morgen kommt und nach dem Frühstück wieder geht.«

»Das Fenster stand aber doch offen,« behauptete der Fremde. »Ihrer Bedienung aber dürfen Sie es nicht zur Last legen, ich werde Ihnen den Zusammenhang später erklären.«

Der Amerikaner blickte sich im Zimmer um.

»Sie wohnen hübsch,« sagte er, »einfach und behaglich. Ganz mein Geschmack. Während Ihrer Abwesenheit habe ich Gelegenheit gehabt, Ihre Sammlung venezianischer Dolche zu bewundern, und die seltenen Orchideen dort verraten Sie als Kulturmenschen.«

»Ich danke Ihnen,« antwortete Rist, »doch nehme ich an, daß Sie nicht hergekommen sind, um mir diese Annehmlichkeiten zu sagen.«

»Allerdings nur teilweise deswegen. Ich wollte Ihnen nämlich gern sagen, daß ich persönlich nichts gegen Sie habe. Sollte es über kurz oder lang zu Auftritten zwischen uns kommen, wie sie zwischen Männern von gesellschaftlicher Bildung ungewöhnlich sind, so bitte ich Sie, davon überzeugt zu sein, daß nicht persönliche Abneigung, sondern die Macht der Verhältnisse daran schuld ist.«

»Ich möchte Ihnen diese Versicherung zurückgeben,« antwortete Rist. »Seit einigen Wochen habe ich Sie nun schon verfolgt und empfinde dieselbe Freude an der Verfolgung wie etwa der Jäger bei der Jagd eines edlen Wildes; Sie interessieren mich und sind mir sympathisch.«

Der Fremde dankte durch eine leise Kopfbewegung und fuhr fort: »Außerdem legte ich Wert auf eine gute Unterhaltung mit Ihnen. Wo findet man heute noch ein Zwiegespräch zwischen zwei begabten, überlegenen Menschen? Die Menschheit ist langweilig geworden, ich fühle mich nicht wohl in dem grauen Mittelklassenstand unserer Zeit. Ich liebe ein sensationelles, entscheidendes Beisammensein, und solche Situation ist nicht leicht zu finden.«

»Ich verstehe Sie,« antwortete Rist teilnahmsvoll. »Wäre ich Sie, würde ich auch gespannt sein, wie es mir glücken sollte, von hier fortzukommen. Ich sitze Ihnen hier als Polizeibeamter gegenüber, als der unerbittliche Handhaber des Gesetzes. Denn Sie sind es doch, der den Baron Milde ermordet hat, nicht wahr?«

Der Amerikaner machte eine abwehrende Handbewegung. »Sie stören unser vernünftiges Gespräch,« sagte er, »denn was ich auch antworte, ist gleichgültig. Sie zwingen mich nämlich, nein zu antworten, und solches Nein bringt Ihnen keinerlei Aufklärung von Wert; Sie werden trotzdem bei Ihrer Annahme bleiben. Wenn Sie mich dagegen fragen, ob ich an jenem Mordabend in der Wohnung des Ermordeten zugegen war, dann werde ich mit Ja antworten. Das ist zum Teil der Grund, weshalb ich heute abend zu Ihnen gekommen bin.«

Während er sprach, war er mehr und mehr in dem großen Stuhl zusammengesunken, was Rist ärgerte, denn dadurch kam sein Gesicht in den Schatten. Seine Augen waren halb geschlossen, der Blick verschleiert. Rist konnte diesen Blick nicht fangen, aber er fühlte ihn, einen außerordentlich scharfen, beobachtenden Blick.

»Rauchen Sie?« fragte Rist plötzlich.

»Ja,« antwortete der Amerikaner.

»Man spricht besser bei einer Zigarre,« sagte Rist, »ich kann Ihnen eine ausgesuchte Zigarre anbieten. Eine Havanna ist nicht zu stark für unsere Nerven in dieser Zeit, ich habe welche dort in der kleinen provenzalischen Schatulle liegen; ich werde sie holen.«

Bevor er aber noch Zeit gehabt hatte, sich zu erheben, hielt der andere ihn mit einer hastigen, fast drohenden Handbewegung zurück.

»Sie irren sich,« sagte er und lächelte, »nicht dort sind Ihre Zigarren.«

Rist sah ihn an und blieb sitzen.

Der Fremde zeigte auf eine dunkle Ecke des Zimmers. »Soweit mir bekannt, bewahren Sie Ihre Zigarren dort in dem verschlossenen Schränkchen auf. In der provenzalischen Schatulle dagegen hatten Sie Ihre Waffe, Ihren Revolver. Sie sind das Opfer einer plötzlichen Begriffsverwirrung geworden. Wie ist es nur möglich, daß Sie die Gegenstände in Ihrem eigenen Zimmer verwechseln ... Nein, nein, bleiben Sie ruhig sitzen, ich sagte ausdrücklich: Sie hatten Ihren Revolver in jener Schatulle.«

Er hielt plötzlich einen Revolver in der Hand, einen Browning, den er prüfend wiegte, indem er murmelte: Kaliber 7,5. Darauf legte er die Waffe vorsichtig auf die Tischplatte, ohne die Hand zurückzuziehen.

»Ein hübscher Anblick,« sagte Rist verbindlich, »die elegante Waffe auf der polierten Tischplatte und Ihre weiße Hand, mein Herr, eine aristokratische Hand.«

»Ich danke Ihnen,« sagte der Amerikaner, »und darf ich Sie jetzt bitten, die Zigarren aus dem Schränkchen dort zu holen.«


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