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VII.

Jetzt veränderte der Detektiv plötzlich seine Taktik. Er kannte diesen Typ von Verbrechern, die sich so sehr in ihr eigenes unwahres Geschwätz verwickeln, daß sie schließlich darin steckenbleiben. Das traf meistens bei jüngeren und unerfahrenen Verbrechern zu, die noch nicht das abhärtende Leben des Gefängnisses und die Uebung der Gerichtsverhandlungen hinter sich hatten. Er betrachtete den jungen Burschen ihm gegenüber, musternd und gleichsam ein wenig enttäuscht. Der Zusammenbruch war nach seiner Meinung etwas zu schnell gekommen. Er hatte von der Verschlagenheit und Widerstandskraft des jungen Burschen mehr erwartet. Dort saß er schon und war ganz aufgelöst, blaß und zitternd. Der Polizeibeamte überlegte einen Augenblick, wie er den Schlag führen sollte. Und dann begann er den Burschen auszuschelten. Er war Meister darin, die richtigen Worte für die richtigen Menschen zu finden, Worte, die dem Vorstellungskreis des Betreffenden entsprachen und die trafen. Knud Aage sei ein Esel, wenn er glaube, daß er erfahrene Polizeibeamte mit einem Haufen Lügen bluffen könne, und außerdem wäre er ein Dummkopf, der sich selbst festgerannt habe. Hätte er von Anfang an die Wahrheit gesagt, dann würde seine Sache besser gestanden haben, jedenfalls hätte er die Zeit dann nicht unnütz vergeudet.

»Was den Revolver betrifft,« fuhr der Beamte fort, »so ist es bewiesen, daß Sie ihn vor einigen Tagen Ihrer Braut, der Havanna-Katrine, gezeigt haben.«

Der Chef zeigte auf einen zivilen Polizeibeamten, der während des Verhörs hereingekommen war. »Während Sie hier Ihre Lügen auftischen, ist dieser Mann in Ihrer Wohnung gewesen–« (der Chef warf einen Blick auf einen der Zettel, die man ihm während des Verhörs gegeben hatte) »– und Ihre Freundin hat ihm erzählt, daß Sie einen Revolver in Ihrer Kommodenschublade unter Ihrer Wäsche verbargen, just solch einen Revolver, von dem wir gern etwas hören möchten, eine Waffe, mit einer silbernen Platte im Kolben.«

Der Detektivchef beugte sich zu dem jungen Verbrecher hinüber und versuchte, seinen Blick festzuhalten; der aber wich ihm beständig aus.

»Warum in aller Welt leugnen Sie, daß Sie im Besitz solcher Waffe sind?« fragte er. »Noch ist es hierzulande nicht strafbar, Waffen zu besitzen.«

Der junge Mann sah auf und lächelte müde.

»Weil ich den Revolver gestohlen habe,« antwortete er. »Ich war bei dem Einbruch im Leihamt dabei. Etwas Schlimmeres aber habe ich nicht getan.«

»Das war vor ungefähr vierzehn Tagen, nicht wahr?«

»Ja, so ungefähr.«

»Wo sind Sie seitdem gewesen?«

»Ich habe mich wie gewöhnlich herumgetrieben, ich erinnere mich nicht genau, wo.«

»An die letzten drei, vier Tage aber können Sie sich wohl erinnern.«

»Das glaube ich wohl.«

Der Chef gab einige Punkte des Geständnisses zu Protokoll und fragte darauf: »Am Abend des 30. – überlegen Sie es sich wohl, es war am Mittwoch – wo hielten Sie sich da auf?«

»Ich erinnere mich des Abends noch ganz genau,« antwortete der junge Mann, »und ich weiß auch, warum Sie mich fragen. Aber ich habe es nicht getan.«

»Was haben Sie nicht getan?«

»Ich habe den alten Mann nicht erschossen.«

»Sie meinen Baron von Milde?«

»Ja, so hieß er wohl.«

»Gut. Sie haben mir aber meine Frage noch nicht beantwortet: Wo waren Sie an jenem Abend?«

»Ich war dort.«

»In der Wohnung des Ermordeten?«

»Ja.«

»Kannten Sie Baron von Milde?«

»Ich habe ihn nie gesehen und nie mit ihm gesprochen.«

»Wie kamen Sie an jenem Abend in sein Haus?«

»Durch den Garten. Ich habe mir schon gedacht, daß man meine Fußspuren auf dem Rasen sehen würde.«

»Und Sie benutzten einen falschen Schlüssel zu der kleinen Gartenpforte?«

»Ob der Schlüssel falsch oder richtig war, weiß ich nicht, jedenfalls aber schloß er das Schloß auf.«

»Was wollten Sie in der Wohnung?«

»Was will ein Mensch, der sich nächtlicherweile in ein Haus schleicht? Ich wollte natürlich stehlen.«

»Hatten Sie es auf etwas Bestimmtes abgesehen, Geld oder Wertsachen?«

»Ich wußte, daß der alte Mann eine größere Geldsumme in seinem Arbeitszimmer aufbewahrte.«

»Fanden Sie das Geld?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Als ich durch die Verandatür kam, sah ich ihn tot im Stuhl sitzen, ein dicker Blutstreifen rann ihm über den Hals. Da bekam ich einen Schreck und schlich mich denselben Weg, den ich gekommen war, zurück.«

»Es war aber doch Ihr Revolver, der neben dem Toten gefunden wurde,« sagte der Polizist.

»Damals gehörte der Revolver mir nicht mehr.«

»Sie geben also zu, daß Sie in die Wohnung des Baron Milde eindrangen, um zu stehlen?«

»Ja.«

»Behaupten aber, daß der alte Mann schon tot war, als Sie ins Zimmer kamen?«

»Ja.«

»Ein anderer war Ihnen also zuvorgekommen?«

»Ja.«

»Sie selbst waren an jenem Abend auch bewaffnet?«

»Ja.«

Der Chef unterbrach plötzlich das Verhör und warf den Bleistift heftig auf das Papier. Er blickte sich im Zimmer um. Die drei zivilgekleideten Beamten standen dicht neben ihm. Einer von ihnen sagte: »Die Geschichte ist zu dick aufgetragen, auf den Leim gehen wir nicht!« Und alle drei lachten.

Der Verbrecher aber schien während der letzten Minuten auffallend sicher geworden zu sein. Er sah die drei Beamten herausfordernd an und beantwortete ihren Hohn mit einem Achselzucken. Es war spät geworden. Die Fenster füllten sich langsam mit der blauen Sommernacht. Der Lärm draußen wurde schwächer und schwächer, der Straßenverkehr nahm ab. Einzelne losgerissene Menschenstimmen oder die Glocke eines Fahrrades drangen in den großen Raum. Sie waren wie Signale aus dem freien Leben. Wie viele hatten hier drinnen nicht diese Signale gehört und doch den unbarmherzigen Griff der Polizeimaschine an ihrem Halse gespürt. Auch der Verbrecher dort auf dem Stuhl hob den Kopf und lauschte. –

Professor Arvidson war von seinem Platz aufgestanden. Der Detektivchef trat zu ihm und sie wechselten einige Worte.

»Glauben auch Sie, daß wir kurz vor einem Geständnis stehen?« fragte der Polizeibeamte.

»Ich meine,« sagte der Arzt, »daß er bereits gestanden hat. Die Geschichte, die er zum besten gibt, ist doch kaum glaubhaft.«

»Sehen Sie dort meine Beamten,« sagte der Detektivchef, »alles alte, erfahrene Polizeileute, die Tausende von Lügen und Ausflüchte in diesen Räumen mitangehört haben. Keiner zweifelt daran, daß er lügt und daß er es ist, der den Mord begangen hat. Was meinen Sie, Herr Professor?«

»Ich bin entsetzt,« sagte der Arzt.

»Entsetzt! Natürlich. Der Bursche ist ja noch ganz jung – und sieht eigentlich ganz brav aus.«

»Sie mißverstehen mich. Ich bin entsetzt, weil er die einzig mögliche Lösung des Rätsels gegeben hat. Auf diese Weise stimmt plötzlich alles: Zwei Menschen müssen an jenem Abend unterwegs gewesen sein. Baron Milde ist schon tot gewesen, als der Dieb durch den Garten eindrang. Der Mörder ist früher dagewesen und nicht durch den Garten gekommen.«

»Sie sind Logiker,« sagte der Chef, »aber kein Praktiker. Kein Richter im Lande und keine Jury wird mir diese Hypothese glauben. – Hallo, Verehrtester,« rief er plötzlich zu dem Verbrecher hinüber, »da Sie selbst den Baron nicht erschlagen haben, können Sie mir den Täter vielleicht nennen?«

»Ja, das kann ich,« antwortete Knud Aage.


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