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XXXVI.

Damit nahm Herr Hengler in einem der bequemen Lehnstühle Platz. Einen kleinen photographischen Apparat, den er bei sich hatte, stellte er neben sich auf die Erde, streckte die Beine und bereitete sich zum Warten. Er schien reichlich Zeit zu haben und war ganz ruhig.

»Der junge Herr Baron wird erst in einigen Stunden hier sein können, er schläft.«

»Ich habe Zeit,« antwortete der Kunsthändler. »Während das Auto im Wirtshaus gereinigt wurde, habe ich etwas gegessen. Es behagt mir durchaus, in dieser schönen kühlen Halle ein bißchen zu ruhen.«

Er putzte seinen goldgefaßten Kneifer mit großer Sorgfalt und betrachtete die Wände mit zusammengekniffenen kurzsichtigen Augen. Der Professor hatte ihm gegenüber in der Nähe der Treppe Platz genommen, auf dem Sprung, den Weg zu versperren, falls der andere Miene machen würde, die Treppe hinaufzugehen. Der Förster verweilte noch. Er hatte das Gefühl, daß sein alter Freund vielleicht seine Hilfe brauchte. Arvidson sah nicht kräftig aus und war außerdem erregt, während der andere ruhig schien und muskulös und zäh in seinen Bewegungen war wie ein Athlet.

Plötzlich wandte der Kunsthändler sich von neuem an Arvidson. Er fragte: »Sagten Sie nicht, daß vor einer Stunde auch Torben zur Ruhe ging? Ein seltsames Zusammentreffen –«

Und gleichzeitig fixierte er den Professor, indem er seinen Kneifer vor die Augen hielt, was seinem Anstarren eine vorsätzliche Unverschämtheit gab.

Arvidson lachte. »Ich verstehe Ihre Absicht,« sagte er.

»Es ist begreiflich, daß Torben jetzt ruht, denn eine Kletterpartie macht müde.«

»Sie besitzen ein eigenartiges Einbildungsvermögen,« antwortete der Professor, »oder finden Sie es nicht vollkommen wahnsinnig, Torben des Diebstahls in seinem eigenen Hause zu verdächtigen?«

Der Kunsthändler schüttelte energisch den Kopf und antwortete mit großer Bestimmtheit: »Ganz und gar nicht. In dieser Sache ist nichts mehr unmöglich, mein Herr, seitdem Sie, der berühmte Nervenarzt, den Verdacht ausgesprochen haben, daß ich vor einer Stunde als Einbruchsdieb hier im Hause aufgetreten sei. Gewiß, Sie haben es nicht direkt geäußert, aber doch deutlich genug. Wundert es Sie da noch, daß jeder Wahnsinn mir möglich erscheint? Mit demselben Recht könnte ich Sie, Herr Professor, verdächtigen. Vielleicht sind Sie die Fassade heruntergeklettert. Sie sehen auch müde und angestrengt aus. Oder vielleicht Sie, Herr Förster? Oder vielleicht – ja, warum wollen wir den Wahnsinn nicht zu Ende denken, vielleicht war es der Geist des alten Barons, der an diesem schönen Sommermorgen seinem Besitz einen Besuch gemacht hat!«

»Sie belieben zu scherzen, Herr Dr. Hengler, ich aber bin vollkommen ernst.«

Der Kunsthändler fuhr fort. Sein Ton war freundlich, seine ganze Form aber außerordentlich anmaßend. Während er sprach, stieß er seine Fingerspitzen gegeneinander, als ob er in eine wissenschaftliche Diskussion verwickelt sei, die Nachdenken erforderte.

»Gewiß, ich scherze, warum sollte ich mir eine langweilige Wartezeit nicht dadurch verkürzen? Indessen wünsche ich keinen Streit mit Ihnen, und prinzipiell habe ich auch nichts gegen eine ernste Unterhaltung. Ich bin hergekommen, um Mildes Kunstsammlung zu besichtigen, besonders würde es mich interessieren, die drei heimlichen Zimmer zu sehen. Das gehört nun einmal zu meinem Fach. Ich habe mich hier mit Torben Milde verabredet. Weshalb in aller Welt sollte ich einen Einbruch begehen, wenn ich meinen Wunsch auf rechtmäßigem Wege erfüllt bekommen kann? Bin ich Ihnen jetzt ernst genug?«

»Sie rechnen offenbar damit, daß sich in den Zimmern seltene Kunstschätze befinden?«

»Davon gehe ich allerdings aus.«

»Sie vergessen aber, daß niemand außer Milde seit Jahren diese Zimmer betreten hat. Vielleicht hat er alles verkauft.«

»Baron Milde war mehr als ein leidenschaftlicher Sammler, er war Fanatiker.«

»Eine Kunstsammlung kann durch mancherlei verstreut werden. Durch Feuersbrunst, Geschenke, Diebstahl ...«

Plötzlich schien der Kunsthändler durch ein Wort gefesselt.

»Feuersbrunst,« murmelte er, »Feuersbrunst ...«

Er sah sich um. »Dies ist ein altes Haus, viel Holzwerk. Feuer würde eine furchtbare Katastrophe sein.«

Der Professor bemerkte, daß Hengler von dem Gedanken wie von einer Vorahnung ergriffen wurde.

»Wissen Sie mit Bestimmtheit, daß Torben Sie in die geheimnisvollen Zimmer hereinlassen wird?« fragte Arvidson.

»Mit Bestimmtheit,« antwortete der Kunsthändler.

»Wenn er Sie nun aber nicht hereinläßt?«

Dr. Hengler zuckte nur die Achseln und antwortete nicht.

»Sie meinen,« fuhr Arvidson fort, »daß er Sie unter allen Umständen hereinlassen muß, ob er will oder nicht?«

»Ja, das meine ich,« antwortete der Kunsthändler.

Er sagte es mit großer Sicherheit, fast mit boshaftem Triumph.

Als Arvidson aber diese Worte gehört hatte, erhob er sich plötzlich, und indem er mit zitternder Hand auf den Kunsthändler zeigte, rief er: »Ich durchschaue Sie!«

Auch Dr. Hengler erhob sich und blieb stehen, als ob er einen Angriff erwartete.

Der Zusammenstoß aber wurde dadurch verhindert, daß ein neuer Mensch sich auf dem Schauplatz zeigte. Es war einer von den Jungen des Verwalters; er blieb an der Tür stehen, die Mütze in der Hand.

»Was willst du, Johannes?« fragte der Förster.

»Der junge Herr Baron ist am Telephon,« antwortete Johannes.

»Hat er schon ausgeschlafen?«

»Der junge Herr Baron«, fuhr Johannes fort, »wünscht, daß so schnell wie möglich zwei Zimmer für ihn instand gesetzt werden. Außerdem ein Gastzimmer. Vater ist schon unterwegs, um die Kochfrau und die Stubenmädchen zu holen. Der Herr Baron wird in einigen Minuten hier sein.«

»Kommt er zu Fuß?«

»Nein, mit einem Auto.«

»Es ist gut, Johannes.« Damit ging Johannes wieder hinaus.

Die drei Männer sahen sich erstaunt an. Der erste, der sprach, war Hengler.

»Torben hat sich vor einer Stunde im Försterhaus schlafen gelegt,« sagte er, »haben Sie denn ein Auto, Herr Förster?«

Dabei lachte der Kunsthändler leise und höhnisch.

Der Förster schüttelte den Kopf.

»Es ist merkwürdig,« fuhr der Kunsthändler fort, »daß Torben schon erwacht ist. Vielleicht haben Sie gar nicht den richtigen Torben beherbergt, meine Herren, vielleicht war es ein verkleideter Baron. Nein, nein, werden Sie nicht gleich so erbittert, in dieser Sache ist ja alles möglich, darüber wurden wir uns schon vorhin einig. Wahrscheinlich ist es der Echte, der in der Försterei schläft, und jetzt kommt im Auto ein verkleideter Torben angesaust, um das Gut zu übernehmen.«

Mit einem unverkennbaren Ausdruck des Unwillens verließ der Förster die Halle, um draußen wegen der Zimmer Bescheid zu sagen. Die beiden anderen folgten ihm langsam. Der Kunsthändler wandte sich abermals an Professor Arvidson, und jetzt war er wieder freundlich, fast einschmeichelnd. »Sie hörten die Bestellung auf das Gastzimmer,« sagte er, »das ist für mich.«

»Da irren Sie sich,« antwortete der Professor, »es ist offenbar ein Gast mit Auto zum Försterhof gekommen, der Torben geweckt hat.«

»Haben Sie eine Ahnung, wer dieser Gast sein kann?« fragte Hengler.

»Höchstwahrscheinlich ein Gast von Bedeutung,« antwortete Arvidson.

»Wer denn?«

Der Professor antwortete nicht.

Dr. Hengler lachte wieder und ging zu seinem Kraftwagen, um ihn von der Haupttreppe des Schlosses, wo er noch immer stand, zur Seite zu fahren.

Jetzt näherte sich ein anderes Auto. Der Förster trat zu Arvidson, und sie standen beide und lauschten. Das Auto kam aus der Richtung der Försterei. An dem weichen, vollen Ton desselben konnte man hören, daß es ein großer wertvoller Wagen war. Der Förster und Arvidson zogen sich in den Schatten der Bäume zurück. Der Kunsthändler hatte sein Fahrzeug verlassen, stand daneben und sah in die Richtung, woher das Geräusch des sich nähernden Autos kam. Endlich bog es in die Allee ein. Professor Arvidson erkannte es sofort. Es war Bankdirektor Guggenheims Wagen.

Auf dem Vordersitz saß Torben, noch immer mit seinem großen breitrandigen Hut, und neben ihm Guggenheim, vornübergebeugt und schwer, mit grauem Bart und gefurchten Zügen, tüchtig eingestaubt nach der langen Reise.

»Welchen Tag haben wir heute?« fragte Arvidson.

»Freitag,« antwortete der Förster.

»Also ein Wochentag, Börsentag. Und Bankdirektor Guggenheim verläßt Kopenhagen an einem Börsentag. Fürwahr, merkwürdige Dinge müssen in Vorbereitung sein!«


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