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XXXI.

Professor Arvidson konnte kein Wort hervorbringen. Teils war die Begegnung mit Torben so unerwartet, teils frappierte dessen Aussehen ihn. Der junge Gutsbesitzer sah nicht allein müde aus, was nach der durchwachten Nacht erklärlich war, sondern er schien ganz verändert. Es waren nicht mehr als zweimalvierundzwanzig Stunden vergangen, seit er ihn zuletzt gesehen hatte, und in dieser Zeit war er sichtlich gealtert. Vielleicht hatte er einen Nervenschock gehabt. Er schien erschöpft, seine Züge waren schlaff, nur der Blick brannte seltsam intensiv und wach, fast angstvoll.

Der Professor dachte bei sich: so sieht ein Mensch aus, der sich schwankend vom Spieltisch erhebt, wo er seinen letzten Einsatz verloren hat.

Torben Milde schien seine Gedanken zu verstehen, er zog den Hut tiefer in die Augen, so daß ein Teil seines Gesichtes im Schatten blieb.

Zuerst wandte Torben sich an den Förster: »Sie erkennen mich wohl nicht wieder,« sagte er.

»Doch, doch, jetzt erkenne ich Sie, Herr Baron,« antwortete der Förster, seine Stimme klang sehr ernst. »Aber Sie waren viele Jahre fort und haben sich sehr verändert.«

»Ich habe hier bei Ihnen Obdach gesucht,« erklärte Torben, »weil ich nicht ins Wirtshaus kommen konnte. Vater Abraham ist mit den Jahren nicht freundlicher geworden. Ich hatte keine Lust, mich ihm zu erkennen zu geben.«

»Ins Wirtshaus!« wiederholte der Förster verwundert, »warum kehren Herr Baron nicht im Schlosse ein? Soweit ich weiß, stehen Ihre Zimmer noch unverändert, wie Sie sie verließen. Auch der größte Teil der Dienerschaft ist noch da. Es wäre uns allen eine große Freude gewesen, den Sohn unseres lieben Herrn zu empfangen.«

Torben schüttelte den Kopf.

»Noch nicht,« sagte er, »noch ist es mir unmöglich, das Gut in Besitz zu nehmen. Doch wollte ich in aller Heimlichkeit der Gegend einen Besuch abstatten, der Stätte meiner Kindheit. Ich bin mit Absicht inkognito gekommen. Ich möchte hier einige Tage in Ruhe verbringen. Wäre ich als der neue Gutsbesitzer gekommen, hätte ich mich allen möglichen Pflichten unterziehen müssen, denen ich vorerst aus dem Wege gehen möchte. Darum entschloß ich mich, einige Tage bei Vater Abraham Quartier zu nehmen. Er ist halb blind und würde mich kaum wiedererkennen, damit rechnete ich. Und darum stattete ich mich mit dieser Botanisiertrommel aus, um einen Grund zu haben, die Gegend zu durchstreifen und alle die Orte wiederzusehen, wo ich als Kind gespielt und als Jüngling geschwärmt habe.«

Professor Arvidson dachte bei sich: Er und romantisch?! Ich kenne ihn besser. Er lügt.

Torben fuhr fort: »Als ich aber nach einem Ausflug gestern abend spät nach Hause kam und die Tür des Wirtshauses verschlossen fand, war ich so müde, daß ich mich dennoch entschloß, mich Ihnen zu erkennen zu geben, Herr Förster, um Obdach zu bekommen. Dieser niedrige Korbstuhl ist wirklich sehr bequem. Ich danke Ihnen für erwiesene Gastfreundschaft.«

Der Förster war äußerst verlegen und wußte gar nicht, wie er diesen Bericht auffassen sollte. Er machte Miene, die Haustür zu öffnen, der junge Baron aber hielt ihn mit einer Handbewegung davon zurück.

»Noch nicht,« sagte er, »es ist noch zu früh, ich warte ruhig im angenehmen Schatten.«

Torben hatte sich die ganze Zeit an den Förster gewandt, als ob der Professor gar nicht zugegen sei. Dem Professor war es nicht unangenehm, denn dadurch bekam er Gelegenheit, Torben näher zu betrachten und zu überlegen, wie er die Sache angreifen sollte. Er war sich klar darüber, daß Torben gar nicht nach Schweden reisen wollte, sondern sich direkt hierher begeben hatte. Arvidson verstand es, Physiognomien zu studieren und Geheimnisse aus den Zügen seiner Patienten zu lesen. Er zweifelte nicht, daß Torben seit ihrem Zusammensein im Hotel Phönix aufreibende und traurige Dinge erlebt hatte.

Schließlich schien Torben auch auf die Anwesenheit des Professors aufmerksam zu werden.

»Ich hätte nicht gedacht, daß wir uns schon so bald Wiedersehen würden,« sagte er. »Ich nehme an, daß Sie ein alter Freund des Försters sind.«

»Ganz recht.«

»Denn es sind doch wohl nicht meine Angelegenheiten, die Sie hierhergeführt haben?«

Der Professor lächelte. Er ist todmüde, dachte er bei sich, versucht aber dennoch mit dem letzten Rest seiner Energie, seine kühle und verschlossene Form festzuhalten.

»Sie selbst haben mir ja einen Aufenthalt auf dem Lande empfohlen, lieber Torben,« sagte er, »ich bin nur Ihrem Rat gefolgt.«

»Sie hätten aber nicht gerade diese Gegend wählen sollen, denn Sie wollten sich doch von gewissen Vorstellungen und Erinnerungen befreien, die Ihnen gerade hier begegnen werden, besonders bei Nacht. Ein Mensch, der Erholung sucht, sollte so spät nicht auf sein. Als Arzt müßten Sie das doch wissen.«

Der Professor lächelte wieder sehr nachsichtig.

»Diesen Rat möchte ich Ihnen zurückgeben, Torben,« sagte er, »und offenbar bekommen diese nächtlichen Wanderungen Ihnen schlechter als mir. Seit ich Sie vor wenigen Stunden zuletzt sah, ist eine große Veränderung mit Ihnen vorgegangen. Sie sind älter geworden. Sie haben Ihre Sicherheit verloren. Wahrscheinlich ist Ihnen etwas Unangenehmes passiert. Vielleicht ein Unglück.«

Torben zuckte zusammen. Er wollte sich erheben, glitt aber wieder in den Stuhl zurück. Er versuchte seine alte Ueberlegenheit zu erzwingen, und indem er den Kopf gegen den Stuhlrücken lehnte und zu dem Professor aufsah, war ein fast haßerfüllter Blick in seinen Augen.

»Sie irren sich,« sagte er.

Während des letzten Wortwechsels hatte der Förster sich entfernt. Er begriff, daß die beiden etwas miteinander hatten, was ihn nichts anging. Darum begab er sich ins Haus. Man konnte hören, wie er drinnen von Zimmer zu Zimmer ging.

»Glauben Sie nicht mehr an meine Freundschaft?« fragte der Professor.

»Doch, ich glaube, daß Sie nicht abzuschütteln sind.«

»Ihr Vater«, sagte der Professor bitter, »war einer meiner besten Freunde. Ihn verstand ich. Sie verstehe ich nicht.«

»Sie haben auch meinen Vater nicht verstanden,« erwiderte Torben abweisend. Er blickte sich um und bemerkte, daß der Förster fortgegangen war.

»Ich bin Ihnen während der letzten Stunden gefolgt, Torben,« sagte Arvidson.

»Ich weiß es.«

»Sie gingen vor uns im Walde.«

»Ja.«

»Und Sie waren es, den wir an dem mondbeschienenen Fenster des Schlosses stehen sahen.«

»Ja,« sagte Torben.


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