Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Die Leute, die gegen elf Uhr die breiten Treppen des Museums hinaufstiegen, um die Galerie zu besichtigen, wichen erstaunt der Gruppe Herren aus, die eilig und in eifrigem Gespräch die Stufen herabkam. Man erkannte dazwischen mehrere der bekanntesten Männer, deren Namen damals in aller Munde waren, und alle schienen durch irgend etwas stark erregt zu sein. Ueberraschung und Ratlosigkeit standen deutlich in ihren Gesichtern zu lesen. Aus den Bemerkungen, die man hörte, konnte man schließen, daß es sich um einen plötzlichen und traurigen Todesfall handelte.

Professor Sune Arvidson und der Kunsthändler Hengler sprachen einen Augenblick zusammen, bevor sie sich trennten.

»Sie werden begreifen,« sagte Arvidson, »daß wir unter diesen Umständen die Verhandlungen bis auf weiteres verschieben müssen. Voraussichtlich aber handelt es sich nur um einen Aufschub von wenigen Tagen.«

Der ausländische Kunsthändler antwortete, indem er Arvidson teilnehmend die Hand drückte:

»Nehmen Sie keine Rücksicht auf mich. Ich bleibe vorläufig in der Stadt und stehe den Herren jederzeit zur Verfügung. Auch ich durfte mich zu Herrn von Mildes Freunden zählen, und dieser Todesfall berührt mich sehr schmerzlich. Ist es ein Schlaganfall?«

»Er starb plötzlich, das ist alles, was ich weiß,« antwortete der Professor, indem er den Kunsthändler aufmerksam betrachtete; in Henglers Stimme war ihm ein Unterton von Herzlichkeit und Bewegung ausgefallen.

Dr. Hengler war kein Kunsthändler von gewöhnlichem Format. In den letzten drei Jahren hatte er sich einen europäischen Namen erworben. Kein menschlicher Beruf wird so verschieden beurteilt, wie der Kunsthandel; er gibt Spielraum für das tiefste Mißtrauen und den höchsten Grad von Vertrauen; innerhalb dieser Gilde gibt es Menschen, die die Eigenschaften von Pferdehändlern besitzen, bei denen man aber zugleich eine künstlerische Hellseherei antrifft, die neue und wertvolle Schönheitswerte an den Tag gebracht haben. – Dr. Henglers Name hatte in der Welt des Kunsthandels denselben Klang wie der Name eines alten Bankierhauses, dessen Ruf unantastbar ist. Ueber seine Nationalität war man sich nicht ganz klar; er selbst gab sich für einen Deutschen aus; einige meinten, er sei Schweizer, andere wiederum hielten ihn für einen Engländer. Sicher ist, daß er viel von der kühlen und unverwüstlichen Ruhe der Angelsachsen hatte. Seine Person trug ein Gepräge von Gesundheit und Kraft; er war mit äußerster Eleganz gekleidet, bewegte sich aber in seinen Kleidern mit der freigemachten Elastizität des Sportsmannes. Sein persönliches Auftreten wirkte immer sympathisch, und sogar ein von Natur so mißtrauischer Mensch wie Professor Arvidson fühlte sich von seinem freimütigen, offenen Wesen angezogen.

Jetzt trat der bekannte Bankdirektor Guggenheim zu ihnen, ein korpulenter, etwas asthmatischer Herr, der infolge seiner Körperfülle gebückt und vornübergebeugt ging. Er sah geradezu etwas bucklig aus, was er in Wirklichkeit gar nicht war. Seine Züge waren tief gefurcht, ein dicker, grauer Schnurrbart hing ihm über den Mund.

Direktor Guggenheim war sehr angesehen, nicht nur wegen der Riesenvermögen, über die er verfügte, sondern auch wegen seines klaren Urteils in allen Finanzangelegenheiten.

Indem er herantrat, berührte er still, gleichsam entschuldigend, Arvidsons Schulter:

»Sie fahren wohl mit mir, lieber Professor, wir haben ja denselben Weg.«

Die Aufforderung kam dem Professor etwas unerwartet und machte ihn unsicher.

»Ich sah nach einer Straßenbahn aus,« antwortete er, »die mich bis vor die Tür bringt. Dort kommt sie gerade, – aber ...«

»Also Sie fahren mit mir?« wiederholte der Bankier, diesmal etwas ungeduldig, und er sah den Professor dabei ernst an; seine Augen lagen ungewöhnlich tief hinter dicken Falten. Arvidson begriff, daß Guggenheim eine besondere Absicht mit seiner Einladung hatte. Darum verabschiedete er sich schnell von dem Kunsthändler, der ihm noch seine Adresse auf einer Visitenkarte gab: Dr. Lorenzo Hengler, Hotel »König Frederik«.

*

Guggenheims Automobil war ein offener Mercedes-Wagen. Obgleich es ein milder Hochsommertag war, mit leichtem, frischem Wind, deckte der Chauffeur seinen Herrn doch sorgfältig mit einer Decke zu; man hatte in letzter Zeit davon gemunkelt, daß die Gesundheit des großen Börsenmatadors etwas schwankend sei, und diese Gerüchte hatten sogar schon die Börse beeinflußt. Professor Arvidson warf ihm einen flüchtigen Seitenblick zu, Guggenheim sah nicht eigentlich krank aus, wohl aber sehr müde.

»Sie wohnen ja in Baron von Mildes Haus,« sagte der Bankier, »wollen Sie bitte dem Chauffeur Bescheid sagen?«

Fast lautlos glitt das große Automobil durch die Straßen. Wie war alles diskret, was zu diesem mächtigen, aber bescheidenen Mann gehörte, die angenehme, langsame Fahrt, kaum schneller als Pferdetrab, der melodische Klang der Hupe. Es war ein sehr heller Vormittag, der Himmel spannte sich silbern über die Türme der Stadt, und unten auf den Straßen gingen die Leute mit geblendeten Augen.

Professor Arvidson wollte nicht fragen. Er wußte, daß Guggenheim überflüssiges Geschwätz haßte. Aber es dauerte auch nicht lange, bis der Bankdirektor mit der Tür ins Haus fiel.

»Ich weiß noch nicht,« antwortete der Arzt. »Jedenfalls aber ist er durch eine Schußwunde durch den Kopf umgekommen.«

»Ich bekam gleich den Eindruck, daß Sie durch das Telephon eine schlimme Nachricht erhalten hatten. Sie sprachen mit seinem Diener, nicht wahr? Was ist er für ein Mensch?«

»Er war seit mehreren Jahren bei Mildes,« erklärte der Arzt, »ein ordentlicher, aber nicht sehr intelligenter Mensch. Soweit mir bekannt, hat er aber seinen Posten immer zur Zufriedenheit seiner Herrschaft ausgefüllt. Das Ereignis aber schien ihn gänzlich um sein bißchen Verstand gebracht zu haben, er war ganz verstört.«

»Das läßt sich begreifen,« meinte Guggenheim. »Hat man die Schußwaffe gefunden?«

»Ja, einen Revolver.«

»In der Nähe des Toten? Vielleicht sogar in seiner Hand?«

»Nein, auf dem Teppich neben dem Stuhl, in dem der Tote saß.«

Eine kurze Pause entstand. Darauf sagte Guggenheim:

»Alles deutet also auf Selbstmord?«

Professor Arvidson zuckte die Achseln.

»Sie verkehrten ja mit dem Verstorbenen,« fuhr Guggenheim fort, »können Sie sich einen Grund zu solcher Handlung denken?«

»Nein,« antwortete Professor Arvidson bestimmt, »soweit mir bekannt, lebte Milde vollkommen glücklich und zufrieden. Sie aber waren ja sein Bankier, Herr Guggenheim, können Sie sich einen Grund zum Selbstmord denken?«

»Baron von Milde war vermögend,« sagte der Bankdirektor, »vor dem Kriege würde man sein Vermögen ein recht bedeutendes genannt haben; der unglückselige Krieg aber hat ja alle Verhältnisse verschoben. Jetzt sind ein paar Millionen Kronen vielleicht nicht mehr so viel. Milde aber hat nie an Spekulationen teilgenommen, sein Vermögen ist echt und solide.«

Guggenheim schüttelte seinen schweren Kopf:

»Ich fasse es nicht. Merkt man es einem Menschen nicht an, wenn er solche Handlung vorhat? Gestern sprach ich noch mit Milde, und es war mir nichts Ungewöhnliches an ihm aufgefallen. Er erzählte von seinen neuen Plänen, die er mit Marienburg vorhatte, er wollte ein Gestüt einrichten. Ein Umstand aber war dabei, der es mir doch wünschenswert erscheinen läßt, mit Ihnen in die Wohnung zu gehen und mich dort umzusehen. Milde hat nämlich gestern einen ungewöhnlich hohen Betrag an meiner Bank gehoben.«

»Wie hoch?« fragte der Professor.

»Hunderttausend Kronen,« antwortete Guggenheim, »und er wollte die Summe in englischen Pfunden ausgezahlt haben, was er auch bekam.«

»Wozu wollte er diesen Betrag verwenden?«

»Das hat er mir nicht gesagt, und ich bin nicht neugierig.«

Jetzt hielt das Auto vor Mildes Haus auf dem St. Annaplatz.


 << zurück weiter >>