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XXXVIII.

Das Frühstück war in der Veranda angerichtet. Die großen Fenster standen offen, die Markisen aber gaben angenehmen Schatten.

Eine ganz leise Brise bewegte die gestreifte Leinwand und spielte mit den Blumen, die die Fenstergesimse mit ihren glühenden Farben füllten.

Unter den Fransen der Markise sah man in den großen Garten, dessen grüne Rasen in blendendem Sonnenschein gebadet lagen. Der Tisch mit fünf Kuverten gedeckt war ungewöhnlich groß. Kristall und Silber blitzten kühl. Auf dem weißen Tischtuch lagen keine Blumen, aber die goldene und tiefrote Glut in den beiden Karaffen wirkte edler als Blumen. Es war ein Tisch für ein Herrendiner, ein Gourmetdiner, mit reichlich Platz für jeden einzelnen, und die Umgebung, die Großzügigkeit und Reichtum atmete, paßte ganz zum Stil.

Daß aber das Fest improvisiert war, sah man an der Bekleidung der Teilnehmer. Der Förster war noch immer im Jagdanzug mit Schaftstiefeln. Im Grunde war das ganze Arrangement sein Werk, und er war stolz darauf. Torben hatte sich darauf beschränkt, einen einzigen Bescheid zu geben, und zwar wegen des Sherry, den er mit Rücksicht auf Guggenheim, und wegen der Zigarren, die er mit Rücksicht auf sich selbst ausgewählt hatte. Der alte Baron war ein großer Havannakenner gewesen, die einzige Liebhaberei des Alten, die den Beifall des Sohnes gehabt hatte. Im übrigen aber hatte er zum Förster gesagt: »Wir sind alle müde, einige von uns vielleicht sogar nervös, sorgen Sie dafür, daß nichts fehlt.«

Hengler trug einen hellgrauen Sommeranzug und ein blaugestreiftes Sporthemd. Professor Arvidson hatte nicht einmal einen Stehkragen an, sondern trug einen weichen Kragen à la Byron. Torben hatte seinen breitrandigen Hut abgelegt und sagte dem Förster einige freundliche Worte über sein Kunstwerk. Als jetzt Guggenheim aus seinem Zimmer kam, wie gewöhnlich, grau im Gesicht und vornübergebeugt in seinem schwarzen Gehrock, ging man gleich zu Tisch, und die Herren nahmen Platz, wie es sich gerade traf.

Arvidson saß mit dem Rücken gegen Tür und Garten. Das Gespräch war von jener unpersönlichen Liebenswürdigkeit geprägt, womit Herrengesellschaften anzufangen pflegen, einerlei, ob die Teilnehmer die besten Freunde oder auch Feinde sind. Torben schien es angelegen zu sein, sich von der besten Seite zu zeigen. Nachdem der Kellner den eiskalten Schnaps zum Hors d'œuvre eingeschenkt hatte, hob Torben sein Glas und begrüßte seine Gäste. Merkwürdigerweise schien er von demselben Gedanken ergriffen, der Professor Arvidson schon lange beschäftigt hatte. Der Professor lauschte seinen Worten mit verwunderter Spannung.

»Als ich auf die Nachricht von dem traurigen Ableben meines Vaters nach Hause kam,« sagte er, »hatte ich keine Gelegenheit, viele meiner alten Freunde zu treffen, ich hatte mich zu lange außer Landes aufgehalten. Nach und nach aber kreuzten Menschen meinen Weg dadurch, daß die Ereignisse, die Ihnen allen bekannt sind, sich entwickelten. Vor allen Dingen begegnete ich Ihnen, Herr Guggenheim, meines Vaters treuem Freunde, dann Ihnen, Herr Professor, und dann Ihnen, Dr. Hengler, der meinem Vater auf so mancherlei Art beigestanden hat. Mit der Zeit kamen wir nicht mehr voneinander los, und es ist seltsam, daß wir uns auch hier draußen alle wieder begegnen, denn, offen gestanden, habe ich keinen von den Herren hier erwartet. Professor Arvidson hält sich hier als Sommergast auf, Guggenheim fährt zufällig in seinem Auto vorbei, Dr. Hengler ist hier, von seinem Kunstinteresse getrieben. Und plötzlich treffen wir alle an einem bestimmten Tage hier zusammen, von dem seltsamen Spiel des Zufalls geführt. Wenn ich mich umblicke, habe ich den Eindruck, daß keiner von denen fehlt, die auf so mystische Weise Bedeutung füreinander gewonnen haben ...«

Hier wurde Torben dadurch unterbrochen, daß Sune Arvidson sein Glas klirrend auf die Erde fallen ließ. Dabei lehnte er sich nach hinten über, als ob er nach Luft schnappe.

»Sie sind doch nicht krank, lieber Freund?« fragte Torben.

»Nein,« antwortete der Professor.

»Sie sehen so blaß aus. Vielleicht die Wärme ...?« »Nein,« wiederholte der Professor, »ich bin nicht krank, es war nur eine Ungeschicklichkeit von mir. Fahren Sie fort.«

Torben betrachtete den Professor forschend und ernst und schloß dann seine Begrüßungsrede schnell mit folgenden Worten:

»Wir wollen diese Begegnung wie Freunde genießen, die sich in trüben Tagen begegnet sind und jetzt sehen, daß die Zukunft sich lichter zu gestalten beginnt. Ist es doch das ewige Gesetz des Lebens, daß man Trauriges vergißt und Erfreuliches in Erinnerung behält.«

Der Kellner hatte Arvidson in aller Eile ein neues Glas gebracht, und alle tranken schweigend. Aber es war ein sonderbares und fast drückendes Schweigen. Guggenheim starrte mit seinen matten, unheimlichen Porzellanaugen vor sich hin, Dr. Hengler sah lächelnd in seine Serviette. Torben aber nahm das Gespräch von vorhin wieder auf, den leichten, konversierenden Ton, der bei einem guten Essen so angenehm ist. Es war erstaunlich, daß Torben bei allem, was vorangegangen war, diesen Ton aufrechterhalten konnte. Er verriet dadurch große Geistesgegenwart. Oder war er wie ein Spieler, der weiß, daß er gute Karten in der Hand hält, und der Entscheidung mit Ruhe entgegensieht?

Merkwürdigerweise aber war auch Professor Arvidson nach seinem Pech mit dem zerbrochenen Glas wieder besserer Laune geworden. Er kam Torben hilfreich entgegen, griff in die Konversation ein und zog andere mit herein, so daß das Gespräch nach und nach allgemein wurde. Natürlich trug auch der vortreffliche Wein zu der guten Stimmung bei. Außerdem war es nicht mehr so warm. Draußen war ein Wind aufgekommen, der die große Veranda mit seiner Kühle füllte. Es war ein Wind, wie er manchmal an heißen Tagen aufkommt und sich hastig zu einem Sturm entwickelt.

Was aber war geschehen? Hatte Professor Arvidson wirklich sein Glas aus Ungeschicklichkeit verloren, wie er sagte, oder hatte er etwas Ueberraschendes entdeckt?

Es war folgendes geschehen: Sein Blick war zufällig auf den Kellner, den neu engagierten Lohndiener aus dem Krug, gefallen. Der Kellner hatte auch ihn angesehen, und da hatte Arvidson ihn erkannt.

Es war Rist, der Detektiv.

In einer ganz leichten, aber dennoch vortrefflichen Verkleidung. Es kam dem jungen Mann zugute, daß er sein Leben in einer Unzahl von Restaurants verbracht hatte. Torben Milde konnte sich keine bessere Bedienung bei diesem vornehmen Frühstück wünschen. Hier bekräftigte es sich von neuem, daß ein hochgebildeter Mann mit guten Manieren jeden Augenblick ein vorzüglicher Kellner werden kann.

Rists Gegenwart beruhigte Arvidson außerordentlich; denn er hatte das bestimmte Gefühl, daß dieser Tag der letzte sei und die Nacht die Entscheidung bringen würde. Die Unruhe vor dem Kommenden wuchs in seinen Nerven wie draußen der Sturm, der immer deutlicher ein Gewitter heranzog.

Wir sind alle versammelt, dachte er bei sich, und wir sind unser sogar mehr, als Torben annimmt. Denn auch der Mann mit der Narbe, der Amerikaner, fehlt nicht, dort sitzt er.

Und er nickte unwillkürlich Hengler zu. Dieser, der Arvidsons Gedanken nicht ahnen konnte, mißverstand die Bewegung und trank ihm zu.


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