Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Einundvierzigstes Kapitel

Balbilla und ihre Gefährtin, Publius Balbinus und andere vornehme Römer, der Sophist Favorinus und ein großes Gefolge von Kämmerern und Dienern sollten die Kaiserin zu Schiff begleiten, während Hadrian die Landreise mit einem kleinen Gefolge antrat, zu dem er einen stattlichen Jagdtroß gesellte.

Bevor er nach Memphis gelangt war, hatte er in der Libyschen Wüste, die er durchzog, einige Löwen und viele andere Raubtiere erlegt und dabei an Antinous den besten Weidgesellen wiedergefunden.

Kaltblütig in der Gefahr, rüstig beim Wandern, genügsam und dienstwillig in jeder Lage, erschien der Jüngling seinem Gebieter wie ein von den Göttern selbst zu seiner Freude geschaffener Gefährte.

Wenn Hadrian stunden- und tagelang sann und schwieg, störte er ihn mit keinem Worte; aber auch in solchen Zeiten war dem Kaiser die Gegenwart seines Lieblings notwendig; denn ihn beglückte das bloße Bewußtsein, ihn in seiner Nähe zu haben.

Auch Antinous fühlte sich bei dieser Wanderung wohl, denn er empfand, daß er seinem verehrten Herrn etwas sein und dadurch die Last verringern konnte, mit der ihn der Frevel, den er begangen, noch immer bedrückte.

Das Träumen war ihm ohnehin lieber als das Reden, und die frische Bewegung wahrte ihn vor Erschlaffung.

In Memphis wurde Hadrian einen vollen Monat zurückgehalten.

Er mußte daselbst mit Sabina, deren Schiff er dort vorfand, die Tempel der ägyptischen Götter besuchen und im Ornat der Pharaonen sich mancherlei Zeremonien unterwerfen. Sabina glaubte oft vergehen zu müssen, wenn sie, geschmückt mit dem großen Geierkopfputz der Beherrscherinnen des Niltales, in langen Gewändern und mit Goldschmuck überladen, an der Seite des Gemahls in Prozession durch alle Räume, auf das Dach und endlich in das Sanktuarium der Heiligtümer geführt wurde. Wie widersinnigen Förmlichkeiten galt es sich auch bei diesen Rundgängen zu unterwerfen und wie zahlreichen Opfern beizuwohnen.

Wenn sie von den Tempelbesuchen heimkehrte, fühlte sie sich bis aufs äußerste erschöpft, und es war auch nichts Kleines, sich so viele Räucherungen und Besprengungen gefallen zu lassen, so lange Litaneien und Hymnen mit anzuhören, so weite Strecken zu durchwandern, und während man zu den Himmlischen erhoben wurde, sich auf dem Throne der Gottheit mit verschiedenartigen Kronen schmücken und mit allerlei Binden und Symbolen ausstatten zu lassen.

Ihr Gemahl ging ihr mit gutem Beispiel voran.

Er trug bei diesen Zeremonien die ganze ernste Majestät seines Wesens zur Schau und benahm sich unter den Aegyptern wie einer der Ihren. An der mystischen Weisheit der Priester, mit denen er häufig und lange verkehrte, fand er Gefallen.

Wie zu Memphis, so unterwarf sich das kaiserliche Paar in allen Haupttempeln der weiter südlich gelegenen größeren Städte den Huldigungen der Hierarchie und der Vergötterung.

Wo Hadrian die Mittel für die Erweiterung eines Heiligtums bewilligte, mußte er mit eigener Hand die Zeremonie der Grundsteinlegung ausführen.

Bei alledem behielt er Zeit, in der Wüste zu jagen, die Staatsgeschäfte zu erledigen und die sehenswürdigen Denkmäler der Vorzeit zu besichtigen. In Memphis vor allen Dingen die Totenstadt mit den Pyramiden, mit den großen Sphinx, dem Serapeum und den Apisgräbern.

Vor ihrem Aufbruch befragte er und seine Begleiter das Orakel des heiligen Stieres.

Der Dichterin Balbilla wurde die freundlichste Zukunft verheißen. Der Stier, dem sie mit abgewandtem Antlitz einen Kuchen reichen mußte, war mit ihrer Gabe zufrieden gewesen und hatte sie mit der feuchten Zunge an der Hand gestreift. Hadrian befand sich noch im Ungewissen über den Spruch der Apispriester; denn es war ihm von ihnen eine versiegelte Rolle sowie eine Erklärung der in ihr enthaltenen Zeichen überreicht, aber feierlich anbefohlen worden, sie nicht früher als nach Ablauf eines halben Jahres zu eröffnen.

Der Kaiser traf mit seiner Gattin nur in den größeren Städten zusammen; denn er reiste zu Lande, sie aber zu Wasser.

Die Schiffe erreichten fast ausnahmslos ihr Ziel früher als die Wanderer, und wenn diese endlich auch dahin kamen, gab es jedesmal eine Bewillkommnungsfeier, an der Sabina freilich nur selten teilnahm. Um so eifriger war Balbilla bemüht, den Wandernden die Ankunft durch freundliche Überraschungen zu verschönern.

Sie verehrte den Kaiser, und die Schönheit seines Lieblings übte einen unwiderstehlichen Zauber auf ihre Künstlerseele.

Ihn anzuschauen gewährte ihr Genuß, sein Scheiden bekümmerte sie, und wenn er wiederkehrte, war sie immer die erste, die ihn begrüßte.

Und doch kümmerte er sich um das heitere Mädchen nicht mehr und nicht weniger als um die anderen Frauen im Gefolge Sabinas; Balbilla aber verlangte auch nichts von ihm als den Genuß, ihn anzuschauen und sich an seiner Schönheit zu erfreuen.

Hätte er es gewagt, ihre Huldigungen für Liebe zu nehmen und ihr die seine anzutragen, würde die Dichterin ihn mit Entrüstung in seine Schranken zurückgewiesen haben; und doch gab sie ihre Bewunderung über die Schönheit des Bithyniers unverholen zu erkennen, und zwar in auffallend geflissentlicher Weise.

Wenn die Reisenden nach längerer Abwesenheit wieder erschienen, fand Antinous in dem Schiffsraume, den er bewohnte, Blumen und auserlesene Früchte, die sie ihm gesandt, und Verse, in denen sie ihn besungen hatte.

Er legte das alles zu dem anderen und gewährte der Geberin dafür nur geringere Achtung.

Der Dichterin blieb dies Gefühl ihres schönen Abgottes verborgen, und sie kümmerte sich auch nicht um seine Empfindungen.

Es war ihr bis dahin stets mühelos gelungen, sich in den Grenzen des Ziemlichen zu halten.

Jetzt gab es Stunden, in denen sie sich sagte, daß sie sich vielleicht hinreißen lasse, diese Schranke zu überschreiten.

Aber was fragte sie nach dem Urteil ihrer Umgebung, was nach dem innern Leben des Bithyniers, an dem ihr nur die äußere Form gefiel?

Die Möglichkeit, Hoffnungen in ihm zu erwecken, die sie niemals erfüllen konnte und wollte, fürchtete sie nicht, weil sie ihr nicht einmal in den Sinn kam; und dennoch war sie unzufrieden mit sich selbst; denn Einer mißbilligte ihr Tun, Einer hatte ihre Absicht, die Schönheit des Jünglings durch Blumen zu ehren, in klaren Worten getadelt, und das Urteil dieses Einen galt ihr mehr als das aller anderen Männer und Frauen zusammengenommen.

Dieser Eine war der Baumeister Pontius, und seltsamerweise ließ sie sich gerade durch die Erinnerung an ihn von Torheit zu Torheit verleiten.

Sie hatte den Architekten in Alexandria oft gesehen und bei ihrem Abschied sich von ihm versprechen lassen, der Kaiserin und ihr nachzukommen und ihr wenigstens auf einem Teil der Nilfahrt Gesellschaft zu leisten.

Aber er kam nicht, er ließ sie auch nichts von sich hören, obgleich er gesund war und jeder Bote dem Kaiser Rollen mit Aufschriften von seiner Hand überbrachte.

Er, auf dessen treue Hingabe sie wie auf Felsen gebaut hatte, war also nicht weniger selbstsüchtig und wankelmütig als die anderen Männer.

Täglich und stündlich dachte sie an ihn, und sobald ein von Norden kommendes Schiff in der Nähe des ihren vor Anker ging, beobachtete sie die ans Land steigenden Reisenden, um ihn unter ihnen zu entdecken.

Sie sehnte sich nach Pontius, wie ein verwirrter Wanderer den Führer zurückwünscht, der ihm entlaufen, und doch grollte sie ihm; denn er hatte ihr durch tausend Zeichen verraten, daß sie ihm wert sei, daß sie Macht über seinen starken Willen besitze, und nun war er wortbrüchig und kam nicht.

Und sie?

Sie war nicht ungerührt von seiner Neigung geblieben und gegen den Enkel des Freigelassenen ihres Großvaters gütiger gewesen, als gegen die edelsten Männer aus dem eigenen Stande.

Und trotz alledem verdarb ihr gerade Pontius den Genuß ihrer Reise und blieb, statt ihr zu folgen, in Alexandria.

Wie leicht hätte er seine Bauten anderen Architekten übertragen können, von denen die Weltstadt wimmelte.

Wenn er nicht nach ihr fragte, so brauchte sie sich wahrhaftig noch weniger um ihn zu kümmern. Einmal am Schluß der Reise kam er vielleicht doch noch, und dann sollte er sehen, wieviel sie auf seine Mahnungen gebe!

Ungeduldig sehnte sie die Stunde herbei, in der sie ihm alle ihre auf Antinous gedichteten Verse vorlesen und ihn fragen konnte, wie sie ihm gefielen. Es gewährte ihr kindische Lust, die Zahl dieser kleinen Gedichte zu vermehren, sie sauber auszufeilen, in ihnen ihr ganzes Wissen und Können leuchten zu lassen. Künstlichen und schwierigen Maßen gab sie den Vorzug, einige Verse wurden in lateinischer Sprache, andere in attischem, wieder andere in äolischem Griechisch gedichtet, das sie nun schon zu gebrauchen verstand, alles, um Pontius zu strafen, um ihn zu ärgern, und doch auch, um vor ihm mit ihrem Können möglichst hell zu glänzen. Sie besang Antinous für Pontius, und keine Blume erhielt der Günstling von ihr, bei der sie nicht mit trotzig aufgeworfener Lippe an den Baumeister gedacht hätte.

Aber ein Mädchen kann die Schönheit eines Jünglings nicht straflos mit neuen und wieder neuen Versen besingen, und so kamen Stunden, in denen Balbilla zu glauben geneigt war, daß sie Antinous liebe. Sie nannte sich dann seine Sappho, und er schien bestimmt, ihr Phaon zu werden.

Während seiner langen Wanderungen mit dem Kaiser konnte sie sich lebhaft – ja bis zu Tränen schmerzlich – nach ihm sehnen; sobald er aber zurückkehrte und sie ihm wieder in die wenig belebten Züge und matten Augen schaute und schläfrige »Ja« und »Nein« hörte, womit er ihre Fragen beantwortete, war der Zauber völlig gebrochen, und sie gestand sich redlich ein, daß sie ihn beinahe ebenso gern aus Marmor gehauen wie in Fleisch und Blut vor sich sehe.

In solchen Stunden wurde ihre Erinnerung an den Baumeister besonders lebendig, und während einmal ihr Schiff zwischen Lotosblättern hinfuhr, über die sich eine schöne, voll aufgeblühte Blume emporhob, flocht sie, die jede bemerkenswerte Erscheinung schnell auffaßte, um sie dichterisch in sich umzubilden, eine Reihe von Versen zusammen, in denen sie Antinous eine Lotosblume nannte, die ihre Bestimmung erfüllte, wenn sie nur schön war, und Pontius mit dem Schiffe verglich, das, wohlgefügt und gut gesteuert, zu frischen Fahrten in weite Fernen einlud.

Beim hunderttorigen Theben erreichte die Nilfahrt ein Ende.

Nichts, was römischen Reisenden anziehend erschien, blieb hier unbesichtigt. Die bis in das Herz der Felsenberge eindringenden Pharaonengrüfte und die großen, doch ihres alten Glanzes beraubten Tempel im Westen der Totenstadt erregten die Bewunderung des Kaisers. Das Herrscherpaar hörte mit seinen Begleitern auch den berühmten Memnonskoloß, dessen oberen Teil ein Erdbeben zu Boden geschleudert hatte, dreimal am frühen Morgen klingen.

Balbilla beschrieb dies Ereignis in mehreren langen Gedichten, die Sabina an den Stein des Kolosses meißeln ließ. Die Dichterin glaubte, die Stimme des Memnon gehört zu haben, der seiner Mutter Eos entgegensang, während ihre Tränen, der frische Morgentau, das Bild ihres vor Troja gefallenen Sohnes benetzten. Sie verfaßte diese Verse in äolischer Mundart, nannte sich als ihre Verfasserin und teilte den Lesern, zu denen sie auch Pontius zählte, mit, daß sie aus keinem geringeren Hause als aus dem des Königs Antiochus stamme.

Die ungeheuren Tempel auf beiden Ufern des Nils entsprachen völlig den Erwartungen des Kaisers, obgleich sie durch Erdbeben und Belagerungen schwere Beschädigungen erlitten hatten und die verarmende Priesterschaft von Theben nicht mehr imstande war, für ihre Erhaltung, geschweige denn für ihre Wiederherstellung genügende Sorge zu tragen.

Balbilla begleitete Hadrian auch in das Heiligtum des Ammon auf dem Ostufer von Theben.

In dem größten und höchsten aller Säulensäle fühlte sich ihre empfängliche Seele mächtig erhoben, und als der Kaiser bemerkte, wie sie mit glühenden Wangen bald aufwärts schaute, bald an eine der turmhohen Säulen gelehnt um sich her blickte, fragte er sie, was sie in diesem echten Götterhause empfinde.

»Eins, eins vor allem anderen,« rief die Dichterin, »daß die Baukunst von allen Künsten die erhabenste ist! Dieser Tempel scheint mir ein gewaltiges Epos zu sein, und der, der es dichtend ersann, hat es nicht aus ärmlichen Worten, sondern aus schwer beweglichen Massen zusammengefügt. Tausend Teile sind hier zu einem Ganzen verbunden und ein jeder fügt sich in schöner Harmonie zu dem andern und hilft dem gewaltigen Gedanken, der die Seele des Schöpfers dieser Halle erfüllte, Ausdruck zu geben. Welcher andern Kunst wäre es vergönnt, ein gleich unvergängliches, jedes gewöhnliche Maß weit überschreitendes Werk zu gestalten?«

»Die Dichterin reicht dem Architekten einen Lorbeer,« entgegnete der Kaiser. »Aber ist des Dichters Reich nicht das Unendliche und kommt der Baukünstler jemals über das Endliche und Begrenzte hinaus?«

»Ist denn das Wesen der Himmlischen meßbar?« gab Balbilla fragend zurück. »Es ist es nicht; und doch scheint mir diese Halle so beschaffen, als müßte die Gottheit Raum in ihr finden.«

»Weil sie einem Meister den Ursprung verdankt, dessen Seele, als er sie schuf, an die Grenzen der Ewigkeit rührte. Aber glaubst du, daß dieser Tempel die Gesänge Homers überdauert?«

»Nein; doch die Erinnerung an sie wird ebensowenig vergessen werden wie der Zorn des Achill und die Irrfahrten des vielgewandten Odysseus.«

»Schade, daß unser Pontius dich nicht hört,« rief der Kaiser. »Er hat den Plan zu einem Werke vollendet, das mich und ihn und uns alle zu überdauern bestimmt ist. Ich rede von meinem Grabmal. Außerdem will ich durch ihn zu Tibur Tore, Höfe und Säle in ägyptischem Stil erbauen lassen, die uns an unsere Wanderung durch dies wunderbare Land erinnern sollen. Ich erwarte ihn morgen.«

»Morgen?« fragte Balbilla, und das Antlitz färbte sich ihr bis zur Stirn mit flammendem Rot.


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