Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Elftes Kapitel

Pontius warf das Pallium über den Chiton, den er bei der Arbeit zu tragen pflegte, und ging dem Beherrscher der Welt, von dessen Ankunft er durch den Brief des Präfekten unterrichtet worden war, entgegen. Er war dabei völlig ruhig, und wenn das Herz ihm schneller schlug als sonst, so geschah es nur, weil er sich freute, dem wunderbaren Manne, dessen Persönlichkeit einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte, wieder zu begegnen.

In dem Bewußtsein, was in seinen Kräften stand, getan zu haben und keinen Tadel zu verdienen, schritt er durch die Vorräume und das Haupttor des Palastes in den Hof hinaus, auf dem viele Sklaven beim Fackellicht mit dem Legen von neuen marmornen Fliesen beschäftigt waren.

Weder diese Leute noch ihre Aufseher hatten acht auf das Hundegebell und das laute Reden, das sich seit kurzer Zeit neben dem Wächterhäuschen hören ließ; denn es war den Arbeitern und ihren Führern eine besondere Belohnung in Aussicht gestellt worden, wenn sie bis zu einer gewissen Zeit ein begrenztes Stück des neuen Pflasters zur Zufriedenheit des Baumeisters vollendet haben würden.

Niemand ahnte, wem die tiefe Männerstimme angehörte, die vom Tore her über den Hof klang.

Der Kaiser war von widrigen Winden aufgehalten worden und erst kurz vor Mitternacht im Hafen eingelaufen.

Er begrüßte den auf ihn wartenden Titianus als lieben alten Freund mit von Herzen kommender Wärme und bestieg mit ihm und Antinous sogleich den Wagen des Präfekten, während der Geheimschreiber Phlegon, der Arzt Hermogenes und der Sklave Mastor mit dem Gepäck, zu dem auch Feldbetten gehörten, auf einem anderen Fuhrwerke ihm folgen sollten.

Die Hafenwächter stellten sich dem in großer Eile in der dunklen Straße dahinsausenden Wagen und der ungeheuren, die Ruhe der Nacht mit ihrem Gebell störenden Dogge unmutig entgegen; sobald sie aber Titianus erkannten, traten sie ehrerbietig zur Seite.

Der Torhüter und sein Weib waren, gehorsam der Mahnung des Präfekten, wach geblieben, und sobald der Sänger den Wagen, der den Kaiser trug, nahen hörte, eilte er an die Pforte des Palastes und öffnete sie.

Das aufgerissene Pflaster und die mit seiner Erneuerung beschäftigten Leute nötigten Titianus und seinen Begleiter, hier von dem Fuhrwerk zu steigen und hart an dem Torwärterhäuschen vorüberzugehen.

Hadrian, von dem nichts unbemerkt blieb, was auf seinen Wegen der Beachtung wert zu sein schien, blieb vor der weit geöffneten Tür der Wohnung Euphorions stehen und blickte in den freundlichen, mit Blumen und Vögeln und der Apollostatue geschmückten Raum, auf dessen Schwelle Frau Doris in ihrem neuesten Gewande den Präfekten erwartete. Titianus begrüßte sie herzlich; denn er war gewöhnt, so oft er auf die Lochias kam, manches heitere und kluge Wort mit ihr zu tauschen.

Die kleinen Hunde waren schon in ihre Körbchen gekrochen; sobald sie aber die fremde Dogge witterten, stürzten sie mit lautem Gekläffe an ihrer Herrin vorbei ins Freie, und so sah sich Frau Doris gezwungen, während sie den Gruß ihres freundlichen Gönners erwiderte, Euphrosyne, Aglaja und Thalia mehr als einmal bei ihren schönen Namen zu rufen.

»Prächtig, prächtig!« rief Hadrian und wies in das Häuschen. »Ein Idyll, ein reines Idyll. Wer hätte solchen lachenden Friedenswinkel in der unruhigsten, geschäftigsten Stadt des Reiches zu finden erwartet!«

»Ich und Pontius waren auch überrascht über dies Nestchen und ließen es darum unangetastet,« sagte der Präfekt.

»Verständige Leute verstehen einander, und ich weiß euch Dank für die Schonung dieses Häuschens,« entgegnete der Kaiser. »Welches Omen, welche günstige, überaus günstige Vorbedeutung das ist! Die Grazien empfangen uns hier in dem alten Gemäuer; Aglaja, Euphrosyne, Thalia!«

»Freue dich, Herr,« rief nun Doris dem Präfekten entgegen.

»Wir kommen spät,« sagte Hadrian.

»Das schadet nichts,« lachte die Alte. »Hier auf der Lochias haben wir seit einer Woche ohnehin verlernt, Tag und Nacht zu unterscheiden, und das Gute kommt niemals zu spät.«

»Ich bringe heute auch einen vortrefflichen Gast mit,« sagte Titianus, »den großen römischen Baumeister Claudius Venator. Erst vor wenigen Minuten ist er dem Schiff entstiegen.«

»So wird ein Schluck Wein ihm wohltun. Wir haben guten mareotischen weißen aus dem am See gelegenen Garten meiner Tochter im Hause. Wenn dein Freund bescheidenen Leuten die Ehre erweisen will, so bitte ich ihn, bei uns einzutreten. Nicht wahr, Herr, sauber ist es bei uns, und des Bechers, den ich ihm reiche, braucht sich der Kaiser selbst nicht zu schämen. Wer weiß, was ihr da oben in dem schrecklichen Wirrwarr findet.«

»Ich folge deiner Einladung gern, mein Mütterchen,« gab Hadrian zurück. »Man sieht es dir an, daß du uns gern bewirtest, und man könnte dich um dein Häuschen beneiden.«

»Wenn Kletterrosen und Geißblatt erblühen, wird es noch hübscher,« entgegnete Doris und füllte den Becher. »Hier ist auch das Wasser für die Mischung.«

Der Kaiser ergriff den von Pollux geschnitzten Pokal, sah ihn in voller Bewunderung an und sagte, bevor er ihn an die Lippen führte:

»Ein Meisterwerk, Mutter. Woraus soll hier der Kaiser trinken, wenn die Torhüter sich solcher Gefäße bedienen? Wer verfertigte diese vortreffliche Arbeit?«

»Mein Sohn hat ihn in freien Stunden für mich geschnitzt!«

»Er ist ein tüchtiger Bildhauer,« fügte Titianus ergänzend hinzu.

Nachdem der Kaiser mit großem Behagen den Becher halb geleert hatte, stellte er ihn auf den Tisch und sagte: »Ein ausgezeichneter Trank! Ich danke dir, Mutter.«

»Und ich dir, daß du mich Mutter nennst. Es gibt keinen schöneren Titel für eine Frau, die gute Kinder heranzog, und ich habe deren drei, die sich sehen lassen können.«

»So wünsch' ich dir Glück zu ihnen, mein Mütterchen,« entgegnete der Kaiser. »Wir sehen uns wieder; denn ich bleibe einige Tage hier auf der Lochias.«

»Jetzt, in diesem Getreibe?« fragte Doris.

»Dieser große Baumeister,« sagte Titianus erklärend, »soll den vortrefflichen Pontius unterstützen.«

»Der braucht keine Hilfe!« rief die Alte. »Der ist ein Mann vom besten Schlage. Seine Umsicht und Tatkraft, sagt mein Sohn, wären ohnegleichen. Ich habe ihn auch selbst befehlen sehen und kenne meine Leute.«

»Und was hat dir an ihm besonders gefallen?« fragte Hadrian, den die unbefangene Art der klugen Frau ergötzte.

»Er verliert keinen Augenblick die Ruhe in dieser Hast, spricht kein Wort zu viel oder zu wenig, kann streng sein, wo es not tut, und ist gegen Geringere freundlich. Was er als Künstler vermag, das verstehe ich nicht zu würdigen, aber ganz sicher weiß ich, daß er ein rechter, tüchtiger Mann ist.«

»Ich kenne ihn selbst,« sagte der Kaiser, »und du schilderst ihn richtig; doch er ist mir strenger erschienen.«

»Weil er ein Mann ist, muß er auch hart sein können; doch er ist es nur, wo es not tut, und wie gütig er sein kann, das zeigt er uns täglich. Man macht sich seine eigenen Gedanken, wenn man häufig allein ist, und das habe ich bemerkt: wer sich abweisend und herb gegen Geringere benimmt, der ist selbst nichts Hohes; denn er hält es für nötig, der Gefahr vorzubeugen, daß man ihn für ebenso klein hält wie den Armen, mit dem er verkehrt. Wer was Rechtes ist, der weiß, daß man's ihm ansieht, auch wenn er unsereinen wie seinesgleichen behandelt. Pontius tut es, und der edle Statthalter Titianus und du, der du sein Freund bist, nicht minder. Es ist schön, daß du herkamst; doch, wie gesagt, der Baumeister oben wird auch ohne dich fertig.«

»Du scheinst meine Tüchtigkeit nicht eben hoch anzuschlagen: das tut mir leid; denn du hast mit offenen Augen gelebt und die Menschen gut beurteilen lernen.«

Da schaute Doris den Kaiser mit den freundlichen Augen klug und prüfend an und entgegnete in zuversichtlichem Tone: »Du – du bist etwas Großes, und es kann sein, daß dein Auge manches sieht, was Pontius entgeht. Es gibt einige Wenige, mit denen es die Musen besonders gut meinen, und zu ihnen wirst du gehören.«

»Was führt dich auf diese Vermutung?«

»Ich erkenne es an deinem Blicke, an deiner Stirn.«

»Seherin!«

»Nein, ich bin nichts dergleichen; doch ich bin eine Mutter, die zwei Söhne hat, denen die Himmlischen auch etwas Besonderes verliehen, das ich nicht zu beschreiben vermöchte. Bei ihnen sah ich's zuerst, und wo ich es dann bei anderen Künstlern und Menschen wiederfand, da waren's die größten in ihrem Kreise. Du aber, daß du in dem deinigen die anderen hoch überragst, darauf möchte ich schwören!«

»Nimm's nicht zu leicht mit dem Eide,« lachte der Kaiser. »Wir reden noch mehr miteinander, mein Mütterchen, und beim Abschied will ich dich fragen, ob du dich nicht dennoch in mir getäuscht hast. Komm nun, Telemachus, dich scheinen die Vögel dieser Frau besonders zu freuen!«

Diese heitere Frage richtete sich an Antinous, der von einem Käfig an den anderen getreten war und die schlafenden gefiederten Lieblinge der Alten neugierig und mit Vergnügen betrachtete.

»Ist das dein Sohn?« fragte Doris und wies auf den Jüngling.

»Nein, Mutter. Er ist nur mein Schüler; aber ich halte ihn, als wär' er mein Kind.«

»Ein schöner Bursch!«

»Seh einer! Unsere Alte schaut noch den Jünglingen nach.«

»Das lassen wir nicht bis zum hundertsten Jahr oder bis uns die Parze den Lebensfaden zerschneidet.«

»Welches Bekenntnis!«

»Laß mich nur zu Ende reden. Wir verlernen es nie, uns an schönen jungen Gesellen zu freuen! Aber nur solange wir jung sind, fragen wir, was sie uns etwa gewähren könnten; im Alter genügt es uns völlig, ihnen Freundliches zu erweisen. Hörst du, junger Herr, du findest mich immer hier, wenn du etwas brauchst, womit ich dir dienen kann. Wie eine Schnecke bin ich und verlasse nur selten mein Häuschen.«

»Auf Wiedersehen!« rief Hadrian und betrat mit den Begleitern den Hof.

Hier galt es, auf dem gelockerten Pflaster einen Halt für die Füße zu finden.

Titianus schritt dem Kaiser und Antinous voran, und es konnten nur wenige Worte des Wohlgefallens über diese erste freundliche Begegnung zwischen dem Herrscher und seinem Statthalter gewechselt werden.

Hadrian schritt behutsam vorwärts und lächelte dabei voller Befriedigung vor sich hin.

Das Urteil der schlichten, klugen Frau aus dem Volke hatte ihm größeres Vergnügen bereitet als die schwülstigen Lieder, in denen Mesomedes und seinesgleichen ihn besangen, und die Schmeichelworte, mit denen Sophisten und Rhetoren ihn zu überschütten pflegten.

Die Alte hielt ihn für einen einfachen Künstler. Sie konnte nicht wissen, wer er sei, und erkannte dennoch – oder war Titianus unvorsichtig gewesen?

Wußte oder vermutete das Weib, mit wem sie es zu tun hatte?

Hadrians äußerst mißtrauischer Geist ließ ihm keine Ruhe. Er begann die Worte der Torhütersfrau für eingelernt, ihre Bewillkommnung für eine Veranstaltung zu halten, und indem er plötzlich stehenblieb, ersuchte er den Präfekten, ihn zu erwarten, Antinous aber, mit dem Hunde zurückzubleiben.

Er selbst kehrte um, näherte sich von neuem der Torwächterwohnung und schlich sich in sehr unfürstlicher Weise zu ihr heran.

Vor der immer noch weit geöffneten Tür des Häuschens blieb er stehen und horchte auf das Gespräch, das Frau Doris mit ihrem Gatten führte. »Ein stattlicher Mann,« sagte Euphorion, »er gleicht dem Kaiser ein wenig.«

»Doch nicht,« entgegnete Doris. »Denke nur an das Standbild Hadrians im Paneumsgarten: das sieht unzufrieden und spöttisch drein, und der Baumeister hat wohl eine ernste Stirn, doch aus seinen Zügen leuchtet lauter freundliche Güte. Nur wegen des Bartes denkt man, wenn man den einen sieht, an den andern. Hadrian könnte sich freuen, wenn er aussähe wie der Gast des Präfekten.«

»Ja, der ist auch schöner – wie soll ich sagen, ist den Göttern ähnlicher als das kalte, marmorne Standbild,« deklamierte Euphorion. »Ein großer Herr ist er gewiß, aber doch auch ein Künstler. Ob man ihn nicht durch Pontius, Papias, Aristeas oder einen der großen Maler veranlassen könnte, in unserer Gruppe beim Festspiele den Seher Kalchas zu spielen? Er würde ihn anders zur Darstellung bringen als der dürre Elfenbeinschnitzer Philemon. Reiche mir meine Laute. Ich habe den Anfang der letzten Verse schon wieder vergessen. Oh, dieses Gedächtnis! Ich danke!«

Euphorion griff kräftig in die Saiten und sang mit der gut geschulten Stimme, die immer noch von erträglichem Wohlklang:

»›Sabina, Heil dir, Sabina! – Heil und siegreiches Heil der gewaltigen Göttin Sabina!‹ Wäre Pollux nur hier, der brächte mich wieder auf die richtigen Worte. ›Heil und siegreiches Heil der hundertfachen Sabina.‹ – Unsinn: ›Heil und göttliches Heil der siegesgewissen Sabina.‹ Auch so war es nicht! Wenn ein Krokidil diese Sabina verschlingen wollte, ich gäbe ihm gern den frischen Kuchen dort auf der Schüssel zum Nachtisch! Aber halt, nun hab' ich's! ›Heil und hundertfach Heil der gewaltigen Göttin Sabina.‹«

Hadrian hatte genug gehört.

Während Euphorion seinen Vers zwanzig- und mehrmal dem widerspenstigen Gedächtnis einzuprägen versuchte, wandte er dem Wächterhäuschen den Rücken, und indem er sich mit den Begleitern nicht ohne Mühe den Weg durch die hier und da am Boden kauernden Arbeiter suchte, klopfte er Titianus mehr als einmal auf die Schulter und rief, nachdem er die Begrüßung des Baumeisters Pontius entgegengenommen:

»Ich segne meinen Entschluß, schon jetzt hieher zukommen! Ein guter Abend, ein ganz vortrefflicher Abend!«

Seit Jahren hatte der Kaiser sich nicht so sorglos und heiter gefühlt wie heute, und als er trotz der späten Stunde die Arbeiter noch überall tätig fand und sah, was in dem alten Palaste schon alles hergestellt war und seiner Erneuerung entgegenging, gab der rastlose Mann seiner Zufriedenheit Ausdruck, indem er Antinous zurief:

»Hier kann man sehen, daß auch in unserer nüchternen Zeit durch guten Willen, Fleiß und Geschick große Wunder geschehen können. Erkläre mir, wie du dies Ungeheuer von einem Gerüst konstruiert hast, mein Pontius!«


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