Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Antinous verließ zugleich mit Mastor das Gemach des Kaisers.

Auf dem Gange winkte der Jüngling den Sklaven zu sich heran und sagte leise:

»Daß du schweigen kannst, weiß ich; willst du mir einen Gefallen tun?«

»Lieber drei als einen,« entgegnete der Jazygier.

»Du bist heute frei. Gehst du in die Stadt?«

»Ich denke.«

»Du bist hier nicht bekannt, aber das tut nichts. Nimm diese Goldstücke. Für das eine kaufst du auf dem Blumenmarkte den schönsten Strauß, den du findest, mit dem anderen mache dich lustig und von dem Rest nimm eine Drachme und miete dir einen Esel. Der Treiber führt dich zum Garten der Witwe des Pudens, in dem das Haus einer Frau Hanna steht. Hast du die Namen gemerkt?«

»Frau Hanna, Witwe des Pudens.«

»In dem kleinen Hause, nicht in dem großen, gibst du die Blumen ab – für die kranke Selene.«

»Die Tochter des dicken Verwalters, die unser Molosser anfiel?« fragte Mastor neugierig.

»Sie oder eine andere,« unterbrach ihn Antinous. »Wenn man dich fragt, wer die Blumen sende, so sage du nur: »Der Freund von der Lochias!« nichts weiter. Hast du verstanden?«

Der Sklave nickte mit dem Kopfe und rief leise:

»Also auch du! O diese Weiber!«

Antinous machte eine abweisende Handbewegung, legte Mastor in raschen Worten ans Herz, seinen Mund zu halten und ja für die allerschönsten Blumen zu sorgen, und begab sich dann in die Musenhalle, um Pollux zu suchen.

Durch ihn hatte er erfahren, wo sich die leidende Selene befand, an die er immer und überall denken und wiederum denken mußte.

Antinous fand den Bildhauer nicht mehr hinter den Schranken.

Das Verlangen, mit der Mutter zu reden, hatte ihn in das Torwärterhäuschen geführt, und nun stand er vor ihr und erzählte, indem er die langen Arme lebendig regte, alles offen heraus, was er in der vergangenen Nacht erlebt hatte.

Wie ein Jubellied klang sein Bericht, und als er zu schildern begann, wie der Festzug ihn und Arsinoe mit sich fortgerissen, sprang Frau Doris von ihrem Sitze auf, klatschte in die kleinen rundlichen Hände und rief:

»Das ist eine Lust, das ist eine Freude! So flog auch ich vor dreißig Jahren mit deinem Vater dahin.«

»Nicht nur vor dreißig,« fiel ihr Pollux ins Wort. »Ich erinnere mich noch ganz gut, wie du beim großen dionysischen Feste, von der Macht des Gottes ergriffen, mit dem Rehfell auf der Schulter die Straße durchrastest.«

»Das war gut, das war schön!« rief Frau Doris mit leuchtenden Augen. »Aber vor dreißig Jahren ging es noch anders her, ganz anders. Ich hab' dir's schon einmal erzählt, wie ich damals mit unserer Magd in die kanovische Straße ging, um aus dem Hause der Muhme Archidike dem großen Festzuge zuzuschauen. Weit hatte ich nicht; denn wir wohnten beim Theater. Mein Vater war da Bühnenaufseher und der deine gehörte zu den Hauptsängern im Chore. Wir eilten uns; aber allerlei Volk hielt uns auf, und trunkene Burschen wollten ihren Spaß mit mir treiben.«

»Du bist ja auch schön wie ein Röschen gewesen,« unterbrach sie ihr Sohn.

»Wie ein Röschen, nicht wie deine prächtige Rose,« entgegnete die Alte. »So gut sah ich immerhin aus, daß die verkleideten Burschen, die Faune und Satyrn, und selbst die zynischen Heuchler im zerrissenen Mantel es für wert hielten, nach mir auszuschauen und sich Schläge auf die Finger zu holen, wenn sie's versuchten, mich mit sich fortzuziehen oder mir Küsse zu stehlen. Ich fragte nicht nach den Schönsten; denn Euphorion hatte mir's angetan mit seinen glühenden Blicken, nicht mit Worten; denn ich wurde streng gehalten, und es war ihm nie geglückt, mit mir zu reden. An der Ecke der kanopischen und der Emporiumsstraße konnten wir nicht weiter; denn da hatte die Masse sich gestaut und schaute brüllend und heulend den rasenden Klodonenweibern zu, die mit anderen Mänaden in heiliger Wut einen Bock mit den Zähnen zerrissen. Mir graute vor diesem Schauspiel, aber ich mußte doch zusehen und schrie und jauchzte wie die anderen. Meine Magd, an die ich mich ängstlich gedrängt hatte, ward mit von der Wut ergriffen und riß mich in die Mitte des Kreises, bis dicht vor das blutige Opfer. Da sprangen zwei verzückte Weiber auf uns zu, und ich fühlte, wie mich das eine umfaßte und niederzureißen versuchte. Es war ein schrecklicher Augenblick, doch ich wehrte mich tapfer und stand auch noch auf den Füßen, als dein Vater herzusprang, mich befreite und mit sich fortzog. Was weiter geschah, das könnt' ich nicht mehr erzählen. Es war wie einer jener glückseligen Träume, bei denen man das Herz mit beiden Händen zusammenpressen muß, damit es nicht vor lauter Lust auseinanderspringt oder gerade aufwärts zum Himmel fortfliegt und mitten hinein in die Sonne. Spät abends kam ich nach Hause, und in der nächsten Woche ward ich Euphorions Weib.«

»Wir haben's euch nachgemacht,« rief Pollux, »und wenn Arsinoe wird wie meine Alte, dann bin ich zufrieden.«

»Heiter und glücklich,« entgegnete Doris. »Bleibe gesund, schlage Kummer und Sorgen ein Schnippchen, tue deine Pflicht am Alltag und trink dir an Festtagen dem Gotte zu Ehren einen fröhlichen Rausch, dann geht alles zum besten. Wer leistet, was er vermag, und genießt, so viel er kann, der hat das Leben ausgenützt und braucht in der letzten Stunde keine Reue zu fühlen. Vorbei ist vorbei, und hat Atropos den Faden zerschnitten, so treten andere an unsere Stelle, und die Freude kann von neuem beginnen. Mögen die Götter sie segnen.«

»Recht so!« rief Pollux, indem er die Mutter umfaßte. »Und, nicht wahr, zu zweien geht einem das Schaffen leichter von der Hand und genießt man die Lust des Daseins besser, als wenn man allein ist.«

»Das will ich meinen, und du hast dir die rechte Gefährtin gewählt,« rief die Alte. »Du bist ein Bildhauer und einfach gewöhnt. Du brauchst keine Reiche, sondern nur eine Schöne, die dir täglich die Sinne erfreut, und die hast du gefunden.«

»Es gibt keine Schönere,« unterbrach sie Pollux.

»Nein, gewiß nicht,« fuhr Doris fort. »Erst hatte ich das Auge auf Selene gerichtet. Sie kann sich auch sehen lassen und ist ein Muster von einem Mädchen; aber dann wurde Arsinoe größer, und so oft sie hier vorbeikam, dacht' ich bei mir: Die wächst für deinen Jungen heran; und nun du sie hast, ist's mir zumute, als wär' ich noch einmal so jung wie deine Liebste geworden. Das alte Herz hier drinnen hüpft so lustig, als kitzelten es die Eroten mit den Flügeln und rosigen Fingern. Wären mir die Füße von dem ewigen Stehen am Herde und Waschfasse nicht gar so schwer geworden – wahrhaftig, ich faßte heute Euphorion unter den Arm und tobte mit ihm durch die Straße.«

»Wo ist der Vater?«

»Ausgegangen. Er singt.«

»Am Morgen? Wo denn?«

»Da ist eine Sekte, die heute ihre Mysterien feiert. Sie zahlen gut, und er muß dafür hinter einem Vorhang traurige Lieder brummen; das tollste Zeug, von dem er kein Wort begreift und von dem ich kein halbes verstehe.«

»Schade! Ich möchte ihn sprechen.«

»Er kommt spät zurück.«

»Es hat auch noch Zeit.«

»Um so besser; sonst könnte ich es ihm ja sagen.«

»Dein Rat ist so gut wie seiner. Ich will Papias den Dienst kündigen und mich auf eigene Füße stellen.«

»Recht so, der römische Baumeister hat mir gestern gesagt, eine große Zukunft stehe dir offen.«

»Es ist nur wegen der armen Schwester und der Kleinen. Wenn es mir nun in den ersten Monaten knapp geht . . .«

»So schleppen wir sie mit durch. Es wird Zeit für dich, was du säest, auch selber zu ernten.«

»So denk' ich auch; um meinet-, aber auch um Arsinoes willen; wenn nur Keraunus . . .«

»Ja, mit dem wird es noch Kämpfe geben.«

»Schwere, schwere,« seufzte Pollux. »Der Gedanke an den Alten trübt mir das Glück.«

»Torheit,« rief Doris. »Nur keine unnützen Sorgen! Sie sind beinahe so verderblich wie die das Herz zerfressende Reue. Miete dir eine eigene Werkstätte, schaffe freudigen Herzens etwas Großes, das die Welt in Staunen versetzt, und ich wette, daß der alte, gallige Hansnarr sich noch ärgert, die nichtsnutzige erste Arbeit des berühmten Pollux zerschlagen und nicht in seinem Raritätenschranke aufbewahrt zu haben. Bilde dir ein, er sei gar nicht auf der Welt, und genieße dein Glück.«

»So will ich's auch halten.«

»Nur eines noch, mein Junge.«

»Was?«

»Du nimmst Arsinoe hübsch in acht! Sie ist jung und unerfahren, und du darfst sie zu nichts bereden, was du ihr nicht raten dürftest, wenn sie die Braut deines Bruders wäre.«

Doris hatte diesem Rate kaum Worte geliehen, als Antinous das Wärterhäuschen betrat und Pollux die Aufforderung des Baumeisters Claudius Venator, ihn durch die Stadt zu führen, überbrachte.

Der Bildhauer zauderte mit der Antwort; denn er hatte noch manches im Palaste zu tun und hoffte Arsinoe im Laufe des Tages wiederzusehen. Was konnte ihm Mittag und Abend ohne sie nach solch einem Morgen bieten?

Frau Doris bemerkte sein Schwanken und rief:

»Geh doch! Die Feste sind da, um sie zu genießen. Der Baumeister kann dir vielleicht mancherlei raten und dich den Freunden empfehlen.«

»Deine Mutter hat recht,« versicherte Antinous. »Claudius Venator kann sehr empfindlich, aber auch ebenso dankbar sein. Ich wünsche dein Bestes.«

»Gut denn, ich komme,« fiel Pollux dem Bithynier ins Wort; denn er fühlte sich ohnehin von Hadrians mächtigem Wesen angezogen und hielt es unter allen Umständen für etwas Wünschenswertes, beim Feste zu schwärmen. »Ich komme; aber ich muß wenigstens dem Baumeister Pontius mitteilen, daß ich heute einige Stunden aus der Schlacht entfliehe.«

»Das überlasse Venator,« entgegnete der Günstling. »Du sollst für ihn und für mich und, wenn du magst, auch für dich selbst einen lustigen Ausputz und Masken verschaffen. Er will als Satyr, ich soll in irgendeiner anderen Verkleidung den Festzügen folgen.«

»Gut,« gab der Bildhauer zurück. »Ich gehe gleich und hole, was wir brauchen. In unserer Werkstätte liegt eine Menge von Ausputz für das Gefolge des Dionysus. In einer halben Stunde bin ich mit dem Plunder zurück.«

»Eile dich,« bat Antinous. »Mein Meister wartet nicht gern. Und dann – dann . . . noch eins . . .«

Bei dieser Warnung war Antinous verlegen geworden und ganz nahe zu dem Bildhauer herangetreten. Jetzt legte er ihm die Hand auf die Schulter und sagte leise und dringlich:

»Venator steht dem Kaiser sehr nahe. Hüte dich, vor ihm etwas anderes als Gutes über Hadrian zu reden.«

»Ist dein Meister ein Kundschafter des Cäsar?« fragte Pollux, indem er den Jüngling mißtrauisch ansah. »Pontius erteilte mir schon eine ähnliche Warnung, und wenn das der Fall ist . . .«

»Nein, nein,« unterbrach ihn Antinous hastig, »nichts weniger als das; aber beide haben voreinander kein Geheimnis, und Venator spricht viel, kann nichts verschweigen . . .«

»Ich danke dir und werde auf der Hut sein.«

»Tu das. Ich meine es redlich.«

Der Bithynier hielt dem Künstler mit dem Ausdruck warmer Empfindung auf den schönen Zügen und mit einer unaussprechlich anmutigen Bewegung die Hand hin.

Der Bildhauer schlug in sie ein, Frau Doris aber, deren alte Augen wie gebannt an Antinous gehangen hatten, faßte den Arm des Sohnes und rief, ganz bewegt von dem Anblick, den sie genossen:

»O der Schönheit! O der von den Göttern selbst gebildeten heiligen Schönheit! Pollux, Junge, man könnte meinen, der Himmlischen einer wäre auf die Erde gekommen.«

»Sieh meine Alte,« lachte der Künstler. »Aber wahrhaftig, Freund, sie hat Ursache zu schwärmen, und ich tue es mit ihr.«

»Halt ihn fest, halt ihn fest,« fiel Doris ein. »Wenn er dir erlaubt, sein Bildnis zu formen, dann kannst du der Welt etwas zeigen!«

»Willst du?« unterbrach Pollux die Mutter, indem er sich an den Günstling wandte.

»Ich habe noch keinem Künstler stillhalten mögen,« entgegnete Antinous, »aber dir tue ich gern den Gefallen. Es verdrießt mich nur, daß auch ihr in das ewige Einerlei der anderen einstimmt. Auf Wiedersehen; ich muß zu dem Meister zurück.«

Sobald der Jüngling das Häuschen verlassen, rief Doris:

»Ob ein Kunstwerk etwas taugt oder nicht, das kann ich nur ahnen; aber was schön ist, das weiß ich so gut wie jedes andere alexandrinische Weib. Wenn dieser Knabe dir Modell steht, so bringst du etwas zustande, was die Männer entzückt und den Frauen die Köpfe verdreht, und man wird dich auch in der eigenen Werkstätte aufsuchen. Ewige Götter, mir ist zumute, als hätte ich Wein getrunken! Solche Schönheit ist doch das Höchste! Warum gibt's nur kein Mittel, einen Leib und ein Antlitz wie das da vor dem Alter und den Runzeln zu bewahren?«

»Ich kenne eins, Mutter,« versetzte Pollux, indem er der Türe zuschritt. »Es heißt die Kunst; und ihr ist es gegeben, diesem sterblichen Adonis unsterbliche Jugend zu verleihen.«

Die Alte schaute dem Sohne mit freudigem Stolze nach und bestätigte seine Worte durch ein zustimmendes Kopfnicken.

Während sie die Vögel unter vielen Schmeichelworten fütterte und sich von ihren besonderen Lieblingen Brotkrumen von den Lippen picken ließ, eilte der junge Bildhauer mit langen Schritten durch die Straßen.

Manches Scheltwort, manches »Ach!« und »Oh!« scholl in dem Gedränge hinter ihm her; denn er bahnte sich mit dem alle überragenden Körper und den kräftigen Armen den Weg und sah und hörte dabei nur wenig von seiner Umgebung. Er dachte an Arsinoe und dazwischen an Antinous und in welcher Stellung, als welchen Heros oder Gott sich's wohl am meisten empfehlen würde, ihn darzustellen.

Beim Blumenmarkte in der Nähe des Gymnasiums wurde er auf einen Augenblick dem Sinnen entzogen, und zwar durch ein Bild, das seine Augen fesselte, die alles Ungewöhnliche, das ihnen entgegenkam, schnell aufzufassen verstanden.

Auf einem ganz kleinen schwärzlichen Esel saß ein großer, gut gekleideter Sklave und hielt einen Blumenstrauß von ungewöhnlicher Fülle und Schönheit in der Rechten. Neben ihm ging ein reich bekränzter, bunt aufgeputzter Herr mit einer komischen Maske vor dem Gesichte, dem zwei riesengroße Gartengötter und vier zierliche Knaben folgten.

In dem Sklaven erkannte Pollux den Diener des Baumeisters Venator, den maskierten Herrn glaubte er auch schon gesehen zu haben, doch wußte er nicht, wo, und gab sich auch keine Mühe, es herauszufinden.

Jedenfalls bekam der Eselreiter nichts Freundliches zu hören; denn er schaute sehr ängstlich auf seinen Strauß.

Nachdem Pollux an der sonderbaren Gruppe vorübergeeilt war, dachte er wieder an andere, ihm weit mehr am Herzen liegende Dinge.

Die besorgte Miene Mastors war nicht unbegründet; denn der Herr, der mit ihm redete, war kein Geringerer als der Prätor Verus, den die Alexandriner den falschen Eros nannten.

Er hatte den Leibsklaven des Kaisers hundertmal bei seinem Herrn gesehen, ihn sogleich erkannt und aus seiner Anwesenheit in Alexandria den einfachen und richtigen Schluß gezogen, daß sich auch sein Gebieter hier befinden müsse. Die Neugier des Prätors war geweckt, und er bedrängte den armen Burschen sogleich mit verwirrenden Kreuz- und Querfragen.

Als der Reiter ihn scharf und derb abwies, hielt Verus es für das Beste, sich ihm zu erkennen zu geben.

Dem großen Herrn, dem Freunde der Kaiserin gegenüber verlor der Sklave die zuversichtliche Haltung. Er verfing sich in Widersprüchen und gab doch, obgleich er nichts zugestand, dem Fragenden die Gewißheit, daß Hadrian in Alexandria weile.

Der schöne Strauß, der die Blicke des Prätors auf Mastor gezogen, konnte diesem nicht selbst gehören, das lag auf der Hand.

Welche Bestimmung mochte er haben?

Verus begann von neuem zu fragen, aber der Jazygier verriet nichts, bis Verus ihn leis erst auf die rechte, dann auf die linke Wange schlug und munter sagte:

»Mastor, gutes Mastorlein, höre auf mich. Jetzt werd' ich dir Vorschläge machen; du aber wirst nickend das eigene Haupt dem des zweimal zweifüßigen Esels, auf dem du reitest, nähern, sobald dir einer gefällt.«

»Laß mich meines Weges ziehen,« bat der Jazygier in steigender Angst.

»Zieh! Ich aber ziehe mit dir,« versetzte Verus, »bis ich etwas gefunden, was dir behagt. Viele Vorschläge wohnen in diesem Kopfe; das wirst du erfahren. Zum ersten frag' ich dich: Soll ich deinen Gebieter aufsuchen und ihm sagen, du hättest mir seine Anwesenheit in Alexandria verraten?«

»Das wirst du nicht tun, Herr!« rief der Sklave.

»Weiter denn. Soll ich mich mit meinem Gefolge an dich hängen und bei dir bleiben, bis es Nacht wird und du zu deinem Meister zurück mußt? Du machst eine abwehrende Handbewegung, und mit Recht; denn die Durchführung dieses Vorschlags würde gleich wenig ergötzlich für mich wie für dich sein und dir wahrscheinlich Strafe zuziehen. Flüstere mir also ruhig ins Ohr, wo dein Gebieter haust und von wem und an wen du diese Blumen zu bringen hast. Sobald du dich zu diesem Vorschlage bequemst, laß ich dich laufen und werde dir zeigen, daß ich in Afrika ebensowenig an meinen Goldstücken hänge wie in Italien.«

»Kein Gold – sicher, ich nehme kein Gold,« rief Mastor.

»Du bist ein braver Bursch,« entgegnete Verus in verändertem Ton, »und du weißt von mir, daß ich meine Diener gut halte und den Leuten lieber Angenehmes als Böses erweise. Befriedige also unbesorgt meine Neugier, und ich verspreche dir dagegen, daß kein Mensch und am letzten dein Herr von mir erfährt, was du mir mitteilst.«

Mastor zauderte ein wenig, weil er sich aber nicht verhehlen konnte, daß er am Ende dem Willen dieses mächtigen Mannes doch nachgeben müsse und er den übermütigen und verschwenderischen Prätor in der Tat als einen der gütigsten Herren kannte, seufzte er auf und flüsterte ihm dann zu: »Du wirst mich armen Wicht nicht verderben, das weiß ich, und so magst du's denn wissen: wir wohnen auf der Lochias.«

»Dort,« rief Verus und klatschte in die Hände. »Nun aber die Blumen?«

»Spielerei.«

»Befindet sich Hadrian in so heiterer Stimmung?«

»Bis jetzt war er sehr munter; – seit heute nacht indessen . . .«

»Nun?«

»Du weißt ja, wie er ist, wenn er schlimme Zeichen am Himmel bemerkte.«

»Schlimme Zeichen,« wiederholte Verus ernst. »Und doch versendet er Blumen?«

»Er nicht. Wie kannst du nur denken!«

»Antinous?«

Mastor nickte bejahend.

»Sehe einer,« lachte Verus. »Er fängt also an, das Bewundern dankbarer zu finden, als sich bewundern zu lassen! Welcher Schönen ist es gelungen, dies schläfrige Herz zu ermuntern?«

»Ich hab' ihm gelobt, nicht zu plaudern.«

»Und ich versprach dir dasselbe. Meine Verschwiegenheit ist noch weit größer als meine Neugier.«

»So begnüge dich, bitte, mit dem, was du weißt.«

»Halb wissen ist schwerer erträglich als gar nicht.«

»Ich kann nicht reden.«

»Soll ich mit den Vorschlägen von neuem beginnen?«

»Ach, Herr, ich bitte dich herzlich . . .«

»Heraus also mit der Sprache, und ich ziehe meines Weges. Wenn du dich jedoch zu weigern fortfährst . . .«

»Es handelt sich wahrhaftig nur um ein blasses Mädchen, das du nicht ansehen würdest.«

»Also ein Mädchen.«

»Unser Molosser hat das arme Ding zu Boden gerissen.«

»Auf der Straße?«

»Nein, auf der Lochias. Ihr Vater ist der Palastverwalter Keraunus.«

»Und sie heißt Arsinoe?« fragte Verus, der sich des für die Rolle der Roxane erwählten schönen Kindes gern erinnerte, mit aufrichtigem Bedauern.

»Nein, sie heißt Selene; Arsinoe ist wohl ihre jüngere Schwester.«

»So bringst du diesen Strauß auf die Lochias?«

»Sie war ausgegangen und konnte nicht weiter; jetzt liegt sie in einem fremden Hause danieder.«

»Wo?«

»Das kann dir ja gleich sein.«

»Nein, ganz und gar nicht. Ich bitte dich, mir die volle Wahrheit zu sagen.«

»Ewige Götter, was liegt dir an dem kranken Geschöpfe?«

»Gar nichts, aber ich muß wissen, wohin du reitest.«

»Ans Meer. Ich kenne das Haus nicht, aber der Eseltreiber da hinten . . .«

»Liegt es weit von hier?«

»Ein halbes Stündchen,« sagte der Bursche.

»So, also ein gutes Stück Weges,« entgegnete Verus. »Und Hadrian hält darauf, unerkannt zu bleiben?«

»Gewiß.«

»Du aber, sein Leibsklave, den von Rom her außer mir noch mancher andere hier Anwesende kennt, hast die Absicht, mit einem großen Strauße in der Hand, der alle Blicke auf dich zieht, die Hälfte einer ganzen Stunde durch die Straßen zu reiten, in denen sich heute alles, was Beine hat, tummelt?! O Mastor, Mastor, das ist nicht weise.«

Der Sklave erschrak, und weil er einsah, daß Verus nicht unrecht hatte, fragte er ängstlich:

»Aber was soll ich denn tun?«

»Von diesem Esel steigen, entgegnete der Prätor, »dich vermummen und dich mit diesen Goldstücken hier nach Herzenslust ergötzen.«

»Und der Strauß?«

»Den laß ich besorgen.«

»Du tust es sicher und wirst Antinous nicht verraten, wozu du mich zwingst?«

»Gewiß nicht.«

»Da hast du die Blumen, das Gold aber kann ich nicht nehmen.«

»Dann werf' ich's unter die Menge. Kauf dir einen Kranz, eine Maske und Wein dafür, so viel du verträgst. Wo findet man das Mädchen?«

»Bei Frau Hanna. Sie wohnt in einem kleinen Hause im Garten der Witwe des Pudens. Wer den Strauß übergibt, der muß sagen, sein Absender wäre der Freund von der Lochias.«

»Gut. Geh jetzt und trage Sorge, daß niemand dich erkennt. Dein Geheimnis ist meines, und der Freund von der Lochias soll nicht unerwähnt bleiben.«

Mastor verschwand in der Menge; Verus gab einem der Gartengötter, die ihm folgten, den Strauß in die Hand, schwang sich lachend auf den Esel und befahl dem Treiber, ihm den Weg zu weisen.

An der Ecke der nächsten Straße begegnete er zwei Sänften, deren Träger sich mühsam den Weg durch das Gedränge bahnten.

In der ersten saß Keraunus, dessen krokusfarbiger Mantel in der Ferne leuchtete, dick wie Silen, der Begleiter des Dionysus, aber mit mürrischem Antlitz. Aus der zweiten schaute Arsinoe froh umher, so frisch und schön, daß ihr Anblick das leicht erregbare Blut des Römers schneller bewegte.

Ohne sich zu besinnen, nahm er dem Gartengotte den für Selene bestimmten Strauß aus der Hand, legte ihn in die Sänfte des Mädchens und sagte:

»Alexander grüßt die allerschönste Roxane.«

Arsinoe errötete, Verus aber befahl, nachdem er ihr eine Zeitlang nachgeschaut hatte, einem seiner Knaben, ihrer Sänfte zu folgen und ihm auf dem Blumenmarkte, woselbst er ihn erwarten werde, mitzuteilen, wohin sie sich begeben. Der Bote eilte von dannen, er aber wandte den Esel und erreichte bald die halbrunde Säulenhalle an der Schattenseite eines großen Platzes, unter der die vornehmsten Gärtner und Blumenhändler der Stadt ihre farbenreiche, duftende Ware von hübschen Mädchen feilbieten ließen.

Heute war jede Verkaufsstelle besonders reich ausgestattet gewesen, aber der Bedarf an Kränzen und Blüten war von früh an stetig gewachsen, und obgleich Verus zusammenbinden ließ, was er von frischen Blüten fand, so geriet doch der Strauß, den man für ihn herstellte, zwar größer, aber nicht halb so schön wie die für Selene bestimmte Gabe, die er fortgeschenkt hatte.

Das verdroß den Römer.

Sein Gerechtigkeitssinn gebot ihm, den Schaden, den er dem kranken Mädchen zuzufügen im Begriff stand, gutzumachen. Um die Stiele der zum Strauß vereinigten Blumen waren bunte Bänder gebunden, deren Enden lang herniederwallten, und Verus nahm nun eine Spange von seinem Gewande und steckte sie in die Schleife, die die Handhabe des Straußes zierlich schmückte.

Jetzt erst war er zufrieden, und als er auf den von einem goldenen Reifen umgebenen Onyx schaute, in den ein seine Pfeile schleifender Eros geschnitten war, stellte er sich mit Vergnügen die Freude vor, die die Geliebte des schönen Bithyniers über das hübsche Geschenk empfinden würde.

Seine als Gartengötter aufgeputzten britannischen Sklaven erhielten den Auftrag, sich von dem Eseltreiber zu Frau Hanna führen zu lassen, Selene den Strauß des Freundes von der Lochias zu übergeben und ihn dann vor dem Hause des Präfekten Titianus zu erwarten; denn dorthin waren, wie er von seinem kleinen, schnellfüßigen Boten erfahren hatte, Keraunus und seine schöne Tochter getragen worden.

Verus bedurfte längerer Zeit als der Knabe, um sich den Weg durch das Gedränge zu bahnen.

Vor der Präfektur legte er die Maske ab.

In einem Vorzimmer, woselbst der Verwalter die Tochter auf einem Polster erwartete, ordnete er das Haar und die Falten der Toga und ließ sich dann zu Frau Julia führen, bei der er die reizende Arsinoe wiederzusehen hoffte.

Aber in dem Empfangsgemach der Präfektin fand er statt ihrer die eigene Gattin und die Dichterin Balbilla mit ihrer Gefährtin.

Heiter, freundlich, anmutig wie immer begrüßte er die Frauen. Als er sich dann suchend und ohne seine Enttäuschung zu verbergen, in dem weiten Raume umschaute, trat Balbilla auf ihn zu und fragte leise:

»Kannst du auch ehrlich sein, Verus?«

»Wenn es die Umstände erlauben.«

»Und würden sie es dir hier gestatten?«

»Ich sollte es glauben.«

»So antworte mir redlich: kamst du wegen Frau Julia hierher, oder bist du gekommen . . .«

»Nun?«

»Oder hast du erwartet, die schöne Roxane bei der Gemahlin des Präfekten zu finden?«

»Roxane?« fragte Verus und sah die Dichterin verwundert an, während sein Mund schalkhaft lächelte. »Roxane? Das war ja wohl die Gattin Alexanders des Großen? Sie muß längst verstorben sein; ich aber halte es mit den Lebenden, und wenn ich das lustige Treiben auf der Straße verließ, so ist es einzig und allein geschehen . . .«

»Du spannst meine Neugier.«

»So ist es geschehen, weil mein ahnendes Herz mir verhieß, dich, meine schönste Balbilla, hier zu finden.«

»Und das nennst du redlich!« rief die Dichterin und schlug den Prätor mit dem Wedel von Straußenfedern auf die Hand. »Höre nur, Lucilla, dein Mann behauptet, er sei um meinetwillen hierher gekommen.«

Der Prätor schaute die Dichterin vorwurfsvoll an; sie aber flüsterte ihm zu:

»So werden unehrliche Männer bestraft.«

Dann fuhr sie mit erhobener Stimme fort:

»Weißt du, Lucilla, wenn ich unverheiratet bleibe, ist dein Mann nicht unschuldig daran.«

»Ja, leider ward ich zu spät für dich geboren,« unterbrach sie Verus, der wohl wußte, was die Dichterin ihm vorzuwerfen gedachte.

»Kein Mißverständnis!« rief Balbilla. »Wie kann man sich in die Ehe wagen, wenn man fürchten muß, einen Verus zum Gemahl zu bekommen!«

»Und welcher Mann,« entgegnete der Prätor, »wird kühn genug sein, um Balbilla zu freien, wenn er hört, wie streng sie einen harmlosen Verehrer der Schönheit verurteilt?«

»Ein Gatte soll nicht die Schönheit, sondern nur die eine Schöne verehren, die sein Weib ist.«

»Vestalin,« lachte Verus. »Ich strafe dich, indem ich dir ein großes Geheimnis, das uns alle angeht, vorenthalte. Nein, nein, ich plaudere nicht; aber ich bitte dich, Frau, nimm sie in die Schule und lehre sie Nachsicht üben, damit ihr künftiger Gatte es nicht zu schwer mit ihr hat.«

»Nachsichtig sein,« entgegnete Lucilla, »lernt keine Frau, aber wir üben Nachsicht, wenn uns nichts anderes übrigbleibt und der Sünder uns nötigt, auch dies und das an ihm anzuerkennen.«

Verus verneigte sich vor der Gemahlin, drückte ihr die Lippen auf den Arm und fragte dann:

»Wo ist Frau Julia?«

»Sie rettet das Schaf vor dem Wolfe,« entgegnete Balbilla.

»Das heißt?«

»Sobald du gemeldet wurdest, führte sie die kleine Roxane in ein Versteck.«

»Nein, nein,« fiel Lucilla der Dichterin ins Wort. »In den inneren Gemächern warten die Schneider, die das Kostüm für das reizende Kind herstellen sollen. Sieh nur den herrlichen Strauß, den das Mädchen Frau Julia brachte. Versagst du auch mir das Recht, dein Geheimnis zu teilen?«

»Wie könnt' ich?« entgegnete Verus.

»Er bedarf deiner Anerkennung sehr nötig,« lachte Balbilla, während der Prätor sich der Gattin näherte und ihr leise erzählte, was er von Mastor erfahren.

Als Lucilla verwundert in die Hände schlug, rief Verus der Dichterin zu:

»Du siehst nun, um welches Vergnügen dich deine böse Zunge brachte.«

»Wie kann man so rachsüchtig sein, allervortrefflichster Verus!« schmeichelte die Dichterin; »ich sterbe vor Neugier.«

»Bleibe nur noch einige Tage am Leben, schöne Balbilla,« entgegnete der Römer, »und die Ursache deines frühen Endes ist beseitigt.«

»Warte, ich werde mich rächen,« rief das Mädchen und drohte dem Prätor mit dem Finger; Lucilla aber führte sie mit sich fort und sagte: »Komm jetzt. Es wird Zeit, daß wir Julia mit unserem Rate beistehen!«

»Tut das,« rief Verus. »Ich muß ohnehin fürchten, heute hier niemand gelegen zu kommen. Grüßt Frau Julia.«

Während er sich entfernte, warf er einen Blick auf den Strauß, den Arsinoe so bald, nachdem sie ihn von ihm empfangen, verschenkt hatte, und seufzte:

»Man wird älter und muß sich bescheiden lernen.«


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