Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Zwanzigstes Kapitel

Keraunus und seine Tochter waren weniger schnell als sonst in ihre Wohnung gelangt, denn der Verwalter fürchtete einen neuen Überfall des Molossers, der übrigens in dieser Nacht das Schlafgemach des Antinous teilte.

Sie fanden die alte Sklavin wach und in großer Erregung; denn sie liebte Selene, sie ängstigte sich über ihr Ausbleiben, und in der Schlafstube der Kinder ging es auch nicht, wie es sollte.

Arsinoe hatte sich ohne Aufenthalt zu den Kleinen begeben; die Schwarze aber blieb bei dem Herrn zurück und erzählte ihm wimmernd, während er das krokusfarbige Pallium mit einem alten Mantel vertauschte, daß ihr Herzblatt, der kleine blinde Helios, krank geworden sei und auch, nachdem sie ihm von den Tropfen, die Keraunus selbst zu nehmen pflegte, eingegeben habe, nicht schlafen wolle.

»Blödsinniges Tier,« rief der Verwalter, »meine Arznei dem Kinde geben!« Dabei warf er die neuen Schuhe von den Füßen, um sie mit bescheideneren zu vertauschen. »Wärest du jünger, ich ließe dich peitschen.«

»Du sagtest doch, die Tropfen wären gut,« stammelte die Alte.

»Für mich,« schrie der Verwalter und eilte, ohne die Schuhriemen, die nun hinter ihm den Boden fegten, um die Knöchel zu schlingen, in das Gemach der Kinder.

Da saß sein blinder Liebling, sein »Erbe«, wie er ihn gern zu nennen pflegte, und schmiegte den hübschen blonden Lockenkopf an Arsinoes Brust.

Der Kleine erkannte sogleich seinen Schritt und klagte:

»Selene war fort, ich hab' mich gefürchtet und mir ist so übel, so übel.«

Der Verwalter legte die Hand auf die Stirn des Kindes. Als er fühlte, daß sie heiß war, ging er unruhig vor dem kleinen Bette auf und nieder und sagte:

»Da haben wir's. Wenn es ein Unglück gibt, kommt gleich ein zweites. Sieh ihn nur an, Arsinoe. Weißt du noch, wie das Fieber bei der armen Berenice anfing? Übelkeit, Beängstigung, ein glühender Kopf. Hast du Schmerzen im Halse, mein Herzblatt?«

»Nein,« antwortete Helios; »aber mir ist so übel.«

Der Verwalter öffnete das Hemdchen des Kleinen, um nachzusehen, ob sich auf seiner Brust Flecken zeigten; Arsinoe aber sagte, während er sich zu ihm niederbeugte:

»Es ist gar nichts. Er hat sich nur den Magen verdorben. Die dumme Alte tut ihm in allem den Willen und hat ihm die Hälfte von den Rosinenkuchen gegeben, die wir holen ließen, bevor wir gingen.«

»Aber ihm glüht der Kopf,« wiederholte Keraunus.

»Morgen früh wird alles vorüber sein,« versicherte Arsinoe. »Die arme Selene braucht uns nötiger als er. Komm, Vater; die Alte mag bei ihm bleiben.«

»Selene soll kommen,« wimmerte der Kleine. »Bitte, bitte, laßt mich nicht wieder allein.«

»Dein Väterchen bleibt bei dir,« versetzte Keraunus zärtlich; denn dieses Kind leiden zu sehen, schnitt ihm ins Herz. »Ihr wißt alle nicht, was wir an dem Jungen da haben.«

»Er schläft bald ein,« versicherte Arsinoe. »Laß uns doch gehen, sonst wird es zu spät.«

»Damit die Alte eine neue Dummheit begeht,« rief Keraunus. »Es ist meine Pflicht, bei dem armen Kleinen zu bleiben. Geh du zu deiner Schwester und laß dich von der Alten begleiten.«

»Gut. Morgen früh komm' ich wieder.«

»Morgen früh?« fragte Keraunus gedehnt. »Nein, nein, das geht nicht. Doris sagte ja ohnehin, Selene würde gut von den Christen gepflegt. Sieh nur zu, was sie macht, grüße sie von mir und dann begib dich nach Hause.«

»Aber Vater . . .«

»Weiter ist zu bedenken, daß dich morgen mittag die Gattin des Präfekten erwartet, um für dich die Stoffe zu wählen. Dabei darfst du nicht überwacht und verschlafen aussehen.«

»Ich ruhe etwas am Morgen.«

»Am Morgen? Und meine Locken? Und dein neues Kleid? Und der arme Helios? Nein, Kind, du siehst nur nach Selene und dann kehrst du wieder zurück. Am frühen Morgen fängt auch das Fest an, und du weißt, wie es dabei zugeht. Die Alte hilft dir nichts in dem Gedränge. Du schaust nur nach, wie es Selene geht; aber du bleibst nicht.«

»Ich will sehen –«

»Nichts von sehen. Du kommst wieder zurück! Ich befehl' es! In zwei Stunden liegst du in deinem Bette.«

Arsinoe zuckte die Achseln, und wenige Minuten später stand sie mit der Alten vor dem Torwärterhäuschen.

Ein breiter Lichtstreifen fiel durch die geöffnete Tür des mit Blumen und Vögeln geschmückten Zimmers; Euphorion und Doris waren also noch nicht zur Ruhe gegangen und konnten ihr sogleich die Palastpforte öffnen.

Die Grazien schlugen an, als Arsinoe die Schwelle der alten Freunde betrat, doch sie verließen ihre Kissen nicht, denn sie erkannten sie schnell.

Seit mehreren Jahren war Arsinoe, gehorsam dem strengen Verbot des Vaters, nicht in diesen heimlichen Raum getreten, und ihr wurde ganz weich ums Herz, als sie das alles wiedersah, was sie als Kind so gern gehabt und als Jungfrau nicht vergessen hatte.

Da waren die Vögel, die kleinen Hunde und die Lauten an der Wand neben dem Apollo! Auf dem Tische der guten Frau Doris hatte immer etwas Eßbares gestanden, und auch jetzt lag ein schöner gelber Kuchen neben dem Weinkrug. Wie oft war sie als Kind zu der Alten hineingehuscht, um sich einen süßen Bissen zu holen, wie häufig auch, um nachzusehen, ob der lange Pollux nicht da sei, dessen kühne Erfindungen und frisches Zugreifen ihren Werken und Spielen den Stempel der Großartigkeit aufdrückte und ihnen einen besonderen Reiz verlieh.

Da saß nun ihr ausgelassener Gespiele in eigener Person und streckte, eifrig erzählend, die langen Beine weit von sich.

Arsinoe hörte noch den Schluß seines Berichtes über ihre Wahl zu Roxane, und dabei ihren eigenen Namen, geschmückt mit Eigenschaftsworten, die ihr das Blut in die Wangen trieben und sie doppelt freuten, weil er ja nicht ahnen konnte, daß sie sie hörte.

Aus dem Knaben war ein Mann, ein stattlicher Mann und ein großer Künstler geworden; aber er war doch der alte, übermütige, gute Pollux!

Der kecke Satz, mit dem er von seinem Sitz auf- und ihr entgegensprang, das frische Lachen, mit dem er manchmal seine Rede unterbrach, die kindlich zärtliche Art, mit der er seine kleine Mutter umfaßt hielt, während er sie begrüßte und nach der Ursache ihres späten Ausgangs fragte, der herzgewinnend tiefe Ton der Stimme, mit dem er Selenes Unfall beklagte, das alles heimelte Arsinoe an wie etwas Bekanntes, Liebes, lange Entbehrtes, und sie schlug fest ein in die beiden großen Hände, die er ihr hinhielt.

Wenn er sie in diesem Augenblick aufgehoben und vor den Augen Euphorions und seiner Mutter ans Herz gedrückt hätte, sie wäre ihm wahrlich nicht böse gewesen.

Sehr bekümmerten Herzens war Arsinoe zu Frau Doris eingetreten, doch in dem Torwärterhäuschen wehte eine Luft, in der Trübnis und Sorge den Atem verloren, und wunderbar schnell verwandelte sich in der Vorstellung des leichtherzigen Mädchens das Bild der von Schmerz gefolterten und von schwerer Gefahr bedrohten Schwester in das einer gut gebetteten, nur am Fuße recht schlimm verletzten Kranken. An Stelle der nagenden Besorgnis trat herzliche Teilnahme, und diese klang noch Arsinoe aus der Stimme, als sie den Sänger Euphorion bat, ihr das Tor zu öffnen, weil sie mit ihrer alten Sklavin ausgehen und nachsehen wolle, wie sich Selene befinde.

Doris beruhigte sie, wiederholte die Versicherung, daß die Leidende im Hause Frau Hannas mit aller Sorgfalt gepflegt werde, fand aber ihren Wunsch, die Schwester zu sehen, gerechtfertigt und stimmte Pollux lebhaft zu, als er Arsinoe bat, seine Begleitung anzunehmen; denn bald nach Mitternacht beginne das Fest, füllten sich die Straßen mit übermütigem Volk, und vor den trunkenen Sklaven würde sie ein Flederwisch ebensogut schützen wie ihre schwarze Vogelscheuche, die schon baufällig gewesen sei, bevor er die dümmste Tat seines Lebens begangen und ihren Vater gegen sich aufgebracht habe.

In der dunklen Straße, die sich, je weiter sie kamen, desto mehr mit Menschen füllte, gingen sie schweigend nebeneinander. Dann sagte Pollux:

»Lege doch deinen Arm in den meinen; du sollst empfinden, daß ich dich schütze, und ich, ich möchte bei jedem meiner Schritte fühlen, daß ich dich wiedergefunden habe und dir nahe sein darf, du wundervolles Geschöpf.«

Diese Bitte klang gar nicht übermütig; sie hörte sich vielmehr recht ernst an, und die tiefe Stimme des Bildhauers zitterte vor Aufregung, als er sie mit inniger Zärtlichkeit wiederholte.

Wie der klopfende Finger der Liebe pochte sie an das Herz der Jungfrau, die denn auch ihren Arm in den seinen legte und leise versetzte:

»Du wirst mich schon schützen.«

»Ja,« sagte er fest und ergriff mit der Linken ihre kleine Hand, die ihm auf dem rechten Arm ruhte.

Sie entzog sie ihm nicht, und nachdem sie so einige Schritte schweigend fortgewandert waren, seufzte er auf und fragte: Weißt du, wie mir zumute ist?«

»Nun?«

»Ja, ich kann es selbst nicht recht sagen. Etwa als wär' ich ein olympischer Sieger oder als hätte mir der Kaiser seinen Purpur geschenkt. Aber Kranz hin und Purpur her. Du hängst an meinem Arme und ich halte hier deine Hand; dagegen ist alles andere Bettelware. Wären die Leute nicht, ich – ich – ich weiß nicht, was ich täte.«

Glückselig schaute sie zu ihm auf; er aber zog ihr Händchen an die Lippen und ließ sie heiß und lange auf ihm ruhen. Dann gab er es wieder frei und sagte mit einem aus dem tiefsten Herzensgrunde kommenden Seufzer: »O Arsinoe, schöne Arsinoe, wie ich dich liebe!«

Während ihm dies Bekenntnis leise und doch glühend über die Lippen strömte, zog das Mädchen seinen Arm fest an sich, schmiegte das Haupt an seine Schulter, öffnete die großen Augen weit seinen zärtlichen Blicken und sagte leise:

»O Pollux, ich bin so glücklich! Die Welt ist so schön!«

»Nein, ich könnte sie hassen,« rief der Bildhauer. »Das mit anzuhören und eine wachsame Alte bei sich zu haben, und in einer von Menschen wimmelnden Straße ehrbar dahinschreiten zu müssen, das ist unerträglich. Ich halt' es auch nicht mehr länger aus. Mädchen der Mädchen, hier ist es dunkel.«

Ja, es lag tiefe Finsternis über dem von zwei aneinanderstoßenden Häusern gebildeten Winkel, in dem Pollux Arsinoe an sich zog und schnell den ersten Kuß auf ihre reinen Lippen drückte; aber in ihren beiden Herzen war es hell, sonnenhell.

Sie hatte die Hände fest um seinen Hals geschlungen und hätte ihn gern festgehalten bis zum Ende der Tage; aber da näherte sich ihnen ein Zug lärmender Sklaven.

Singend und tobend begannen diese Unglücklichen schon bald nach Mitternacht die Feier, um den Festtag, der sie auf kurze Zeit von jeder Pflicht entband, bis an seine äußersten Grenzen auszunützen.

Pollux wußte, wie unbändig sie in ihrer Lust sein konnten, und während er mit Arsinoe weiterschritt, forderte er sie auf, sich mit ihm dicht an den Häusern zu halten.

»Wie froh sie sind!« sagte er, indem er auf die Jubelnden zeigte. »Ihre Herren werden sie heute ein wenig bedienen, und eben beginnt für sie ihr bester Tag im Jahr; für uns hat der schönste im ganzen Leben begonnen.«

»Ja, ja,« entgegnete Arsinoe und umschloß mit beiden Händen seinen kräftigen Arm.

Dann lachten beide munter auf; denn Pollux hatte bemerkt, daß die alte Sklavin an ihnen vorbeigegangen war und gesenkten Hauptes hinter einem anderen jungen Paare herging.

»Ich will sie rufen,« sagte Arsinoe.

»Nein, nein, laß sie,« bat der Künstler. »Die beiden da vorn haben ihren Schutz ganz gewiß nötiger als wir.«

»Wie ist es nur möglich, daß sie den kleinen Mann mit dir verwechselt?« lachte das Mädchen.

»Wär' ich nur weniger groß,« entgegnete Pollux seufzend. »Denke dir, welche Masse von brennender Liebe und peinigender Sehnsucht in ein so langes Gefäß, wie ich bin, hineingeht.«

Da schlug sie ihm mit der Hand auf den Arm, und zur Strafe berührte er ihre Stirn schnell mit den Lippen.

Verweisend sagte sie: »Aber die Leute,« und er versetzte fröhlich:

»Es ist kein Unglück, beneidet zu werden.«

Jetzt hörte die Straße auf, und sie standen vor einem Garten.

Er gehörte der Witwe des Pudens; Pollux wußte es; denn seine Besitzerin Paulina war die Schwester des Baumeisters Pontius, die auch in der Stadt ein prächtiges Haus besaß.

Aber konnt' es denn möglich sein? Hatten unsichtbare Hände sie hierher getragen?

Das Tor des Grundstücks war geschlossen.

Der Bildhauer weckte den Pförtner, teilte ihm mit, was er begehrte, und wurde von dem Manne, der Weisung erhalten hatte, die Angehörigen der Kranken auch in der Nacht einzulassen, mit Arsinoe bis an eine Stelle geführt, von der aus man helles Licht aus dem Häuschen Frau Hannas schimmern sah.

Der zunehmende Mond beleuchtete die mit Muscheln bestreuten Wege, die Büsche und Bäume im Garten warfen scharf umrissene Schatten auf weißlich leuchtende Flächen, das Meer schimmerte hell, und sobald der Pförtner die beiden Glücklichen verlassen und ein dunkler Laubgang sie aufgenommen hatte, sagte Pollux, indem er die Arme weit öffnete:

»Nun noch einen Kuß, an den ich mich erinnern kann, während ich warte.«

»Jetzt nicht,« bat das Mädchen, »ich bin nicht mehr froh, seit wir hier sind. Immerfort muß ich der armen Selene gedenken.«

»Dagegen läßt sich nichts sagen,« entgegnete Pollux ergeben. »Wenn das Warten aber vorbei ist, dann werde ich belohnt.«

»Nein, jetzt schon,« rief Arsinoe, warf sich an seine Brust und eilte dann dem Hause entgegen.

Er folgte ihr, und als sie vor einem hellerleuchteten Fenster zu ebener Erde stehen blieb, hemmte auch er den Fuß.

Beide schauten zusammen in ein hohes, geräumiges, äußerst sauber gehaltenes Zimmer, das nur eine Tür besaß, die sich nach dem unbedeckten Vorraume des Hauses öffnete. Die Wände dieses Gemaches waren einfarbig mit hellem Grün bemalt. Der einzige Bilderschmuck, den es enthielt, befand sich über der Pforte.

Im Hintergrund dieses Zimmers stand das Bett, in dem Selene ruhte. Einige Schritte von ihm entfernt saß die verwachsene Maria und schlief, Frau Hanna aber nahte sich der Leidenden mit einem angefeuchteten Umschlag und legte ihn ihr behutsam auf den Scheitel.

Nun stieß Pollux Arsinoe an und flüsterte ihr zu:

»Wie deine Schwester daliegt! Eine im Schlaf von ihrem Dionysus verlassene Ariadne. Welchen Schmerz wird sie empfinden, wenn sie erwacht!«

»Sie kommt mir weniger bleich vor als sonst.«

»Sieh nur, wie ihr Arm gebogen ist, und in wie schöner Lage sich ihr Kopf in die Hand schmiegt.«

»Geh jetzt,« rief Arsinoe leise, »du sollst hier nicht lauschen.«

»Gleich, gleich. Wenn du dort so ruhtest, dann brächte mich kein Gott von der Stelle. Wie behutsam Hanna den Umschlag von dem armen, kranken Knöchel nimmt! Sorgsamer ward noch kein Auge behandelt als Selenes Fuß von dieser Matrone.«

»Tritt zurück; sie schaut gerade hierher.«

»Ein wunderbares Gesicht! Vielleicht eine Penelope; aber in ihren Augen ist etwas ganz Sonderbares gelegen. Hätt' ich wieder eine nach den Sternen schauende Urania oder eine Sappho zu bilden, die des Gottes voll in dichterischer Begeisterung gen Himmel schaut, das legt' ich hinein! Sie ist nicht mehr ganz jung, und doch – wie rein ist dies Antlitz! Es kommt mir vor wie der Himmel, von dem der Wind alle Wolken verscheuchte.«

»Ernstlich, jetzt gehst du,« befahl Arsinoe und entzog ihm ihre Hand, die er wieder ergriffen.

Pollux bemerkte, daß sie sein Lob der Schönheit einer anderen Frau verdroß, und flüsterte begütigend, indem er sie umfaßte:

»Sei ruhig, Kind! Du hast doch nicht deinesgleichen hier in Alexandria und so weit man Griechisch versteht. Ein ganz reiner Himmel ist für mich gewiß nicht der schönste. Lauter Licht, lauter Blau, das kann ein Künstler nicht brauchen. Einige bewegliche Wölkchen, von wechselnden Strahlen silbern und golden beleuchtet, geben dem Firmament erst seinen rechten Reiz, und wenn auch dein Antlitz dem Himmel gleicht, so fehlt es darauf wahrlich nicht an lieblicher, niemals gleicher Bewegung. Die Matrone . . .«

»Sieh nur,« unterbrach ihn Arsinoe, die sich wieder an ihn geschmiegt hatte. »Sieh nur, wie liebreich Frau Hanna sich über Selene beugt. Nun küßt sie ihr leise die Stirn. Zärtlicher kann keine Mutter die Tochter pflegen. Ich kenne sie schon lange. Sie ist gut, sehr gut; ich kann es kaum begreifen, denn sie ist eine Christin.«

»Das Kreuz dort über der Tür,« erklärte Pollux, »ist das Zeichen, an dem diese wunderlichen Leute einander erkennen.«

»Was bedeutet die Taube und der Fisch und der Anker, die es umgeben?« fragte Arsinoe.

»Sinnbilder aus den Mysterien der Christianer,« antwortete Pollux. »Ich verstehe sie nicht. Die Dinger sind elend gemalt; die Anhänger des gekreuzigten Gottes verachten auch die Kunst, und besonders die meine; denn alle Götterbilder sind ihnen verhaßt.«

»Und unter solchen Frevlern gibt es so gute Menschen! Gleich geh' ich hinein. – Hanna befeuchtet jetzt wieder den Umschlag.«

»Und wie unverdrossen und freundlich sie dabei aussieht; aber es hat doch alles in dem großen, sauberen Zimmer da etwas Fremdes, Ödes, Anmutloses. Ich möchte nicht darin wohnen.«

»Hast du den leisen Lavendelgeruch bemerkt, der durch das Fenster kommt?«

»Längst. Da regt sich deine Schwester und öffnet die Augen. Nun schließt sie sie wieder!«

»Geh in den Garten zurück und warte auf mich!« befahl Arsinoe entschieden. »Ich will nur sehen, wie es Selene geht. Lange werd' ich nicht bleiben; denn der Vater will, daß ich bald zurückkomme, und besser als Hanna kann niemand pflegen.«

Das Mädchen zog die Hand aus der des Freundes und klopfte an die Tür des kleinen Hauses. Sie ward geöffnet, und die Witwe führte Arsinoe selbst an das Lager der Schwester.

Pollux setzte sich zuerst auf eine Bank im Garten; bald aber sprang er auf und durchmaß mit großen Schritten den Weg, den er mit Arsinoe gegangen.

Ein steinerner Tisch hielt ihn bei diesem Gange auf, und es gelüstete ihn, über ihn fortzuspringen.

Als er zum drittenmal an ihm vorbeikam, tat er es auch, und zwar mit einem gewaltigen Satze; – aber gleich nach dieser übermütigen Tat blieb er stehen, schüttelte den Kopf über sich selbst und murmelte vor sich hin: »Wie ein Junge!« – Ihm war auch zumute, als sei er ein glückseliges Kind.

Während des Wartens wurde er ruhiger und ernster. Dankbar sagte er sich, daß er nun das Frauenbild gefunden, von dem er in den besten Schaffensstunden geträumt hatte, daß es ihm gehöre, ihm ganz allein.

Aber wer war er denn eigentlich! Ein armer Schelm, der viele Mäuler zu stopfen hatte, zwei Finger an seines Meisters Hand! Das mußte anders werden. Der Schwester wollte er nichts entziehen, doch mit Papias mußte er brechen und sich auf eigene Füße stellen. Der Mut war ihm hoch gewachsen, und als Arsinoe endlich von der Schwester zurückkehrte, wußte er schon, daß er in der eigenen Werkstätte zuerst die Büste Balbillas mit allem Fleiß fertigstellen und dann die Geliebte modellieren wollte. Diese beiden Frauenköpfe konnten ihm nicht mißlingen. Der Kaiser mußte sie sehen, sie sollten ausgestellt werden, und er sah schon sich selbst vor dem inneren Auge, wie er Bestellung auf Bestellung ablehnte, und von den guten nur die glänzendsten annahm.

Arsinoe konnte beruhigt heimkehren.

Selenes Leiden war doch weit weniger gefährlich als sie befürchtet. Sie wollte von keiner andern als von Frau Hanna gepflegt sein. Vielleicht mochte sie etwas Fieber haben, doch wer so verständig wie sie über jede kleine Frage der Haushaltung und über alles, was für die Kinder geschehen sollte, zu reden verstand, der, meinte Arsinoe, indem sie am Arme des Künstlers durch den Garten schritt, der könnte doch nicht sehr krank sein.

»Eine Roxane zur Schwester zu haben, muß sie erfreuen und ermuntern,« rief Pollux; seine schöne Begleiterin aber schüttelte verneinend den Kopf und sagte: »Sie ist immer so eigen: was mich am meisten freut, das ist ihr zuwider.«

»Selene ist eben der Mond und du bist die Sonne.«

»Und wer bist du?« fragte Arsinoe.

»Ich bin der lange Pollux; und heute will es mir scheinen, als könnte ich noch einmal der große werden.«

»Wenn dir das gelingt, so wachse ich mit dir.«

»Das wird dein Recht sein; denn nur durch dich kann mir das, was ich vorhabe, gelingen.«

»Wie soll ich ungeschicktes Ding es anfangen, einem Künstler zu helfen?«

»Indem du lebst und ihn liebst,« rief der Bildhauer, und hob sie, bevor sie es hindern konnte, zu sich empor.

Vor dem Gartentore saß die alte Sklavin und schlief.

Sie hatte von dem Pförtner gehört, daß ihre junge Herrin mit dem Begleiter hier Einlaß gefunden hätte; ihr selbst war untersagt worden, in das Grundstück zu treten. Ein Prellstein diente ihr zum Sitze, und beim Warten waren ihr, trotz des wachsenden Lärms auf der Straße, die Augen zugefallen.

Arsinoe weckte sie nicht und fragte Pollux mit einem schalkhaften Lächeln:

»Nicht wahr, wir finden allein den Heimweg?«

»Wenn Eros uns nicht in die Irre führt,« entgegnete der Künstler.

Während sie vorwärts zogen, scherzten sie und tauschten miteinander zärtliche Worte.

Je mehr sie sich der Lochias und der breiten Verkehrsader näherten, die die kanopische Straße, die größte und längste der Stadt, rechtwinklig durchschnitt, desto voller wurde der Strom der sich mit ihnen fortbewegenden Leute. Doch dieser Umstand war ihnen günstig; denn wer unbemerkt zu sein wünscht, der mische sich nur, wenn es ihm an einem einsamen Platz fehlt, in das Menschengedränge.

Vorwärts getrieben von den nach dem Mittelpunkte des festlichen Treibens strebenden Scharen, hielt er sie und sie ihn umfaßt, damit kein vorüberstürmender Zug von überspannten thrazischen Weibern, die in dieser dem kürzesten Tage folgenden Nacht, der heimischen Festfeier treu, mit einem Stierkalbe dahergestürmt kamen, sie voneinander reiße.

Jetzt waren sie kaum noch hundert Schritte von der Mondstraße entfernt, da jubelte ihnen berauschend heiterer, wild schwärmerischer Gesang und, ihn laut übertönend, Trommel- und Flötenklang, Schellengerassel und helles Jauchzen entgegen.

Jetzt drang ihnen in der Königsstraße, die bei der Lochias mündete und das Bruchium durchschnitt, eine fröhliche Schar entgegen.

Allen voran unter anderen Bekannten der Gemmenschneider Teuker, der junge Bruder des glückseligen Pollux. Mit Efeuranken umkränzt und einen Thyrsusstab schwingend, tanzte er vorwärts, und hinter ihm her sprang und jubelte ein Zug von Männern und Frauen – alle bis zur Tollheit erregt, jauchzend, singend und tanzend.

Wein-, Efeu- und Asphodelusranken umflatterten hundert Häupter; Pappel-, Lotus- und Lorbeerkränze schwankten auf glühenden Stirnen, Panther-, Hirsch- und Rehfelle hingen von nackten Schultern und wurden beim schnellen Lauf ihrer Träger und Trägerinnen vom Zugwinde hoch in die Luft geworfen. Künstler und reiche junge Herren, die mit den Geliebten von einem Gastmahle heimkehrten, hatten diesen Aufzug mit einer Musikbande eröffnet. Wer auch diesem fröhlichen Haufen begegnete, den zog er an, den riß er mit sich fort. Ehrbare Bürger und Bürgerfrauen, Arbeiter, Dirnen, Sklaven, Soldaten und Matrosen, Offiziere, Flötenspielerinnen, Handwerker, Schiffsführer, ein ganzer Theaterchor, den ein Kunstfreund bewirtet hatte, erregte Weiber, die einen Bock, der dem Dionysus geschlachtet werden sollte, mit sich zerrten, niemand von ihnen allen widerstand der Lockung, dem Zuge zu folgen.

Nun bog er in die Mondstraße ein und hielt sich in dem breiten, mit Ulmen besetzten Mittelwege, der zu jeder seiner Seiten von einem Fahrdamme begrenzt war, den niemand zu dieser Zeit benützte.

Wie klangen die Doppelflöten so laut, wie schlugen zarte Mädchenfäuste so kräftig auf das Kalbfell der Handtrommeln, welch lustiges Spiel trieb der Wind mit dem aufgelösten Haare der tobenden Weiber und dem Rauche der Fackeln, die übermütige Gesellen, als Pane und Satyrn verkleidet, laut aufjauchzend schwangen.

Hier schnellte ein Mädchen in vollem Lauf ein Tamburin hoch in die Luft und schüttelte die Schellen an seinem Reifen so heftig, als sollten sich die hohlen metallenen Kugeln von ihm ablösen und auf eigenen Wegen die Luft durchsausen. Dort, neben der bis zur Grenze des Wahnsinns Erregten, hüpfte in ausgesucht zierlichen Sprüngen ein schöner Jüngling daher, trug den langen Stierschwanz, den er sich angeheftet hatte, mit komischer Sorgfalt unter dem Arme und blies von der längsten in die kürzeste und von der kürzesten in die längste der Röhren, die seine Panflöte bildeten. Mitten aus dem rasch dahinlärmenden Zuge klang manchmal lautes Gebrüll, das ebensogut die Lust wie der Schmerz erzeugt haben konnte; doch es wurde jedesmal schnell von tollem Gelächter, ausgelassenem Gesang und lustiger Musik übertönt.

Alt und jung, hoch und gering, kurz alles, was sich dem Aufzug nahte, ward mit unwiderstehlicher Macht fortgerissen, ihm jauchzend zu folgen.

Auch Pollux und Arsinoe gingen schon längst nicht mehr in ruhigem Schritt ehrbar nebeneinander, sondern bewegten lachend die Füße nach dem Takt der fröhlichen Weise.

»Wie das klingt!« rief der Künstler. »Tanzen und jubeln möcht' ich, Arsinoe, tanzen und jubeln mit dir, und wie rasend.«

Bevor sie noch Zeit fand, »Ja« oder »Nein« zu erwidern, jauchzte er ein lautes »Jo, jo, Dionysus« und schwang sie hoch in die Höhe.

Da wurde auch sie von dem Taumel ergriffen, und die Hand über dem Haupte schwenkend, stimmte sie in seinen Jubelruf ein und ließ sich von ihm an die Ecke der Mondstraße ziehen, wo eine Kranzhändlerin ihre Ware feilhielt.

Dort gestattete sie ihm, sie mit Weinranken zu umschlingen, setzte ihm einen Lorbeerkranz auf das Haupt, wand ihm Efeu um den Hals und die Brust, lachte laut auf, als er der Gärtnerin ein großes Geldstück in den Schoß warf, und hing sich ihm fest an den Arm.

Das alles war ohne Nachdenken in fliegender Eile, wie im Rausch und mit zitternden Fingern geschehen.

Jetzt erreichte der Zug sein Ende.

Sechs bekränzte Frauen und Mädchen schlossen sich Arm in Arm und mit lautem Gesang ihm an.

Pollux zog die Geliebte hinter diese lustige Reihe, umschlang Arsinoe wieder, ließ sich von ihr umfassen, und nun hoben beide in raschem Tanzschritt die Füße, schwangen die freien Arme, warfen den Kopf laut rufend und singend zurück und vergaßen alles, was sie umgab, und glaubten, sie wären mit einem aus Sonnenstrahlen gewebten Gürtel verbunden und ein Gott hebe sie an ihm hoch empor und führe sie durch lauter Jubel und Lust an tausend Sternen vorbei durch die lichten Räume des Äthers.

Und sie ließen sich beide fortreißen durch die Mondstraße in die von Kanopus und dann zum Meere zurück bis zum Tempel des Dionysus.

Da blieben sie atemlos stehen, und ihm fiel wieder ein, daß er Pollux, und ihr, daß sie Arsinoe sei, und daß sie zu ihrem Vater und den Geschwistern zurückkehren müsse.

»Komm nach Hause,« sagte sie leise. Dabei ließ sie die Arme sinken und faßte schamhaft das aufgelöste Haar zusammen.

»Ja, ja,« entgegnete er wie im Traume.

Dann gab er sie frei, schlug sich die Stirn mit der Hand, und rief, indem er sich der offenen Cella des Tempels zuwandte:

»Daß du mächtig bist, Dionysus, daß du schön bist, Aphrodite, daß du lieblich bist, Eros, hab' ich lange gewußt; aber daß eure Gaben so unermeßlich groß sind, das erfuhr ich erst heute.«

»Wir waren beide ganz voll von dem Gotte,« sagte Arsinoe, »und es war wundervoll; aber da kommt ein neuer Zug, und ich muß nach Hause.«

»So gehen wir durch die kleine Hafengasse,« riet Pollux.

»Ja. Die Blätter muß ich aus dem Haare lesen, und dort sieht uns niemand.«

»Ich will dir helfen . . .«

»Nein, du rührst mich nicht an,« entgegnete Arsinoe streng.

Dann faßte sie die Fülle ihres weichen, glänzenden Hauptschmucks zusammen und befreite ihn von dem Laube, das sich wie grüne Käfer in vielblätterigen Blumen in ihm versteckt hatte. Zuletzt verbarg sie das Haupt unter dem Schleier, der ihr längst vom Haupt gesunken und wie durch ein Wunder an der Spange des Peplos hängen geblieben war.

Pollux schaute ihr zu und rief, fortgerissen von der Macht der Leidenschaft:

»Ewige Götter, wie ich dich liebe! Mein Herz ist ein spielendes Kind gewesen, heute aber wuchs es zum Helden heran. Warte nur, warte, der wird seine Waffen schon brauchen!«

»Und ich kämpfe mit ihm,« fügte sie freudig hinzu, legte den Arm wieder in den seinen, und beide eilten, mehr tanzend als gehend, dem Palaste entgegen.

Schon kündete die späte Sonne des kurzen Dezembertages durch einen kalten grauen Streifen ihren baldigen Aufgang an, als Pollux mit der Begleiterin das längst für die Arbeiter geöffnete Tor durchschritt.

In der Musenhalle nahmen sie den ersten, in dem zu der Verwalterwohnung führenden Gang den zweiten betrübten und doch fröhlichen Abschied. Aber er war nur kurz; denn der Schein eines Lämpchens riß sie bald voneinander.

Arsinoe suchte schnell das Weite.

Antinous war der Störer.

Er wartete hier auf den Kaiser, der immer noch auf dem Turmbau, den Pontius für ihn hergestellt hatte, nach den Sternen schaute, und erkannte sie, als sie an ihm vorbeieilte.

Sobald sie verschwunden war, wandte er sich an Pollux und sagte heiter:

»Ich bedarf deiner Entschuldigung; denn ich störte dich wohl bei einem Stelldichein mit deiner Geliebten.«

»Sie ist meine Braut,« versetzte der Künstler stolz.

»Desto besser,« entgegnete der Günstling und atmete so tief auf, als würde ihm das Herz durch die Versicherung des Künstlers von einer Bürde befreit. »Desto besser. Kannst du mir sagen, wie sich die Schwester der schönen Arsinoe befindet?«

»Gewiß,« entgegnete Pollux und ließ sich's gefallen, daß der Bithynier sich ihm an den Arm hängte.

In der nun folgenden Stunde gewann der Bildhauer, von dessen Lippen heitere und begeisterte Worte wie ein voller Gießbach rauschten, das ganze Herz des Günstlings.

Das Mädchen fand den Vater und ihren blinden Bruder Helios, der nicht mehr aussah wie ein Kranker, in tiefem Schlaf.

Die Sklavin kam wenige Minuten später als sie nach Hause, und als Arsinoe sich endlich mit aufgelöstem Haar auf das Lager warf, entschlummerte sie sogleich, und ein Traum führte sie wieder an die Seite ihres Pollux und ließ sie beide beim Klang der Trommeln, Flöten und Schellen wie zwei vom Winde entführte Blätter hoch über die staubigen Erdenwege dahinfliegen.


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