Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Drittes Kapitel

Der Präfekt befahl den neben seinem Wagen auf ihn wartenden Liktoren, in sein Haus zu eilen und mehrere zuverlässige, in Alexandria heimische Sklaven, die er einzeln namhaft machte, dem Baumeister Pontius zuzuführen und außerdem für den Architekten ein gutes Ruhebett mit Polstern und Decken, sowie eine Mahlzeit und edlen Wein in den alten Palast auf der Lochias zu schicken. Dann bestieg er den Wagen und fuhr durch das Bruchium dem Meere entlang zu dem das Cäsareum genannten Prachtbau.

Er kam nur langsam vorwärts; denn je mehr er sich seinem Ziele näherte, je dichter wurde die Menge der neugierigen Bürger, die Kopf an Kopf das weitläufige Gebäude umstanden.

Schon von fern leuchtete dem Präfekten helles Licht entgegen. Es stieg aus großen Pechpfannen gen Himmel, die man auf den Türmen zu beiden Seiten des hohen, dem Meere zugewandten Tores des Cäsareums aufgestellt hatte.

Zur Linken und Rechten dieser Pforte erhob sich je ein stattlicher Obelisk. An beiden entzündete man noch die Lampen, die gestern an ihren vier Seiten und auf ihrer Spitze befestigt worden waren. Zu Ehren Sabinas, dachte der Präfekt. Was dieser Pontius ausführt, hat Hand und Fuß, und es gibt kein überflüssigeres Geschäft, als seine Anordnungen zu überwachen.

Ganz erfüllt von dieser Erwägung unterließ er es auch, sich dem erleuchteten Tore zu nähern, das in den von Oktavian gegründeten Tempel Julius Cäsars führte; vielmehr befahl er dem Rosselenker, an der den Gärten des Ptolemäerpalastes im Bruchium zugewandten und im ägyptischen Stil errichteten Pforte zu halten, die in das kaiserliche Schloß führte. Dies hatten die Alexandriner zu Ehren des Tiberius erbaut. Unter den späteren Kaisern war es mancherlei Erweiterungen und Ausschmückungen unterworfen worden. Ein heiliger Hain trennte es von dem Tempel des Cäsar, mit dem es durch einen bedeckten Säulengang verbunden war.

Vor dem Haupttore hielten mehrere bespannte Wagen und wartete eine ganze Schar von weißen und schwarzen Sklaven neben den Sänften der Herren. Liktoren drängten hier die schaulustige Menge zurück, Offiziere lehnten dort an den Säulen, und die römische Schloßwache sammelte sich soeben mit Waffengerassel und beim Klang einer Trompete hinter dem Tore, um ihre Ablösung zu erwarten.

Ehrfurchtsvoll wich alles vor dem Wagen des Präfekten zurück, und als Titianus durch die erleuchteten Säulengänge des Cäsareums schritt und an den zahlreichen hier aufgestellten Meisterwerken der Bildhauerkunst, den Gemäldereihen und den Sälen vorbeikam, in denen sich die Büchersammlung dieses Palastes befand, dachte er an die Mühe und Sorgfalt, die er, von Pontius unterstützt, monatelang aufgewandt hatte, um diesen seit dem Aufbruch des Titus nach Judäa unbenutzt gebliebenen Palast zu einem dem Hadrian zusagenden Quartiere umzugestalten.

Die Kaiserin bewohnte nun die für ihren Gemahl bestimmten, mit den auserlesensten Kunstwerken geschmückten Gemächer, und Titianus sagte sich mit Bedauern, daß es, nachdem Sabina einmal von ihrem Vorhandensein Kenntnis genommen, unmöglich sein würde, sie in den Palast auf der Lochias überzuführen.

Vor dem schönen Saale, den er dem Kaiser zugedacht hatte, damit er in ihm seine Besucher empfange, traf er den Kämmerer Sabinas, der es übernahm, ihn sogleich bei der Herrin einzuführen.

Die im Sommer geöffnete Decke der Halle, in der der Präfekt die Kaiserin finden sollte, war nun, um den Regen des alexandrinischen Winters abzuwehren und weil Sabina gewöhnlich selbst in der wärmeren Jahreszeit über Kälte zu klagen pflegte, durch einen frei schwebenden kupfernen Schirm, neben dem die Luft eine weite Öffnung fand, in zweckmäßiger Weise beschützt.

Als Titianus diesen Raum betrat, wehten ihm angenehme Wärme und seine Düfte entgegen. Diese wurde durch sehr eigentümliche, inmitten der Halle stehende große Ofen erzeugt. Der eine stellte die Schmiede Vulkans dar. Hell glühende Holzkohlen lagen vor dem Blasebalge, den ein Automat in kurzen, regelmäßigen Zwischenräumen bewegte. Der Gott und seine Genossen umgaben, aus Erz gearbeitet, mit Zangen und Hämmern das wärmende Feuer. Der andere Ofen bestand aus einem großen silbernen Vogelneste, in dem gleichfalls Holzkohlen brannten. Aber ihrer Glut schwebte die aus Erz gegossene, einem Adler gleichende gefiederte Gestalt des Phönixvogels himmelan. Außerdem erhellten zahlreiche Lampen den reich mit edel geformten Sitzen, Ruhebetten und Tischen, Blumenvasen und Bildsäulen ausgestatteten Raum, der freilich zu groß erschien für die Zahl der in ihm versammelten Menschen.

Für kleine Zusammenkünfte hatten der Präfekt und Pontius früher ein ganz anderes Zimmer ins Auge gefaßt und seiner Bestimmung gemäß ausgestattet, die Kaiserin aber die Halle dem weniger geräumigen Zimmer vorgezogen. Mißbehagen, ja eine ihn befremdende Befangenheit erfüllte den hochgeborenen, ergrauten Staatsmann, als er die hier weilenden, zu kleinen Gruppen vereinten Menschen mit den Blicken zusammensuchen mußte und hier gedämpfte Worte, dort unverständliches Murmeln oder verhaltenes Kichern, nirgends aber eine frisch von den Lippen strömende Rede vernahm.

Einen Augenblick wollte es ihm vorkommen, als sei er in das Gemach der flüsternden Verleumdung getreten, und doch war ihm bekannt, warum hier niemand wagte, frei herauszureden.

Laute Worte taten der Kaiserin wehe, eine helle Stimme war ihr ein Greuel, und doch verfügten wenige Menschen über so weit vernehmbare und kräftige Brusttöne, wie ihr eigener Gemahl, der sich keinem Menschen, auch nicht seiner Gattin gegenüber, Zwang auferlegte.

Sabina saß auf einem großen, mehr einem Bette als einem Stuhle gleichenden Ruhesitze. Ihre Beine waren tief in dem zottigen Felle eines Auerstieres vergraben, und die herniederhängenden Füße rings mit seidenen Federkissen umgeben.

Ihr Kopf war steil in die Höhe gerichtet. Man begriff kaum, wie der dünne Hals ihn und die Perlenschnüre und Edelsteinketten, die durch das hohe Gebäu ihrer blondroten, in langen Zylindern dicht aneinander gereihten Locken geflochten waren, zu tragen vermochte. Das hagere Gesicht der Kaiserin erschien besonders klein unter der Menge des natürlichen und künstlichen Schmuckes, der ihr Stirn und Scheitel bedeckte. Schön konnte es selbst in der Jugend nicht gewesen sein, aber es war regelmäßig geschnitten, und der Präfekt sagte sich, als er in Sabinas von winzigen Fältchen zerrissene, weiß und rot gemalte Züge schaute, daß der Künstler, dem vor einigen Jahren der Auftrag zuerteilt worden war, sie als Venus victrix zu bilden, immerhin in der Lage gewesen war, der Göttin eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem kaiserlichen Modell zu erteilen. Wären nur die völlig wimperlosen Augen dieser Matrone trotz der dunklen Pinselstriche an ihren Rändern nicht gar so winzig klein erschienen, hätten die Sehnen an ihrem Halse sich nur nicht aus dem Fleische, das sie zu bedecken verschmähte, in so augenfälliger Weise hervorgedrängt.

Titianus ergriff, sich tief verneigend, Sabinas mit Ringen überladene Rechte; sie aber entzog schnell und als ob sie fürchte, daß es Schaden leiden könnte, dies sorgsam gepflegte, aber für keinen nützlichen Zweck verwendbare Spielzeug dem Freunde und Verwandten ihres Gemahls und verbarg Hand und Arm unter dem Obergewande. Die herzliche Begrüßung des Präfekten erwiderte sie mit aller ihr zu Gebote stehenden Wärme.

Sie sah Titianus, den sie zu Rom in früherer Zeit täglich in ihrem Hause zu sehen gewohnt gewesen war, in Alexandria zum erstenmal; denn gestern war sie, erschöpft von den Leiden der Seefahrt, in einer verschlossenen Sänfte in das Cäsareum getragen worden; heute morgen aber hatte sie seinen Besuch abweisen müssen, weil sie von den Ärzten, Badefrauen und Haarkünstlern völlig in Anspruch genommen worden war.

»Wie hältst du es aus in diesem Lande?« fragte sie mit leiser, schmelzloser Stimme, aus der man stets herauszuhören meinte, daß das Reden ein schweres, lästiges, fruchtloses Geschäft sei. »Am Mittag brennt die Sonne, und des Abends wird es so kalt, so unerträglich kalt.«

Bei diesen Worten zog sie das Obergewand noch fester zusammen, Titianus aber wies auf die Öfen inmitten der Halle und sagte:

»Ich dachte, wir hätten dem ohnehin matten Bogen des ägyptischen Winters die Sehne zerschnitten.«

»Immer noch jung, immer noch bilderreich, immer noch ein Dichter,« entgegnete die Kaiserin matt. »Vor zwei Stunden habe ich auch deine Gattin begrüßt. Ihr scheint Afrika weniger gut zu bekommen; ich erschrak, die schöne Matrone Julia so wiederzufinden. Sie sieht nicht gut aus.«

»Die Jahre sind die Feinde der Schönheit.«

»Häufig; aber die echte Schönheit widerstand ihrem Angriff doch häufig.«

»Du selbst bist der lebende Beweis für diese Behauptung.«

»Das heißt, daß ich alt werde.«

»Nein, daß du schön zu bleiben verstehst.«

»Dichter!« murmelte die Kaiserin und ihre schmale Unterlippe verzog sich.

»Die Staatsgeschäfte sind der Muse nicht hold.«

»Aber wer die Dinge schöner sieht, als sie sind, oder sie doch mit glänzenderen Namen benennt, als sie es verdienen, den nenn' ich einen Poeten, einen Schwärmer, einen Schmeichler – wie es so kommt.«

»Die Bescheidenheit weist auch wohlverdiente Bewunderung abweisend zurück.«

»Wozu dies törichte Wortgeplänkel,« seufzte Sabina und warf sich tief in den Stuhl zurück. »Du bist bei den Silbenstechern hier im Museum in die Schule gegangen, ich nicht. Da drüben sitzt der Sophist Favorinus. Er beweist vielleicht dem Astronomen Ptolemäus, daß die Sterne nichts sind als Blutflecken in unserem Auge, die wir am Himmel zu sehen vermeinen. Florus der Historiker zeichnet diese wichtige Unterredung auf, der Dichter Pankrates besingt den großen Gedanken des Philosophen, und welche Aufgabe bei diesem wichtigen Anlaß dem Grammatiker dort zufällt, das weißt du besser als ich. Wie heißt der Mann?«

»Apollonius.«

»Hadrian gab ihm den Beinamen des Dunkeln. Je schwerer man die Reden dieser Herren versteht, desto höher werden sie geschätzt.«

»Nach dem, was in der Tiefe ruht, muß man tauchen; was auf der Oberfläche schwimmt, führt jede Welle fort, und die Kinder spielen damit. Apollonius ist ein großer Gelehrter.«

»So sollte ihn mein Gatte bei seinen Schülern und Büchern lassen. Er gebot mir, diese Leute zur Tafel zu laden. Den Florus und Pankrates ließ' ich mir gefallen – aber die anderen.«

»Von Favorinus und Ptolemäus könnt' ich dich leicht befreien. Schicke sie dem Kaiser entgegen.«

»Zu welchem Zweck?«

»Um ihn zu unterhalten.«

»Er hat sein Spielzeug bei sich,« sagte Sabina, und die Lippen hoben sich ihr diesmal mit dem Ausdruck bitterer Verachtung.

»Sein kunstsinniges Auge freut sich an den vielgerühmten Formen des Antinous, den es mir bisher noch nicht zu sehen vergönnt war.«

»Du bist gespannt auf dies Wunder?«

»Ich will es nicht leugnen.«

»Und wünschest dennoch die Begegnung mit dem Kaiser hinauszuschieben?« fragte Sabina, und aus ihren kleinen Augen blitzte ein prüfender, mißtrauischer Blick. »Warum willst du die Ankunft meines Gatten verzögern?«

»Brauch' ich dir zu sagen,« entgegnete Titianus lebhaft, »wie sehr ich mich freue, meinen Gebieter und Jugendgefährten, den größten und weisesten Menschen, nach vier Jahren wiederzusehen? Was gäb' ich darum, wenn er schon hier wäre! Dennoch wollt' ich, er träfe nicht in acht, sondern in vierzehn Tagen hier ein.«

»Was gibt es?«

»Ein reitender Bote überbrachte mir heute einen Brief, in dem der Kaiser erklärt, in dem alten Palast auf der Lochias, nicht hier im Cäsareum, absteigen zu wollen.«

Bei dieser Mitteilung runzelte sich die Stirn Sabinas, ihr Blick senkte sich finster und starr in ihren Schoß, und indem sie die Unterlippe zwischen die Zähne nahm, zischte sie hervor:

»Weil ich hier wohne!«

Titianus gab sich das Ansehen, als habe er diese Anklage überhört, und fuhr in leichtem Tone fort:

»Er findet dort jene weite Ausschau in die Ferne, die er von Jugend auf liebt. Aber das alte Bauwerk ist verfallen, und wenn ich auch schon mit Hilfe unseres vorzüglichen Architekten Pontius begonnen habe, alle Kräfte aufzubieten, um wenigstens einen seiner Teile in eine mögliche, ja nicht gerade unbequeme Wohnung umzugestalten, so ist die Zeit doch zu kurz, um etwas Rechtes, Würdiges . . .«

»Ich wünsche meinen Gemahl je eher desto lieber hier zu sehen,« unterbrach die Kaiserin den Präfekten mit Entschiedenheit.

Dann wandte sie sich dem Säulengange zu, der die rechte Wand der Halle begrenzte und ziemlich weit von ihrem Ruhesitze entfernt war, und rief:

»Verus!«

Aber ihre Stimme war so schwach, daß sie ihr Ziel nicht erreichte, und so kehrte sie das Antlitz wieder dem Präfekten zu und sagte:

»Ich bitte dich, rufe mir Verus herbei, den Prätor Lucius Aurelius Verus.«

Titianus gehorchte sogleich.

Er hatte schon beim Eintritt in die Halle mit dem Manne, den die Kaiserin zu sprechen wünschte, freundliche Grüße getauscht. Jetzt wurde er von ihm nicht eher bemerkt, als bis er dicht an seine Seite getreten war; denn er bildete den Mittelpunkt einer kleinen Gruppe von Männern und Frauen, die gleichsam an seinem Munde hingen.

Was er ihnen mit leiser Stimme erzählte, mußte außerordentlich lustig sein; denn man sah seinen Zuhörern an, daß sie sich alle Mühe gaben, ihr leises Kichern nicht in lautes, die weite Halle erschütterndes Gelächter ausarten zu lassen, das die Kaiserin haßte.

Als der Präfekt Verus erreicht hatte, schlug diesem eben ein junges Mädchen, dessen hübscher Kopf von einem wahren Berge kleiner rundlicher Löckchen gekrönt war, auf den Arm und sagte:

»Aber das ist zu stark; wenn du so fortfährst, halt' ich mir künftig, sobald du mich anredest, die Ohren zu, so wahr ich Balbilla heiße.«

»Und von König Antiochus abstamme,« fügte Verus sich verneigend hinzu.

»Immer der Alte,« lachte der Präfekt, indem er dem Übermütigen winkte. »Sabina wünscht dich zu sprechen.«

»Gleich, gleich,« entgegnete Verus. »Meine Geschichte ist wahr und ihr solltet ihr alle dankbar sein; denn sie hat uns von dem langweiligen Grammatikus befreit, der nun dort drüben meinen witzigen Freund Favorinus festhält. Dein Alexandria gefällt mir, Titianus, aber eine Großstadt wie Rom ist es doch nicht. Die Leute haben noch nicht verlernt, sich zu wundern. Sie geraten noch in Erstaunen. Als ich spazieren fuhr . . .«

»Deine Läufer sollen mit Rosen im Haar und mit Flüglein an den Schultern dir als Liebesgötter vorausgeschwebt sein.«

»Den Alexandrinerinnen zu Ehren.«

»Wie zu Rom den Römerinnen und zu Athen den attischen Frauen,« unterbrach ihn Balbilla.

»Die Läufer des Prätors rennen schneller als parthische Rosse,« rief der Kämmerer der Kaiserin. »Er hat ihnen den Namen der Winde gegeben.«

»Den sie verdienen,« fügte Verus hinzu. »Komm jetzt, Titiane.«

Vertraulich legte er den kräftigen Arm in den des Präfekten, der mit ihm verwandt war, und murmelte ihm, während sich beide Sabina näherten, ins Ohr:

»Zum Besten des Kaisers laß ich sie warten.«

Der Sophist Favorinus, der mit dem Astronomen Ptolemäus, dem Grammatiker Apollonius und dem Philosophen und Dichter Pankrates an einer anderen Stelle der Halle im Gespräch verweilte, schaute beiden Männern nach und sagte:

»Ein schönes Paar. Der eine die Verkörperung der weltbeherrschenden, ehrwürdigen Roma, der andere mit seiner Hermesgestalt . . .«

»Der andere,« unterbrach der Grammatiker den Sophisten mit Ernst und Unwillen, »der andere ist das Abbild des Übermutes, der bis zum Unsinn gesteigerten Üppigkeit und der schmählichen Verderbtheit der Hauptstadt. Dieser wüste Weiberheld . . .«

»Ich will seine Art nicht verteidigen,« fiel ihm Favorinus mit wohllautender Stimme und einer Feinheit der Aussprache des Griechischen ins Wort, die selbst den Grammatiker entzückte. »Sein Tun und Treiben ist schmählich; aber du wirst mir zugeben müssen, daß sein Wesen vom Zauber der hellenischen Schönheit gestreift wird, daß die Charitinnen ihn küßten, als er ins Leben eintrat, und daß er, den die ernste Tugendlehre verdammt, von dem freundlichen Schönheitssinn mit Lob und Kränzen geehrt zu werden verdient.«

»Für den Künstler, der ein Modell braucht, ist er ein gefundener Bissen.«

»Die Richter in Athen sprachen Phryne frei, weil sie schön war.«

»Sie taten unrecht.«

»Kaum im Sinne der Götter, deren vollendetste Werke Achtung verdienen.«

»Auch in schönen Gefäßen findet man Gift.«

»Aber Leib und Seele entsprechen einander dennoch stets einigermaßen.«

»Kannst du es wagen, den schönen Verus auch den trefflichen zu nennen?«

»Nein, aber der ruchlose Lucius Aurelius Verus ist zugleich der heiterste, anmutigste aller Römer, der, fern von jeder Bosheit und Sorge, sich um keine Tugendlehre bekümmert, der, was ihm gefällt, zu besitzen begehrt und dafür auch einem jeden zu gefallen bestrebt ist.«

»An mir hat er diese Mühe verschwendet.«

»Ich tu' ihm den Willen!«

Die letzten Worte sowohl des Grammatikers als des Sophisten waren lauter gesprochen worden, als es in Gegenwart der Kaiserin üblich.

Sabina, die eben dem Prätor erzählt hatte, welche Wohnung ihr Gatte gewählt habe, zog auch sogleich die Schultern zusammen und bewegte den Mund, als ob sie Schmerz empfinde; Verus aber wandte das schöne, bei aller Feinheit und Regelmäßigkeit der Formen männliche Antlitz mißbilligend den Redenden zu.

Sein großes, glänzendes Auge begegnete dabei einem feindseligen Blicke des Grammatikers.

Eine Kundgebung der Abneigung gegen seine Person gehörte für ihn zu den unerträglichen Dingen, und so fuhr er denn schnell mit der Hand durch das blauschwarze, nur an den Schläfen leicht ergrauende Haar, das ihm ungelockt, doch in weichen, sanft gebogenen Wellen das Haupt umgab, und sagte unbekümmert um Sabinas Frage nach seiner Ansicht über die letzte Verfügung ihres Gemahls:

»Ein widerwärtiger Gesell, dieser Wortklauber. Er hat ein böses Auge, das uns alle mit Schaden bedroht, und seine Trompetenstimme kann dir nicht weher tun als mir. Müssen wir ihn täglich bei Tische ertragen?«

»Hadrian wünscht es.«

»So reise ich nach Rom,« entgegnete Verus. »Meine Frau will ohnehin zu den Kindern zurück, und als Prätor schickt es sich besser für mich, am Tiber zu sein als am Nil.«

Diese Worte wurden so leichthin gesprochen, als enthielten sie nur einen Vorschlag für die Abendmahlzeit; sie schienen aber die Kaiserin sehr zu erregen; denn sie schüttelte den Kopf, welcher, solange Titianus mit ihr geredet hatte, fast unbeweglich erschienen war, so heftig, daß die Perlen und Edelsteine in ihrem Lockengebäude zusammenschlugen.

Dann schaute sie einige Sekunden lang starr in den Schoß. Während Verus sich bückte, um einen aus ihrem Haar gefallenen Diamanten aufzuheben, sagte sie schnell: »Du hast recht. Apollonius ist unerträglich. Schicken wir ihn meinem Gatten entgegen.«

»Dann bleib' ich,« entgegnete Verus, so vergnügt wie ein trotziger Knabe, dem man den Willen getan hat.

»Wirbelwind!« hauchte Sabina und drohte ihm lächelnd mit dem Finger. »Zeig diesen Stein! Er ist einer von den größten und reinsten; du darfst ihn behalten.«

Als eine Stunde später Verus mit dem Präfekten die Halle verließ, sagte dieser:

»Du hast mir, ohne es zu ahnen, einen Dienst erwiesen, Vetter. Kannst du auch bewirken, daß man den Astronomen Ptolemäus und den Sophisten Favorinus mit dem Grammatiker dem Kaiser bis Pelusium entgegenschickt?«

»Nichts leichter als das,« lautete die Antwort.

Noch am selben Abend brachte der Haushofmeister des Präfekten dem Baumeister Pontius die Nachricht, daß ihm für seine Arbeiten statt acht oder neun, wahrscheinlich vierzehn Tage zur Verfügung stehen würden.


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