Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Siebenunddreißigstes Kapitel

Die Stadt war außer Gefahr, der Brand im Verlöschen.

Der Baumeister Pontius hatte sich bis mittag keine Ruhe gegönnt.

Drei Pferde waren unter ihm ermattet und durch frische ersetzt worden, aber sein nerviger Körper und gesunder Geist hatten bis jetzt allen Anstrengungen Trotz geboten.

Sobald er seine Aufgabe als gelöst betrachten durfte, begab er sich in seine Wohnung zurück.

Er bedurfte einiger Ruhe, aber schon im Vorsaal seiner Behausung fand er viele, die sie ihm streitig machen wollten.

Ein mitten im Leben stehender Mann, der großen Unternehmungen vorsteht, kann sich nicht ungestraft auf eine Reihe von Tagen aus seinem Heim entfernen. Die Anforderungen stauen sich auf und stürzen sich auf den Heimkehrenden wie ein Wasser, dem man die Schleusentore öffnet, von denen es zurückgehalten worden war.

Wohl zwanzig Leute, die von der Heimkehr des Baumeisters vernommen hatten, erwarteten ihn in der Vorhalle und drangen, sobald er sich zeigte, auf ihn ein.

Mehreren sah er an, daß sie in wichtigen Angelegenheiten gekommen waren, aber er fühlte, daß er an der Grenze seiner Kraft angelangt sei, und war entschlossen, sich um jeden Preis ein wenig Ruhe zu sichern.

Das sonst so bedachtsame Wesen des ernsten Mannes geriet gegenüber den gespannten Anforderungen, die man an seine Widerstandskraft stellte, ins Weichen, und zornig, klagend, unwillig wies er auf sein geschwärztes Gesicht und rief, während er sich durch die Wartenden Bahn brach: »Morgen, morgen; ja, wenn es denn sein muß, schon heute nach Untergang der Sonne! Jetzt aber brauche ich Ruhe, Ruhe, Ruhe! Ihr seht ja selbst, wie ich zugerichtet bin.«

Alle, auch die Bauführer und Lieferanten, die in den dringendsten Geschäften erschienen waren, traten zurück; nur ein älterer Mann, der Hausmeister seiner Schwester Paulina, hielt ihn an dem von Rauch befleckten und an manchen Stellen versenkten Chiton zurück und sagte schnell und leise:

»Meine Herrin grüßt dich. Sie hat Dinge mit dir zu besprechen, die keinen Aufschub dulden. Ich darf dich nicht verlassen, bevor du mir zugesagt hast, sie heute noch aufzusuchen, unser Wagen wartet auf dich an der Gartenpforte.«

»Schick ihn nach Hause,« entgegnete Pontius nicht eben freundlich, »Paulina muß sich noch einige Stunden gedulden.«

»Ich habe den Befehl, dich sogleich zu ihr zu führen.«

»Aber in diesem Zustande, so – so kann ich nicht kommen,« rief der Baumeister heftig. »Nehmt ihr denn gar keine Rücksicht? Und doch! Wer kann wissen? Sage ihr, in zwei Stunden wäre ich bei ihr.«

Nachdem Pontius auch diesem Dränger entflohen war, nahm er ein Bad. Dann ließ er sich eine Mahlzeit vorsetzen; doch selbst während er aß und trank, blieb er nicht unbeschäftigt; denn er las die eingegangenen Schreiben und prüfte einige Zeichnungen, die seine Gehilfen in seiner Abwesenheit ausgeführt hatten.

»Gönne dir ein Stündchen Ruhe,« bat die alte Schaffnerin, die seine Amme gewesen war und ihn wie den eigenen Sohn liebte.

»Ich muß zu meiner Schwester,« gab er achselzuckend zurück.

»Wir kennen sie ja,« entgegnete die Alte. »Um nichts und wieder nichts läßt sie dich rufen, und du bedarfst jetzt der Erholung. Liegt dir das Kissen so recht? Und nun frage ich dich, hat es dein unterster Steinträger so schwer wie du? Nicht einmal bei der Mahlzeit gönnst du dir ein behagliches Stündchen. Der arme Kopf, der steht niemals still, die Nächte werden in Tage verwandelt; geschafft muß werden und immer geschafft. Wenn man dabei nur wüßte, für wen?«

»Ja, für wen?« seufzte Pontius und schob den Arm zwischen Haupt und Kissen. »Siehst du, Mütterchen, der Arbeit muß die Ruhe so sicher folgen wie dem Tage die Nacht, wie dem Sommer der Winter. Wer was Liebes im Hause hat – meinetwegen ein gutes Weib und muntere Kinder –, die ihm die Zeit der Rast freundlich verschönern und sie zu den besten Stunden des Tages machen, der handelt klug, wenn er sie verlängert; mit mir indes steht es anders.«

»Aber warum steht es anders, mein Pontius?«

»Laß mich zu Ende reden. Du weißt: weder das Geschwätz in den Bädern, noch das lange Liegen beim Gastmahl erfreut mich. In den Arbeitspausen bin ich mit mir selbst und der sehr vortrefflichen alten Leukippe allein. Die Erholungsstunden sind für mich nicht die schönsten Auftritte, sondern leere Zwischenakte im Schauspiel des Lebens, und darum kann es mir kein billig denkender Mensch verargen, wenn ich sie durch nützliches Schaffen abzukürzen versuche.«

»Und was geht aus dieser verständigen Rede hervor? – Doch nur, daß du heiraten mußt.«

Pontius seufzte; Leukippe aber rief eifrig:

»Du brauchst nicht zu suchen! Die angesehensten Väter und Mütter laufen dir nach und führen uns ihr schönstes Kind zur Türe herein.«

»Ein Kind, das ich nicht kenne, und das mir vielleicht nur die Zwischenakte verdirbt, die ich jetzt wenigstens nützlich verwende.«

»Sie sagen,« entgegnete die Alte, »die Ehe sei ein Würfelspiel. Der eine bringt es zu hohen, der andere zu niederen Augen. Der gewinnt ein Weib, das der fleißigsten Biene gleicht, jener bekommt eine lästige Mücke. Es ist wohl etwas Wahres daran; doch ich bin mit offenen Augen grau geworden und sah häufig, daß es auch viel auf den Gatten ankommt, wie sich die Ehe gestaltet. Ein Mann wie du macht selbst aus der Mücke eine Biene, die Honig ins Haus trägt. Freilich muß man behutsam wählen.«

»Und wie denn?«

»Man soll erst die Eltern ansehen und dann das Kind. Ein Mädchen, das von guten Sitten umgeben im Hause eines verständigen Vaters und einer tugendhaften Mutter aufwuchs . . .«

»Wo fände sich solches Wunder in dieser Stadt? Nein, nein, Leukippe, einstweilen soll alles beim alten bleiben. Wir tun beide unsere Schuldigkeit, sind miteinander zufrieden . . .«

»Und die Zeit fliegt dahin,« fiel die Schaffnerin dem Herrn in die Rede. »Du wirst fünfunddreißig Jahre alt, und die Mädchen . . .«

»Laß sie, laß sie, sie finden andere Männer! Jetzt schicke mir Syrus mit den Schuhen und dem Pallium und laß mir die Sänfte zurichten; Paulina wartete schon lange genug.«

Der Weg von der Wohnung des Baumeisters zu dem Hause seiner Schwester war lang, und er fand, während man ihn dahin trug, Zeit genug zum Nachdenken, nur nicht über den Rat Leukippes, sich ein Weib zu nehmen. Und doch erfüllte ihm eine Frauengestalt Herz und Sinn; aber er fühlte sich zunächst nicht geneigt, sich an dem Bilde Balbillas zu weiden, so lieblich es ihn auch anschaute, vielmehr suchte er mit grausamer Schärfe alles an ihm hervor, was den höchsten Anforderungen, die an weibliche Vollkommenheit gestellt werden können, widersprach. Es fiel ihm nicht schwer, mancherlei üble Fehler und Mängel an der römischen Jungfrau zu finden, und doch mußte er sich eingestehen, daß sie alle untrennbar zu ihr gehörten und daß sie nicht mehr diejenige bleiben würde, die sie war, wenn sie völlig frei von ihnen wäre. Jede ihrer Schwächen wollte dem strengen, in der stoischen Lehre aufgewachsenen Manne zuletzt sogar wie ein Vorzug erscheinen.

Er hatte erfahren, daß das Leid seine Schatten in das Dasein jedes Menschen werfe, aber der, dem es vergönnt wäre, mit diesem strahlenden Glückskinde durchs Leben zu wandern, der, meinte er, habe nichts zu erwarten als lauter heiteren Sonnenschein.

Auf der Reise nach Pelusium und bei seinem Aufenthalt daselbst hatte er oft an sie gedacht, und jedesmal, wenn ihm ihr Bild vor das innere Auge getreten, war es ihm zumute gewesen, als würde es ihm tageshell im Herzen. Ihr begegnet zu sein, hielt er für das größte Glück seines Lebens; aber nach ihrem Besitze zu streben durfte er nicht wagen.

Er schätzte sich selbst nicht gering und wußte, daß er stolz sein durfte auf die Stellung, die er sich durch eigenen Fleiß und mit eigener Kraft errungen; – sie aber war die Enkelin des Mannes, der das Recht besessen hatte, seinen Großvater um Geld zu verkaufen. Dazu war sie so hochgeboren und anspruchsvoll, daß es ihm kaum kühner erschienen wäre, den Kaiser zu fragen, wieviel er für den Purpur begehre, als um sie zu werben. Aber sie zu beschützen, sie zu warnen, sich durch ihren Anblick und ihre Rede erfrischen zu lassen, dazu fühlte er sich berechtigt, dies Glück sollte keiner ihm schmälern. Und sie gönnte es ihm, sie achtete ihn, sie gewährte ihm das Recht, sie zu behüten; das empfand er dankbar und freudig.

Er würde sogleich die außerordentlichen Anstrengungen der letzten Stunden noch einmal auf sich genommen haben, wenn er sicher gewesen wäre, auch dann durch einen Trunk Wasser aus ihrer Hand erquickt zu werden. An sie und ihre Huld auch nur denken zu dürfen, schien ihm ein reicheres Glück als der Besitz jedes anderen Weibes.

Während er vor dem Tor des Stadthauses der Schwester aus der Sänfte stieg, schüttelte er lächelnd über sich selbst den Kopf; denn er sagte sich, daß er auf dem ganzen langen Wege kaum an etwas anderes als an Balbilla gedacht hatte.

Die Wohnung Paulinas besaß nur wenige zu Wirtschaftsräumen gehörige Öffnungen, die in die Straße schauten, und doch war sein Kommen bemerkt worden.

Ein mit Schlinggewächsen umranktes Fenster an der Seitenwand des Hauses rahmte ein reizendes Mädchenhaupt ein, das neugierig auf das städtische Treiben unter sich niederblickte.

Pontius bemerkte es nicht; Arsinoe aber – denn sie war es, der das hübsche Köpfchen gehörte – erkannte sogleich den Baumeister, den sie auf der Lochias gesehen und von dem ihr Pollux erzählt, daß er sein Gönner und Freund.

Seit einer Woche lebte sie in dem reichen Hause der Witwe des Pudens. Es fehlte ihr an nichts, und doch sehnte sie sich mit aller Kraft ihrer Seele hinaus in die Stadt, um nach Pollux und seinen Eltern zu forschen, von denen sie seit dem Tod des Vaters nichts gehört hatte.

Ihr Geliebter suchte sie gewiß mit Angst und Schmerzen; aber wie konnte er sie finden?

Drei Tage nach dem Einzug in ihr neues Heim hatte sie das Fensterchen entdeckt, aus dem sie die Straße zu überblicken vermochte.

Es gab da genug zu sehen; denn sie führte in den Hippodrom und wurde niemals leer von Fußgängern und Wagen, die sich dahin oder nach Nikopolis begaben.

Wohl gewährte es ihr Vergnügen, auf die schönen Rosse und die bekränzten Jünglinge und Männer zu schauen, die an Paulinas Hause vorbeizogen; aber sie trat doch nicht bloß um sich zu unterhalten an die umrankte Maueröffnung, nein, sie hoffte vielmehr ihren Pollux, seinen Vater, seine Mutter, seinen Bruder Teuker oder einen anderen Bekannten einmal an ihrem neuen Heim vorübergehen zu sehen. Dann konnte es ihr vielleicht glücken, einen von ihnen anzurufen, ihn zu fragen, was aus den Freunden geworden sei, und ihn zu bitten, ihrem Bräutigam mitzuteilen, wo sie sich befand.

Ihre Pflegemutter hatte sie zweimal bei dem Fenster überrascht und ihr nicht unfreundlich, doch entschieden verboten, auf die Straße zu blicken. Sie war ihr auch ohne Widerspruch in das Innere des Hauses gefolgt; sobald sie aber wußte, daß Paulina abwesend oder beschäftigt war, schlich sie sich wieder an das Fenster und schaute nach denen aus, an die sie zu jeder Stunde des Tages denken mußte.

Sie fühlte sich nicht glücklich in ihrer reichen neuen Umgebung.

Anfänglich hatte es ihr wohl gefallen, sich auf den weichen Polstern Paulinas auszustrecken und keine Hand zu rühren, gute Bissen zu essen, weder für die Kinder sorgen noch in der gräßlichen Papyrusfabrik arbeiten zu müssen; doch schon am dritten Tage sehnte sie sich hinaus ins Freie – besonders nach den Kindern, nach Selene und Pollux.

Einmal war sie mit Paulina in einer bedeckten Rheda ausgefahren, und zwar zum erstenmal in ihrem Leben. Als die Pferde anzogen, hatte sie sich über die schnelle Bewegung gefreut und sich zur Seite hinausgelehnt, um die Käufer und Menschen an sich vorüberfliegen zu sehen; aber Paulina war darüber, wie über so vieles andere, das sie selbst für recht und erlaubt hielt, ungehalten geworden, hatte ihr geboten, den Kopf zurückzuziehen und gesagt, daß ein sittsames Mädchen beim Spazierenfahren in den Schoß sehen müsse.

Ihre Pflegemutter war gütig, zeigte sich niemals heftig, ließ sie wie die eigene Tochter kleiden und bedienen, küßte sie am Morgen und vor dem Zubettgehen, und doch hatte Arsinoe noch nicht ein einziges Mal an das Verlangen Paulinas gedacht, sie möge sie lieben.

Die stolze, bei aller Freundlichkeit kühle Frau, von der sie sich stets überwacht fühlte, erschien ihr wie eine Fremde, die Macht über sie hatte. Die schönsten Empfindungen ihrer Seele mußte sie ohnehin vor ihr verschließen.

Einmal, nachdem Paulina ihr mit feuchten Augen von ihrer verstorbenen Tochter erzählt hatte, war Arsinoe weich geworden und hatte ihr, dem Antrieb des Herzens folgend, anvertraut, daß sie den Bildhauer Pollux liebhabe und hoffen dürfe, sein Weib zu werden.

»An einen Bildhauer denkst du?« hatte Paulina mit solchem Abscheu gefragt, als sei ihr Blick einer Kröte begegnet. Dann war sie auf und nieder geschritten und hatte mit der ihr eigenen ruhigen Entschiedenheit hinzugefügt:

»Nein, mein Kind, das alles wirst du so bald als möglich vergessen, ich weiß für dich einen edleren Bräutigam. Wenn du ihn erst kennst, dann wirst du nach keinem anderen verlangen. Hast du in diesem Hause ein einziges Bildwerk gesehen?«

»Nein,« entgegnete Arsinoe, »aber was Pollux angeht . . .«

»Höre mich,« unterbrach sie die Witwe. »Hab' ich dir nicht von unserem gütigen Vater im Himmel gesprochen, sagt' ich dir nicht, daß die Götter der Heiden erfundene Luftgebilde sind, die aberwitzige Toren mit allen Schwächen und Lastern sündiger Menschen ausgestattet haben? Kannst du nicht begreifen, wie närrisch es ist, zu Steinen zu beten? Welche Kraft könnte wohl leicht zerstörbaren Figuren von Erz und Marmor innewohnen? Wir nennen sie Götzen. Wer sie bildet, der dient ihnen, der bringt ihnen Opfer, große Opfer; denn er stellt den Geist und seine besten Kräfte in ihren Dienst. Hast du mich verstanden?«

»Nein. Die Kunst ist gewiß etwas Hohes, und Pollux ist ein guter Mensch, der bei der Arbeit des Gottes voll ist.«

»Warte nur, warte, du lernst schon begreifen,« hatte Paulina erwidert, hatte Arsinoe an sich gezogen und erst freundlich, dann in strengerem Tone gesagt: »Geh nun zur Ruhe und flehe den gütigen Vater im Himmel an, daß er dir das Herz erleuchten möge. Die Götzenbildner mußt du vergessen, und ich verbiete dir, in meiner Gegenwart jemals wieder von diesem Bildhauer zu reden.«

Arsinoe war als Heidin aufgewachsen, hing mit Liebe an den heitern Göttern der Väter und hoffte, nachdem der Schmerz über den Verlust des Vaters und die Trennung von den Geschwistern seine brennende Bitterkeit verloren, wieder auf frohe künftige Tage. Sie war wenig geneigt, ihre junge Liebe und alles irdische Glück für geistige Güter zu opfern, deren Wert sie gar nicht begriff.

Ihr Vater hatte stets mit Haß und Verachtung von den Christen geredet. Sie sah nun, daß sie auch gut und hilfreich sein konnten, und die Lehre, daß es einen freundlichen Gott im Himmel gäbe, der alle Menschen wie eigene Kinder liebe, sagte ihr zu; aber daß man dem Feinde vergeben, daß man stets seiner Sünden reuig gedenken und jede Lust und jedes Vergnügen, die das heitere Alexandria bot, seiner unwert finden sollte, das erschien ihr widersinnig und töricht.

Was hatte sie denn Großes begangen?

Konnte der freundliche Gott von ihr fordern, sich viele gute Tage zu verderben, weil sie als Kind von einem Kuchen genascht, einen Topf zerschlagen und später einmal trotzig oder ungehorsam gewesen war?

Gewiß nicht!

Und nun sollte gar auch ein Künstler, ein guter treuer Mensch wie ihr langer Pollux, dem väterlichen Gotte verhaßt sein, weil er so wundervolle Dinge, wie den Kopf ihrer Mutter, zu bilden verstand?

Wenn das sich wirklich so verhielt, dann wollte sie tausendmal lieber zu der lachenden Aphrodite, dem heiteren Eros, dem schönen Apollon und zu allen neun Musen, die ihren Pollux beschützten, die Hände erheben, als zu ihm.

Eine stille Abneigung gegen die strenge Frau, die sie nicht verstehen konnte und von deren Lehren und Mahnungen sie kaum die Hälfte begriff, wurde in ihr lebendig. Manches Wort der Witwe, das leicht eine Stätte in ihrem Herzen hätte finden können, wies sie nur zurück, weil es aus dem Munde der kühlen Frau kam, die ihr in jeder Stunde einen neuen Zwang aufzuerlegen versuchte.

Paulina hatte sie noch nie zu den Versammlungen der Christen in ihre Villa geführt.

Sie wünschte sie erst vorzubereiten und ihr die Seele für das Heil zu öffnen. Kein Gemeindelehrer durfte sie bei dieser Aufgabe unterstützen. Sie, sie ganz allein wollte die Seele dieses schönen, so fest auf den Wegen der Heiden wandelnden Geschöpfes für den Heiland erobern. So verlangte es der Pakt, den sie mit ihm geschlossen. Mit dieser mühevollen Tat hoffte sie die Seligkeit ihrer Tochter zu erkaufen.

Tag für Tag ließ sie Arsinoe in ihr nur mit Blumen und christlichen Symbolen geschmücktes Zimmer kommen und widmete dort ihrer Belehrung mehrere Stunden. Aber ihre Schülerin zeigte sich mit jedem Tage unempfänglicher und zerstreuter. Sie dachte, während Paulina sprach, an ihren Pollux, die Geschwister, die für den Kaiser veranstalteten Feste und an den schönen Putz, den sie als Roxane getragen hätte. Sie fragte sich, welches Mädchen nun ihre Stelle vertreten würde und wie sie zu einem Wiedersehen mit dem Geliebten gelangen könnte.

Wie bei dem Unterricht, so ging es bei den Gebeten Paulinas, die oft länger als eine Stunde dauerten und an denen sie Mittwochs und Freitags kniend, die anderen Tage der Woche mit aufgehobenen Händen teilnehmen mußte.

Als ihre Pflegemutter entdeckt hatte, daß sie oft in die Straße hinaussah, glaubte sie den Grund des zerstreuten Wesens der Schülerin erkannt zu haben und erwartete nur die Heimkehr ihres Bruders, des Baumeisters Pontius, um das Fenster beseitigen zu lassen.

Als der Architekt den hohen Vorsaal des Hauses der Schwester betreten hatte, kam ihm Arsinoe entgegen. Ihre Wangen waren gerötet; denn sie hatte sich beeilt, so schnell als möglich von ihrem Fenster in das untere Stockwerk zu gelangen und den Baumeister zu sprechen, bevor er die inneren Gemächer betrat und mit Paulina redete.

Sie sah schöner als je aus.

Mit Vergnügen blickte Pontius sie an.

Er wußte, daß er dies liebliche Antlitz schon gesehen hatte, doch erinnerte er sich nicht sogleich wo; denn solche, denen man nur flüchtig begegnet ist, erkennt man da nicht leicht wieder, wo man schwer vermuten kann, sie zu finden.

Arsinoe ließ ihm nicht Zeit sie anzureden; denn sie trat ihm in den Weg, begrüßte ihn und fragte schüchtern:

»Du weißt wohl nicht mehr, wer ich bin?«

»Doch, doch,« entgegnete der Baumeister, »indessen . . .«

»Ich bin des Palastverwalters Keraunus Tochter, von der Lochias, du weißt doch . . .«

»Richtig, richtig; und Arsinoe heißt du! Heute noch fragte ich nach deinem Vater und hörte zu meinem Bedauern . . .«

»Er ist tot.«

»Armes Kind! Wie hat sich seit meiner Abreise alles in dem alten Palast verändert! Das Torwächterhäuschen ist verschwunden, ein neuer Verwalter zog dort ein, und dann – aber sage mir zuerst, wie du in dies Haus kommst?«

»Mein Vater hat nichts hinterlassen, und da haben Christen uns bei sich aufgenommen. Wir waren unserer acht.«

»Und meine Schwester beherbergt euch alle?«

»Nein, nein. Das eine wurde in dies, das andere in jenes Haus gebracht. Wir kommen nie wieder zusammen.«

Bei dieser Mitteilung rannen Tränen über Arsinoes Wangen; doch sie faßte sich schnell und sagte, bevor Pontius ihr seine Teilnahme aussprechen konnte:

»Ich möchte dich um etwas bitten! – Laß mich reden, bevor man uns stört.«

»Sprich nur, mein Kind!«

»Du hast ja Pollux, den Bildhauer Pollux, gekannt.«

»Gewiß.«

»Und du warst ihm gütig gesinnt?«

»Er ist ein braver Mensch und ein tüchtiger Künstler.«

»Ja wahrlich, das ist er. Und außerdem . . . Darf ich dir alles sagen und willst du mir beistehen?«

»Gern, wenn es in meiner Macht steht.«

Arsinoe schaute mit reizender Verlegenheit errötend zu Boden und sagte dann leise:

»Wir lieben einander; ich bin seine Braut.«

»Nimm meinen Glückwunsch.«

»Ach, wenn es schon so weit wäre! Seit dem Tode des Vaters haben wir einander nicht wiedergesehen. Ich weiß nicht, wo er und seine Eltern geblieben sind, und wie soll er mich hier finden?«

»So schreibe ihm.«

»Das kann ich nicht gut, und wenn ich's vermöchte, so würde mein Bote . . .«

»Ließ meine Schwester ihn suchen?«

»Nein, nein. Ich darf vor ihr nicht einmal seinen Namen über die Lippen bringen. Sie will mich an einen anderen vergeben; sie sagt, die Bildhauerkunst sei dem Gotte der Christen verhaßt.«

»Sagt sie das? So wünschst du wohl, ich möchte deinen Bräutigam suchen?«

»Ja, ja, guter Herr, und wenn du ihn findest, so sage ihm, ich wäre des Morgens früh und gegen Abend allein. Alle Tage! Denn dann fährt deine Schwester immer zum Gottesdienst in ihr Landhaus.«

»Also zum Liebesboten willst du mich machen? Du kannst keinen Unerfahrenern wählen.«

»Ach, edler Pontius, wenn du ein Herz hast . . .«

»Laß mich ausreden, Mädchen. Ich will deinen Bräutigam suchen, und finde ich ihn, so soll er erfahren, wo du jetzt weilst; aber zum Stelldichein hinter dem Rücken meiner Schwester will und kann ich ihn nicht laden. Offen soll er vor Paulina treten und um dich werben. Versagt sie euch ihre Zustimmung, so werd' ich eure Sache bei meiner Schwester zu führen versuchen. Bist du damit zufrieden?«

»Ich muß es ja sein. Und nicht wahr, du teilst mir mit, wohin er selbst und seine Eltern kamen?«

»Das will ich dir versprechen. Und nun noch eine Frage. Fühlst du dich wohl in diesem Hause?«

Arsinoe schaute wieder verlegen zu Boden, dann schüttelte sie den Kopf mit dem Ausdruck lebhafter Verneinung und eilte davon.

Pontius schaute ihr teilnehmend und mitleidig nach.

»Armes, schönes Geschöpf,« murmelte er vor sich hin und begab sich in das Gemach seiner Schwester.

Der Hausmeister hatte seine Ankunft gemeldet, und Paulina war ihm bis an die Schwelle entgegengegangen.

In ihrem Wohnzimmer fand der Baumeister den Bischof Eumenes, einen würdigen Greis mit klaren, milden Augen.

»Dein Name ist heute in aller Mund,« sagte Paulina nach der üblichen Begrüßung. »Man sagt, du hättest in dieser Nacht Wunder verrichtet.«

»Ich kam sehr ermattet nach Hause,« versetzte Pontius; »da du mich aber dringend zu sprechen wünschtest, kürzte ich meine Erholungszeit ab.«

»Wie mir das leid tut!« rief die Witwe.

Der Bischof sah, daß die Geschwister Geschäftliches miteinander zu verhandeln hatten, und fragte, ob er nicht störe.

»Im Gegenteil,« rief Paulina, »Es handelt sich um meine neue Pflegebefohlene, die leider viel unnütze Dinge im Kopf hat. Sie sagt, sie hätte dich auf der Lochias gesehen, mein Pontius.«

»Ich kenne das schöne Kind.«

»Ja, sie ist von lieblichem Ansehen,« entgegnete die Witwe. »Aber ihr Geist und ihr Herz sind völlig unausgebildet geblieben, und die Lehre fällt bei ihr auf steinigen Boden; denn sie benützt jede freie Stunde, um den Reitern und Wagen nachzuschauen, die in den Hippodrom fahren. Bei diesem neugierigen Gaffen nimmt sie tausend unnütze und zerstreuende Bilder in sich auf – ich bin nicht immer zu Hause – und so ist es das Beste, wenn wir das verderbliche Fenster zumauern lassen.«

»Und um das zu bewerkstelligen, ließest du mich rufen?« fragte Pontius verdrossen. »Mit diesem Werke wären, sollt' ich meinen, deine Haussklaven auch ohne mich fertig geworden.«

»Vielleicht – aber die Wand muß dann auch neu übertüncht werden. Ich weiß ja, wie gefällig du bist.«

»Ich danke dir. Morgen schicke ich dir zwei ordentliche Leute.«

»Nein, heute schon, wenn es angeht.«

»Hat es denn solche Eile, dem armen Kind den Spaß zu verderben? Und dazu muß ich glauben, daß es nicht einmal nach Reitern und Wagen, sondern nach seinem braven Bräutigam ausschaut.«

»Um so schlimmer. Ich sagte dir ja, Eumenes, daß ein Bildhauer sie zum Weibe begehrt.«

»Sie ist eine Heidin,« entgegnete der Bischof.

»Aber auf dem Wege zum Heil,« versetzte Paulina. »Doch davon reden wir später. Es gibt auch noch etwas anderes zu besprechen, Pontius. Der Saal in meinem Landhause muß erweitert werden.«

»So schick mir die Pläne.«

»Sie liegen in der Bücherei meines armen Gatten.«

Der Baumeister verließ die Schwester, um sich in das ihm wohlbekannte Gemach zu begeben.

Sobald der Bischof mit Paulina allein war, schüttelte er das Haupt und sagte:

»Wenn ich richtig sehe, meine Schwester, so gehst du bei der Führung des dir anvertrauten Kindes irre. Nicht alle sind berufen, und widerspenstige Herzen wollen mit sanfter Hand auf den Weg des Heils geleitet und nicht auf ihn gezogen und gestoßen werden. Warum schneidest du dem Mädchen, das noch mit beiden Füßen mitten in der Welt steht, alles ab, was ihm Vergnügen bereitet? Gestatte der Jungfrau doch, jede erlaubte Freude zu genießen, die ja die Lebenslust der Jugend ist. Kränke Arsinoe nicht vergeblich, laß sie die Hand, die sie leitet, nicht fühlen. Lehre sie zunächst dich von Herzen lieben, und wenn sie nichts Teureres kennt als dich, wird eine Bitte deines Mundes mehr vermögen als Riegel und vermauerte Fenster.«

»Ich wünsche zunächst nichts weiter, als daß sie mich liebt,« fiel Paulina dem Bischof ins Wort.

»Aber prüftest du sie schon? Siehst du in ihr den Funken, der sich zur Flamme anfachen läßt? Hast du in ihr einen Keim entdeckt, der zur Sehnsucht nach dem Heil, zur Hingabe an den Erlöser aufwachsen könnte?«

»In jedes Menschen Brust liegt dieser Keim. Das sind deine eigenen Worte.«

»Aber in vielen Heiden ist er mit Sand und Geröll hoch bedeckt. Fühlst du in dir die Kraft, beide fortzuräumen, ohne den Keim und das Land, das ihn hegt, zu beschädigen?«

»Ich fühle sie, und ich gewinne Arsinoe für Jesus Christus,« entgegnete Paulina entschieden.

Pontius unterbrach dies Gespräch. Eine Zeitlang blieb er noch bei der Schwester und sprach mit ihr und Eumenes über den in ihrem Landhause vorzunehmenden Neubau, dann verließ er sie zugleich mit dem Bischof und begab sich zu den Brandstätten am Hafen und bei dem alten Palaste.


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