Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Während Pollux mit der betrübten Mutter auf die Heimkehr Euphorions wartete, und der Bildhauer Papias sich in die Gunst des Kaisers schlich, indem er sich das Ansehen gab, Hadrian immer noch für den Baumeister Claudius Venator zu halten, hatte Aurelius Verus, den die Alexandriner den »falschen Eros« nannten, ernste Dinge erlebt.

Am Nachmittag war er bei der Kaiserin gewesen, um sie zu veranlassen, wenn auch unerkannt das heitere Treiben des Volkes mit anzusehen; Sabina aber war mißmutig, erklärte leidend zu sein und versicherte, daß der Lärm der tobenden Menge sie ums Leben bringen würde.

Wer, sagte sie, einen so lebhaften Berichterstatter habe, wie sie in Verus, der könne es sparen, sich dem Staube, dem Qualm der Stadt und dem Gebrüll der Menschen in eigener Person auszusetzen.

Sobald Lucilla den Gatten bat, seiner Würde zu gedenken und sich wenigstens nicht in der Nacht unter die erregten Scharen zu mischen, beauftragte die Kaiserin ihn geradezu, alles in Augenschein zu nehmen, was das Fest Bemerkenswertes biete und besonders eifrig acht auf solche Dinge zu haben, die eigentümlich alexandrinisch und in Rom nicht zu finden wären.

Nach Sonnenuntergang besuchte Verus zuerst die Veteranen der zwölften Legion, die mit ihm gegen die Numidier ins Feld gezogen waren, und denen er als alten, lieben Kampfgenossen ein Gastmahl bei einem Garkoche gab.

Eine Stunde lang trank er mit den tapferen Graubärten. Dann verließ er sie, um die wenige Schritte vom Schauplatz der Gasterei entfernte kanopische Straße bei Nacht zu betrachten. Sie war mit Lichtern, Fackeln und Lampen hell erleuchtet, und die großen Häuser hinter den Kolonnaden prangten im reichsten Festschmuck; nur das schönste und stattlichste von allen zeigte keinerlei Ausputz.

Es gehörte dem Juden Apollodor.

In früheren Jahren hatten aus seinen Fenstern die schönsten Teppiche gehangen, war es ebenso reich mit Blumen und Lampen verziert gewesen wie die der anderen in der kanopischen Straße wohnenden Israeliten, die das heitere Fest mit den heidnischen Mitbürgern so munter feierten, als wären sie nicht weniger eifrig beflissen, dem großen Dionysus zu huldigen.

Apollodor hatte besondere Gründe, sich diesmal von allem fernzuhalten, was mit dem festlichen Treiben der Heiden zusammenhing. Ohne zu ahnen, daß ihn seine Enthaltsamkeit in ernste Gefahr stürzen könnte, verweilte er ruhig in seiner mit fürstlicher Pracht ausgestatteten Wohnung, die weit eher für einen Griechen, als für einen Israeliten hergestellt worden zu sein schien. Dies galt besonders von dem Männersaale, in dem Apollodor sich befand; denn die Gemälde an den Wänden und auf dem Fußboden dieses schönen Raumes, dessen halb geöffnete Decke von Säulen aus edlem Porphyr getragen wurde, bezogen sich auf die Liebe des Eros und der Psyche. Zwischen den Säulen standen die Büsten der größten heidnischen Philosophen, und im Hintergrunde des Saales war eine schöne Statue des Plato zu sehen.

Unter lauter Bildnissen, die Hellenen und Römer darstellten, befand sich nur eins eines Israeliten, und zwar das jenes Philo, dessen bedeutende und reine Züge denen des vornehmsten unter seinen griechischen Geistesverwandten glichen.

In diesem schönen, mit silbernen Lampen beleuchteten Raume fehlte es nicht an bequemen Polstern, und auf dem einen lag Apollodor, ein wohlerhaltener Fünfziger, und schaute mit den milden und doch klugen dunklen Augen einem stattlichen, hochbetagten Glaubensgenossen nach, der lebhaft redend vor ihm auf und nieder schritt. Dabei blieben die Hände dieses Greises niemals ruhig. Bald brauchte er sie zu raschen Bewegungen, bald um den langen, schneeweißen Bart zu streichen. Ein junger, hagerer Mann mit bleichen, äußerst regelmäßigen, fein geformten Zügen und rabenschwarzem Haar auf dem Haupt und am Kinn saß auf einem Ruhesitz dem Hausherrn gegenüber, schaute mit den dunklen, feurigen Augen zu Boden und zog mit dem Stabe Striche und Kreise über die Mosaikbilder des Estrichs, während der erregte Alte, sein Oheim, mit heftigem, glatt dahinrinnendem Redeflusse auf Apollodor eindrang.

Dieser schüttelte oft zu den Behauptungen des Greises den Kopf und trat ihnen auch manchmal mit kurzen Erwiderungen entgegen.

Es war leicht zu bemerken, daß Apollodor sich von dem, was er da hörte, peinlich berührt fühlte und daß diese so ganz verschiedenen Menschen einen Streit ausfochten, der zu keinem befriedigenden Ende führen konnte. Denn wenn sie auch die gleiche griechische Sprache redeten und sich zu derselben Religion bekannten, gingen sie doch bei allem, was sie fühlten und dachten, von so weit auseinanderliegenden Anschauungen aus, als wären sie aus grundverschiedenen Kreisen hervorgegangen.

Wenn zwei Kämpfer zu weit auseinanderstehen, schlagen sie einander auf die Waffen; doch es kommt nicht zu blutenden Wunden, zur Niederlage oder zum Siege.

Um des Greises und seines Neffen willen war das Haus Apollodors heute ungeschmückt geblieben; denn der Rabbi Gamaliel, der gestern aus Palästina bei den alexandrinischen Verwandten angekommen war, verdammte jede Gemeinschaft mit den Heiden und hätte gewiß die Wohnung des Gastfreundes verlassen, wenn er es gewagt hätte, um eines Festes der falschen Götter willen sein Haus zu schmücken. – Der Neffe Gamaliels, Rabbi Ben Jochai, genoß eines Ruhmes, der dem seines Vaters Ben Akiba nur um weniges nachstand. Wie dieser der größte Weise und Ausleger des Gesetzes, so war sein Erstgeborener der vorzüglichste Sternenkundige und beste Kenner der mystischen Bedeutung des Standes der Himmelslichter unter seinem Volke.

Den hochweisen Greis Gamaliel und den berühmten Sohn eines großen Vaters unter seinem Dache beherbergen zu dürfen, gereichte Apollodor, der sich in den Mußestunden gern mit gelehrten Dingen beschäftigte, zu hoher Ehre, und er hatte getan, was er vermochte, um ihnen den Aufenthalt in seinem Hause angenehm zu machen.

Ein mit allen Anforderungen des israelitischen Speisegesetzes vertrauter, streng jüdischer Küchensklave war besonders für sie gekauft worden und sollte während ihrer Anwesenheit an Stelle der griechischen Köche, deren er sich sonst bediente, am Herde walten und nur reine Speisen nach jüdischem Ritus bereiten.

Den erwachsenen Kindern Apollodors wurde verboten, während der Anwesenheit des berühmten Paares ihre griechischen Freunde ins Haus zu führen und über das Fest zu reden. Es sollte auch vermieden werden, sich im Gespräch der Namen heidnischer Götter zu bedienen; doch er selbst war der erste, der sich gegen diese Vorschrift versündigte.

Er wie alle seine alexandrinischen Glaubens- und Standesgenossen hatten eben griechische Bildung empfangen, fühlten und dachten in hellenischer Weise und waren nur dem Namen nach Juden geblieben; denn wenn sie auch statt an die Götter des Olymp, an den einigen Gott ihrer Väter glaubten, so war doch der Eine, zu dem sie beteten, nicht mehr der gewaltige, zürnende Gott ihres Volkes, sondern der die Welt bildende und beseelende Geist, den die Griechen durch Plato kannten.

Mit jeder neuen Stunde des Beisammenseins hatte sich die Kluft, die Apollodor von Gamaliel trennte, vergrößert, und das Verhältnis des Alexandriners zu dem Weisen aus Palästina war an Peinlichkeit gewachsen, nachdem es sich herausgestellt hatte, daß der mit dem Gastfreunde verwandte Greis den Neffen nach Ägypten begleitete, um für ihn die Tochter Apollodors zum Weibe zu begehren.

Aber die schöne Ismene war nichts weniger als geneigt, den ernsten, strenggläubigen Freier zu erhören. Die Heimat ihres Volkes erschien ihr wie ein barbarisches Land, der junge Gelehrte flößte ihr Furcht ein, und zu alledem war ihr Herz nicht mehr frei. Es gehörte dem Sohne des Alabarchen, des Mannes, der das Oberhaupt aller Israeliten in Ägypten war, und dieser Jüngling besaß die schönsten Rosse in der ganzen Stadt, hatte mit ihnen manchen Sieg im Hippodrom errungen und zeichnete sie vor den anderen Jungfrauen aus.

Wenn einem, so wollte sie ihm die Hand reichen.

Das hatte sie auch dem Vater erklärt, nachdem sie durch ihn von der Werbung Ben Jochais unterrichtet worden war, und Apollodor, der die Gattin vor mehreren Jahren verloren, besaß weder die Kraft noch den Willen, dem schönen Liebling Zwang anzutun.

Freilich wurde es der vermittelnden Natur des bequemen Mannes recht schwer, dem würdigen Greise ein entschiedenes »Nein« zu sagen; aber einmal mußte es dennoch gesprochen werden, und der heutige Abend schien ihm wohlgeeignet, diese unangenehme Aufgabe zu lösen.

Er befand sich ganz allein mit den Gästen.

Seine Tochter schaute im Hause einer Freundin dem bunten Treiben auf der Straße zu, seine drei Söhne waren, ausgegangen, sämtliche Sklaven hatten die Erlaubnis erhalten, bis um Mitternacht der Freiheit zu genießen, keine Störung war zu erwarten, und so fand er Mut, den Gästen nach mancher warmen Beteuerung seiner tiefen Verehrung zu eröffnen, daß er die Werbung Ben Jochais nicht zu unterstützen vermöge.

Sein Kind, sagte er, hänge zu fest an Alexandria, um es verlassen zu wollen, und seinem gelehrten jungen Freunde würde eine Frau wenig zusagen, die, an freiere Sitten und Gebräuche gewöhnt, sich schwer in einem Hause wohlfühlen könnte, in dem das Gesetz der Väter mit Strenge gehandhabt werde und in dem demzufolge keine freie Regung des Lebens Billigung fände.

Gamaliel hatte den Alexandriner ausreden lassen. Als dann sein Neffe sich anschickte, den Bedenken des Gastfreundes entgegenzutreten, schnitt ihm der Greis das Wort ab und sagte, indem er die leicht gebeugte Gestalt höher aufrichtete und mit der Hand über die blauen Adern und kleinen Falten auf der hohen Stirn strich:

»Im Kriege meines Volks gegen die Römer wurde unser Haus gelichtet, und aus dem Blute der Ahnen fand Ben Akiba in Palästina keine Jungfrau, die ihm würdig erschienen wäre, sie mit diesem da zu verbinden. Doch die Kunde von dem alexandrinischen Zweige unseres Stammes und seines Glückes war zu uns nach Judäa gedrungen. Nun dachte Ben Akiba es dem Abraham nachzutun, und sandte mich, seinen Elieser, in ein fremdes Land, um für seinen Isaak um die Tochter eines Blutfreundes zu werben. Wer dieser da ist, was er und sein Vater unter den Menschen gelten . . .«

»Ich weiß es,« unterbrach ihn Apollodor, »und durch nichts ist meinem Hause jemals größere Ehre widerfahren als durch eueren Besuch.«

»Und dennoch,« fuhr der Rabbi fort, »werden wir heimziehen, wie wir gekommen, und so geschieht nicht nur dir, sondern auch mir und dem, der mich sandte, der Wille; denn nach dem, was ich in der letzten Stunde von dir vernahm, müssen wir unsere Werbung zurückziehen. Unterbrich mich nicht! Deine Ismene verschmäht es, das Gesicht zu verschleiern, und es ist ja auch lieblich anzuschauen; – du nährtest ihr den Geist wie den eines Mannes, und so sucht sie denn die eigenen Wege. Das mag sich für eine Griechin schicken; im Hause Ben Akibas muß das Weib, wie das Schiff dem Steuer, ohne eigenen Willen dem Willen ihres Gatten folgen, und dieser fällt stets zusammen mit dem, was uns das Gesetz gebietet, dem ihr euch zu fügen verlerntet.«

»Wir erkennen seine Trefflichkeit an,« entgegnete Apollodor; »wenn aber die Gebote, die Mose auf dem Sinai empfing, auch Gültigkeit für alle sterblichen Menschen besitzen, so passen doch die Vorschriften, die weislich gegeben wurden, um das äußere Leben der Väter zu regeln, nicht mehr überall für die Kinder unserer Tage. Am wenigsten läßt es sich hier, wo wir, treu unserem alten Glauben, Griechen sind unter Griechen, nach ihnen leben.«

»Das seh' ich,« versetzte Gamaliel. »Selbst die Sprache, das Gewand der Gedanken, die Sprache der Väter, der Schrift, des Gesetzes habt ihr mit einer anderen vertauscht, gabt ihr für eine andere preis.«

»Auch du und dein Neffe reden griechisch.«

»Wir tun es hier, weil die Heiden, weil du und die deinen die Sprache Moses und der Propheten nicht mehr verstehen.«

»Überall, wohin auch der große Alexander seine Waffen trug, wird hellenisch geredet, und enthält denn die griechische Übersetzung der Schrift, die die siebenzig Dolmetscher unter Gottes Beistand verfaßten, nicht das gleiche wie der hebräische Grundtext?«

»Vertauschest du den von Bryaxis geschnittenen Stein an deinem Finger, den du mir gestern voller Stolz auf seinen Besitz zeigtest, mit einem Wachsabdrucke desselben Steines?«

»Die Sprache des Plato ist kein gemeiner Stoff, sondern so edel wie der kostbarste Saphir.«

»Aber die unsere stammt aus dem eigenen Mund des Höchsten. Wie nennst du das Kind, das die Sprache des Vaters mißachtet und nur auf den Nachbar hört, das sich, um die Gebote der Eltern zu verstehen, eines Dolmetschers bedient?«

»Du sprichst von Eltern, die vor langer Zeit das heimische Land verlassen haben. Der Ahn soll den Nachkommen nicht zürnen, die sich der Sprache der neuen Heimat bedienen, wenn sie nur fortfahren, in seinem Sinne zu handeln.«

»Es gilt nicht nur im Sinne, sondern nach den Worten des Höchsten zu leben; denn kein Laut ertönt vergeblich aus seinem Munde. Je höher der Sinn einer Rede ist, desto mehr kommt es an auf die Worte und Silben. Ein einziger Buchstabe ändert oft die Bedeutung von Sätzen. – Wie die Leute da draußen toben! Der wüste Lärm dringt bis in dies weit von der Straße entfernte Gemach, und dein Sohn findet Gefallen an dem Unfug der Heiden; du aber hältst ihn nicht mit Gewalt zurück, die Zahl der wahnsinnigen Knechte der Lust zu vermehren!«

»Ich war selbst einmal jung und halte es nicht für sündhaft, die allgemeine Freude zu teilen.«

»Sage lieber, die schmähliche Abgötterei der Dionysusverehrter. Nur noch dem Namen nach gehörst du, gehören die Deinen zu dem auserwählten Volke des Herrn; dem Wesen nach seid ihr Heiden!«

»Nein, Vater!« rief Apollodor lebhaft. »Umgekehrt ist das Verhältnis. Im Herzen sind wir Juden; doch wir tragen griechische Kleider.«

»Du heißest Apollodor – Geschenk des Apollon.«

»Ein Name, gewählt, um einen von dem anderen zu unterscheiden. Wer fragt wohl immer bei einem Worte, das angenehm klingt, nach der Bedeutung?«

»Du, ihr, jedermann, der nicht blöden Geistes ist,« rief der Rabbi. »Braucht denn, so denkt ihr, Zenodot oder Hermogenes, der Grieche, dem man im Bade begegnet, gleich zu wissen, daß der reiche Herr, mit dem er von der neuesten Auslegung hellenischer Mythen redet, ein Jude? Und wie angenehm ist euch der Mann, der euch fragt, ob ihr nicht aus Athen stammt; denn euer Griechisch habe einen so rein attischen Klang! Was uns selbst lieb ist, das gönnen wir auch unseren Kindern, und darum wählt ihr für sie die Namen, die eurer Eitelkeit schmeicheln.«

»Beim Herakles, Vater.«

Um den klugen Mund Gamaliels flog ein überlegenes, spöttisches Lächeln, und indem er den Alexandriner unterbrach, fragte er:

»Heißt ein besonders würdiger Mann unter unseren alexandrinischen Glaubensgenossen Herakles?«

»Niemand,« rief der Alexandriner, »denkt bei diesem Schwure an den Sohn der Alkmene; er bedeutet so viel wie wahrhaftig.«

»Freilich! – Ihr nehmt es eben mit den Worten und Namen nicht allzu genau, und wo es so viel zu sehen und zu genießen gibt wie hier, hält man die Gedanken nicht immer zusammen. Das ist begreiflich, ganz außerordentlich begreiflich! Man ist auch so höflich in dieser Stadt, daß man die Wahrheit gar zierlich bemäntelt. Darf ich, der Barbar aus Judäa, sie dir ohne Gewand, nackt und schmucklos vor die Augen führen?«

»Ich bitte dich, rede.«

»Juden seid ihr; doch möchtet ihr es lieber nicht sein und ertragt eure Herkunft wie ein unabwendbares Übel. Nur da, wo ihr die gewaltige Hand des Höchsten empfindet, erkennt ihr ihn an und nehmt das Recht in Anspruch, zu seinem auserwählten Volk zu gehören. Im glatten Lauf des Alltagslebens zählt ihr euch stolz zu seinen Feinden. Unterbrich mich nicht und beantworte offen, was ich dich frage. In welchem Augenblick deines Lebens fühltest du dich zur wärmsten Dankbarkeit gegen den Gott deiner Väter verpflichtet?«

»Warum sollt' ich's verschweigen? Damals, als mir meine geliebte verstorbene Gattin den Erstgeborenen schenkte.«

»Und ihr nanntet ihn?«

»Du weißt es ja, daß er Benjamin heißt.«

»Wie der Lieblingssohn des Erzvaters Jakob; denn in der Stunde, in der du ihn so benanntest, warst du der, der du bist, fühltest du dankbar, daß es dir vergönnt sei, in die Kette deines Geschlechts ein neues Glied zu fügen, warst du ein Jude und unser Gott gewiß, ja gewiß auch der deine. Die Geburt deines zweiten Sohnes griff dir schon weniger tief in die Seele, und du gabst ihm den Namen Theophilus. Als dir der letzte männliche Erbe geschenkt wurde, dachtest du gar nicht mehr an den Gott deiner Väter; denn er heißt ja nach einem heidnischen Götzen Hephästion. Alles in allem: Juden seid ihr, wenn der Herr euch am höchsten begnadigt oder am schwersten zu prüfen bedroht, Heiden zu jeder Zeit, wenn euch euer Pfad nicht über die höchsten Höhen und durch die tiefen Abgründe des Lebens führt. Ich kann euch nicht ändern; doch das Weib des Sohnes meines Bruders, die Tochter Ben Akibas, soll sich als Kind ihres Volkes fühlen am Morgen, Mittag und Abend. Ich suche für meinen Isaak eine Rebekka und keine Ismene.«

»Ich rief euch nicht zu uns,« versetzte Apollodor; »doch wenn ihr uns morgen verlaßt, so folgt euch unsere Verehrung. Denkt nicht schlechter von uns, weil wir uns vielleicht mehr als billig in das Tun und Denken des Volkes, unter dem wir groß wurden und in dessen Mitte es uns wohlergeht, eingelebt haben. Wir wissen, wie hoch unser Glaube über dem ihrigen steht. Im Herzen sind wir Juden; – sollen wir aber unsern Geist, den der Herr wahrlich nicht aus weniger feinem Stoffe schuf als den der anderen Völker, nicht zu schärfen, auszubilden und zu veredeln streben, wie und wo es nur angeht? Und in welcher Schule würde wohl das Denken besser und nach festeren Gesetzen erzogen als in der unseren – ich meine der der hellenischen Lehrer? Die Erkenntnis des Höchsten . . .«

»Diese Erkenntnis,« rief der Greis, indem er die Arme heftig bewegte, »die Erkenntnis des Höchsten und alles, was die lauterste Philosophie zu ergründen vermag, was die Gewaltigsten und Reinsten unter den Denkern, die du meinst, durch ernstes Sinnen und Grübeln nur immer zu erfassen vermögen, das hat schon jedes Kind in unserem Volke von seinem Gotte zum Geschenke erhalten. Die Schätze, die euere Weisen mühevoll suchen, wir besitzen sie in unserer Schrift, in unseren Geboten und unserem Sittengesetz. Wir sind das Volk der Völker, die Erstgeborenen des Herrn, und wenn aus unserer Mitte der Messias ersteht . . .«

»Dann,« unterbrach ihn Apollodor, »wird sich erfüllen, was ich mit Philo wünsche, daß wir Priester und Propheten sein werden für alle Nationen. Dann werden wir in Wahrheit ein priesterliches Volk sein, das berufen ist, auf alle Menschen den Segen des Höchsten herabzuflehen.«

»Für uns, für uns allein erscheint Gottes Gesandter, um uns aus Knechten zu Königen der Völker zu machen.«

Apollodor schaute dem erregten Greise verwundert ins Antlitz und fragte ungläubig lächelnd:

»Der gekreuzigte Nazarener war ein falscher Messias; wann aber wird der rechte erscheinen?«

»Wann er erscheinen wird?« rief der Rabbi. »Wann? Vermag ich es zu sagen? Eines nur weiß ich. Der Wurm erhebt jetzt schon den Stachel, um den, der ihn tritt, in die Ferse zu stechen. Hast du den Namen Bar Kochba vernommen?«

»Oheim,« unterbrach Ben Jochai die Rede des alten Rabbi, indem er sich von dem Sitze erhob, »sprich nicht aus, was dich reuen könnte.«

»Nicht doch,« entgegnete ihm Gamaliel ernst. »Was göttlich ist, ziehen diese hier zum Menschlichen hinab; doch sie sind keine Verräter.« Dann wandte er sich wieder an Apollodor und sagte:

»Die Gewaltigen in Israel errichten Götzenbilder an unseren heiligen Stätten, sie wollen das Volk von neuem zwingen, vor ihnen anzubeten; ehe aber lassen wir uns den Rücken zerbrechen, als daß wir ihn beugen.«

»Ihr denkt wiederum an eine gewaltsame Erhebung?« fragte der Alexandriner ängstlich.

»Antworte mir: Hast du den Namen Bar Kochba gehört?«

»Ja, als den eines verwegenen Führers bewaffneter Scharen.«

»Er ist ein Held, vielleicht der Erretter.«

»Und für ihn trugst du mir auf, in mein nach Zoppe segelndes Kornschiff Schwerter, Schilde und Lanzenspitzen zu laden?«

»Soll es dem Römer allein gestattet sein, Eisen zu tragen?«

»Nein; – doch es würde mir übel anstehen, den Freund mit Waffen zu rüsten, wenn er sie gegen einen übermächtigen Widersacher, der ihn sicher vernichtet, zu gebrauchen wünscht!«

»Der Herr der Heerschaaren ist stärker als tausend Legionen.«

»Hüte dich, Oheim!« rief Ben Jochai wiederum mit warnender Stimme.

Gamaliel wandte sich erzürnt nach dem Neffen um; bevor er aber die Mahnung des jüngeren Mannes zurückweisen konnte, schrak er zusammen; denn wildes Geheul und das Gedröhn von heftigen Schlägen, die das eherne Tor des Hauses erschütterten, drang in die Halle und hallte von den Marmorwänden wider.

»Sie überfallen mein Haus,« schrie Apollodor.

»Der Dank derer, für die du dem Gott deiner Väter die Treue brachst,« sagte der Alte dumpf. Dann erhob er Augen und Arme und rief: »Höre mich, Adonai! Meiner Jahre sind viel, und ich bin reif für die Grube; aber verschone diesen da – erbarme dich seiner!«

Ben Jochai streckte wie der Oheim die Arme in die Höhe, und die schwarzen Augen leuchteten ihm dabei düster glühend aus dem bleichen Antlitz.

Sein und des Rabbi Gebet waren kurz; denn die Gefahr rückte näher und näher.

Apollodor rang die Hände und schlug die Stirn mit der Faust.

Heftig, krampfhaft war jede seiner Bewegungen.

Die Angst beraubte ihn völlig der schönen, gemessenen Haltung, die er unter den hellenischen Mitbürgern angenommen hatte.

Indem er griechische Flüche und Beschwörungen unter Anrufungen des Gottes seiner Väter mischte, stürzte er hierhin und dorthin.

Er suchte die Schlüssel zu den unterirdischen Räumen seines Hauses; doch fand er sie nicht; denn der Schaffner hielt sie verwahrt, und wie alle seine Diener, vergnügte auch er sich auf der Straße oder in einer Schenke beim vollen Becher.

Jetzt stürzte der neu gekaufte jüdische Küchensklave, dem die Feier des dionysischen Festes ein Greuel war, in das Gemach und kreischte, indem er Haar und Bart zerraufte:

»Die Philister sind über uns gekommen. – Rette uns, Rabbi, großer Rabbi! Schreie du für uns auf zum Herrn, Mann Gottes! Sie kommen mit Stangen und Spießen, und sie werden uns zertreten wie Gras, und wie Heuschrecken, die man in den Ofen wirft, in diesem Hause verbrennen.«

In Todesangst wand sich der Sklave zu Gamaliels Füßen, die er mit den Händen umklammerte; Apollodor aber rief:

»Folgt mir! – Hinauf auf das Dach!«

»Nein, nein,« heulte der Sklave, »Amalek bereitet Feuerbrände, um sie in unsere Zelte zu werfen. Die Heiden springen und toben, die Flamme, die sie schleudern, wird uns verzehren. Rabbi, Rabbi, beschwöre du die Heerscharen des Herrn! Gott, gerechter, jetzt wird die Pforte gesprengt. Herr! Herr! Herr!«

Die Zähne des Geängstigten schlugen in schneller Folge klappernd aufeinander, und stöhnend und heulend bedeckte er die Augen mit den Händen.

Ben Jochai war völlig ruhig geblieben; doch zitterte er vor Ingrimm. Sein Gebet war vollendet, und mit tiefer Stimme sagte er, indem er sich an Gamaliel wandte:

»Ich wußte, daß es so kommen würde, und verschwieg es dir mit nichten. Unter schlechten Sternen begannen wir unsere Wanderung. Dulden wir nun, was der Herr über uns verhängte. An ihm wird es sein, uns zu rächen.«

»Die Rache ist sein,« wiederholte der Alte und verhüllte mit dem weißen Oberkleide das greise Haupt.

»In das Schlafgemach! Folgt mir! Verstecken wir uns unter die Betten!« schrie Apollodor, schleuderte den Koch, der die Knie des Rabbi umspannte, mit einem Fußtritte zurück und erfaßte die Schulter des Greises, um ihn mit sich fortzuziehen.

Aber es war zu spät; denn schon sprangen die Türen des Vorgemaches auf, und Waffengerassel ließ sich vernehmen.

»Verloren, alles verloren!« schrie Apollodor.

»Adonai, hilf, Adonai!« murmelte der Alte und schmiegte sich an den Neffen, der ihn um eines Hauptes Länge überragte und ihn, als wollt' er ihn schützen, mit der Rechten umfaßt hielt.

Die Gefahr, die das Leben Apollodors und seiner Gäste bedrohte, war dringend, und durch den Verdruß der erregten Menge über das ungeschmückte Haus des reichen Israeliten entstanden.

Tausendmal hatte ein Wort genügt, um das heiße Blut der Alexandriner zum Aufruhr zu entflammen, sie fortzureißen, die Schranken des Gesetzes zu durchbrechen und zum Schwert zu greifen.

Blutige Händel zwischen den heidnischen und den ihnen an Zahl gleichkommenden jüdischen Bewohnern des Ortes waren an der Tagesordnung, und diese traf nicht viel weniger oft als jene der Vorwurf, die Ruhe gestört zu haben.

Seitdem in mehreren Provinzen des Reiches, besonders in der Kyrenaika und auf Kyprus, die Israeliten sich mit grausamem Ingrimm auf die sie drückenden Mitbürger gestürzt hatten, war der Groll und das Mißtrauen der andersgläubigen Alexandriner gegen sie lebendiger geworden als in früheren Tagen.

Außerdem erfüllte der Wohlstand vieler und der große Reichtum einzelner Juden das Herz der ärmeren Heiden mit Neid und dem Wunsche, die Besitztümer derjenigen an sich zu reißen, die – das war nicht zu leugnen – mehr als einmal ihren Göttern mit offen zur Schau getragener Verachtung begegnet waren.

Gerade in den allerjüngsten Tagen hatten die Zwistigkeiten wegen der zu Ehren des kaiserlichen Besuches zu veranstaltenden Feste den alten Groll verschärft, und so konnte es geschehen, daß das schmucklose Haus des Apollodor in der kanopischen Straße das Volk zu einem Angriff auf die palastartige Wohnung des Juden reizte.

Wiederum war es ein einziges Wort gewesen, das die Wut der Menge entfesselt hatte.

Zuerst war der Gerber Melampus, ein in seinem Geschäft zurückgekommener Trunkenbold, an der Spitze seiner berauschten Zechgenossen die Straße hinuntergezogen und hatte, indem er mit dem Thyrsusstabe auf das völlig unausgeschmückte Haus wies, gerufen:

»Seht die nackte Baracke! Was der Jude sonst für den Schmuck der Straße ausgab, das scharrt er jetzt da drin in den Truhen zusammen!«

Dies Wort zündete und zog bald andere nach sich.

»Der Schuft bestiehlt unsern Vater Dionysus!« schrie ein zweiter Bürger; und ein dritter kreischte, indem er eine Fackel hoch hob:

»Nehmen wir ihm die Drachmen ab, die er dem Gotte abknausert; wir können sie brauchen!«

Der Wurstmacher Glaukus riß dem Nachbar das mit Pech gestreifte brennende Tau aus der Hand und brüllte:

»Mir nach! – Zünden wir ihm das Haus über dem Kopfe an!«

»Halt, halt!« rief ein Schuster, der für die Sklaven Apollodors arbeitete, indem er sich dem wütenden Metzger in den Weg stellte. »Vielleicht beklagen sie einen Toten da drin. Der Jude hatte sonst immer sein Haus geschmückt.«

»Nichts da!« entgegnete mit laut erhobener, heiserer Stimme ein Flötenbläser. »Der Sohn des alten Geizhalses zog vorhin mit lustigen Kumpanen und lockeren Dirnen durch das Bruchium, und der Purpurmantel flatterte lang hinter ihm her.«

»Laßt uns sehen, was röter ist, der phönizische Stoff des Jungen oder die Glut, die es gibt, wenn das Haus des Alten in Brand steht!« schrie ein magerer Schneider und schaute rückwärts, um sich über die Wirkung seines Witzes zu vergewissern.

»Laßt es uns versuchen!« tönte es aus einem, und dann aus manchem anderen Munde:

»Hinein in das Haus!«

»Der lumpige Geldprotz soll an den heutigen Tag denken!«

»Holt ihn heraus!«

»Reißt ihn auf die Straße!«

So rief es hier und da und dort unter der sich dichter und dichter zusammenballenden Menge.

»Reißt ihn heraus!« schrie nochmals ein ägyptischer Sklavenvogt, und sogleich kreischte eine Frau ihm diese Forderung nach. Dabei zog sie sich das Rehfell von der Schulter, schwang es über dem zerzausten schwarzen Haar in wirbelnden Kreisen und brüllte dann wütend: »Reißt ihn in Stücke!«

»Mit den Zähnen in Stücke,« schrie eine trunkene Mänade, die wie die meisten unter den zusammengelaufenen Leuten nicht das geringste von dem Anlaß wußte, der die Volkswut gegen Apollodor und sein Haus richtete.

Schon war man von Worten zu Taten übergegangen. Füße, Fäuste und Stöcke stampften, pochten, schlugen gegen das fest verschlossene eherne Tor des ungeschmückten Gebäudes, und ein vierzehnjähriger Schiffsjunge sprang einem großen schwarzen Sklaven auf die Schulter und versuchte eifrig, das Dach der Kolonnade zu ersteigen und die Fackel, die der Wurstmacher ihm reichte, in den unbedeckten Vorraum des schwer gefährdeten Hauses zu schleudern.


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