Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Achtunddreißigstes Kapitel

Pontius fand den Kaiser nicht mehr auf der Lochias; denn Hadrian war am Nachmittag in das Cäsareum gezogen. – Der brandige Geruch in allen Gemächern des alten Palastes war ihm widerwärtig gewesen, und er hatte das erneuerte Schloß für eine Unglücksstätte zu halten begonnen.

Der Baumeister wurde mit Sehnsucht erwartet; denn die im Cäsareum ursprünglich für den Kaiser eingerichteten Gemächer waren bei der Ausstattung der Säle auf der Lochias ausgeplündert und in Unordnung gebracht worden; Pontius sollte nun für ihre schnelle Instandsetzung sorgen.

Ein Wagen erwartete ihn, an Sklaven fehlte es nicht, und so nahm er denn sogleich die neue Aufgabe in Angriff und widmete sich ihr bis tief in die Nacht.

In seinem Vorzimmer wurde er auch diesmal vergeblich erwartet.

Hadrian hatte einige Gemächer bezogen, die zu dem Quartier seiner Gemahlin gehörten.

Er war in ernster Stimmung.

Als der Präfekt Titianus gemeldet wurde, ließ er ihn warten, bis er mit eigener Hand einen neuen Umschlag auf die Brandwunden seines Lieblings gelegt.

»Geh nur, Herr,« bat der Bithynier, nachdem der Kaiser sein Werk mit der Geschicklichkeit eines Wundarztes beendigt hatte. »Titianus wandelt da drin schon eine Viertelstunde auf und nieder.«

»Mag er doch,« entgegnete der Herrscher. »Und wenn auch die ganze Welt nach mir schreit, sie müßte warten, bis diesen treuen Fingern ihr Recht geschehen ist! Ja, mein Knabe, wir wandern zusammen als fest verbundene Gefährten durchs Leben. Das tun wohl auch andere, und jeder, der so mit seinem Genossen hinzieht und mit ihm das gleiche genießt und erleidet, der denkt zuletzt, daß er ihn wie sich selber kenne; aber der tiefste Kern im Wesen seines Begleiters bleibt ihm dennoch verborgen. Dann läßt das Schicksal eines Tages einen Sturm daherbrausen. Der reißt vor den Augen des Wanderers die letzte Hülle von der Seele des Genossen, und erst jetzt steht sie unverschleiert vor ihm wie ein aus den Schalen gefallener Kern, wie ein nackter Körper. – In dieser Nacht nun wehte solche Windsbraut und ließ mich das Herz meines Antinous schauen wie meine Hand, die ich hier vor die Augen halte. – Ja, ja, ja! Wer sein blühendes Dasein für einen werten Besitz des Freundes in die Schanze schlägt, der würde für die Person dieses Freundes zehn Leben opfern, wenn er sie hätte! Diese Nacht, mein Freund, soll dir unvergessen bleiben. Sie gibt dir das Recht, mir viel Böses anzutun, und grub deinen Namen an der vordersten Spitze derer, denen ich Wohltaten schulde, tief in mein Herz ein. Es sind ihrer nicht viel.«

Hadrian hielt Antinous die Hand hin.

Der Jüngling, der bis dahin verwirrt zu Boden geschaut hatte, drückte sie an den Mund und ließ die Lippen heftig bewegt auf ihr ruhen. Dann erhob er die großen Augen zu denen des Kaisers und sagte bittend:

»So darfst du nicht mehr mit mir reden; denn wie verdiente ich solche Güte wohl? Was ist denn mein Leben? Ich ließe es hinfliegen wie ein Kind den Käfer, den es sich einfing, um dir einen einzigen trüben Tag zu ersparen.«

»Ich weiß es,« entgegnete der Herrscher fest und ging in das Nebenzimmer zu dem Präfekten.

Titianus war auf Befehl des Kaisers gekommen.

Es galt festzustellen, welche Entschädigung der Stadt und den einzelnen Besitzern der abgebrannten Speicher gezahlt werden sollte; denn Hadrian hatte beschlossen, durch ein Dekret verkündigen zu lassen, daß niemand durch das von den Göttern gesandte Unglück, das in seinem Hause den Ursprung genommen, Schaden erleiden dürfe.

Der Präfekt hatte bereits die notwendigen Erkundigungen eingezogen, und wurde nun den Geheimschreibern Phlegon, Heliodor und Celer der Auftrag erteilt, an die Betroffenen Schreiben zu richten, in denen sie im Namen des Cäsar aufgefordert werden sollten, der Wahrheit gemäß die Höhe des Verlustes anzugeben, der sie betroffen.

Titianus brachte auch die Nachricht, daß Griechen und Juden beschlossen hätten, ihrer Freude über die Rettung des Kaisers durch große Dankopfer Ausdruck zu geben.

»Und die Christen?« fragte Hadrian.

»Sie verschmähen es, Tiere zu opfern, noch wollen sie sich zu einem gemeinsamen Dankgebete vereinigen.«

»Sie lassen sich ihre Erkenntlichkeit wenig kosten,« lachte der Kaiser.

»Ihr Bischof Eumenes überbrachte mir eine Summe, für die man hundert Ochsen kaufen könnte, zur Verteilung an die Armen. Er sagt, der Christengott sei ein Geist und verlange nur geistige Opfer. Das Beste, was man ihm darbringen könnte, sei ein vom Geiste befohlenes, aus warmem Herzen kommendes Gebet.«

»Das klingt nicht übel für uns,« entgegnete Hadrian, »aber es taugt nicht für das Volk. Philosophische Lehren führen nicht zur Frömmigkeit. Die Menge braucht sichtbare Götter und greifbare Opfer. Sind die Christen hier gute und dem Staat ergebene Bürger?«

»Für sie brauchten wir keine Gerichte.«

»So nimm ihr Geld und laß es an Bedürftige verteilen; aber ihr gemeinsames Gebet muß ich verbieten. Mögen sie immerhin im stillen für mich die Hände zu ihrem großen Geiste erheben. An die Öffentlichkeit darf ihre Lehre nicht treten. Sie ist nicht ohne verführerische Reize, und die Sicherheit des Staates verlangt, daß die Menge treu zu den alten Göttern und Opfern hält.«

»Wie du befiehlst, Cäsar.«

»Du kennst den Bericht des Plinius an Trajan über die Christen?«

»Und die Antwort des Kaisers.«

»Gut denn. Lassen wir sie im stillen treiben, wonach ihnen der Sinn steht; nur darf ihr Tun weder gegen die Gesetze des Staates verstoßen, noch sich in die Öffentlichkeit drängen. Sobald sie sich unterfangen, den alten Göttern die Achtung zu versagen, die ihnen gebührt, oder gar einen Finger gegen sie aufzuheben, wird Strenge geübt und jede Ausschreitung mit dem Tode bestraft.«

Während dieses Gespräches war Verus in das Zimmer getreten.

Er folgte heute dem Kaiser überall hin; denn er hoffte, ein Wort über seine Beobachtung des Himmels zu hören und wagte es doch nicht, ihn nach ihrem Ergebnis zu fragen.

Als er Hadrian beschäftigt sah, ließ er sich von einem Kämmerer zu Antinous führen.

Der Günstling erblich beim Anblick des Prätors, fand aber doch Fassung genug, um ihm zu seinem Geburtstage Glück zu wünschen.

Es war Verus nicht entgangen, daß sein Erscheinen den Jüngling erschreckt hatte; darum legte er ihm zunächst gleichgültige Fragen vor, verflocht lustige Geschichten in das Gespräch und sagte, nachdem er die Absicht, ihn zu beruhigen, erreicht hatte, leichthin:

»Im Namen des Staates und aller Freunde des Kaisers muß ich dir danken. Du führtest deinen Auftrag gut zu Ende, wenn auch mit etwas kräftigen Mitteln.«

»Ich bitte dich, laß das,« fiel ihm Antinous dringend ins Wort und sah ängstlich nach der Tür des Nebengemaches.

»Um dem Kaiser den freien Geist zu erhalten, hätte ich ganz Alexandria geopfert. Wir mußten übrigens beide unsere gute Absicht und die elenden Speicher teuer genug bezahlen.«

»Sprich doch von anderen Dingen.«

»Du sitzest da mit verbundenen Händen und verbranntem Haar, und ich fühle mich unwohl.«

»Hadrian sagte, du hättest beim Retten wacker geholfen.«

»Mich dauerten die armen Hamster, denen die Flammen den zusammengeschleppten Vorrat fortfressen wollten, und erhitzt, wie ich vom Gastmahl kam, sprang ich unter die Löscher. Mein erster Lohn bestand aus kaltem, eiskaltem Seewasser, das man mir aus einem vollen Schlauch über den Kopf goß. An mir werden alle Lehren der Ethik zu Schanden, und ich bin längst geneigt, die Schauspieldichter, in deren Stücken die Tugend belohnt und das Laster bestraft wird, für Tröpfe zu halten; denn meinen schlimmsten Taten dank' ich die besten Stunden und meinen guten nur Verdruß und Elend. Keine Hyäne kann heiserer lachen, als ich jetzt rede, ein Organ hier drin scheint sich in einen Igel verwandelt zu haben, dessen Stacheln mir weh tun, und das alles, weil ich mich zu Handlungen fortreißen ließ, die Moralisten als tugendhaft preisen.«

»Du hustest und siehst nicht gut aus; leg dich doch nieder.«

»An meinem Geburtstag? Nein, junger Freund. Und nun frag' ich dich noch, bevor ich dich verlasse: kannst du mir sagen, was Hadrian in den Sternen las?«

»Nein.«

»Auch nicht, wenn ich dir meinen Perseus für jeden Dienst zur Verfügung stelle? Der Mann kennt Alexandria und ist stumm wie ein Fisch.«

»Auch dann nicht; denn was ich nicht weiß, kann ich nicht sagen. Wir sind beide nicht wohl; ich wiederhole es, du tätest gut, dich zu pflegen.«

Verus verließ bald nach diesem Rate das Gemach, und Antinous schaute ihm erleichtert nach.

Der Besuch des Prätors hatte ihn mit Unruhe erfüllt und den Widerwillen, den er gegen ihn hegte, gesteigert. Er wußte, daß er von Verus mißbraucht worden war; denn Hadrian hatte ihm erzählt, daß er nicht, um für sich selbst die Sterne zu befragen, sondern um dem Prätor das Horoskop zu stellen, auf die Warte gestiegen sei und diesen von seinem Vorsatz unterrichtet habe.

Es gab keine Entschuldigung, keine Beschönigung mehr für sein Tun!

Diesem wüsten Gecken, diesem lachenden Heuchler zu Gefallen war er zum Verräter an seinem Herrn, war er zum Brandstifter geworden, mußte er es ertragen, sich von dem größten und scharfblickendsten unter den Menschen mit Lob und Danksagungen überschütten zu lassen. Er haßte, er verabscheute sich selbst und fragte sich, warum das Feuer, das ihn umloht, sich begnügt hatte, ihm Haar und Hände leicht zu verletzen.

Als Hadrian zu ihm zurückkehrte, bat er ihn um die Erlaubnis, sich ins Bett legen zu dürfen.

Der Kaiser gestattete ihm dies gern, befahl Mastor, bei ihm zu wachen, und folgte dann der Bitte seiner Gemahlin um einen Besuch.

Sabina war nicht auf der Brandstätte gewesen, hatte aber in jeder Stunde einen Boten abgeschickt, um sich nach dem Stande des Feuers und dem Befinden des Gemahls zu erkundigen. Bei seinem Einzug in das Cäsareum hatte sie ihn begrüßt und war dann in ihre Gemächer zurückgegangen.

Die zweite Stunde vor Mitternacht brach an, als Hadrian ihr Zimmer betrat.

Er fand sie auf dem Lager ohne den Schmuck, den sie am Tage zu tragen pflegte, aber wie zum Gastmahl gekleidet.

»Du wünschest mich zu sprechen?« fragte der Kaiser.

»Ja. Und dieser an bemerkenswerten Ereignissen reiche Tag schließt bemerkenswert; denn du ließest mich nicht vergebens bitten.«

»Du gibst mir selten Gelegenheit, dir einen Wunsch zu erfüllen.«

»Beklagst du dich darüber?«

»Vielleicht; denn statt zu bitten, pflegst du zu fordern.«

»Lassen wir dies Gefecht mit müßigen Worten.«

»Gern. Zu welchem Zwecke ließest du mich rufen?«

»Verus feiert heute seinen Geburtstag.«

»Und du möchtest wissen, was ihm die Sterne verheißen?«

»Oder vielmehr, wie dich die Vorgänge am Himmel für ihn stimmten.«

»Es blieb mir noch wenig Zeit, das Gesehene zu überlegen. Jedenfalls verheißen ihm seine Sterne eine glänzende Zukunft.«

Ein freudiger Schimmer strahlte aus den Augen Sabinas; doch zwang sie sich, ruhig zu bleiben und fragte gelassen:

»Das gibst du zu und kannst dennoch zu keinem Entschluß gelangen?«

»So wünschst du also das entscheidende Wort heute schon zu hören?«

»Wozu diese Frage?«

»Gut. Seine Sterne überstrahlen die meinen und nötigen mich, mich vor ihm zu hüten.«

»Wie klein! Du fürchtest den Prätor?«

»Nein, aber sein mit dir verbündetes Glück.«

»Wenn er unser Sohn ist, wird seine Größe die unsere sein.«

»Mit nichten; denn mache ich ihn zu dem, was du wünschest, wird er versuchen, unsere Größe zu der seinen zu machen. Das Schicksal . . .«

»Du behauptest, es sei ihm günstig; ich aber muß dies leider bestreiten.«

»Du? Versuchst auch du in den Sternen zu lesen?«

»Nein. Das überlasse ich den Männern. Hast du von dem Astrologen Ammonius gehört?«

»Ja. Ein geschickter Mann, der auf der Warte des Serapeums beobachtet und, wie viele seinesgleichen in dieser Stadt, seine Kunst benutzte, um sich ein großes Vermögen zusammenzuscharren.«

»Kein Geringerer als der Astronom Claudius Ptolemäus wies mich an ihn.«

»Die beste Empfehlung.«

»Wohl denn, ich gab Ammonius den Auftrag, in der vergangenen Nacht Verus das Horoskop zu stellen. Er brachte es mir vorhin mit einer Erklärung. Hier ist es.«

Der Kaiser griff schnell nach der Tafel, die Sabina ihm reichte, und sagte, während er die nach Stunden geordneten Verheißungen aufmerksam prüfte:

»Ganz richtig! Sollte mir das da entgangen sein? Gut gemacht! Durchaus meinen eigenen Beobachtungen entsprechend! Aber hier – warte – hier fängt die dritte Stunde an, bei deren Beginn ich gestört ward. Ewige Götter, was ist das!«

Der Kaiser entfernte die Wachstafel des Ammonius weiter von seinen Augen und regte die Lippen nicht mehr, bis er zu der letzten Stunde der schwindenden Nacht gelangt war. Dann ließ er die Hand, die das Horoskop hielt, sinken und rief schaudernd: »Ein gräßliches Schicksal! Horaz hat recht. Mit dem schwersten Falle stürzen hohe Türme zusammen.«

»Der Turm, an den du denkst, ist das Schoßkind des Glückes, vor dem du dich fürchtest,« sagte Sabina. »Gönne doch Verus eine kurze Glückszeit vor dem grauenvollen Ende, das ihm bevorsteht.«

Hadrian schaute während dieser Bitte sinnend zu Boden und entgegnete dann, indem er vor der Gemahlin stehen blieb:

»Wenn dieser Mann nicht finsterem Unheil verfällt, so sind die Sterne und die Schicksale der Menschen einander so fremd wie das Meer dem Herzen der Wüste, wie der Pulsschlag des Menschen dem Kiesel im Bache. Hätte Ammonius auch zehnmal geirrt, so blieben doch mehr als zehn dem Prätor verhängnisvoll feindliche Zeichen auf dieser Tafel übrig. Ich beklage Verus; – doch der Staat hat des Kaisers Unglück mit zu erdulden. Dieser Mann kann nicht mein Nachfolger werden.«

»Nicht?« fragte Sabina und erhob sich von ihrem Lager. »Nicht? auch nicht, nachdem du gesehen hast, daß dein Stern den seinen überdauert? Nicht, obgleich ein Blick in diese Tafel dich lehren könnte, daß er Asche sein wird, wenn die Welt noch lange deinen Winken gehorcht?«

»Beruhige dich und laß mir Zeit. – Jetzt sag' ich: auch dann nicht!«

»Auch dann nicht!« wiederholte Sabina dumpf.

Dann raffte sie sich zusammen und fragte mit leidenschaftlicher Bitte:

»Nicht, auch dann nicht, wenn ich die Hände flehend zu dir erhebe und dir ins Antlitz schreie: du und das Schicksal, ihr habt mir den Segen, das Glück, das schöne Lebensziel des Weibes mißgönnt, und ich will und muß es erreichen! Ich muß und will mich einmal, und wär' es auch nur auf kurze Zeit, von einem geliebten Munde mit demjenigen Namen nennen hören, der das ärmste Bettelweib mit dem Säugling im Arme hoch über die Kaiserin stellt, die nie an der Wiege eines Kindes stand, das sie gebar. Ich will und muß vor meinem Ende Mutter sein, Mutter heißen und sagen können: mein Kind, mein Sohn, unser Kind.«

Dabei schluchzte Sabina laut auf und schlug die Hände vor das Antlitz.

Der Kaiser trat von der Gemahlin zurück.

Ein Wunder hatte sich vor seinen Augen ereignet.

Sabina, in deren Augen er noch niemals eine Träne gesehen, Sabina weinte, Sabina hatte ein Herz wie andere Weiber!

Überrascht, erstaunt, tief ergriffen sah er, wie sie, von der mächtigen Erregung ihres Innern geschüttelt, sich von ihm abwandte und sich vor dem Polster, das sie verlassen hatte, auf die Knie warf, um das Gesicht in den Kissen zu verbergen.

Regungslos blieb er stehen und sagte, als er ihr endlich näher trat:

»Steh auf, Sabina, dein Verlangen ist gerecht. Du sollst den Sohn haben, nach dem deine Seele sich sehnt.«

Die Kaiserin erhob sich, und ein dankbarer Blick aus ihren in Tränen schwimmenden Augen traf den seinen.

Sabina konnte auch lächeln, sie konnte auch schön sein.

Es hatte eines Lebens, es hatte einer solchen Stunde bedurft, um Hadrian dies zu zeigen.

Schweigend zog er einen Sessel zu ihr heran und ließ sich neben ihr nieder. Eine Zeit lang hielt er ihre Hand still mit der seinen umfaßt. Dann ließ er sie los und sagte freundlich:

»Wird Verus auch das erfüllen, was du von einem Sohne erwartest?«

Sie nickte bejahend mit dem Kopfe.

»Und woher nimmst du diese Zuversicht?« fragte der Kaiser. »Er ist ein Römer und nicht arm an schätzenswerten, ja glänzenden Gaben. Wer wie er im Feld und im Rat seinen Mann steht und doch den Eros mit großem Glück zu spielen weiß, der wird auch den Purpur nicht ungeschickt tragen. Aber er hat das leichte Blut seiner Mutter und sein Herz flattert hierhin und dorthin.«

»Laß ihn, wie er ist. Wir verstehen einander, und er ist der einzige Mensch, auf dessen Neigung ich baue, auf dessen Treue ich so sicher zähle, als wär' er mein leiblicher Sohn.«

»Und dies feste Vertrauen, auf welche Tatsachen ist es begründet?«

»Du wirst mich verstehen; denn du bist ja nicht blind für die Winke, die uns das Schicksal erteilt. Hast du Zeit, eine kurze Geschichte zu hören?

»Die Nacht ist noch lang.«

»So will ich denn reden. Verzeih, wenn ich mit Dingen beginne, die vergangen zu sein scheinen; – doch sind sie es nicht; denn sie wirken in mir fort bis auf diese Stunde! Ich weiß, daß du mich nicht selbst zum Weibe erwähltest. Plotina nahm mich für dich in dein Haus. Sie hat dich geliebt; – ob deine Neigung der schönen Frau oder der Gattin des Kaisers, von dem du alles zu erwarten hattest, gehört, wer weiß es!«

»Ich habe das Weib Plotina geehrt und geliebt!«

»Sie wählte für dich in mir eine Gattin, die von hohem Wuchs und also für den Purpur geeignet, aber nicht schön war. Dazu kannte sie mich und wußte, daß ich es schlechter als andere verstand, die Herzen für mich zu gewinnen. Im Elternhause genoß kein anderes Kind so spärlich wie ich die Gaben der Liebe, und daß mein Gatte mich nicht mit zärtlicher Neigung verwöhnte, das weißt du am besten.«

»Ich möcht' es in dieser Stunde bereuen.«

»Es würde zu spät sein. Aber ich will nicht bitter werden, gewiß nicht. Und doch, wenn du mich verstehen sollst, muß ich bekennen, daß ich mich, so lange ich jung war, schmerzlich nach jener Liebe sehnte, die niemand mir darbot.«

»Und hast du selbst jemals geliebt?«

»Nein; aber es tat mir weh, daß ich's nicht konnte. Bei Plotina sah ich damals oft die Kinder der Anverwandten, und manchmal versuchte ich es, sie an mich zu ziehen; während sie aber mit den anderen Frauen zutraulich spielten, schien ich sie mit Scheu zu erfüllen. Bald grollt' ich auch ihnen; nur des Cejonius Commodus Söhnchen, unser Verus, gab mir frische Antworten, wenn ich ihn fragte und brachte mir sein zerbrochenes Spielzeug, um die Schäden zu heilen, die es erlitt. So gewann ich den Buben lieb.«

»Er war ein wundervoll anmutiger Knabe.«

»Das ist er gewesen. Eines Tages nun saßen wir Frauen alle im Garten des Kaisers beisammen. Da lief Verus herzu und brachte einen besonders schönen rotwangigen Apfel, den Trajan selbst ihm geschenkt. Die Frucht ward von allen bewundert. Plotina nahm sie dem Knaben sogar aus der Hand und fragte scherzend, ob er ihr den Apfel nicht schenken wolle. Da sah er sie mit den großen Augen verwundert an, schüttelte den Lockenkopf, eilte auf mich zu, gab mir, ja mir und keiner anderen, die Frucht, schlang mir die Ärmchen um den Hals und sagte: »Sabina, du sollst ihn haben.«

»Ein Parisurteil.«

»Scherze jetzt nicht. Mir hat diese Tat eines selbstlosen Kindes den Mut gestärkt, den Jammer des Lebens zu tragen. Ich wußte nun, daß es einen gab, der mich liebte, und dieser eine lohnte alles, was ich für ihn empfand und was ich nicht müde ward für ihn zu tun, mit freundlicher Neigung. Er ist der Einzige, von dem ich weiß, daß er weinen wird, wenn ich sterbe. Gib ihm das Recht, mich Mutter zu nennen, und mach ihn zu unserem Sohne.«

»Er ist es,« entgegnete Hadrian mit ernster Würde und hielt Sabina die Hand hin.

Die Kaiserin versuchte sie an ihre Lippen zu ziehen, er aber entzog sie ihr und fuhr fort:

»Teile ihm mit, daß wir ihn an Sohnesstatt annehmen. Sein Weib ist die Tochter des Nigrinu, der fallen mußte, weil ich feststehen wollte. Du liebst Lucilla nicht; doch bewundern dürfen wir sie beide; denn ich wenigstens kenne keine andere Frau in Rom, für deren Tugend man einstehen möchte. Ich bin ihr ohnehin einen Vater schuldig und freue mich dieser Tochter. So wären wir denn mit Kindern gesegnet. Ob und wann ich Verus auch zum Nachfolger ernenne und der Welt mitteile, wer ihr künftiger Beherrscher sein soll, das kann ich jetzt noch nicht entscheiden, dazu bedarf es einer ruhigeren Stunde. Auf morgen, Sabina. Mit einem Unglück begann dieser Tag; möge das, womit wir ihn gemeinsam beschließen, uns zum Glücke und dem Staat zum Segen gedeihen.«


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