Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Neuntes Kapitel

Der Palastvorsteher, zu dem Selene seine jüngere Tochter Arsinoe berufen hatte, war soeben aus der Bürgerversammlung heimgekehrt, und sein alter schwarzer Sklave, der ihm stets, wenn er ausging, folgte, nahm ihm das krokusgelbe Pallium von den Schultern und den goldenen Reifen, mit dem er außerhalb des Hauses die gebrannten Locken zu umgeben liebte, vom Haupte.

Keraunus sah noch erhitzter aus, seine Augen traten noch weiter vor als gewöhnlich, und heller Schweiß perlte ihm auf der Stirn, als seine Töchter zu ihm in das Wohngemach traten.

Arsinoes freundlichen Gruß beantwortete er gedankenlos mit zwei hingeworfenen Worten und ging, bevor er die wichtige Mitteilung, die er zu machen hatte, den Töchtern eröffnete, eine Zeitlang vor ihnen auf und nieder. Dabei blies er die starken Wangen voll auf und kreuzte die Arme.

Selene war ängstlich, Arsinoe längst ungeduldig geworden, als er endlich begann:

»Habt ihr von den Festen gehört, die zu Ehren des Kaisers gefeiert werden sollen?«

Selene nickte bejahend mit dem Kopfe, und ihre Schwester rief:

»Freilich! Hast du Plätze für uns auf den Bänken des Rates bekommen?«

»Unterbrich mich nicht,« herrschte der Verwalter mürrisch die Tochter an. »Von Zuschauen ist keine Rede. Wohl forderte man die Bürger auf, ihre Töchter an den zu veranstaltenden großen Dingen teilnehmen zu lassen und gefragt, wie viele Mädchen sie hätten . . .«

»Wir sollen an den Spielen teilnehmen?« fiel Arsinoe ihm froh überrascht in die Rede.

»Ich wollte mich, bevor der Aufruf erfolgte, zurückziehen, aber der Schiffsbaumeister Tryphon, der unten neben dem königlichen Hafen seine Werkstätte hat, hielt mich zurück und rief in die Versammlung, seine Söhne sagten, ich besäße zwei schöne junge Töchter. Woher wissen sie das?«

Bei dieser Frage zog der Verwalter die grauen Augenbrauen unwillig in die Höhe, und sein Antlitz rötete sich bis zur Stirn.

Selene zuckte die Achseln, Arsinoe aber sagte:

»Die Werft des Tryphon liegt ja da unten, und wir gehen oft an ihr vorüber; aber ihn selbst oder seine Söhne kennen wir nicht. Hast du sie gesehen, Selene? Es ist jedenfalls artig von ihnen, uns schön zu nennen.«

»Keiner darf sich um euer Aussehen kümmern, der euch nicht von mir zum Weibe begehrt,« entgegnete der Verwalter mürrisch.

»Was hast du Tryphon entgegnet?« fragte Selene.

»Ich tat, was ich mußte. Euer Vater verwaltet einen großen Palast, der ja nun einmal Rom und seinem Imperator gehört; so werde ich Hadrian als Gast in dieser Wohnung meiner Väter aufnehmen, und kann ihm darum weniger als andere Bürger meinen Teil an der Ehre vorenthalten, die der Rat der Stadt ihm zu erweisen beschloß.«

»Wir dürfen also?« fragte Arsinoe und näherte sich dem Vater, um ihn mit schmeichelnder Hand zu streicheln.

Keraunus war indes nicht geneigt, Liebkosungen entgegenzunehmen, wies sie mit einem verdrossenen: »Laß mich!« zurück und fuhr würdevoll fort:

»Wenn Hadrian fragen sollte: ›Wo waren deine Töchter an meinem Ehrentage, Keraunus?‹ und ich müßte entgegnen: ›Sie fehlten unter den Töchtern der edlen Bürger‹, so würde das eine Beleidigung für den Cäsar sein, dem ich im Grunde wohlgesinnt bin. Das alles bedachte ich und nannte darum eure Namen und versprach, euch zu der Versammlung der Jungfrauen im kleinen Theater zu senden. Ihr werdet dort den edelsten Matronen und Töchtern der Stadt begegnen, und die ersten Maler und Bildhauer sollen bestimmen, zu welchem Teile der Spiele sich euer Aussehen am besten eignet.«

»Aber, Vater,« rief Selene, »wie können wir uns in unseren einfachen Kleidern in dieser Versammlung zeigen, und woher nehmen wir Geld, uns neue zu schaffen?«

»Wir können uns in sauberer weißer Wolle und hübsch mit frischen Bändern geputzt neben allen anderen Mädchen sehen lassen,« versicherte Arsinoe, indem sie sich zwischen die Schwester und den Vater drängte.

»Das ist es nicht, was mich besorgt macht,« entgegnete der Verwalter. »Die Kostüme sind's, die Kostüme! Nur den Töchtern ärmerer Bürger werden sie vom Rate bezahlt, und zu den Armen gezählt zu werden, würde uns schänden. Ihr versteht mich, Kinder.«

»Ich nehme nicht teil an dem Zuge,« erklärte Selene entschieden; Arsinoe aber fiel ihr ins Wort:

»Arm zu sein ist unbequem und widerwärtig, aber eine Schande ist es gewiß nicht. Den mächtigsten Römern in alter Zeit gereichte es gar zur Ehre, als arme Leute zu sterben. Unsere mazedonische Herkunft bleibt uns, auch wenn uns die Stadt die Kostüme bezahlt.«

»Still!« rief der Verwalter. »Es ist nicht das erstemal, daß ich solch niedrige Gesinnung an dir bemerke. Die Nachteile der Armut kann auch der Edle ertragen, aber die Vorteile, die sie bringt, vermag er nur zu genießen, wenn er sich entschließt, aus der Reihe der Edlen zu treten.«

Dem Verwalter hatte es schwere Mühe gekostet, diesen Gedanken, den er sich nicht erinnerte von einem anderen gehört zu haben, der ihm fremd vorkam und der doch völlig wiedergab, was er empfand, in verständlicher Form zum Ausdruck zu bringen. Darum ließ er sich mit allen Anzeichen der Erschöpfung langsam auf das Polster des Diwans sinken, der eine tiefe Seitennische seines geräumigen Wohngemaches umgab.

In diesem Räume sollten Kleopatra mit Antonius jene Gastmähler genossen haben, deren erlesene und unübertroffene Feinheit durch alle Gaben der Kunst und des Witzes gewürzt worden war.

Gerade an demselben Platze, auf dem jetzt Keraunus ruhte, hatte wohl das Speiselager des berühmten Liebespaares gestanden; denn das ganze Zimmer war zwar mit einem sorgfältig gearbeiteten Estrich versehen, hier aber befand sich ein aus Steinen von verschiedenen Farben zusammengesetztes Gemälde von so großer Schönheit und Feinheit der Ausführung, daß Keraunus seinen Kindern stets verboten hatte, darauf zu treten. Dies war freilich weit weniger aus Achtung vor dem herrlichen Kunstwerke geschehen, als weil ihm sein Vater, und diesem der seinige das gleiche untersagt hatte. Das Gemälde brachte die Hochzeit der Thetis mit dem Peleus zur Darstellung, und der Diwan bedeckte nur den mit einer Reihe von lieblichen Eroten geschmückten unteren Rand des herrlichen Bildes.

Keraunus befahl seiner Tochter, ihm einen Becher Wein zu reichen, sie aber mischte den Rebensaft reichlich mit Wasser.

Nachdem er mit vielen Zeichen des Abscheus den verdünnten Inhalt des Pokals zur Hälfte ausgetrunken hatte, sagte er:

»Wollt ihr wissen, was ein einziger von euren Anzügen, wenn wir nicht gar zu weit hinter den anderen zurückstehen wollen, kostet?«

»Nun?« fragte Arsinoe ängstlich.

»Unter siebenhundert Drachmen, sagt der Schneider Philinus, der für das Theater arbeitet, sei etwas Rechtes herzustellen unmöglich.«

»Du denkst doch nicht im Ernst an solche wahnsinnige Ausgabe!« rief Selene. »Wir haben nichts, und den möchte ich kennen, der uns noch borgte!«

Die jüngere Tochter des Verwalters schaute verlegen auf die Fingerspitzen und schwieg; ihre in Tränen schwimmenden Augen verrieten aber, was sie empfand.

Keraunus war erfreut über die stumme Zustimmung, die Arsinoe seinem Wunsch zu erteilen schien, sie um jeden Preis bei den Schaustellungen mitwirken zu lassen. Daß er ihr soeben niedrige Gesinnung vorgeworfen hatte, vergaß er und sagte:

»Die Kleine fühlt immer, was recht ist. Dir, Selene, geb' ich ernstlich zu bedenken, daß ich dein Vater bin und mir diesen zurechtweisenden Ton verbitte. Du hast ihn dir bei deinem Verkehr mit den Kindern angewöhnt, und ihnen gegenüber magst du ihn weiter gebrauchen. Vierzehnhundert Drachmen scheinen auf den ersten Blick eine hohe Summe, wenn man aber den Stoff und den Schmuck, den ihr gebraucht, mit dem rechten Verständnis einkauft, so läßt er sich vielleicht nach dem Fest wieder mit Nutzen an den Mann bringen.«

»Mit Nutzen!« rief Selene bitter. »Nicht die Hälfte wird für die alten Sachen bezahlt, nicht ein Viertel! Und wenn du mich aus dem Hause jagst – ich will nicht helfen, uns tiefer ins Elend zu stürzen. Ich nehme nicht teil an den Spielen.«

Dem Verwalter stieg diesmal das Blut nicht in den Kopf, er wurde auch nicht heftig, vielmehr erhob er gelassen und nicht ohne Anflug von Zufriedenheit den Blick und verglich die eine seiner Töchter mit der anderen.

Er war gewöhnt, Selene als sein nützliches, Arsinoe als sein schönes Kind in seiner Weise zu lieben, und weil es hier im Grunde doch nur galt, seiner Eitelkeit Genüge zu tun und dieser Zweck durch die jüngere Tochter allein erreicht werden konnte, sagte er:

»So bleibe du meinetwegen bei den Kindern. Wir entschuldigen dich mit schwacher Gesundheit, und wirklich, Mädchen, du siehst wieder bleich aus zum Erbarmen. Für die Kleine allein schaff' ich die Mittel schon eher.«

Auf Arsinoes Wangen zeigten sich wieder zwei reizende Grübchen; Selenens Lippen aber waren so bleich wie ihre blutlosen Wangen, als sie jetzt rief:

»Aber, Vater, Vater! Weder der Bäcker noch der Schlächter haben seit zwei Monaten einen Sesterz bekommen, und du willst siebenhundert Drachmen verschwenden!«

»Verschwenden?« fuhr Keraunus unwillig auf und fügte dann eher kleinlaut als aufbrausend hinzu: »Ich verbiete dir nochmals, so mit mir zu reden. Die reichsten jungen Herren nehmen teil an dem Spiele; Arsinoe ist schön und vielleicht wählt sie sich einer von ihnen zur Gattin. Heißt es verschwenden, wenn ein Vater bestrebt ist, für sein Kind einen würdigen Gemahl zu finden! Und was weißt du eigentlich von dem Stand meines Besitzes?«

»Wir haben nichts, darum kann ich nichts von ihm wissen!« rief das Mädchen außer sich.

»Sooo?« fragte Keraunus gedehnt und mit einem überlegenen Lächeln. »Ist das nichts, was in dem Schranke dort liegt und hier auf dem Sims steht? Euch zuliebe werd' ich mich davon trennen. Die Onyxfibula, die Ringe, den goldenen Reifen und den Gürtel freilich . . .«

»Sie sind nur von vergoldetem Silber,« fiel Selene erbarmungslos ein. »Des Großvaters echte Sachen verkauftest du nach dem Tode der Mutter.«

»Sie mußte unserem Stande gemäß verbrannt und bestattet werden,« entgegnete Keraunus. »Jetzt will ich an diese traurigen Tage nicht denken.«

»Denke nur an sie, Vater!«

»Schweig! Was zu meinem Schmucke gehört, kann ich natürlich nicht missen; denn ich muß dem Kaiser entgegentreten als der, der ich bin; aber was wird der kleine Eros von Bronze dort wert sein, der elfenbeinerne, köstlich geschnitzte Becher Plutarchs, vor allem aber das Bild dort, von dem sein früherer Besitzer fest überzeugt war, daß es von dem großen Apelles selbst hier in Alexandria gemalt war. Gleich sollt ihr erfahren, was die kleinen Dinge dort wert sind; denn als hätten es die Götter also gefügt, bin ich hier im Palaste, als ich nach Hause kam, dem Kunsthändler Gabinius von Nizäa begegnet. Er versprach mir, nachdem er das Geschäft mit dem Baumeister abgeschlossen habe, zu mir zu kommen, meine Schätze zu besichtigen und was ihm zusagt, gegen bares Geld anzukaufen. Wenn mein »Apelles« ihm gefällt, so gibt er allein für ihn zehn Talente, und kauft er ihn auch nur für die Hälfte oder den zehnten Teil dieser Summe, so zwing' ich dich, Selene, dir auch einmal eine Freude zu gönnen.«

»Wir werden ja sehen,« sagte das bleiche Mädchen, die Achseln zuckend, und Arsinoe rief:

»Zeig ihm auch das Schwert, von dem du immer sagst, es hätte dem Antonius gehört, und gibt er viel dafür, so kaufst du mir ein goldenes Armband.«

»Auch Selene wird eines erhalten. Aber auf das Schwert setz' ich die allergeringste Hoffnung – denn ein Kenner wird es schwerlich für echt erklären. Doch ich habe da andere, ganz andere Sachen! Horch! das wird Gabinius schon sein. Schnell, Selene, wirf mir das Pallium wieder um. Meinen Reifen her, Arsinoe! Dem Wohlhabenden bietet man höhere Preise als dem ärmlichen Manne. Dem Sklaven befahl ich, den Händler im Vorsaale zu erwarten; so wird es in jedem guten Hause gehalten!«

Der Kunsthändler war ein kleiner, hagerer Mann, der sich mit Klugheit und Glück zum Vornehmsten unter seinesgleichen und zum reichen Manne heraufgearbeitet hatte. Durch Fleiß und Erfahrung zum Kenner gereift, verstand er wie kein anderer Gutes vom Mittelmäßigen und Schlechten, Echtes vom Unechten zu unterscheiden. Niemand hatte feinere Augen als er, doch er war roh im Verkehr mit jedem, von dem er nichts zu erwarten hatte. Da freilich, wo Gewinn in Aussicht stand, konnte er höflich bis zur Unterwürfigkeit sein und unermüdliche Geduld bewahren.

Er gewann es auch über sich, dem Verwalter mit dem Ausdruck der Überzeugung zuzuhören, als dieser ihm von oben herab versicherte, er sei seiner kleinen Besitztümer überdrüssig, er könne sie ebensogut behalten, wie nicht behalten; aber er wolle sie ihm, dem besseren Kenner, doch zeigen und sich auch von ihnen trennen, wenn ihm für das brachliegende Kapital eine hübsche, flüssige Summe geboten werde.

Ein Stück nach dem anderen wanderte durch die feinen Finger des Kenners und wurde vor ihn hingestellt, damit er es betrachte.

Der Mann war sehr schweigsam und schüttelte, sobald er einen neuen Gegenstand geprüft hatte, den klugen Kopf.

Wenn Keraunus ihm erzählte, woher dieses oder jenes Stück seines Schatzes stammte, murmelte er ein »So!«, »Du glaubst!« oder »Wirklich?«

Nachdem das letzte Stück durch seine Hände gegangen war, fragte der Verwalter:

»Nun? Was sagst du?« Der Anfang dieses Satzes klang zuversichtlich, das Ende fast ängstlich; denn der Kunsthändler lächelte nur und schüttelte abermals den Kopf, bevor er sagte:

»Recht artige Sächelchen sind darunter, aber nichts, was der Rede wert ist. Ich rate dir, sie zu behalten; denn sie sind dir lieb, für mich aber gibt es wenig daran zu verdienen.«

Keraunus vermied es, Selene anzuschauen, deren große Augen voller Angst an den Lippen des Kaufmanns gehangen hatten; Arsinoe aber, die nicht minder aufmerksam seinen Bewegungen gefolgt war, ließ sich weniger schnell entmutigen und fragte, indem sie mit dem Finger auf den Apelles ihres Vaters wies:

»Und auch dies Gemälde sollte nichts wert sein?«

»Es tut mir leid, daß ich einer so schönen Jungfrau nicht sagen kann, es sei unschätzbar,« entgegnete der Kunsthändler, den grauen Zwickelbart streichend. »Aber wir haben es hier leider nur mit einer recht schwachen Nachahmung zu tun. Das Original befindet sich in der Villa des Plinius am Lariussee, die er den Kothurn nennt. Ich habe gar keine Verwendung für dieses Stück.«

»Und dieser geschnitzte Becher?« fragte Keraunus. »Er stammt aus dem Nachlaß des Plutarch, ich kann es beweisen, und er soll ein Geschenk des Kaisers Trajan sein.«

»Das hübscheste Stück aus der Sammlung,« entgegnete Gabinius, »doch mit vierhundert Drachmen mehr als reichlich bezahlt.«

»Und dieser Zylinder aus Zypern mit der schönen Gravierung?«

Der Verwalter griff nach dem glatt geschliffenen Kristall, aber seine Hand zitterte vor Erregung und so stieß er ihn, statt ihn zu erfassen, vom Tische.

Klirrend rollte er auf dem Estrich hin und über das glatte Mosaikgemälde fort bis zu den Polstern.

Keraunus wollte sich bücken, um ihn aufzuheben, seine beiden Töchter hielten ihn aber fest, und Selene rief:

»Vater, du sollst nicht; der Arzt hat es aufs strengste verboten!«

Während der Verwalter die Mädchen brummend von sich abwehrte, hatte sich der Kunsthändler schon auf ein Knie niedergelassen, um den Zylinder aufzuheben.

Es schien übrigens dem zierlich gebauten Manne weit weniger schwer zu fallen, sich zu bücken, als sich vom Boden zu erheben; denn es dauerte mehrere Minuten, bis er wieder auf den Füßen und vor Keraunus stand.

Seine Züge hatten einen gespannten Ausdruck angenommen, und noch einmal ergriff er die dem Apelles zugeschriebene Tafel, setzte sich mit ihr auf das Polster und schien sich in das Gemälde, das sein Antlitz den drei Anwesenden verbarg, ganz zu vertiefen.

Aber sein Auge weilte keineswegs auf dem Bilde vor ihm, sondern auf der Hochzeit zu seinen Füßen, in der er jeden Augenblick neue, unschätzbare Vorzüge entdeckte.

Als der Kunsthändler minutenlang regungslos mit dem kleinen Bilde dagesessen hatte, erheiterten sich die Züge des Verwalters, Selene atmete auf, und Arsinoe näherte sich dem Vater, um sich an seinen Arm zu klammern und ihm ins Ohr zu flüstern:

»Gib ihm den Apelles nicht billig und denk an mein Armband.«

Jetzt erhob sich Gabinius, überblickte die auf dem Tische vor ihm stehenden Sachen und sagte weit kürzer und geschäftsmäßiger als vorher:

»Für alle diese Dinge zusammen kann ich dir, warte – zwanzig – siebenzig – vierhundert – vierhundertfünfzig – kann ich sechshundertfünfzig Drachmen bieten; keinen Sesterz mehr!«

»Du scherzest!« rief Keraunus.

»Keinen Sesterz mehr,« entgegnete der andere kühl; »ich will nichts verdienen, aber daß ich auch nicht mit sicherer Aussicht auf Verlust zu kaufen wünsche, wirst du als billiger Mann begreifen. Was den Apelles angeht . . .«

»Nun?«

»So könnte er schon Wert für mich haben, aber nur unter gewissen Bedingungen. Es hat mit dem Bild seine eigene Bewandtnis. Ihr beiden Jungfrauen, ihr wißt, daß schon mein Geschäft mich alles schätzen lehrt, was schön ist, aber ich muß euch doch bitten, mich ein wenig mit eurem Vater allein zu lassen. Ich habe mit ihm über dies seltsame Gemälde zu reden.«

Keraunus winkte den Töchtern, und sie entfernten sich sogleich.

Bevor die Tür sich hinter ihnen schloß, rief der Kunsthändler ihnen nach:

»Es dämmert bereits; darf ich euch bitten, mir durch euren Sklaven eine möglichst hellbrennende Lampe zu senden?«

»Was ist's mit dem Bilde?« fragte Keraunus.

»Reden wir, bis das Licht gebracht wird, von etwas anderem,« bat Gabinius.

»So nimm Platz auf dem Polster,« sagte Keraunus. »Du tust mir und vielleicht auch dir selbst einen Gefallen damit.«

Sobald die Ruhebank beide Männer aufgenommen hatte, begann Gabinius:

»Man gibt solche kleine Dinge, die man mit Liebe gesammelt, nicht gern aus den Händen; ich weiß es aus langer Erfahrung. Mancher Mann, der, nachdem er seine kleinen Altertümer verkauft hatte, zu Besitz kam, bot mir das Zehnfache des von mir gezahlten Preises, um sie zurückzuerwerben; leider gewöhnlich vergebens. Was von anderen gilt, das gilt auch von dir. Bedürftest du augenblicklich keines Geldes, so hättest du mir schwerlich die Dinge dort angeboten.«

»Ich muß dich ersuchen –« unterbrach ihn Keraunus; der Kunsthändler aber schnitt ihm das Wort ab und fuhr gelassen fort:

»Auch dem Reichsten fehlt es zuzeiten an barem Gelde, das weiß keiner besser als ich; dem doch – ich darf es bekennen – große Summen zur Verfügung stehen. Jetzt gerade wär' es mir leicht, dich aus jeder Verlegenheit zu befreien.«

»Da steht mein Apelles,« fiel der Verwalter dem Kaufmann in die Rede. »Er gehört dir, wenn dein Gebot mir ansteht.«

»Das Licht, da wäre das Licht!« rief Gabinius und nahm dem alten Sklaven die dreiarmige, von Selene schnell mit neuem Docht versehene Lampe aus der Hand und stellte sie, indem er Keraunus ein »Du erlaubst« zugemurmelt hatte, inmitten des musivischen Gemäldes nieder.

Der Verwalter schaute den seltsamen Mann zu seiner Linken verdutzt und fragend an, Gabinius aber beachtete ihn nicht, sondern ließ sich wiederum auf die Knie nieder, betastete die Mosaik mit den Händen und verschlang das Bild der Hochzeit des Peleus mit beiden Augen.

»Hast du etwas verloren?« fragte Keraunus.

»Nein, gar nichts. Da, in der Ecke . . . Nun weiß ich genug. Darf ich die Lampe dort auf den Tisch stellen? So! Und nun zurück zu unserem Geschäft!«

»Ich bitte darum, aber es sei dir im voraus gesagt, es handelt sich bei mir nicht mehr um Drachmen, sondern um ganze attische Talente

»Das versteht sich von selbst, und ich biete dir deren fünf, daß heißt eine Summe, für die du in manchem Viertel der Stadt ein schönes, geräumiges Haus kaufst!«

Diesmal stieg dem Verwalter wiederum das Blut in den Kopf.

Einige Minuten lang vermochte er kein Wort zu reden; denn das Herz schlug ihm heftig; endlich aber ward er so weit Herr seiner selbst, daß er, fest gewillt, wenigstens diesmal das Glück beim Schöpfe zu fassen und sich nicht übervorteilen zu lassen, entgegnen konnte:

»Fünf Talente tun es nicht; biete mehr!«

»So sagen wir sechs.«

»Wenn du das Doppelte zahlst, so sind wir einig!«

»Mehr als zehn Talente vermag ich nicht zu bewilligen. Man baut sich für diese Summe einen hübschen Palast.«

»Ich bleibe bei zwölf.«

»So geschehe dein Wille; aber keinen Sesterz gebe ich mehr.«

»Ich trenne mich ungern von dem edlen Kunstwerk,« seufzte Keraunus, »doch ich tu' dir den Willen und lasse dir meinen Apelles.«

»Es handelt sich nicht um diese Tafel, die wenig Wert hat und an der du dich weiterfreuen magst,« entgegnete der Händler. »Ich wünsche ein anderes Kunstwerk aus diesem Zimmer, das dir bisher kaum der Beachtung wert schien. Ich hab' es entdeckt, und ein reicher Kunde von mir sucht gerade dergleichen.«

»Ich weiß nicht . . .«

»Dir gehört doch alles Gerät in diesem Zimmer?«

»Wem anders?«

»So darfst du auch darüber verfügen?«

»Gewiß.«

»Nun wohl; die zwölf attischen Talente, die ich dir bot, beziehen sich auf das Gemälde zu unseren Füßen.«

»Die Mosaik? die? Die gehört zum Palaste.«

»Zu deiner Wohnung gehört sie, und diese, das hörte ich aus deinem eigenen Munde, haben deine Vorfahren seit länger als hundert Jahren inne. Ich kenne das Gesetz. Es spricht aus, daß alles, was sich seit hundert Jahren im unbestrittenen Besitz einer Familie befindet, ihr als Eigentum zufällt.«

»Diese Mosaik gehört dem Palaste.«

»Ich behaupte das Gegenteil. Sie ist ein Bestandteil deiner Familienwohnung und du darfst frei über sie verfügen.«

»Sie gehört dem Palaste.«

»Nein, nochmals nein; du bist der Besitzer! Morgen früh erhältst du zwölf attische Talente in Gold, und ich werde später mit Hilfe meines Sohnes das Gemälde loslösen, verpacken und, wenn es dunkelt, fortschaffen lassen. Sorge für einen Teppich, mit dem wir einstweilen die leere Stelle verdecken. An der Geheimhaltung der Sache muß mir natürlich ebensoviel und mehr noch gelegen sein als dir selbst.«

»Die Mosaik gehört dem Palaste!« rief der Verwalter diesmal mit lauter Stimme. »Hörst du's, sie gehört dem Palaste, und wer sie anrührt, dem zerbrech' ich die Knochen.«

Bei dieser Drohung erhob sich Keraunus, sein gewaltiger Körper keuchte, seine Wangen und Stirn waren kirschrot gefärbt und seine gegen den Kunsthändler erhobenen Fäuste bebten.

Gabinius trat erschrocken zurück und fragte:

»Du willst also nicht meine zwölf Talente?«

»Ich will – ich will –« röchelte Keraunus, »ich will dir zeigen, wie ich den behandle, der mich für einen Spitzbuben hält. Hinaus, Schurke, und kein Wort mehr von dem Gemälde und dem Diebstahl im Dunkeln, sonst schick ich dir die Liktoren des Präfekten auf den Hals und lasse dich in Eisen werfen, du lumpiger Räuber.«

Gabinius zog sich eilends zur Tür zurück; dort aber wandte er sich noch einmal nach dem stöhnenden und schnaubenden Kolosse um und rief, während er die Schwelle betrat:

»Behalte deinen Kram. Wir sprechen uns wieder!« –

Als Selene und Arsinoe in das Wohngemach zurückkehrten, fanden sie den Vater tief atmend mit weit vorgeneigtem Haupte auf dem Polster sitzen.

Erschrocken näherten sie sich ihm; er aber wiederholte fortwährend die Rufe:

»Wasser, einen Schluck Wasser! Der Dieb! Der Halunke!«

Ohne jeden Seelenkampf hatte der bedrängte Mann das zurückgewiesen, was ihm und den Seinen ein freundliches Los bereiten konnte; aber er würde sich nicht gescheut haben, dieselbe, ja die doppelte Summe, gleichviel ob von einem Armen oder Reichen, zu leihen, obgleich er sicher wußte, daß er niemals imstande gewesen wäre, sie ihm zurückzuerstatten.

Er war gar nicht stolz auf seine Tat, sondern fand sie nur natürlich für einen mazedonischen Edeln.

Auf den Vorschlag des Händlers einzugehen, lag für ihn völlig außerhalb des Bereichs der möglichen Dinge.

Aber woher sollte er nun das Geld für Arsinoes Anzug nehmen, wie seine in der Bürgerversammlung gegebene Zusage halten?

Eine Stunde lang blieb er sinnend auf dem Polster liegen. Dann nahm er eine Wachstafel aus der Truhe und begann einen Brief an den Präfekten in sie einzuritzen. Er wollte Titianus das kostbare Mosaikgemälde, das sich in seiner Wohnung befand, für den Kaiser zur Verfügung stellen; doch er brachte das Schreiben nicht zu Ende, denn er verwickelte sich bald in hochtönenden Sätzen. Endlich verzweifelte er an dem Gelingen der Arbeit, warf den unvollendeten Brief in die Kiste und legte sich schlafen.


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