Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Vierundzwanzigstes Kapitel

Die Alexandriner hatten steife Nacken.

Nur eine weit über das Maß des Alltäglichen hinausgehende Erscheinung konnte sie veranlassen, den Kopf zu wenden und ihr nachzuschauen; gab es doch Ungewöhnliches genug zu jeder Stunde und in allen Straßen ihrer Stadt zu sehen.

Heute dachte jeder ohnehin nur an sich selbst und seine eigene Lust.

Eine besonders schöne, stattliche oder gut aufgeputzte Gestalt veranlaßte hier ein schnell verschwindendes Lächeln, dort einen Ruf des Beifalls; bevor aber ein Anblick voll ausgenossen war, suchte das nach neuem begierige Auge schon nach einem andern.

So gab auch niemand sonderlich auf Hadrian und seine beiden Begleiter acht, die sich widerstandslos von dem Strom der Menge durch die Straßen fortführen ließen, und doch bot jeder von ihnen einen in seiner Weise merkwürdigen Anblick. Hadrian war als Silen aufgeputzt, Pollux als Faun.

Beide trugen Masken, und dem schlanken, beweglichen Jünglinge stand die Verkleidung nicht weniger gut als der mächtigen Kraftgestalt des gereiften Mannes neben ihm.

Antinous folgte dem Gebieter als Eros.

Er trug einen rötlichen Umwurf und war mit Rosen bekränzt, und der silberne Köcher auf seinem Rücken, sowie der Bogen in seiner Hand deuteten sinnbildlich an, welchen Gott er zur Darstellung bringe.

Auch er trug eine Maske; doch seine Gestalt zog viele Blicke auf sich und manches: »Es lebe die Liebe!« oder »Sei mir günstig, schöner Sohn Aphrodites!« tönte ihm nach.

Pollux hatte die für die Verkleidung nötigen Sachen der Gewandkammer seines Meisters entnommen. Dieser war nicht zu Hause gewesen; eine Frage um seine Einwilligung schien dem jungen Mann indes unnötig; – denn sowohl er als die anderen Gehilfen hatten sich oft und mit Wissen des Papias dieser Sachen zu ähnlichen Zwecken bedient.

Nur als Pollux den für Antinous bestimmten Köcher an sich nahm, zauderte er ein wenig; denn er bestand aus echtem Silber und war dem Meister von einer reichen Kornhändlersfrau geschenkt worden, die er als jagende Artemis in Marmor ausgehauen hatte.

Der schöne Gefährte des Römers, dachte der Künstler, als er das wertvolle Gerät zu den anderen Gegenständen in den Korb legte, den ihm sein schielender Lehrbursch nachtragen sollte, der Gefährte des Römers muß einen prächtigen Eros abgeben. Der braucht einen Köcher, und bevor die Sonne aufgeht, hängt das unnütze Ding wieder an dem alten Haken.

Pollux fand übrigens wenig Zeit, sich an der herrlichen Gestalt des so reich von ihm aufgeputzten Liebesgottes zu freuen; denn der Baumeister aus Rom, den er führte, war von solchem Wissensdurst und solcher bis ins einzelne gehenden Neugier beseelt, daß der in Alexandrien geborene, mit offenen Augen herangewachsene junge Mann dem unermüdlichen Frager manchmal die Antwort schuldig bleiben mußte.

Der graubärtige Herr wollte alles sehen, über alles unterrichtet sein.

Nicht zufrieden, die Hauptstraßen und Plätze, die öffentlichen Anlagen und Gebäude kennen zu lernen, schaute er auch in die schöneren Privathäuser und fragte nach dem Namen, dem Stand und Vermögen ihrer Besitzer.

Die entschiedene Art, mit der er vorschrieb, welchen Weg er geführt zu werden wünschte, bewies Pollux, daß er mit der Anlage der Stadt gut vertraut sei.

Wenn der weise, hochangesehene Mann den Beifall, ja die Bewunderung über die breiten, sauberen Straßen des Ortes, die freundlichen Plätze und überaus stattlichen Bauwerke, an denen es nirgends fehlte, lebhaft zu erkennen gab, freute sich der junge Alexandriner, der seine Vaterstadt liebte.

Zuerst ließ sich Hadrian, dem Meere entlang, durch das Bruchium zu dem Tempel des Poseidon führen, vor dem er eine Andacht verrichtete. Dann schaute er in die Gärten der Königspaläste und in die Höfe des benachbarten Museums.

Das Cäsareum mit seinem ägyptischen Tor erregte seine Bewunderung nicht weniger als das mit mehrstöckigen Säulenarkaden umkleidete, rings mit Statuen geschmückte Theater des Dionysus.

Von dort aus wandte er sich mit einer Schwenkung nach links wieder dem Meere zu, um das Emporium, den Mastenwald im Hafen des Eunostus und die schöngemauerten Kais zu betrachten.

Der Brückenbau des Heptastadiums wurde rechts liegen gelassen. Der Hafen Kibotus, der von kleinen Kauffahrern wimmelte, hielt die Wanderer nur kurze Zeit auf.

Hier wandten sie der See den Rücken, betraten die landeinwärts führende, dem Dracoflusse folgende Straße und durchschritten das Viertel Rhakotis, in dem lauter Ägypter wohnten und es viel Bemerkenswertes zu sehen gab. Zuerst begegnete ihnen ein Festzug der den Göttern des Niltals dienenden Priester, die Reliquienkisten, heilige Geräte, Götter und Tierbilder trugen und dem Serapeum zustrebten, das im Süden alles ringsum hoch überragte. Hadrian besuchte es nicht, sah aber den Wagen zu, die auf einem Fahrwege den Hügel, auf dem das Heiligtum stand, hinauffuhren, und beobachtete die zu Fuß gehenden Beter, die die für sie bestimmte gewaltige Treppe erstiegen. Diese verbreiterte sich nach oben hin und endete bei einer Plattform, auf der vier gewaltige Säulen eine kühn gewölbte Kuppel trugen. Unübersehbar war das Tempelgebäude, das sich mit seinen Sälen, Hallen und Kammern hinter diesem Riesenbaldachin erhob.

Die Priester mit den weißen Gewändern, die hageren, halbnackten Ägypter mit den gefalteten Schürzen und Kopftüchern, die Tierbilder und wunderlich bemalten Häuser in diesem Quartiere nahmen die Aufmerksamkeit Hadrians besonders in Anspruch und veranlaßten ihn zu vielen Fragen, auf die Pollux die Antwort schuldig bleiben mußte.

Bis zu dem im äußersten Süden der Stadt gelegenen marcotischen See erstreckte sich die immer weiter vom Meer fortführende Wanderung. Nilschiffe und Boote von jeder Form und Größe lagen in diesem geräumigen Binnengewässer vor Anker. Hier zeigte der Bildhauer dem Kaiser den Agathodämon-Kanal, durch den man die auf dem Fluß nach Alexandria gebrachten Waren den Meerschiffen zuführte. Auch auf die glänzenden Landhäuser und wohlgepflegten Weinberge am Ufer des Sees machte er den Römer aufmerksam, der nachdenklich sagte:

»Der Körper dieser Stadt muß wohl gedeihen; denn er hat zwei Mägen und zwei Mäuler, durch die er seine Nahrung erhält: ich meine das Meer und diesen See.«

»Und die Häfen in beiden,« fügte Pollux hinzu.

»Ganz recht; aber nun wird es Zeit zur Umkehr,« entgegnete Hadrian, und die Wanderer folgten bald der neben dem Kanal hin gen Norden führenden Straße, bis sie jenseits des Tores der Sonne am östlichen Ende der kanopischen Straße in das Judenviertel gelangten. Im Innern dieses Quartiers waren viele Häuser geschlossen. Es gab hier auch nichts von dem festlichen Treiben, das sich in den Vierteln der Heiden den Sinnen aufdrängte, zu sehen; denn die Strenggläubigen unter den Israeliten hielten sich völlig fern von der Feier des frohen Tages, an der die meisten ihrer Glaubensgenossen, die unter den Hellenen wohnten, teilnahmen.

Endlich kehrten die Wanderer zum Tore der Sonne zurück und folgten der kanopischen Straße, die die Stadt, deren größte Verkehrsader sie war, in eine nördliche und südliche Hälfte zerlegte; denn Hadrian wünschte von dem Hügel des Paneums aus die gesehenen Einzeldinge in ihrer Gesamtheit zu überblicken. Ein kurzer Gang nach Süden führte sie zu dieser Anhöhe.

Der sie umgebende, sorgfältig gepflegte Garten wimmelte von Menschen, und der Schneckenweg, der sich zu ihrer Spitze hinaufwand, war überfüllt mit Frauen und Kindern, die von hier aus das glänzendste, dem Dionysus geweihte Schauspiel des Tages, dem am Abend Aufführungen in allen Theatern folgen sollten, zu sehen begehrten.

Bevor der Kaiser mit den Begleitern das Paneum erreicht hatte, drängte die Menge sich dichter zusammen, und einer rief dem andern zu: »Sie kommen!« »Heute fängt es früh an!« »Da sind sie!«

Liktoren mit Rutenbündeln auf der Schulter säuberten die breite Straße, die vom Theater des Dionysus aus an das Paneum führte, mit rücksichtslosem Eifer und achteten nicht auf die spottenden und witzelnden Worte, die ihnen zugerufen wurden, wo sie sich zeigten.

Eine Frau, die ein römischer Sicherheitswächter mit den Faszes zurückdrängte, sagte höhnisch:

»Schenk' mir deine Ruten für die Kinder und brauche sie nicht gegen ruhige Bürger.«

»Es steckt ein Beil zwischen den Reisern,« fügte ein ägyptischer Schreiber warnend hinzu.

»Her damit!« rief ein Fleischer. »Ich kann es brauchen, um meine Ochsen zu schlachten.«

Den Römern stieg bei diesem Hohn das Blut ins Gesicht; doch der Präfekt, der seine Alexandriner kannte, hatte ihnen geboten, taub zu sein, alles zu sehen und nichts zu hören.

Jetzt zeigte sich eine Kohorte der zwölften, in Ägypten lagernden Legion im reichsten Waffen- und Festschmuck.

Hinter ihr her schritten zwei Reihen von besonders stattlichen, bekränzten Liktoren. Ihnen folgten, von dunkelfarbigen Ägyptern geführt, mehrere hundert Tiere der Wildnis, Leoparden und Panther, Giraffen, Gazellen, Antilopen und Hirsche. Dann erschien unter Tamburin- und Leier-, Doppelflöten- und Triangelklang ein reich gekleideter und bunt bekränzter dionysischer Chor, und endlich, von zehn Elefanten und zwanzig weißen Pferden gezogen, ein großes, auf Rädern stehendes, über und über vergoldetes Schiff, das das Fahrzeug darstellte, auf dem tyrrhenische Seeräuber den jungen Dionysus entführt haben sollten, nachdem sie den schönen, schwarzlockigen Jüngling in seinem Purpurgewande am Ufer gesehen. – Aber den Übeltätern, so erzählt die Mythe weiter, war es nicht lange gestattet gewesen, sich ihres Raubes zu freuen; denn kaum hatten sie das offene Meer erreicht, als die Fesseln des Gottes zu Boden sanken, Weinlaub in schnell aufsprießendem üppigem Wuchs die Segel umrankte, Reben die Raa und Ruder umschlangen, Trauben die Taue beschwerten und Efeu den Mast, die Bänke und Wände des Schiffes umwucherte. Auf Land und Meer ist Dionysus gleich mächtig. Im Schiff der Seeräuber nahm er die Gestalt eines Löwen an. Die Piraten stürzten sich, von Entsetzen ergriffen, in die See und folgten, in Delphine verwandelt, dem verlorenen Fahrzeug.

Dies hatte Titianus, so wie die homerischen Hymnen es schilderten, aus leichten Stoffen herstellen und schön und reich ausschmücken lassen, um den Alexandrinern einen Augenschmaus zu bereiten und sich in ihm mit seiner Gattin und den vornehmsten Römern, die die Kaiserin begleiteten, des festlichen Treibens in den Hauptstraßen der Stadt zu freuen.

Jung und alt, groß und klein, Mann und Weib, Griechen, Römer, Juden, Ägypter, Fremde mit heller und dunkler Hautfarbe, schlichtem und wolligem Haar drängten sich mit gleichem Eifer an den Rand der Straße, um das glänzende Schiff zu sehen.

Hadrian, weit schaulustiger als sein junger, schwer erregbarer Liebling, drängte sich in die vorderste Reihe; als aber Antinous sich ihm zu folgen bemühte, riß ihm ein griechischer Bube, den er beiseite geschoben hatte, die Maske vom Gesichte, warf sich zu Boden und entschlüpfte behend mit der Beute.

Als Hadrian sich nach dem Bithynier umschaute, war das Schiff, auf dem der Präfekt zwischen den Bildern des Kaisers und der Kaiserin stand, und Frau Julia, Balbilla mit der Gefährtin und anderen Römerinnen und Römern saßen, ganz nahe zu ihm herangekommen. Sein scharfes Auge hatte sie erkannt, und weil er fürchtete, daß ihn das unbedeckte Antlitz des Lieblings verraten würde, rief er ihm zu:

»Wende dich um und tritt in die Menge zurück!«

Der Günstling folgte sogleich diesem Gebot und setzte sich, froh, dem Gedränge entgangen zu sein, das ihm höchst widerwärtig war, auf eine Bank neben dem Paneum nieder, schaute träumend zu Boden, dachte an Selene und an den Strauß, den er ihr gesandt hatte, und sah und hörte nichts von allem, was um ihn her vorging.

Als das geschmückte Schiff des Dionysus den Paneumsgarten verließ und in die kanopische Straße einbog, folgte ihm die Menge schreiend und in dichtem Gedränge.

Wie ein bei einem Wolkenbruch hochanschwellender Bach riß sie tobend und immer wachsend selbst das Widerstrebende mit sich fort.

Auch Hadrian und Pollux sahen sich gezwungen, ihr zu folgen.

Erst in der breiten kanopischen Straße gelang es ihnen, ihrem Andrang zu widerstehen.

Eine unabsehbare, lange Kolonnade begrenzte zur Rechten und Linken den Fahrdamm der breiten berühmten Straße, die von einem Ende der Stadt zum andern führte. Nach Hunderten zählten die korinthischen Säulen, die die Decken dieser Wandelgänge trugen. Bei einer von ihnen gelang es dem Kaiser und Pollux, festen Fuß zu fassen und Atem zu schöpfen.

Die erste Sorge Hadrians galt dem Lieblinge, und weil er sich selbst scheute, sich von neuem unter die Menge zu mischen, gebot er dem Bildhauer, ihn zu suchen und ihn zu ihm zurückzuführen.

»Willst du mich hier erwarten?« fragte Pollux.

»Ich kenne behaglichere Aufenthaltsorte,« seufzte Hadrian.

»Ich auch,« entgegnete der Künstler. »Aber die hohe, mit Pappel- und Efeulaub umkränzte Tür da drüben führt in das Haus eines Garkochs, bei dem sich's die Götter selbst wohl sein lassen können.«

»So bleibe ich dort.«

»Aber ich warne dich, viel zu verzehren; denn die olympische Tafel des Korinthers Lykortas ist das teuerste Wirtshaus in der ganzen Stadt. Nur die großen Geldsäcke sind seine Gäste.«

»Schon gut,« lachte Hadrian. »Schaff nur meinem Gehilfen eine neue Maske und bring ihn mir wieder. Es macht mich dann wohl nicht arm, wenn ich für uns drei eine Mahlzeit bezahle. Am Fest des Dionysus darf schon etwas draufgehen.«

»Wenn's dich nur nicht reut,« entgegnete der Bildhauer. »So ein langer wie ich stellt seinen Mann beim Mischkrug und hinter den Schüsseln.«

»Zeige nur, was du vermagst,« rief der Kaiser dem Forteilenden nach. »Ich schulde dir ohnehin noch eine Mahlzeit für das Kohlgericht deiner Mutter.«

Während Pollux den Bithynier in der Nähe des Paneums suchte, trat der Kaiser in das vornehmste Wirtshaus der wegen der Kunst ihrer Köche berühmten Stadt.

Der Raum, in dem die meisten Besucher dieses Hauses speisten, bestand aus einem weiten, offenen Hofe, der auf drei seiner Seiten von bedeckten und an den Hinterseiten verschlossenen Säulenhallen umgeben war. In diesen standen Ruhebetten, auf denen die Gäste einzeln. paarweis oder in größeren Gruppen lagen und den Gerichten und Getränken zusprachen, die die bedienenden Sklaven, hübsche Knaben mit lockigem Haar und schönen Gewändern, auf kleine, niedrige Tischchen stellten.

Hier ging es laut und lustig her, da gab sich ein Feinschmecker schweigend dem Genuß von sorgsam bereiteten Leckerbissen hin; dort drüben der große Kreis von tafelnden Männern schien weit eifriger zu reden als zu essen oder zu trinken, und aus manchem an die Hinterwände der Säulenhallen grenzenden Nebenzimmer tönte Musik und Gesang und das ausgelassene Gelächter von Männern und Frauen.

Der Kaiser verlangte ein eigenes Zimmer, doch waren alle bereits vergeben, und man bat ihn, ein wenig zu warten; denn eines der Nebengemächer sollte bald frei werden.

Er hatte die Maske abgenommen, und obgleich er kaum ernstlich zu fürchten brauchte, in seiner Verkleidung erkannt zu werden, wählte er doch ein von einem breiten Pfeiler geschütztes Lager in der an der Hinterseite des Hofes gelegenen Halle, die der hereinbrechende Abend bereits zu verdunkeln begann.

Dort ließ er sich zuerst Wein und einige Austern als Imbiß reichen. Während er sie verzehrte, rief er einen der oberen Aufwärter zu sich heran und verhandelte mit ihm über die Mahlzeit, die für ihn und seine beiden Gäste in kurzer Zeit aufgetragen werden sollte.

Während dieses Gespräches machte der geschäftige Wirt dem neuen Gaste seine Aufwartung, und als er sah, daß er es mit einem in allen Genüssen der Tafel wohlbewanderten Herrn zu tun habe, blieb er bei ihm und ging auf die vielen Erkundigungen Hadrians mit höflicher Beflissenheit ein.

In dem von Hallen umgebenen Hofe gab es auch mancherlei zu sehen, das die Fragelust des neugierigsten und wissensdurstigsten Mannes seiner Zeit anregen mußte.

Vor den Augen der Gäste wurden in dem weiten Raume auf Rosten und Herden, an Spießen und in Backöfen die Speisen hergestellt, die man bei den dienenden Sklaven bestellte.

Auf großen, sauberen Tischen bereiteten die Köche ihre Werke vor, und der durch Seile abgegrenzte, allen Blicken offenstehende Schauplatz ihrer Tätigkeit war rings von einem kleinen, aber nur mit den auserlesensten Waren besetzten Markte umgeben.

In zierlicher Anordnung waren hier alle Gemüsearten, die der ägyptische und griechische Boden erzeugte, dort tadellose Früchte von jeder Farbe und Größe, an einer anderen Stelle fertig gebackene, goldgelb schimmernde Pastetchen aufgestellt. Die mit Fleisch, Fischen und kanopischen Muscheln gefüllten waren in Alexandria selbst verfertigt worden, andere, die Früchte und Blumenblätter enthielten, stammten aus Arsinoe am Mörissee, in dessen Umgebung mit dem besten Erfolg Obstzucht und Kunstgärtnerei betrieben wurde. Fleischwaren jeder Art lagen und hingen an einer besonderen Stelle. Da gab es saftige Schinken aus Kyrene, italienische Würste und rohe Teile von geschlachteten Tieren zu sehen. Daneben lag und hing Wild und Geflügel in reicher Auswahl, und einen besonders großen Raum des Hofes nahmen die Wasserbehälter ein, in denen die edelsten geschuppten Bewohner des Nils und der Landseen im nördlichen Ägypten sowie kostbare Muränen und andere Fische von italienischer Zucht umherschwammen. Alexandrinische Krebse, Muscheln, Austern und Langusten von Kanopus und Klysma wurden in besonderen Becken frisch erhalten. Die geräucherte Ware von Mendes und der Mörisseegegend hing an metallenen Stäben, und in einem bedeckten, aber luftigen Raume lagen, vor der Sonne geschützt, frischgefangene Fische aus dem Mittelländischen und Roten Meere.

Jedem Gast der »olympischen Tafel« war es gestattet, hier das Fleisch, das Obst, die Spargeln, Fische oder Pastetchen, die er zubereitet zu haben wünschte, selbst auszusuchen.

Der Wirt Lykortas zeigte dem Kaiser einen älteren Herrn, der in dem mit manchem hübsch geordneten Stilleben geschmückten Hofe die Rohstoffe zu dem Gastmahle aussuchte, das er den Freunden am Abend dieses Tages zu geben wünschte.

»Alles schön, alles vortrefflich,« sagte Hadrian, »aber die Mücken und Fliegen, die die Herrlichkeiten dort unten anziehen, sind unerträglich. Auch der starke Speisegeruch verdirbt mir die Freude am Essen.«

»In den Seitengemächern,« sagte der Wirt, »ist es besser. In dem für dich bestimmten rüstet man sich bereits zum Aufbruch. Hier hinten bewirten die Sophisten Demetrius und Pankrates von hier einige große Herren aus Rom, Rhetoren, Philosophen oder dergleichen. Nun bringen sie schon die ersten Lampen, und sie tafeln und streiten sich da drin seit dem Frühstück. Da treten die Gäste aus dem Nebengemache. – Willst du es haben?«

»Ja,« entgegnete der Kaiser. »Wenn ein großer junger Mann nach dem Architekten Claudius Venator aus Rom fragt, führe ihn zu mir.«

»Also ein Baumeister und kein Sophist oder Rhetor,« sagte der Aufwärter, indem er den Kaiser aufmerksam ansah.

»Silen – ein Philosoph!«

»Oh, die beiden schreienden Freunde da vorn gehen auch an anderen Tagen nackt und mit zerrissenen Mänteln auf den mageren Schultern einher. Heute lassen sie sich von dem reichen Josephus füttern.«

»Josephus? Das muß ein Jude sein, und da schneidet er tapfer in den Schinken.«

»Es gäbe mehr Schweine in Kyrene, wenn die Israeliten nicht wären! Sie sind griechisch wie wir und essen, was gut schmeckt.«

Hadrian trat in das freigewordene Gemach, legte sich auf das an der Wand des Nebenzimmers stehende Polster und trieb die Sklaven, die das von den Vorgängern benützte und von Fliegen umschwärmte Speisegerät abräumten, zur Eile an. Sobald er allein war, lauschte er auf das Gespräch, das Favorinus, Florus und ihre griechischen Gastfreunde miteinander führten.

Er kannte die beiden ersteren gut, und seinem scharfen Ohre ging kein Wort ihrer lebhaften Unterhaltung verloren.

Favorinus lobte mit hoher Stimme, aber in schön fließendem, geschmackvoll betontem Griechisch die Alexandriner.

Er war aus Arelas in Gallien gebürtig; doch keinem Hellenen konnte die Sprache des Demosthenes reiner von den Lippen fließen.

Die auf sich selbst gestellten, scharfen und betriebsamen Bewohner der afrikanischen Weltstadt waren ihm um vieles lieber als die Athener. Diese lebten nur noch von der Vergangenheit, die Alexandriner aber durften sich ihrer Gegenwart freuen. Hier lebte noch unabhängiger Sinn; am Ilissus aber gab es nur Knechte, die mit dem Wissen Handel trieben, wie die Alexandriner mit den Waren Afrikas und den indischen Schätzen. Als er einmal bei Hadrian in Ungnade gefallen war, hatten die Athener seine Bildsäule umgestürzt. Die Gunst und Ungunst der Mächtigen standen ihnen höher als geistige Größe, schwerwiegende Leistungen und hohes Verdienst.

Florus stimmte dem Favorinus im ganzen bei und erklärte, daß Rom sich von dem geistigen Einfluß Athens befreien müsse; Favorinus aber gab dies nicht zu, erklärte, daß es jedem, der die erste Mannesreife überschritten habe, schwer werde, Neues zu lernen, und deutete damit spöttisch auf das berühmteste Werk des Tafelgenossen, in dem Florus die Geschichte Roms nach den vier Hauptabschnitten des Menschenlebens einzuteilen versucht, das Greisenalter vergessen und nur die Kindheit, Jugend und Mannesreife behandelt hatte. Favorinus warf ihm vor, wie sein Freund Fronto die Biegsamkeit des römischen Genius zu hoch anzuschlagen und die des hellenischen Geistes zu unterschätzen. Florus antwortete dem gallischen Redner mit tiefer Stimme derb und mit so schwungvollen Worten, daß der lauschende Kaiser ihm gern seinen Beifall bezeigt hätte und sich still die Frage vorlegen mußte, wie viele Becher sein schwer erregbarer Landsmann seit dem Frühstück getrunken haben mochte.

Als Florus zu erweisen versuchte, daß Rom unter der Regierung Hadrians auf dem Gipfel der Manneskraft stehe, unterbrach ihn sein Gastfreund Demetrius von Alexandria und bat ihn, ihm einiges über die Person des Kaisers zu erzählen.

Florus kam dieser Bitte willig nach und entwarf ein glänzendes Bild von der Regentenweisheit, dem Wissen und Können des Kaisers.

»Nur eins,« rief er lebhaft, »kann ich nicht billigen! Er ist zu wenig in Rom, das nun einmal das Herz der Welt ist. Alles muß er selbst schauen, und darum zieht er ruhelos durch die Provinzen. Ich möchte nicht mit ihm tauschen.«

»Diesem Gedanken hast du schon in Versen Ausdruck gegeben,« unterbrach ihn Favorinus.

»Ein Scherz beim Gastmahl. Ich laß es mir an der ›olympischen Tafel‹ dieses vortrefflichen Garkochs täglich gut sein, so lange ich in Alexandria bin und auf den Kaiser warte.«

»Wie lautet die Dichtung?« fragte Pankrates.

»Ich vergaß sie, und sie verdient kein besseres Los,« erwiderte Florus.

»Ich aber,« lachte der Gallier, »behielt wenigstens den Anfang. Die ersten Verse lauten, denk' ich, also:

Cäsar sein, das laß ich andern:
Um Britannien zu durchwandern
Und in Szythien einzuschnein,
Möcht' ich nimmer Cäsar sein.«

Hadrian schlug bei diesen Versen mit der Faust in die Linke, und während die Schmausenden Vermutungen austauschten, warum er so lange von Alexandria fernbleibe, nahm er das doppelte Schreibtäfelchen, das er stets mit sich führte, und ritzte die folgenden Verse rasch in das Wachs:

»Florus sein, das laß ich andern:
Denn die Kneipen zu durchwandern,
Sich beim Garkoch in Baracken, –
Wo uns fette Mücken zwacken,
Festzupflanzen, zu begraben,
Florus liebt's; ich mag's nicht haben.«Durch Spartian aufbewahrte Verse des Florus und Hadrian. Die Übersetzung des Verfassers schließt sich eng an die freilich nicht gereimten Originale.

Kaum hatte er diese Entgegnung, still vor sich hinschmunzelnd, vollendet, als ihm der Aufwärter den Bildhauer Pollux zuführte.

Der Künstler hatte Antinous nicht gefunden, sprach die Vermutung aus, daß der junge Mann wohl nach Hause gegangen sei, und bat dann den Kaiser, ihn nicht lange bei der Mahlzeit zurückzuhalten; denn er sei seinem Meister Papias begegnet, und dieser habe sich über sein langes Ausbleiben sehr unwillig gezeigt.

Hadrian machte sich nichts mehr aus der Gesellschaft des Künstlers. Die Unterhaltung im Nebenzimmer erschien ihm weit fesselnder als die des braven Burschen. Er wollte auch selbst früh aufbrechen; denn er fühlte sich beunruhigt. Antinous konnte wohl leicht den Weg auf die Lochias finden; doch Erinnerungen an die schlimmen Zeichen, die er in dieser Nacht am Himmel gesehen hatte, flogen wie Fledermäuse durch einen Festsaal, mitten in die Lust hinein, der er sich, um die freien Stunden, die er sich gönnte, auszugenießen, wieder und wieder hinzugeben versuchte.

Auch Pollux war nicht so unbefangen heiter wie sonst. Die lange Wanderung hatte ihn sehr hungrig gemacht, und er sprach den vortrefflichen Gerichten, die auf Befehl seines Wirtes schnell hintereinander aufgetragen wurden, so kräftig zu und leerte die Becher so fleißig, daß der Kaiser erstaunte; aber je mehr es für ihn zu bedenken gab, desto weniger kam er zum Reden.

Den Vorwürfen des Meisters war er, Pollux, vorhin damit entgegengetreten, daß er ihm kurz und rund und ohne zu erwägen, wie leicht es für ihn gewesen wäre, sich in Güte von ihm zu trennen, den Dienst gekündigt hatte. Nun stand er auf eigenen Füßen, und es drängte ihn, Arsinoe und den Eltern mitzuteilen, was er getan.

Während des Speisens kam ihm der Rat der Mutter in den Sinn, sich um die Gunst und Fürsprache des Baumeisters, dessen Gast er war, zu bemühen; aber er unterließ es, denn er war gewöhnt, alles sich selbst zu verdanken, und wenn er auch die geistige Überlegenheit des gewaltigen Mannes ihm gegenüber immer noch fühlte, hatte ihn sein Gang durch die Stadt dem Römer doch nicht näher gebracht. Zwischen ihm und dem rastlosen, neugierigen Graubart, der so viele Antworten verlangte, daß kein anderer zum Fragen Zeit behielt, und der, wenn er schwieg, so unnahbar tiefsinnig aussah, daß man ihn nicht zu stören wagte, erhob sich eine unübersteigbare Schranke. Der kecke Künstler hatte es dennoch zuweilen versucht, sie zu durchbrechen, aber sich jedesmal gleich darauf der üblen Empfindung, etwas Unschickliches getan zu haben, nicht zu entziehen vermocht. Er kam sich im Verkehr mit dem Baumeister vor wie ein recht stattlicher Hund, der mit einem Löwen spielt, und dies Spiel konnte zu nichts Gutem führen. So waren denn Gast und Wirt aus mancherlei Gründen zufrieden, als die letzte Schüssel abgetragen wurde.

Bevor Pollux das Gemach verließ, übergab ihm der Kaiser das Täfelchen mit den von ihm gedichteten Versen, und bat ihn schmunzelnd, es dem Torhüter des Cäsareums für den Römer Annäus Florus zu übergeben. Er trug dem Bildhauer noch einmal dringend auf, sich nach seinem jungen Freunde umzusehen und ihm, wenn er ihn auf der Lochias finden sollte, zu sagen, daß er, Claudius Venator, bald heimkehren würde.

Der Künstler ging seiner Wege.

Hadrian horchte noch eine Zeit lang auf das Gespräch in der Nebenkammer. Nachdem er eine Stunde lang vergebens auf eine neue Erwähnung seiner Person gewartet hatte, zahlte er die Zeche und trat in die festlich beleuchtete kanopische Straße. Dort mischte er sich unter die jubelnde Menge und suchte, langsam vorwärtsschreitend, mißmutig und beunruhigt den verschwundenen Liebling.


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