Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Achtes Kapitel

Titianus befahl dem Wagenlenker, sogleich nach der Lochias zu fahren. Der Weg führte an seiner auf dem Bruchium gelegenen Wohnung im Präfekturpalaste vorbei, und er ließ vor ihr halten; denn der Brief, den die Brustfalten seiner Toga verbargen, enthielt eine Nachricht, die ihm leicht in wenigen Stunden die Notwendigkeit auferlegen konnte, erst am folgenden Morgen nach Hause zu kommen.

Ohne sich von den Beamten, Offizieren und Liktoren aufhalten zu lassen, die auf seine Heimkehr warteten, um ihm Mitteilungen zu machen und Befehle einzuholen, durchschritt er die Vorräume und die weite Männerhalle, um seine Gattin in dem an den Garten der Präfektur grenzenden Frauensaale aufzusuchen.

Schon vor der Tür dieses Raumes konnte er die Gemahlin begrüßen; denn sie hatte die Schritte des Nahenden erkannt und war ihm entgegengegangen.

»So täuschte ich mich doch nicht,« rief die Matrone mit aufrichtiger Freude. »Wie schön, daß du dich diesmal so früh losmachen konntest! Ich hatte dich nicht vor dem Ende der Abendmahlzeit erwartet.«

»Ich komme auch nur, um zu gehen,« entgegnete Titianus, indem er das Gemach der Gattin betrat. »Laß mir ein Stück Brot und einen Becher mit gemischtem Wein reichen. Aber nein, da steht ja schon, was ich brauche, als hätt' ich's bestellt. Du hast recht, ich war diesmal weniger lange als sonst bei Sabina; aber sie tat das Ihre, in kurzer Zeit so viel saure Worte zusammenzudrängen, als hätten wir einen halben Tag miteinander verhandelt. In fünf Minuten verlass ich dich wieder, um wann? das wissen die Götter, zurückzukehren. Es wird mir schwer, es über die Lippen zu bringen, doch all unsere Mühe, unsere Sorge und Eile und die umsichtige Arbeit des armen Pontius ist vergebens gewesen.«

Bei dieser Klage warf der Präfekt sich in ein Polster; seine Gattin aber reichte ihm die Erfrischung, die er begehrt hatte, und sagte, indem sie ihm mit der Hand über den ergrauten Scheitel strich:

»Armer Mann! Hat sich Hadrian dennoch entschlossen, im Cäsareum zu wohnen?«

»Nein! Geh hinaus, Syra! Du wirst gleich sehen! Bitte, lies mir den Brief des Kaisers noch einmal vor. Da ist er.«

Julia, die Gattin des Präfekten, faltete den feinen Papyrus auseinander und begann:

»Hadrian seinem Freunde Titianus, dem Statthalter von Ägypten. Tiefstes Geheimnis! – Hadrian grüßt Titianus, wie er es seit Jahren so oft am Anfang widerwärtiger Geschäftsbriefe und nur mit halbem Herzen getan hat. Morgen hofft er indessen seinen lieben Jugendfreund und weisen Stellvertreter nicht nur mit ganzer Seele, sondern auch mit Hand und Mund begrüßen zu können. Und nun, um deutlicher zu sein, das Folgende: Ich komme schon morgen den fünfzehnten Dezember gegen Abend ganz allein mit Antinous, mit dem Sklaven Mastor und dem Geheimschreiber Phlegon nach Alexandria. Wir landen im kleinen Hafen an der Lochias, und mein Schiff wird an einem großen silbernen Stern am Schnabel kenntlich sein. Sollte es Nacht werden bis zu meiner Ankunft, werden dir drei rote Laternen an der Spitze des Mastes mitteilen, welcher Freund sich dir naht. Die gelehrten und witzigen Männer, die du mir entgegensandtest, um mich aufzuhalten und um mehr Zeit für die Herstellung des alten Nestes zu gewinnen, in dem es mich bei den Vögeln Minervas zu hausen gelüstet, die ihr hoffentlich noch nicht alle vertriebet, hab' ich heimgesandt, damit es Sabina und ihrem Troß nicht an Unterhaltung fehle und um die berühmten Herren nicht unnötig in der Arbeit zu stören. Ich brauche sie nicht. Wenn du es vielleicht dennoch nicht warst, der sie sandte, so bitt' ich dich um Vergebung. Freilich würde ein Irrtum in diesem Falle immerhin etwas Demütigendes in sich schließen; denn es ist leichter Geschehenes zu erklären, als Kommendes vorauszusehen. Oder sollte es sich umgekehrt verhalten? Ich werde die klugen Männer für die unnütze Reise entschädigen, indem ich im Museum mit ihnen und ihren Genossen über diese Frage disputiere. Dem Grammatiker, dem die Gelehrsamkeit aus jeder Haarspitze hervorsieht, und der mehr stillsitzt, als ihm gut ist, wird die schnelle Bewegung, zu der er sich um meinetwillen entschloß, das Leben verlängern. – Wir kommen in schlichter Kleidung und werden auf der Lochias schlafen. Du weißt, daß ich mehr als einmal auf der harten Erde geruht habe, und wenn es sein muß, ebenso gern auf einer Matte wie auf Polstern schlummere. Mein Kopfkissen folgt mir. Es ist mein großer Molosser, den du ja kennst. Ein Zimmerchen, in dem ich ungestört meine Aufzeichnungen für das folgende Jahr vornehmen kann, wird sich ja finden. Ich ersuche dich, mein Geheimnis sorgsam zu hüten. Keiner und keine, ich bitte dich so dringend, wie ich als Freund und Kaiser nur immer zu bitten vermag, darf von meiner Ankunft das geringste erfahren. Auch nicht die kleinste Vorbereitung soll verraten, wen du empfängst. Meinem lieben Titianus kann ich nichts befehlen, aber ich lege ihm noch einmal ans Herz, meinen Wunsch zu erfüllen. – Wie freue ich mich, dich wiederzusehen, und welche Lust wird mir der Wirrwarr bereiten, den ich auf der Lochias zu finden hoffe. Bei den Künstlern, von denen es jetzt gewiß in dem alten Schlosse wimmelt, führst du mich als den Baumeister Claudius Venator aus Rom ein, der dem Pontius mit seinem Rate zur Seite stehen soll. – Dieser Pontius, der für Herodes Atticus so schöne Bauten ausführte, ist mir bei dem reichen Sophisten begegnet. – Er wird mich sicher wiedererkennen. Teile ihm also mit, was ich vorhabe. Er ist ein ernster, zuverlässiger Mann, kein Schwätzer oder windiger Tropf, der sich selbst vergißt. Ziehe ihn also mit ins Geheimnis, aber erst wenn mein Fahrzeug in Sicht ist. Mag es dir wohl ergehen.«

»Nun, was sagst du?« fragte Titianus, indem er der Gattin den Brief aus der Hand nahm. »Ist das nicht mehr als verdrießlich? Unser Werk war so köstlich im Gange.«

»Aber,« entgegnete Julia bedächtig und mit einem klugen Lächeln, »vielleicht wäret ihr doch nicht fertig geworden. Wie die Dinge jetzt liegen, braucht ihr es gar nicht zu sein, und Hadrian sieht jedenfalls den guten Willen. Ich freue mich über diesen Brief, denn er nimmt dir eine schwere Verantwortung von den ohnehin überlasteten Schultern.«

»Du siehst immer das Rechte,« rief der Präfekt. »Es ist gut, daß ich herkam; denn ich erwarte jetzt den Kaiser mit viel leichterem Herzen. Laß mich den Brief verschließen, und nun lebe wohl. Dieser Abschied gilt dir auf viele Stunden und meiner Ruhe auf eine lange Reihe von Tagen.«

Titianus reichte der Gattin die Hand.

Sie hielt sie fest und sagte:

»Bevor du gehst, muß ich dir gestehen, daß ich sehr stolz bin.«

»Das ist dein Recht.«

»Du hast mich mit keinem Wort zu schweigen gebeten.«

»Weil du deine Proben bestanden. Aber freilich, auch du bist ein Weib, und noch dazu ein sehr schönes.«

»Eine alte Großmutter mit ergrauendem Haar!«

»Und doch noch immer stattlicher und reicher an Anmut – als tausend viel bewunderte junge.«

»Du willst mich zwingen, in meinen alten Tagen den Stolz mit der Eitelkeit zu vertauschen.«

»Nein, nein! Ich sah dich nur, wie unser Gespräch das mit sich brachte, mit prüfenden Augen an und dachte an Sabinas Seufzer, die schöne Julia sähe nicht gut aus. Aber wo gibt es denn ein anderes Weib in deinem Alter mit solcher Haltung, mit so faltenlosen Zügen, mit einer so reinen Stirn, so tiefen und guten Augen, so wundervoll gemeißelten Armen . . .«

»Schweig doch,« rief Julia, »du machst mich erröten.«

»Soll mich's nicht freuen, daß dies einer Großmutter aus Rom, die mein Weib ist, so leicht wird? Du bist ganz anders als die anderen Frauen.«

»Weil du anders bist als die anderen Männer.«

»Schmeichlerin; seitdem die Kinder alle fort sind, ist es, als fingen wir unsere Ehe von vorn an.«

»Die Zankäpfel fehlen im Hause.«

»Für das Liebste gerät man allerdings am leichtesten in Eifer. Aber nun noch einmal, lebe wohl!«

Titianus küßte die Stirn seiner Gattin und eilte der Tür zu; Julia aber rief ihn zurück und sagte:

»Etwas kann man doch für den Kaiser tun. Ich sende dem Baumeister täglich eine Mahlzeit auf die Lochias. Heute soll sie dreimal so reichlich ausfallen als sonst.«

»Vortrefflich.«

»Auf ein glückliches Wiedersehen!«

»Wenn es die Götter und der Kaiser uns gönnen.«


Als der Präfekt an der bezeichneten Stelle anlangte, war kein Schiff mit einem silbernen Sterne zu sehen.

Die Sonne ging unter, und kein Fahrzeug mit drei roten Laternen wollte sich zeigen.

Der Hafenvorsteher, in dessen Haus Titianus getreten war, und dem er mitteilte, daß er einen großen Baumeister aus Rom, der Pontius mit seinem Rat bei den Arbeiten auf der Lochias beistehen sollte, erwarte, fand die Ehre, die der Statthalter dem fremden Künstler erwies, begreiflich; die ganze Stadt wußte ja schon, mit welch unerhörter Eile und mit dem Aufgebot wie großer Mittel der alte Ptolemäerpalast als Wohnung für den Kaiser hergestellt werde.

Während des Wartens dachte Titianus an den jungen Bildhauer Pollux, den er kennen gelernt hatte, und an seine Mutter in dem freundlichen Torwärterhäuschen.

Wohlgesinnt, wie er war, schickte er sogleich zu der alten Doris und ließ sie ersuchen, sie möge sich diesen Abend nicht zur Ruhe begeben; denn er, der Präfekt, käme noch spät auf die Lochias.

»Sage der Frau von deiner Seite, nicht von der meinen,« befahl Titianus dem Boten, »daß ich vielleicht bei ihr eintreten würde. Sie mag ihr Stübchen gut beleuchten und in Ordnung halten.«

Auf der Lochias ahnte niemand etwas von der Ehre, die dem alten Palast bevorstand.

Nachdem Verus mit seiner Gattin und Balbilla ihn verlassen und der Bildhauer Pollux wieder eine Stunde lang tätig gewesen war, trat er aus seinem Gehege heraus, reckte die Arme und rief dem auf einem Gerüst stehenden Baumeister Pontius zu:

»Ich muß mich ausruhen oder etwas Neues vornehmen. Das eine bewahrt mich so gut vor Müdigkeit wie das andere. Geht es dir auch so?«

»Genau so,« entgegnete der Gefragte und leitete weiter die Arbeit der Bausklaven, die ein neues korinthisches Säulenkapital an die Stelle eines alten zerbrochenen zu setzen hatten.

»Laß dich nicht stören,« rief Pollux wieder hinauf. »Ich will dich nur bitten, meinem Meister Papias, wenn er mit dem Antiquitätenhändler Gabinus herkommt, zu sagen, er fände mich auf dem Rundell, das du gestern mit mir ansahst. Ich setze der Berenice den neuen Kopf auf. Mein Lehrjunge müßte mit den Vorarbeiten längst fertig sein, doch der Schlingel kam mit zwei linken Händen zur Welt, und weil er das eine Auge verwirft, kommt ihm alles Gerade schief vor und nach den Gesetzen der Optik das Schiefe gerade. Er hat den Holzstift, der den neuen Kopf halten soll, jedenfalls schräg in den Hals hineingetrieben, und da kein Historiker mitteilt, daß Berenice jemals den Kopf schief trug wie der alte Farbenreiber da hinten, muß ich schon selbst nach dem Rechten sehen. In einer halben Stunde, denk' ich, wird die kluge Königin nicht mehr zu den kopflosen Frauen gehören.«

»Wo hast du das neue Haupt her?« fragte Pontius.

»Aus dem geheimen Archiv meiner Erinnerungsköpfe,« versetzte Pollux. »Hast du es gesehen?«

»Ja.«

»Gefällt es dir?«

»Sehr.«

»Dann ist es wert, daß es lebe,« sang der Bildhauer und verließ die Halle. Dabei winkte er dem Baumeister mit der Linken und steckte mit der Rechten eine Nelke, die er am Morgen von einem der Blumenstöcke im Hause seiner Mutter gebrochen, hinter das Ohr.

Auf dem Rundell hatte der Lehrling seine Sache besser gemacht, als sein Meister es erwartet; mit seinen eigenen Anordnungen war Pollux indes keineswegs zufrieden. Sein Werk mußte nun wie viele andere auf der gleichen Seite der Plattform stehende Büsten dem Altan des Palastverwalters den Rücken zukehren, und doch hatte er sich nur von dem ihm so lieben Porträtkopfe der Mutter Selenens getrennt, damit seine Spielgefährtin ihm zu jeder beliebigen Stunde ins Gesicht sehen könnte.

Zu seiner Beruhigung fand er, daß die Büsten nur durch ihre eigene Schwere auf den hohen Postamenten festgehalten wurden, und so beschloß er denn, die geschichtliche Ordnung der Frauenköpfe zu unterbrechen, eine Umstellung vorzunehmen und die berühmte Kleopatra dem Hause den Rücken kehren zu lassen, damit sein Lieblingskopf es anschauen könne.

Um dies Vorhaben sogleich zur Ausführung zu bringen, rief er einige Sklaven heran und ließ sich von ihnen bei dem Umtausche helfen.

Dabei erscholl mehr als ein mahnender Ruf, und das laute Reden und Befehlen an dieser seit Jahren vereinsamten Stelle lockte eine Neugierige herbei, die sich, schon kurz nachdem der Lehrling die Arbeit begonnen, auf dem Altan der Verwalterswohnung gezeigt hatte, aber rasch wieder zurückgetreten war, nachdem sie den garstigen, über und über mit Gips befleckten Burschen erblickt hatte.

Diesmal blieb sie stehen und folgte jeder Bewegung des die Sklaven leitenden Pollux, der ihr indessen bei allem, was er vornahm, den Rücken zukehrte.

Jetzt hatte der gegen die Abdrücke der Arbeiterhände mit einem Tuche verwahrte Porträtkopf den rechten Platz gefunden.

Aufatmend drehte der Künstler sich um und wandte dem Verwalterhause sein volles Antlitz zu, und sogleich rief eine helle, heitere Frauenstimme:

»Der lange Pollux! Wahrhaftig, es ist der lange Pollux! Wie mich das freut!«

Dabei klatschte das Mädchen auf dem Altane laut und froh in die Hände, und als der Bildhauer winkte und ihr zurief: »Die kleine Arsinoe bist du! – Ewige Götter, was ist aus dem kleinen Dinge geworden!« stellte sie sich auf die Zehen, um recht groß zu erscheinen, nickte ihm freundlich zu und lachte hinunter:

»Ich bin mit dem Wachsen noch nicht einmal fertig, aber du, du siehst ordentlich ehrwürdig aus mit dem Bart am Kinn und der Adlernase. Selene vertraute mir erst heute, daß du da drin mit den andern dein Wesen triebest.«

Des Künstlers Augen hingen wie gebannt an dem Mädchen.

Es gibt Dichternaturen, deren Einbildungskraft das ungewöhnliche, was sie erblicken oder erleben, schnell in eine Geschichte verwandeln, oder in eine rasch sich bildende Reihe von Versen verweben, und wie viele seines Berufes, konnte auch Pollux keinem schönen Menschengebilde mit den Augen begegnen, ohne es sogleich mit seiner Kunst in Verbindung zu bringen.

Eine Galatea, eine Galatea sondergleichen, dachte er, während sein Blick sich an Arsinoes Gestalt und Antlitz heftete. Als wäre sie vor einer Sekunde dem Meere entstiegen, so frisch, so froh, so gesund steht diese Gestalt da. Und wie die kleinen Locken von der Stirn aufstreben, als schwämmen sie noch auf dem Wasser. Nun biegt sie sich grüßend niederwärts. Wie rund ist jede Bewegung! Es ist, als schmiege sich die Tochter des Nereus an die zum Wellenberg sich erhebende und sich zum Wellental niederwärts neigende Woge. Sie sieht Selene und ihrer Mutter in der Form des Kopfes und dem griechischen Schnitt des Gesichtes ähnlich, aber die ältere Schwester gleicht einem Prometheusbilde, bevor es beseelt ward, und Arsinoe demselben Meisterwerke, nachdem sich das himmlische Feuer in seine Adern ergoß.

In wenigen Sekunden hatte der Künstler das alles gefühlt und gedacht, dem Mädchen aber dauerte das Schweigen ihres stummen Bewunderers zu lange, und ungeduldig rief es:

»Du hast mich noch gar nicht recht begrüßt. Was machst du da unten?«

»Sieh her,« versetzte er munter und zog das Tuch von dem wohlgetroffenen Bildwerke.

Arsinoe beugte sich weit über die Brüstung des Altans, beschattete die Augen mit der Hand und schwieg länger als eine Minute.

Dann schrie sie plötzlich laut auf, und mit dem Rufe: »Die Mutter! die Mutter!« eilte sie in das Zimmer zurück.

Jetzt ruft sie ihren Vater und wird der armen Selene die Freude verderben, dachte Pollux, während er den schweren Marmorsockel, den sein Gipskopf krönte, zurechtrückte. Mag er nun kommen! Jetzt haben wir hier zu gebieten, und an des Kaisers Eigentum darf Keraunus nicht rühren.

Mit gekreuzten Armen stellte er sich dann der Büste gegenüber und murmelte vor sich hin:

»Flickwerk, erbärmliches Flickwerk! Aus lauter Lappen stümpern wir ein Kleid für den Kaiser zusammen; Tapezierer sind wir hier oben und keine Künstler. Wär's nicht für Hadrian, für Diotima und ihre Kinder, keinen Finger rührt' ich hier weiter!«

Aus der Wohnung des Verwalters leitete der Weg durch Gänge und über einige Treppen zu dem Rundell, auf dem der Bildhauer stand; und doch hatte es Arsinoe, nachdem sie von dem Altan verschwunden war, in nicht viel länger als einer Minute erreicht.

Mit geröteten Wangen drängte sie den Bildhauer von seinem Werke zurück und stellte sich auf den Platz, auf dem er gestanden, um fort und fort in die geliebten Züge zu schauen. Dann rief sie:

»Die Mutter, die Mutter!«

Dabei liefen ihr helle Tränen über die Wangen, und sie kümmerte sich weder um den Künstler, noch um die Arbeiter und Sklaven, an denen sie vorbeigeeilt war und die sie so ängstlich anstarrten, als wäre sie von Dämonen besessen.

Pollux störte sie nicht.

Ihm wurde weich ums Herz, als er die Zähren sah, die über die Wangen dieses heiteren Kindes rannen, und er dachte dabei, es verlohne sich doch gut zu sein, wenn man dafür so lange dauernde und warme Liebe ernte, wie die arme, verstorbene Frau dort auf dem Postamente.

Nachdem Arsinoe lange Zeit das Werk des Bildhauers betrachtet hatte, ward sie ruhiger, wandte sich zu Pollux und fragte:

»Hast du das gemacht?«

»Ja,« entgegnete er und schlug die Augen nieder.

»Und ganz aus dem Gedächtnis?«

»Ja doch!«

»Weißt du was?«

»Nun?«

»Dann hatte die Seherin beim Adionsfeste recht, als sie im Jalemus sang, das halbe Werk eines Künstlers machten die Götter.«

»Arsinoe!« rief Pollux, dem es bei diesen Worten zumute war, als ergieße sich ein heißer Quell in sein Herz, und erfaßte dankbar ihre Hand; sie aber entzog sie ihm; denn ihre Schwester Selena war auf den Altan getreten und rief sie.

Pollux hatte für die ältere Jugendgespielin und nicht für Arsinoe sein Werk aufgestellt, und nun wirkte der Anblick Selenes doch erkältend und störend auf seine bewegte Seele.

»Da steht das Bild deiner Mutter,« rief er in erklärendem Ton, indem er auf die Büste wies, zu dem Altane hinauf.

»Ich seh' es,« entgegnete sie kühl. »Nachher will ich es näher betrachten. Komm herauf, Arsinoe, der Vater will mit dir reden.«

Pollux stand wieder allein.

Als Selene in ihr Zimmer zurücktrat, schüttelte sie leise das blasse Haupt und murmelte:

»Für mich sollte es sein, hatte Pollux gesagt; einmal etwas für mich, und auch diese Freude verdorben!«


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