Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Dreiunddreißigstes Kapitel

An einer völlig dunklen Stelle bei der Mauer des Gartens der Witwe des Pudens stand der zynische Philosoph, der Antinous so unfreundlich begegnet war, und verantwortete sich leise und eifrig gegen die Vorwürfe eines anderen Mannes, der wie er selbst, mit einem zerrissenen Mantel bekleidet war, einen Bettelsack trug und zu seinen Genossen zu gehören schien.

»Leugne es nicht,« sagte dieser, »daß du dich zu den Christen hältst.«

»Aber höre mich doch,« bat der andere dringend.

»Ich brauche nichts zu hören; denn ich sehe nun schon zum zehnten Male, daß du dich zu ihren Versammlungen schleichst.«

»Leugne ich es denn? Bekenne ich denn nicht offen, daß ich die Wahrheit überall suche, wo ich auch nur einen Schimmer von Hoffnung sehe, sie zu finden?«

»Wie der Ägypter, der den Wunderfisch fangen wollte und die Angel zuletzt auch in den Sand warf.«

»Der Mann handelte verständig.«

»Sieh einer.«

»Ein Wunderding findet sich eben nicht da, wo alle es suchen. Bei der Jagd nach der Wahrheit darf man auch den Sumpf nicht scheuen.«

»Und die Christenlehre ist wahrscheinlich solch ein schlammiges Dickicht.«

»Meinetwegen nenne sie so.«

»Dann nimm dich in acht, daß du nicht in dem Moraste stecken bleibst.«

»Ich werde mich hüten.«

»Du sagtest neulich, es wären auch gute Leute darunter.«

»Einige wohl. Aber die anderen! Ewige Götter! Lauter Sklaven, Bettler, verarmte Handwerker, geringes Volk, ungeschulte, unphilosophische Köpfe und darunter Weiber die Menge.«

»So meide sie doch!«

»Das solltest du mir am letzten raten.«

»Wie meinst du das?«

Der andere drängte sich näher an den Genossen und fragte ihn flüsternd:

»Woher denkst du denn, daß ich das Geld nehme, mit dem ich unser Essen und unsere Wohnung bezahle?«

»So lange du es nicht stiehlst, kann es mir gleich sein.«

»Wenn es mir ausgeht, wirst du schon danach fragen.«

»Gewiß nicht. Wir ringen nach Tugend und sollen alles tun, um uns von der Natur und ihren Anforderungen unabhängig zu machen. Aber freilich, manchmal verlangt sie ihr Recht. So rücke denn heraus mit der Sprache. Woher nimmst du das Geld?«

»Denen da drinnen brennt es im Beutel. Ärmere zu beschenken ist ihre Pflicht und wahrhaftig auch ihr Vergnügen. So geben sie mir denn Woche für Woche einige Drachmen für meinen notleidenden Bruder.«

»Pfui, du bist ja der einzige Sohn deines verstorbenen Vaters.«

»›Alle Menschen sind Brüder‹, sagen die Christen, folglich darf ich dich, ohne zu lügen, den meinigen nennen.«

»Geh denn meinetwegen hinein,« lachte der andere und gab dem Genossen einen Stoß an die Schulter. »Wie wär's, wenn ich dir zu den Christen folgte? Vielleicht geben sie mir auch für meinen hungernden Bruder ein Wochengeld, und dann können wir doppelte Mahlzeiten halten.«

Die Zyniker lachten laut auf und trennten sich. Der eine ging in die Stadt zurück, der andere in den Garten der christlichen Witwe.

Arsinoe hatte ihn schon vor dem unredlichen Philosophen betreten und sich, ohne von dem Torhüter aufgehalten zu werden, in das Haus Frau Hannas begeben.

Je näher sie ihrem Ziele gekommen war, desto eifriger hatte sie nachzudenken versucht, in welcher Weise sie, ohne die kranke Schwester zu erschrecken, sie von den furchtbaren Dingen unterrichten sollte, die sie ja doch einmal erfahren mußte. Ihre Angst war nicht viel geringer als ihr Kummer.

Wenn sie sich der letzten Tage und der mancherlei Vorfälle, die sie mit sich gebracht, erinnerte, wollte es ihr scheinen, als wäre sie die Ursache des Unglücks der Ihren.

Auf dem Wege zu Selene konnte sie keine Träne vergießen, aber sie mußte oftmals leise vor sich hin wimmern. Eine Frau, die eine Zeit lang neben ihr her gegangen war, hatte gemeint, sie müsse heftige Körperschmerzen empfinden, und als das Mädchen an ihr vorübergeschritten war, ihm mit aufrichtigem Bedauern nachgeschaut; das Wimmern des einsamen jugendlichen Geschöpfs hatte gar so kläglich geklungen.

Einmal war Arsinoe in der Mitte des Weges stehen geblieben, und hatte, statt umzukehren und Selene um Rat zu fragen, Pollux um Hilfe bitten wollen. Der Gedanke an den Geliebten drängte sich fortwährend in ihr Leid und in ihre Sorgen, in die Vorwürfe, die sie sich machte, und in die in der Luft schwebenden, verschwommenen Pläne, die ihr an ernstes Nachdenken ganz ungewohnter Kopf für die Zukunft zu entwerfen versuchte.

Er war gut und gewiß zu helfen bereit; aber mädchenhafte Scheu hielt sie ab, ihn so spät aufzusuchen, und wie hätte sie ihn und seine Eltern auch finden können?

Der Aufenthaltsort ihrer Schwester war ihr wohlbekannt, und niemand konnte ihre Lage besser beurteilen und besonneneren Rat geben als die kluge Selene.

So war sie denn nicht umgekehrt, sondern hatte sich beeilt, ihr Ziel möglichst schnell zu erreichen, und stand nun vor dem Häuschen im Garten.

Bevor sie die Tür öffnete, überlegte sie von neuem, in welcher Weise sie Selene vorbereiten und ihr das Schreckliche eröffnen sollte. Dabei trat ihr das Geschehene mit voller Lebhaftigkeit vor die Seele, und sie mußte wiederum weinen.

Vor und nach ihr zogen einzeln, zu zweien oder auch in größeren Gruppen, Männer und verhüllte Frauen in den Garten der Witwe des Pudens.

Sie kamen aus Werkstätten und Schreibstuben, aus kleinen Häusern in nahen Gassen und aus den allergrößten und glänzendsten in der Hauptstraße. Jeder von ihnen, der wohlhabende Kaufherr wie der Sklave, der kaum den rauhen Kittel oder den ärmlichen Schurz, den er trug, sein eigen nannte, ging ernst und mit einer gewissen Würde einher. Wer hinter dem Tor einem anderen begegnete, begrüßte ihn wie einen Freund. Der Herr gab dem Knecht, der Sklave dem Gebieter den Bruderkuß; denn die Gemeinde, zu der sie alle gehörten, war wie ein einziger vom Geiste Christi beseelter Leib, an dem jedes Glied dem andern gleich geachtet werden sollte, so verschieden auch die Gaben des Geistes und Körpers und der weltliche Besitz sein mochten, mit denen sie ausgestattet waren.

Vor Gott und dem Heiland stand der reiche Schiffsherr und der graubärtige weise Gelehrte nicht höher als die schuhlose Witwe und der unwissende, lahm geschlagene Sklave.

Dennoch beugten sich die Mitglieder dieser Gemeinde weit tiefer vor dem einen als vor dem anderen; denn die besonderen Gaben, die bevorzugte Christen schmückten, waren Gnadengeschenke des Herrn, die als solche gern anerkannt wurden und, wenn sie sich auf den inneren Menschen bezogen, verehrungswürdig erschienen.

Am Sonntag, dem Tage der Auferstehung des Heilands, pflegten die Christen ohne Ausnahme ihre Versammlungsorte zum Gottesdienst zu besuchen.

Heute am Mittwoch kam, wer konnte und mochte, zum Liebesmahl in das Landhaus Paulinas. Sie selbst wohnte in der Stadt und hatte den mehrere hundert Menschen fassenden Festsaal in ihrer Villa den Glaubensgenossen aus ihrem Stadtviertel zur Verfügung gestellt.

Der eigentliche Gottesdienst wurde am Morgen abgehalten.

Nach der Arbeit des Tages vereinten sich die Christen am gleichen Tische, um gemeinsam zu speisen oder – zu anderen Zeiten – um das Abendmahl zu genießen. Nach Sonnenuntergang traten auch die Ältesten, Diakonen und Diakonissinnen der Gemeinde, von denen die meisten, so lang es hell war, weltlichen Berufsarbeiten obliegen mußten, zu Beratungen zusammen.

Pauline, die Witwe des Pudens, die Schwester des Baumeisters Pontius, war eine reich begüterte Frau und dabei eine vorsichtige Haushälterin, die sich nicht für berechtigt hielt, ihres Sohnes Erbteil erheblich zu schmälern. Dieser Sohn weilte als Teilhaber an dem Geschäft eines Oheims in Smyrna und vermied Alexandria, weil er den Verkehr seiner Mutter mit den Christen nicht liebte. Paulina hütete sich ängstlich, ihr für ihn bestimmtes Kapital anzugreifen und ließ sich die Bewirtung ihrer Glaubensgenossen nicht mehr kosten als die anderen reichen Mitglieder des Kreises, der sich in ihrem Hause vereinigte. Die Wohlhabenden brachten mehr mit, als sie für sich selbst bedurften, die Ärmeren waren stets willkommene Gäste und fühlten sich nicht gedrückt von der Wohltat, die sie genossen; denn oftmals wurde ihnen gesagt, ihr Wirt sei nicht ein Mensch, sondern der Heiland, der jeden, der ihm gläubig folge, zu Gaste rufe.

Für Frau Hanna nahte die Stunde, die sie in die Versammlung ihrer Glaubensgenossen rief.

Sie durfte nicht fehlen; denn sie gehörte zu den mit der Verteilung der Almosen und mit der Krankenpflege betrauten Diakonissinnen.

Geräuschlos rüstete sie sich zum Aufbruch, stellte die Lampe behutsam hinter den Wasserkrug, damit sie Selene nicht blende, und empfahl Maria, der Kranken pünktlich Arznei zu reichen.

Sie wußte, daß ihr Pflegling gestern versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, und ahnte den Grund dieser Tat; aber sie fragte sie nicht aus und störte das Mädchen, das viel schlief und mit offenen Augen träumte, so wenig wie möglich.

Der alte Arzt bewunderte ihre gute Natur; denn das Fieber war seit dem Sturze ins Wasser verschwunden, und mit dem verletzten Bein ging es nur wenig schlechter.

Hanna konnte das Beste für Selene hoffen, wenn kein unvorhergesehener Zwischenfall ihre Genesung aufhielt. Um einen solchen zu verhüten, durfte die Unglückliche niemals allein gelassen werden, und Maria war gern zu der Freundin gezogen, um sie zu vertreten, so oft sie das Haus verlassen mußte.

Die Versammlung der Ältesten und Armenpfleger hatte schon begonnen, als Frau Hanna die Schreibtafel in die Hand nahm, auf der alles verzeichnet stand, was sie von der ihr anvertrauten Summe in der letzten Woche an Bedürftige verteilt hatte. Sie grüßte die Kranke und Maria mit einem freundlichen Blick und flüsterte dieser zu:

»Ich gedenke deiner in meinem Gebet, du treue Seele. In dem Schränkchen findest du etwas gegen den Hunger. Es ist nicht viel, denn es gilt jetzt zu sparen; die letzte Arznei war so teuer.«

In dem kleinen Vorgemach brannte ein Lämpchen, das Maria bald nach dem Eintritt der Dunkelheit angezündet hatte. Die Witwe blieb vor ihm stehen und bedachte, ob sie es nicht auslöschen sollte, um das Öl zu sparen.

Schon hob sie das an dem Griff der Leuchte hängende Zänglein, um die Flamme zu ersticken, als sie ein leises Klopfen an der Pforte ihres Hauses vernahm. Bevor sie noch fragen konnte, wer so spät Einlaß begehre, öffnete sich die Tür und Arsinoe trat in den Vorraum.

Ihre Augen waren immer noch voller Tränen, und sie fand nur mühsam Worte, um den Gruß Frau Hannas zu erwidern.

»Was ist dir begegnet, mein Kind?« fragte die Christin besorgt, nachdem sie im Lichte des Lämpchens bemerkt hatte, wie kummervoll und verweint das Mädchen aussah.

Arsinoe blieb eine Zeitlang die Antwort schuldig. Endlich gewann sie Fassung genug, um unter Tränen zu rufen:

»Ach, Frau Hanna, nun ist alles vorbei; unser Vater, unser armer Vater . . .«

Die Witwe ahnte, welcher Schlag die Schwestern getroffen, und voller Besorgnis für Selene unterbrach sie die Klagende, indem sie sagte:

»Still, still, mein Kind! Selene darf dich nicht hören. Komm mit mir hinaus, da sollst du mir alles erzählen.«

Vor der Tür ihres Hauses legte Frau Hanna den Arm um Arsinoe, zog sie an sich, küßte ihr die Stirn und sagte:

»Nun rede und vertrau mir alles. Denke, ich wäre deine Mutter oder Schwester. Die arme Selene ist ja noch zu schwach, um euch zu raten oder zu helfen. Fasse nur Mut. Was ist eurem Vater begegnet?«

»Vom Schlag getroffen, tot, tot!« klagte das Mädchen.

»Arme, liebe Waise,« sagte die Witwe mit gedämpfter Stimme und schloß Arsinoe fest in die Arme.

Eine Zeitlang gestattete sie der Jungfrau, sich still an ihrer Brust auszuweinen. Dann sagte sie:

»Nun gib mir die Hand, meine Tochter, und erzähle mir, wie das so schnell gekommen ist. Dein Vater war gestern noch wohl auf – und nun? Ja, mein Mädchen, das Leben ist ernst. Ihr müßt das in jungen Jahren erfahren. Ich weiß, ihr habt noch sechs kleinere Geschwister, und vielleicht wird es euch bald am Nötigsten fehlen. Das ist keine Schande. Ich bin gewiß noch ärmer als ihr, und doch hoff ich mit Gottes Hilfe euch raten und vielleicht sogar helfen zu können. Es soll alles geschehen, was ich nur immer vermag; doch erst muß ich wissen, wie es bei euch steht, und wessen ihr bedürft.«

Es lag soviel Freundliches, Tröstliches und Hoffnung Erweckendes in der Stimme der Christin, daß das Mädchen gern ihrer Aufforderung folgte und zu erzählen begann.

Erst hielt sie freilich der Stolz ab, zu gestehen, wie arm, wie ganz entblößt von Mitteln sie wären; aber die Fragen Hannas brachten bald die Wahrheit zutage, und als Arsinoe bemerkte, daß die Witwe das Unglück ihres Hauses in seiner ganzen Größe erkannt habe und es unnütz wäre, ihr zu verbergen, wie es mit ihr und den Kindern bestellt sei, gab sie dem wachsenden Drange nach, die Seele durch Mitteilung zu erleichtern und schilderte der aufmerksam zuhörenden Frau offen und ohne Rückhalt die Lage ihrer Geschwister.

Die Witwe erkundigte sich nach jedem einzelnen und schloß mit der Frage, wer denn jetzt in Arsinoes Abwesenheit die Kleinen behüte. Als sie vernahm, daß die alte Sklavin, der die Obhut über die Kinder anvertraut war, gebrechlich und halb erblindet sei, schüttelte sie bedenklich das Haupt und sagte entschieden:

»Hier tut rasche Hilfe not. Du mußt auch bald zu den Kleinen zurück. Deine Schwester darf noch nichts von dem Tode eures Vaters erfahren. Wenn euer Schicksal einigermaßen gesichert ist, werden wir sie langsam auf das Geschehene vorbereiten. Folge mir jetzt, der Herr fügte es, daß du zur rechten Stunde hierher kamst.«

Frau Hanna führte nun Arsinoe in das Landhaus Paulinas, und zwar zunächst in ein kleines Gemach zur Seite des Vorraums, in dem die Diakonissinnen den Schleier und an Winterabenden die wärmenden Hüllen abzulegen pflegten. Dort war das Mädchen allein und sicher vor neugierigen Fragen, die ihm wehe tun mußten.

Hanna bat es, auf sie zu warten, und begab sich dann sogleich zu den Amtsgenossinnen.

Sie mußte dabei den Raum durchschreiten, in dem die Ältesten und Diakonen Rat hielten.

Der Bischof saß als Vorsitzender neben den Presbytern auf einem erhöhten Stuhl an der Spitze einer länglichen Tafel, zu seiner Rechten und Linken eine Anzahl älterer Männer. Einige von ihnen schienen von jüdischer und ägyptischer, die meisten von hellenischer Abkunft. An diesen fiel die kluge Stirn, an jenen der glänzende, schwärmerische Blick besonders ins Auge.

Hanna ging mit ehrerbietigem Gruß an den Männern vorüber und begab sich in ein Nebenzimmer, in dem die Diakonissinnen warteten; denn den Frauen war es nicht gestattet, dem Rat der Ältesten beizuwohnen.

Der Bischof, ein schöner Greis mit weißem Vollbart, erhob, nachdem sich die Tür hinter Hanna geschlossen, die milden Augen, schaute einige Augenblicke auf die Spitzen der erhobenen Finger und entgegnete dann dem Presbyter, der mehrere, seit einem Jahr in die Glaubenslehre der Christen Eingeweihte zur Taufe angemeldet hatte, also:

»Die meisten der von dir vorgeschlagenen Katechumenen hängen gewiß treu an dem Erlöser. Sie glauben an ihn und haben ihn lieb. Sind sie aber auch zu derjenigen Heiligung, zu der Neugeburt des ganzen Wesens gelangt, die uns allein das Recht verleiht, sie durch die Taufe unter die Lämmer des guten Hirten aufzunehmen? Hüten wir uns vor räudigen Schafen, die die ganze Herde verderben! Wahrlich, es hat in den letzten Jahren nicht an solchen gefehlt, die Aufnahme unter uns fanden, und die doch dem Christennamen zu übler Ehre gereichten. Soll ich euch Beispiele zeigen? Da war in der Rhakotis ein ägyptischer Mann. So inbrünstig wie er schienen wenige nur nach der Vergebung der Sünden zu ringen. Viele Tage konnte er fasten und sobald er getauft war, brach er dennoch in den Laden eines Goldschmieds ein. Man verurteilte ihn zum Tode, und vor seinem Ende ließ er mich zu sich rufen und bekannte mir, daß er in früheren Jahren mit Raub und vielfältigem Mord die Seele besudelt. Durch den Akt der Taufe, des Untertauchens im Wasser, hatte er Vergebung der Sünden zu finden gehofft, nicht durch tiefe Reue, nicht durch Wiedergeburt zu einem reinen, geheiligten Leben. Sein neues Verbrechen hatte er guten Mutes begangen, weil er sicher hoffte, auch diesmal auf die nimmer müde Gnade unsers Heilands zählen zu dürfen. Andere, die von den Waschungen unterrichtet waren, denen sich diejenigen unterziehen müssen, die in die tieferen Geheimnisse heidnischer Mysterien eingeweiht werden, hielten die Taufe für einen Akt der Reinigung, für eine mystische, glückbringende und im besten Fall für eine die Seele reinigende Handlung, und drängten sich zu ihr heran. Hier in Alexandria ist die Zahl dieser Verirrten besonders groß; denn wo fände jeder Aberglaube wohl einen günstigeren Boden als an dieser Stätte der philosophischen Halb- und Überbildung, des Serapisdienstes, der Sternseherei, der Mystenvereine, der Geisterseher, der Dämonenbeschwörer und der mit dem Unglauben verschwisterten Leichtgläubigkeit. So hütet euch denn, die Taufe denen zu gewähren, die sie als ein Schutzmittel oder als eine glückbringende Handlung betrachten. Bedenket, daß dasselbe Wasser, das geheiligte Herzen aufsprossen läßt zu einem seligen Leben, unlauteren Seelen den Tod bringt. – Du hast das Wort, mein Irenäus.«

»Ich wollte nur sagen,« begann der jüngere Christ dieses Namens, »daß mir in der letzten Zeit unter den Katechumenen auch solche begegneten, die sich in der niedrigsten Absicht zu uns herandrängen. Ich meine die Müßiggänger, denen unsere Almosen gefallen. Habt ihr den zynischen Philosophen bemerkt, dessen hungernden Bruder wir unterstützen? Der Diakonus Clemens erfuhr jetzt, daß er seines Vaters einziger Sohn ist . . .«

»Untersuchen wir diese Sache genauer, wenn wir von den Almosen reden,« entgegnete der Bischof. »Es liegen die Bitten vieler Frauen vor, die ihre Kinder getauft sehen möchten. Wir dürfen diese Frage hier nicht entscheiden; denn sie gehört vor die nächste Synode. Sie ist zu ernst, als daß wir sie in unserer kleinen Versammlung entscheiden könnten. Was mich betrifft, so wäre ich geneigt, den Müttern ihre Bitten nicht abzuschlagen. Worin besteht denn das letzte Ziel eines christlichen Lebens? Ich meine doch darin, daß es völlig dem Beispiele des Heilands gemäß sei. Und er? Ist er nicht unter den Männern ein Mann, unter den Jünglingen ein Jüngling, unter den Kindern ein Kind gewesen? Hat sein Dasein nicht jedes Lebensalter und nicht besonders auch das der Kleinen geheiligt? Ausdrücklich befahl er, die Kindlein ihm zuzuführen und ihnen das Himmelreich verheißen. Warum sollen wir sie ausschließen und ihnen die Taufe versagen?«

»Ich kann deine Ansicht nicht teilen,« entgegnete ein Presbyter mit hoher Stirn und tiefen Augen. »Wir sollen dem Heiland gewißlich folgen; wer aber seinen Weg betritt, der darf es nur tun nach freier Wahl, aus Liebe zu ihm und nachdem er die Seele geheiligt. Was will die Wiedergeburt nach einem kaum begonnenen Leben sagen?«

»Deine Rede,« gab der Bischof zurück, »bestätigt nur meine Ansicht, daß diese Frage vor eine größere Versammlung gehört. Schließen wir jetzt die Beratung über diesen Punkt, und schreiten wir zu der Armenpflege. Rufe die Frauen herein, mein Justinus.«

Die Diakonissinnen traten in das Gemach und setzten sich an das unterste Ende der Tafel. Paulina, die Witwe des Pudens, nahm gegenüber dem Bischof, in der Mitte der anderen Frauen, Platz. Sie hatte von der freundlichen Pflegerin Selenens erfahren, in wie großer Bedrängnis sich die Kinder des verstorbenen Keraunus befänden, und Hanna zugesagt, ihnen beizustehen.

Die Diakonen erstatteten zuerst Bericht über ihre Tätigkeit für die Armen.

Nach ihnen wurde den Frauen zu reden gestattet.

Paulina, eine hohe, schlanke Frau mit leicht ergrauendem schwarzen Haupthaar, nahm aus dem durchaus schmucklosen Gewande von besonders feiner und weicher weißer Wolle ein Täfelchen, legte es vor sich hin, erhob langsam die Augen und sagte, indem sie den Blick auf den Vorsitzenden richtete:

»Witwe Hanna hat uns eine traurige Geschichte zu erzählen, für die ich um eure Teilnahme bitte. Du wirst so gut sein, ihr das Wort zu erteilen.«

Paulina schien sich unter den Brüdern als Wirtin zu fühlen. Sie sah leidend aus. Ein schmerzlicher Zug verließ niemals ihren Mund, unter ihren Augen waren stets bläuliche Schatten zu sehen, aber in ihrer Stimme lag etwas Entschiedenes und Strenges, und ihr Blick war nichts weniger als weich und gewinnend.

Nach ihrer Rede klang die Erzählung Frau Hannas wie milder Gesang. So liebreich, als wären es ihre eigenen Töchter, schilderte sie das verschiedene Wesen der beiden Schwestern, die, jede in ihrer Art, der Teilnahme so würdig erscheinen. Mit rührender Klage sprach sie von den unmündigen, verlassenen, dem Elend preisgegebenen Waisen, unter denen sich ein schöner, blinder Knabe befinde. Dann schloß sie die Rede, indem sie sagte:

»Der zweiten Tochter des Verwalters – sie ist sechzehn Jahre alt und so schön, daß keinerlei Versuchung ihr fern bleiben wird – liegt jetzt die Ernährung und Pflege der sechs jüngeren Geschwister ob. Dürfen wir ihr die schützende Hand vorenthalten? Nein, nein, so wahr wir den Heiland lieben, wir dürfen es nicht. Ihr stimmt mir bei? Nun wohl, so laßt uns nicht mit der Hilfe zögern. Die zweite Tochter des verstorbenen Keraunus ist hier im Hause; denn morgen früh müssen die Kinder den Palast auf der Lochias verlassen, und sie sind, während ich rede, unter schlechter Wartung allein.«

Die guten Worte der Christin fanden eine gute Stätte, und die Presbyter und Diakonen beschlossen, der beim Liebesmahle versammelten Gemeinde anzuempfehlen, den Kindern Beistand zu leisten.

Die Ältesten hatten noch mancherlei zu beraten, und so erhielten Hanna und Frau Paulina den Auftrag, den wohlhabenden Gliedern der Gemeinde die Sorge für die Waisen des Keraunus ans Herz zu legen.

Die arme Witwe führte ihre reiche Wirtin und Freundin zuerst in das Zimmer, wo Arsinoe mit wachsender Ungeduld wartete. Sie sah bleicher aus als gewöhnlich, aber trotz der verweinten, zu Boden gerichteten Augen so schön, so rührend schön, daß ihr Anblick das Herz Paulinas bewegte.

Sie hatte zwei Kinder besessen; außer dem Sohne eine einzige Tochter. Diese war als kaum erblühte Jungfrau gestorben und Paulina dachte an sie seit ihrem Ende zu jeder Stunde. Um ihretwillen hatte sie sich taufen lassen, hatte sie ihr Dasein zu einer Reihe von schweren Opfern gestaltet. Mit aller Kraft bemühte sie sich, eine gute Christin zu sein; denn ihr, der Entsagenden, die ein schweres Kreuz freiwillig auf sich genommen, der Kränklichen, die die Stille liebte und wenigstens ihr Landhaus, das sie täglich besuchte, zu einer Stätte der Unruhe gemacht hatte, konnte das Himmelreich nicht entgehen, und dort hoffte sie die unschuldige Tochter wiederzufinden.

Arsinoe erinnerte sie an ihre Helena, die freilich weit weniger schön gewesen war als das Kind des Verwalters, deren Bild aber in dem treuen Mutterherzen neue, verklärte Formen gewonnen hatte.

Seitdem ihr Sohn aus dem Haus geschieden und in die Fremde gezogen war, hatte sie sich oft gefragt, ob sie nicht ein junges Wesen zu sich nehmen, an sich fesseln, zur Christin erziehen und dem Heiland gleichsam als Geschenk darbringen sollte.

Ihre Tochter war als Heidin gestorben, und nichts ängstigte Paulina so sehr, als daß ihre Seele verloren und ihr eigenes Ringen und Streben nach der Gnade sie nicht zu dem jenseits des Grabes liegenden Ziele führen könnte.

Kein Opfer schien ihr zu groß, um ihrem Kinde die Seligkeit zu erkaufen, und als sie nun Arsinoe gegenüberstand und sie gerührt und voller Bewunderung anschaute, wurde sie von einem Gedanken erfaßt, der schnell zum Entschluß in ihr reifte.

Sie wollte dies holde Wesen für den Heiland gewinnen und ihn anstehen, zum Entgelt für die Seele Arsinoes ihr armes Kind zu retten.

Es war ihr zu Sinne, als hätte sie einen Pakt mit dem Erlöser geschlossen, als sie, einig mit sich selbst, auf die Jungfrau zutrat und sie fragte:

»Du bist ganz verlassen, ganz ohne Verwandte?«

Arsinoe neigte bejahend das Haupt; Paulina aber fuhr fort:

»Und trägst du deinen Verlust mit Ergebung?«

»Was ist Ergebung?« fragte das Mädchen schüchtern.

Hanna legte die Hand auf den Arm der Witwe und flüsterte ihr zu:

»Sie ist eine Heidin.«

»Ich weiß es,« entgegnete Paulina kurz, und sagte dann freundlich, aber entschieden:

»Du und die Deinen, ihr habt durch den Tod des Vaters Eltern und Obdach verloren. In meinem Hause, bei mir wirst du eine neue Heimat finden; ich fordere dafür nichts als deine Liebe.«

Arsinoe schaute die stolze Frau verwundert an. Sie konnte noch keine Neigung für sie empfinden, und es kam ihr nicht zum Bewußtsein, daß die einzige Gabe von ihr verlangt worden sei, die auch der beste Wille und das an Liebe reichste Herz nicht auf Befehl zu gewähren vermag.

Paulina wartete ihre Antwort nicht ab, sondern winkte Hanna, sie zu der beim Liebesmahl versammelten Gemeinde zurückzubegleiten.

Eine Viertelstunde später hatten beide Frauen die Glaubensgenossen wieder verlassen.

Die Kinder des Verwalters waren versorgt. Einigen wollten zwei und drei Christenfamilien gern Aufnahme gewähren. Um den blinden Helios hatten sich viele freundliche Hausmütter beworben, aber vergebens; denn Hanna hatte für sich das Recht in Anspruch genommen, den unglücklichen Knaben wenigstens fürs erste in ihrem Hause zu erziehen. Sie wußte, wie Selene an ihm hing, und hoffte, durch seine Gegenwart kräftig auf das mutlose und erkaltete Herz des Pfleglings wirken zu können.

Arsinoe nahm die Anordnungen der Frauen ohne Widerspruch hin. Sie dankte ihnen auch; denn sie fühlte nun wieder festen Boden unter den Füßen; aber sie empfand sogleich, daß er voll scharfer Steine sein würde.

Der Gedanke, sich von den Geschwistern zu trennen, marterte sie grausam und verließ sie keinen Augenblick, während Frau Hanna sie in eigener Person auf die Lochias zurückbegleitete.

Am folgenden Morgen erschien die gütige Freundin wieder und führte sie mit der kleinen Schar in das Stadthaus Paulinas.

Die Hinterlassenschaft des Verwalters wurde unter den Gläubigern verteilt; nur die Truhe mit den Dokumenten folgte dem Mädchen in sein neues Heim.

Die Stunde, in der man den festgeschlossenen Kreis der Kinder auseinanderriß, um ein kleines hierhin, ein anderes dorthin zu führen, war die schmerzlichste, die Arsinoe jemals erfahren hatte oder in späteren Jahren erleben sollte.


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