Georg Ebers
Der Kaiser
Georg Ebers

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Viertes Kapitel

Im Cäsareum, der Wohnung der Kaiserin, erlosch ein Licht nach dem andern, in dem Palast auf der Lochias aber wurde es heller und heller.

Bei jeder festlichen Beleuchtung des Hafens pflegten Pechpfannen auf dem Dache und lange Reihen von Lampen, die den architektonischen Linien des stattlichen Bauwerks folgten, zu brennen; aus seinem Innern aber hatte seit Menschengedenken kein so helles Licht gestrahlt wie in dieser Nacht.

Die Hafenwächter schauten zuerst ängstlich besorgt zu der Lochias auf; denn sie fürchteten, ein Feuer sei in dem alten Schlosse ausgebrochen; bald aber wurden sie durch einen Liktor des Präfekten Titianus beruhigt; denn er erteilte ihnen den Befehl, die Hafentore in dieser und jener folgenden Nacht bis zur Ankunft des Kaisers für jeden offen zu halten, der sich im Auftrage des Baumeisters Pontius aus der Lochias in die Stadt oder aus der Stadt auf die Landzunge zu begeben wünschte.

Und es verlief auch bis lange nach Mitternacht keine Viertelstunde, in der nicht Leute, die der Architekt zu sich beschieden hatte, an die nur angelehnte, aber gut behütete Pforte geklopft hätten.

Auch das Torwächterhäuschen war hell beleuchtet.

Die Vögel und die Katze der alten Frau, die der Präfekt und sein Begleiter neben ihrem Weinkruge schlummernd gefunden hatten, schliefen nun fest, die kleinen Hündinnen aber stürzten, sobald ein neuer Ankömmling durch die offene Pforte schritt, laut kläffend in den Hof.

»Aber Aglaja, was soll man von dir denken? Schönste Thalia, schickt sich denn das für ein artiges Tierchen? Komm hierher, Euphrosyne, und sei hübsch verständig,« rief die Alte, die, nun völlig wach, die getrocknete Wäsche hinter dem Tisch zusammenlegte, mit besonders freundlicher, nichts weniger als gebieterischer Stimme.

Die mit den Namen der Grazien geschmückten Kläffer kümmerten sich indes wenig um diese freundliche Mahnung; zu ihrem Nachteil, denn jeder von ihnen hatte mehr als einmal Gelegenheit, wenn ihn der Fuß eines neuen Ankömmlings getroffen, schreiend und winselnd in das Häuschen zu kriechen und nach Trost verlangend, sich an seine Herrin zu schmiegen. Diese hob auch jedesmal die Leidenden auf und beruhigte sie mit Küssen und zärtlichen Schmeichelworten.

Übrigens war sie nicht mehr allein; denn im Hintergrund des Zimmers lag auf dem langen und schmalen Ruhebette vor der schönen Apollostatue ein großer, hagerer, mit einem roten Chiton bekleideter Mann. Ein von der Decke herniederhängendes Lämpchen beschien ihn und die Laute, auf der er spielte, mit mattem Licht.

Zu dem leisen Klang der Saiten dieses ziemlich großen Instrumentes, das er neben sich in das Polster stemmte, sang oder murmelte er lange Stücke.

Zwei-, drei- und viermal wiederholte er die gleichen Weisen.

Manchmal ließ er die hohe und, obgleich sein Haar schon völlig ergraut war, nicht übel klingende Stimme plötzlich laut ertönen und sang einige Sätze voller Ausdruck und mit kunstreichem Vortrag; manchmal aber, wenn die Hunde gar zu ungestüm bellten, sprang er auf und stürzte mit der Laute in der Linken und einem langen, biegsamen Schilfrohr in der Rechten in den Hof, schrie den Kläffern ihre Namen entgegen und hieb auf sie ein, als wollt' er sie töten; traf aber geflissentlich nie ihren Leib, sondern schlug immer nur neben sie hin auf das Pflaster.

Wenn er von solchem Ausfalle zurückkehrte, und sich auf dem Lager ausstreckte, rief die Alte, indem sie nach dem hängenden Lämpchen wies, an das der große, heftige Mann häufig mit dem Scheitel rührte:

»Euphorion – das Öl!« Er aber entgegnete immer mit derselben drohenden Handbewegung und mit dem gleichen Rollen der schwarzen Augen:

»Das Viehzeug!«

Eine Stunde lang mochte der eifrige Sänger seine musikalischen Übungen fortgesetzt haben, als die Hunde nicht bellend, sondern mit lautem Freudengeheul in den Hof jagten.

Da legte die Alte ihre Wäsche schnell aus der Hand und lauschte ins Freie hinaus; ihr hochgewachsener Mann aber sagte:

»Dem Kaiser fliegen so viele Vögel voraus wie Möwen dem Sturme. Wenn man uns nur in Ruhe läßt!«

»Gib acht, das ist Pollux; ich kenne die Hunde,« rief das Weib und eilte, so schnell es vermochte, über die Schwelle ins Freie.

Da stand schon der Erwartete und hob die drei vierfüßigen Grazien, die an ihm hinaufsprangen, eine hinter der andern an dem Rückenfell in die Höhe und gab jeder einen leisen Nasenstüber.

Dann eilte er der Alten entgegen, faßte mit beiden Händen ihren Kopf, küßte ihr die Stirn und sagte:

»Guten Abend, kleine Mutter.«

Dem Sänger schüttelte er die Hand und rief dabei:

»Sei gegrüßt, großer Vater.«

»Bist nicht kleiner als ich,« entgegnete dieser, zog den jungen Mann prüfend an sich und legte seine große Hand flach auf den eigenen grauen und zugleich auf den mit vollem braunem Haar geschmückten Kopf seines Erstgeborenen.

»Wie aus der gleichen Form gehoben,« rief der Jüngling, und in der Tat sah er dem Vater sehr ähnlich; freilich nur so wie ein edles Roß dem schlichten Pferde, wie Marmor dem Kalkstein, wie die Zeder der Kiefer.

Beide waren von stattlicher Größe, hatten starkes Haar, dunkle Augen und mäßig gebogene, völlig gleich geformte Nasen; aber die Heiterkeit, die aus dem Blicke des Jünglings strahlte, die hatte er nicht von dem langen Sänger geerbt, sondern von der kleinen Frau, die, seinen Arm streichelnd, zu ihm aufsah. Und woher kam ihm das mächtige, unbeschreibliche Etwas, das sein Haupt adelte, und von dem man nicht wußte, ob es von seinen Augen ausging oder von der hohen, ganz anders als die des Alten gewölbten Stirn?

»Ich wußte, daß du kommen würdest,« rief seine Mutter. »Heut nachmittag hat mir's geträumt, und ich will dir beweisen, daß du mich nicht überraschest. Dort auf dem Kohlenbecken steht der gedämpfte Kohl mit den Würstchen und wartet auf dich.«

»Ich kann jetzt nicht bleiben,« entgegnete Pollux, »wahrhaftig, ich kann nicht, so freundlich mir auch dein gutes Gesicht zulacht und die lieben Wurstäuglein im Kohl mich anblinzeln. Mein Meister Papias ist vorangegangen, und drin im Palast wird es gelten, ein Wunder in kürzerer Zeit zustande zu bringen, als man sonst bedarf, um zu überlegen, von welcher Seite man seine Arbeit anfaßt.«

»So bring' ich dir den Kohl in das Schloß,« sagte Doris und stellte sich auf die Zehen, um dem Mund ihres großen Sohnes ein Würstchen zu nähern.

Pollux biß kräftig zu und sagte dann kauend:

»Ausgezeichnet! Ich möchte, das Ding, das ich da oben formen will, würde so sicher eine gute Statue, wie der saftige kleine Zylinder, der hier eben verschwindet, eine bemerkenswert vortreffliche Wurst war.«

»Noch eine?« fragte Doris.

»Nein, Mutter; und du sollst mir auch den Kohl nicht hinauftragen. Bis nach Mitternacht darf kein Augenblick verloren gehen, und mach' ich dann eine Pause, so mußt du längst von allerlei lustigen Dingen träumen.«

»Ich bringe dir den Kohl,« sagte der Vater; »denn ich komme ohnehin nicht so bald zu Bette. Der Hymnus an Sabina, den Mesomedes gedichtet, soll, sobald die Kaiserin das Theater besucht, mit Chören aufgeführt werden, und ich habe die hohe Stimme unter den Greisen, die durch ihren Anblick wieder jung werden, zu führen. Morgen ist Probe, und kann ich noch gar nichts. Das Alte steckt mir Ton für Ton in der Kehle; aber das Neue, das Neue!«

»Es ist danach,« lachte Pollux.

»Wollten sie nur deines Vaters Satyrspiel und seinen Theseus zur Aufführung bringen!« rief Doris.

»Warte nur, ich empfehle ihn dem Kaiser, wenn er mich erst als den Phidias seiner Zeit mit Stolz seinen Freund nennt. Fragt er mich dann: Wer ist der Glückliche, der dich erzeugte? so werde ich sagen: Euphorion ist's, der göttliche Dichter und Sänger; meine Mutter aber ist eine würdige Matrone, die Hüterin deines Palastes, die gräuliche Wäsche in schneeweißes Linnen verwandelnde Doris.«

Das sang der junge Künstler mit schöner und kräftiger Stimme nach einer von seinem Vater erdachten, wunderlichen Weise.

»Wärest du Sänger geworden!« rief Euphorion.

»Dann hätt' ich die Aussicht,« gab Pollux zurück, »am Abende meines Lebens in diesem Häuschen dein Nachfolger zu werden.«

»Jetzt pflanzst du für elenden Lohn die Lorbeeren, mit denen Papius sich schmückt,« entgegnete der Alte und zuckte die Achseln.

»Auch seine Stunde schlägt, auch er wird anerkannt werden,« fiel Doris ein; »ich hab' ihn mit einem großen Kranz auf den Locken im Traume gesehen.«

»Geduld, Vater, Geduld!« sagte der junge Mann und ergriff die Hand des Vaters. »Ich bin jung und gesund und tue, was ich vermag, hier hinter der Stirn wimmelt's von guten Gedanken; was ich selbständig vollenden durfte, hat wenigstens anderen zum Ruhme gereicht, und obgleich es noch lange nicht dem Schönheitsbilde entspricht, das ich da – da – da in weiter Ferne hinter Nebeln ahne, so meine ich doch, daß, wenn auf das alles das Glück in einer freundlichen Stunde ein paar frische Tautropfen fallen läßt, immerhin etwas mehr aus mir werden kann als die kläglich bezahlte rechte Hand des Papias, der da oben ohne mich nicht wissen wird, was er tun soll.«

»Nur immer munter und fleißig!« rief Doris.

»Hilft nichts ohne Glück,« murmelte der Sänger und zuckte die Achseln. Damit sagte der junge Künstler den Eltern Lebewohl und wollte sich entfernen, seine Mutter aber hielt ihn zurück, um ihm die jungen Stieglitze zu zeigen, die gestern aus den Eiern gekrochen.

Pollux tat ihr den Willen, nicht nur um ihr gefällig zu sein, sondern weil es ihn freute, den bunten Vogel zu sehen, der seine Kleinen beschützte und wärmte.

Neben dem Käfige stand der große Weinkrug und der von ihm selbst mit zierlichem Bildwerk bedeckte Becher der Mutter.

Sein Blick fiel auf diese Gefäße, und schweigend rückte er sie hin und her.

Dann faßte er sich ein Herz und sagte lachend:

»Der Kaiser wird hier oft vorüberkommen, Mutter. Laß jetzt die Feier deiner dionysischen Feste. Wie wär's, wenn du dich zu einem Viertel Wein und drei Viertel Wasser entschlössest? Es mundet auch so.«

»Schade um die gute Gabe,« entgegnete die Alte.

»Ein Viertel Wein, mir zu Gefallen,« bat Pollux, ergriff beide Schultern der Mutter und küßte ihr die Stirn.

»Dir zu Gefallen, großer Junge?« fragte Doris und die Augen füllten sich ihr mit Tränen; »für dich, wenn es sein muß, lauter elendes Wasser! Euphorion, trinke du nachher den Rest aus dem Kruge.«


Der Baumeister Pontius hatte seine Tätigkeit begonnen, zunächst nur unterstützt von den Gehilfen, die ihm zu Fuß nachgefolgt waren. Vermessend, erwägend, kurze Briefe hinwerfend und Zahlen, Namen, Gedanken in den Grundriß und auf doppelte Wachstafeln verzeichnend, war er keinen Augenblick müßig.

Häufig wurde er durch die auf die Lochias beschiedenen Vorsteher der Werkstätten und Fabriken, deren Tätigkeit er in Anspruch zu nehmen gedachte, unterbrochen.

Sie kamen zu so später Stunde; denn sie waren im Auftrag des Präfekten berufen worden.

Als einer der letzten stellte sich der Bildhauer Papias ein, obgleich ihm Pontius mit eigener Hand geschrieben hatte, daß er ihm für den Kaiser einen großen lohnenden und besonders eiligen Auftrag zu erteilen habe, der vielleicht schon in dieser Nacht in Angriff genommen werden könnte. Es handle sich um die Statue einer Urania, die in zehn Tagen in der Weise, die er, Papias, bei dem letzten Adonisfeste angewandt habe, und nach den Maßen, die er, Pontius, beilege, auf der Lochias selbst vollendet werden müßte. Über viele Herstellungsarbeiten, die nicht weniger schnell ausgeführt werden sollten, und die zu zahlenden Preise würde man sich an Ort und Stelle einigen.

Der Bildhauer war ein umsichtiger Mann und erschien nicht allein, sondern mit seinem besten Gehilfen Pollux, dem Sohne des Torhüterpaares, und mehreren Sklaven, die ihm auf Karren und Wagen Werkzeuge, Bretter, Ton, Gips und andere Rohstoffe nachführten.

Auf dem Weg in die Lochias hatte er dem jungen Bildhauer mitgeteilt, um was es sich handle, und ihm in herablassendem Tone eröffnet, daß er ihm gestatten werde, bei der Herstellung der Urania seine Kraft zu versuchen.

An der Pforte des Palastes hatte er Pollux aufgefordert, seine Eltern zu begrüßen, und sich dann allein in das Schloß begeben, um ohne Zeugen die Verhandlungen mit dem Baumeister Pontius zu eröffnen.

Der junge Gehilfe verstand den Meister.

Er wußte, daß es ihm obliegen würde, die Urania auszuführen, und daß sein Brotherr, nachdem er einige kleine Änderungen an der fertigen Arbeit vorgenommen, sie für das eigene Werk ausgeben würde.

Das gleiche hatte sich Pollux seit zwei Jahren mehr als einmal gefallen lassen, und er fügte sich auch heute ohne Widerrede diesem unredlichen Verfahren; denn bei seinem Meister gab es zu tun, und das Schaffen war ihm der höchste aller Genüsse.

Papias, zu dem er sich früh in die Lehre begeben und dem er sein Können verdankte, war kein Knauser, er aber brauchte Geld, nicht nur für sich, sondern weil er es auf sich genommen, seine verwitwete Schwester mit ihren Kindern, als wären sie seine eigene Familie, zu ernähren. Es freute ihn auch, einiges Behagen in das Häuschen der armen Eltern bringen und seinen jungen Bruder Teuker, der sich der Steinschneidekunst gewidmet hatte, während der Lehrzeit erhalten zu können.

Manchmal kam es ihm wohl in den Sinn, dem Brotherrn zu kündigen, sich auf eigene Füße zu stellen und Lorbeeren zu ernten; aber was sollte dann aus denen werden, die sich auf seine Hilfe verließen, wenn er seinen sichern, guten Erwerb preisgab und wenn er, wie es so vielen unbekannten Anfängern erging, ohne Bestellungen blieb.

Was nützte ihm alles Können und der redlichste Wille ohne die Gelegenheit, seine Werke in edlem Material auszuführen? Es mit eigenen Mitteln anzuschaffen, verbot ihm seine Armut.

Während er bei den Eltern vorsprach, hatte Papias die Verhandlungen mit dem Baumeister begonnen. Pontius legte dem Bildhauer dar, was er von ihm begehrte.

Dieser hörte aufmerksam zu, unterbrach den anderen nie, strich nur das mit besonderer Sorgfalt rasierte, ebenmäßig wie eine Wachsmaske geformte und gefärbte Gesicht von Zeit zu Zeit mit der rechten Hand noch glatter, als es ohnehin war, und legte das Bruststück seiner kostbaren blauen Toga, die er in der Weise der römischen Senatoren zu tragen liebte, in neue Falten.

Als Pontius ihm am Ende der für den Kaiser bestimmten Räume die letzte von ihm herzustellende Statue, die eines neuen Armes bedurfte, gezeigt hatte, rief Papias entschieden:

»Es geht nicht.«

»Das ist eine vorschnelle Behauptung,« versetzte der Baumeister. »Kennst du nicht den Satz, der, weil er gut ist, von mehr als einem Weisen zuerst ausgesprochen worden sein soll, daß es immer unvorsichtiger sei, zu sagen, ein Ding sei unmöglich, als sich zu vermessen, ein Werk zu Ende zu führen, das höchst wahrscheinlich unsere Kraft übersteigt.«

Papias lächelte, schaute auf die mit goldenem Zierat besetzten Schuhe und sagte:

»Uns Bildhauern wird es schwerer als euch, die ihr mit ungeheuren Massen arbeitet, uns in den Titanenkampf gegen das Unmögliche hineinzudenken. Ich sehe die Mittel noch nicht, die mir den Mut geben könnten, dem Unausführbaren zu Leibe zu gehen.«

»Ich will sie dir nennen,« entgegnete Pontius schnell und fest; »von deiner Seite guter Wille, zahlreiche Gehilfen und Nachtwachen, von unserer der Beifall des Kaisers und sehr viel Gold.«

Nach dieser Verheißung nahmen die Verhandlungen einen raschen und günstigen Verlauf, und der Baumeister mußte den klugen, wohlüberlegten Vorschlägen des Bildhauers in den meisten Fällen volle Anerkennung erteilen.

»Ich begebe mich nach Hause,« schloß Papias. »Mein Gehilfe beginnt gleich jetzt mit den Vorarbeiten. Hinter Schranken müssen wir schaffen, damit keiner uns stört und mit Bemerkungen aufhält.«

Eine halbe Stunde später hatte man bereits ein Gerüst inmitten der Halle, in der die Urania zu stehen kommen sollte, aufgerichtet. Es wurde von hohen hölzernen, mit starker Leinwand bespannten Rahmen den Blicken entzogen, und hinter diesen Schirmen war Pollux tätig, ein kleines Modell aus Wachs zu formen, während sein Brotherr sich nach Hause begab, um Vorbereitungen für die Arbeiten des folgenden Morgens zu treffen.

Nur eine Stunde fehlte bis Mitternacht, und immer noch war die von dem Präfekten für den Baumeister in den Palast geschickte Mahlzeit unberührt geblieben.

Pontius hatte Hunger; bevor er aber dem Braten, der ihn einladend genug anschaute, der feuerroten Languste, der bräunlichgelben Pastete und den vielfarbigen Früchten zu Leibe ging, die ein Sklave auf eine marmorne Tafel gesetzt hatte, hielt er sich doch für verpflichtet, die herzustellende Zimmerreihe noch einmal zu durchwandern.

Es galt nachzusehen, ob die zunächst mit der Reinigung sämtlicher Räume beschäftigten Sklaven, die noch einige Stunden arbeiten, dann ausruhen und beim Aufgange der Sonne, verstärkt durch andere freie und unfreie Arbeiter, wieder ans Werk gehen sollten, von den Aufsehern verständig geleitet würden, ihre Schuldigkeit täten und alles hätten, was sie bedurften.

Bessere Beleuchtung, mehr Licht wurde überall verlangt, und als auch die Leute, die den Estrich der Musenhalle säuberten und die Säulen in ihr abputzten, laut nach Fackeln und Lampen verlangten, da streckte sich über die Schranken, die den für die Herstellung der Urania bestimmten Platz umgaben, ein jugendlicher Männerkopf weit hinaus, und eine klangvolle Stimme rief:

»Meine Muse mit ihrer Himmelskugel steht den Sternsehern bei und wird sich in der Nacht am wohlsten befinden; aber noch ist sie ja keine Göttin. Um sie zu formen, braucht man Licht, viel Licht! Ist es hier heller, so wird auch der Lärm der Leute da unten, der in diesem leeren Stalle nicht eben angenehm wirkt, sich verringern. Schaffe drum Licht, o Mann, Licht für die unsterbliche Göttin und die sterblichen, scheuernden Menschen.«

Pontius schaute lächelnd zu dem Künstler auf, der diese Sätze gerufen, und sagte:

»Dein Notschrei, mein Freund, ist berechtigt. Glaubst du aber ernstlich, daß dem Licht die Macht innewohne, Geräusche zu dämpfen?«

»Wo es fehlt,« versetzte Pollux, »das heißt, im Dunkeln, scheint sich wenigstens jeder Lärm zu verdoppeln.«

»Das ist richtig; aber es lassen sich dafür auch andere Gründe finden,« entgegnete der Architekt. »Morgen in einer Arbeitspause wollen wir uns über diese Dinge weiter unterreden. Jetzt werde ich für Lampen und Lichter sorgen.«

»Das wird Urania, die auch die schönen Künste behütet, dir danken,« rief Pollux dem Baumeister nach.

Dieser ging dem obersten Werkführer entgegen, um ihn zu fragen, ob er nicht seinem Befehle gemäß dem Palastvorsteher Keraunus aufgetragen habe, zu ihm zu kommen und ihm die für die äußere Beleuchtung des Schlosses vorhandenen Lampen und Pechpfannen zur Verfügung zu stellen.

»Dreimal,« lautete die unwillige Antwort, »war ich bei dem Manne; doch jedesmal blies er sich auf wie ein Frosch, redete kein Wort mit mir und ließ mich nur von seiner Tochter, die du sehen mußt, denn sie ist reizend, und einem elenden schwarzen Sklaven in ein Kämmerchen führen, wo ich die paar Lampen fand, die hier brennen.«

»Befahlst du ihm, zu mir zu kommen?«

»Schon vor drei Stunden, und als du mit dem Bildhauer Papias redetest, zum zweitenmal«.«

Unwillig kehrte der Architekt und mit einer schnellen Wendung dem Werkmeister den Rücken, entfaltete den Plan des Palastes, fand schnell die Wohnung des widerspenstigen Verwalters heraus, ergriff ein neben ihm stehendes Lämpchen von rotem Ton und ging, gewohnt sich von Baurissen führen zu lassen, geradeswegs auf das nur durch wenige Zimmer und einen längeren Gang von der Musenhalle getrennte Quartier des pflichtvergessenen Mannes los.

Eine unverschlossene Pforte führte ihn in ein dunkles Vorgemach, dem eine andere Stube und endlich ein großer, gut eingerichteter Raum folgte.

Die zu diesem, augenscheinlich dem Wohn- und Speisezimmer des Verwalters, führenden Eingänge waren ohne Türen und nur durch weit zurückgeschobene Zeugvorhänge verschließbar.

Pontius konnte ungehindert und unbemerkt den Tisch überschauen, auf dem eine dreiarmige Lampe von Bronze zwischen einer Schüssel und Tellern stand.

Der dicke Mann wandte das runde, stark gerötete Antlitz dem Baumeister zu, der ihm erregt, wie er war, schnell und mit Entschiedenheit entgegengetreten wäre, wenn nicht, bevor er das zweite Zimmer betrat, ein leises, aber schmerzliches Schluchzen sein Ohr erreicht hätte.

Die Weinende war ein schlankes junges Mädchen, das aus der hintern Tür des Wohnraumes vortrat und nun ein Brettchen mit einem Brote neben den Verwalter auf den Tisch stellte.

»Weine doch nicht, Selene,« sagte der Verwalter und zerbrach das Backwerk langsam und mit dem Bestreben, sein Kind zu beruhigen.

»Wie sollt' ich nicht weinen,« entgegnete das Mädchen. »Erlaube nur, daß ich morgen ein Stück Fleisch für dich kaufe; der Arzt hat dir verboten, Brot und immer nur Brot zu essen.«

»Satt werden muß der Mensch,« entgegnete der Dicke. »Fleisch ist teuer. Ich habe neun Mäuler zu stopfen, die Sklaven gar nicht gerechnet. Wo sollt' ich das Geld hernehmen, um uns alle mit kostbarem Fleisch zu füttern?«

»Wir brauchen keins, aber für dich ist es nötig.«

»Es geht nicht, Kind. Der Fleischer will nicht mehr borgen, die anderen Gläubiger drängen, und es bleiben uns bis ans Ende des Monats nur noch zehn Drachmen.«

Das Mädchen erbleichte und fragte ängstlich:

»Aber, Vater, du zeigtest mir ja heute früh die drei Goldstücke, die dir von dem Geschenke zugekommen sind, das bei der Ankunft der Kaiserin unter die Bürger verteilt ward.«

Da rollte der Verwalter ein Stück Brotteig verlegen zwischen den Fingern zusammen und sagte:

»Ich kaufte dafür diese Fibula mit dem geschnittenen Onyx; spottwohlfeil, sage ich dir! Wenn der Kaiser kommt, so muß er sehen, wer ich bin, und sterb' ich, so gibt euch jeder doppelt so viel für das Kunstwerk, als ich dafür bezahlte. Ich sage dir, das Geld der Kaiserin ist gut angelegt worden in dem Onyx.«

Selene entgegnete nichts; doch seufzte sie tief auf und ihr Blick überflog eine Reihe von höchst unnützen Dingen, die der Verwalter, weil sie »billig« gewesen, eingekauft und mit nach Hause gebracht hatte, während es ihr und ihren sieben Geschwistern an dem Nötigsten gebrach.

»Vater,« hob das Mädchen nach kurzem Schweigen von neuem an, »ich soll nicht mehr davon reden, aber wenn du auch böse wirst, so tu' ich es doch. Der Baumeister, der die Arbeiter drüben anführt, hat nun schon zweimal nach dir gesandt.«

»Schweig!« rief der Dicke und schlug mit der Sand auf den Tisch. »Wer ist dieser Pontius und wer bin ich!«

»Du bist von edler, mazedonischer Herkunft, vielleicht sogar mit dem ptolemäischen Königshause verwandt und hast deinen Sitz in der Bürgerversammlung, aber sei doch diesmal herablassend und gütig. Der Mann hat alle Hände voll zu tun, er ist müde . . .«

»Hab ich heute etwa still sitzen dürfen? Was sich schickt, das schickt sich. Ich bin Keraunus, des Ptolemäus Sohn, dessen Väter mit dem großen Alexander nach Ägypten kamen und diese Stadt gründen halfen, das weiß ein jeder. Unser Besitz ward geschmälert, aber gerade darum halt' ich darauf, daß unser edles Blut anerkannt werde. Pontius läßt den Keraunus rufen! War' es nicht empörend, wird' es lächerlich sein; denn wer ist dieser Mann!? Ich sagt' es ja schon! Sein Großvater war der Freigelassene des verstorbenen Präfekten Claudius Valbillus. Erst durch die Gunst der Römer ist sein Vater heraufgekommen und reich geworden. Von Sklaven stammt er, und du forderst, daß ich sein gehorsamer Diener sein soll, wenn es ihm gefällt, mich zu rufen?«

»Aber, Vater, Vater, er ließ ja nicht den Sohn des Ptolemäus, er ließ den Verwalter dieses Palastes bitten, zu ihm zu kommen.«

»Wortklauberei! Du schweigst, ich komme ihm keinen Schritt entgegen.«

Da schlug das Mädchen die Hände vor das Antlitz und schluchzte laut und jammervoll auf.

Keraunus erschrak und wie außer sich rief er:

»Beim großen Serapis, ich kann das nicht länger ertragen! Was soll das Gewimmer?«

Da faßte sich das Mädchen ein Herz, und indem sie dem erregten Manne näher trat, sagte sie, mehr als einmal von Schluchzen unterbrochen:

»Du mußt gehen, Vater, du mußt! Ich habe mit dem Werkführer gesprochen und er sagte kalt und entschieden, der Baumeister stünde hier im Namen des Kaisers, und wenn du ihm nicht folgtest, würde er dich sofort deines Amtes entsetzen! Und wenn das geschähe, das! O Vater, Vater, denke doch an den blinden Helios und die arme Berenice! Arsinoe und ich finden schon unser Brot, aber die Kleinen, die Kleinen!«

Bei den letzten Worten hatte sich das Mädchen auf die Knie geworfen und die Hände zu dem widerspenstigen Manne erhoben.

Diesem war das Blut in den Kopf und die Augen gestiegen, und mit den Fingern an der hochroten Stirne spielend, sank er wie vom Schlage getroffen in den Stuhl zurück.

Sogleich sprang seine Tochter vom Boden auf und reichte ihm den mit Wein und Wasser gefüllten Pokal, der auf dem Tische gestanden hatte; Keraunus aber wies ihn mit der Hand zurück und rief, nach Atem ringend und keuchend:

»Mich meines Amtes entsetzen, mich aus diesem Palaste vertreiben! Da – da drinnen in der Ebenholztruhe liegt das Schreiben des Euergetes, das meinem Ahnherrn Philippus das Amt des Verwalters dieses Schlosses als eine in seiner Familie forterbende Würde überträgt. Dieses Philippus Gattin hatte die Ehre, die Geliebte oder, wie andere sagen, die Tochter des Königs zu sein. Da drin liegt das Dokument, mit roter und schwarzer Tinte auf gelbem Papyrus geschrieben und mit dem Siegel und der Unterschrift des zweiten Euergetes versehen. Alle Fürsten aus dem Kaufe der Lagiden haben es bestätigt, von allen Präfekten Roms ward es geachtet, und nun, nun . . .«

»Aber, Vater,« unterbrach das Mädchen den verzweifelnd die Hände ringenden Mann, »Du bist ja noch im Amte, und wolltest du dich nur bequemen . . .«

»Bequemen, bequemen!« schrie der Dicke und schüttelte die beiden feisten Hände über dem mit Blut überfüllten Haupte. »Ich will mich bequemen! Ich werde euch nicht ins Unglück stürzen. Ich gehe, gehe schon. Für meine Kinder lasse ich mich mißhandeln und treten. Wie der Pelikan will ich meine Jungen mit dem eigenen Herzblut erhalten. Aber du sollst wissen, was es mich kostet, diese Demütigung auf mich zu nehmen! Unerträglich ist sie, und das Herz will mir bersten; denn der Baumeister hat mich geschmäht, als wär' ich sein Diener; er hat mir, ja, mit diesen Ohren hab' ich's gehört, er hat mir, mir, dem der Arzt ohnehin droht, ich könnte an einem Schlagflusse sterben – er hat mir den bübischen Wunsch nachgeschrien, ich möchte in meinem Fleische ersticken! Laß mich nur, laß mich! Ich weiß, was alles möglich ist unter den Römern. So – da steh' ich! Hol mir das krokusfarbige Pallium, das ich im Rate trage, hol mir meinen goldenen Stirnreifen! Wie ein Opfertier werd' ich mich schmücken und will ihm auch zeigen . . .«

Dem Baumeister war kein Wort von diesem Gespräche entgangen, das ihn bald verdrossen, bald zum Lachen gereizt, bald auch das Herz bewegt hatte.

Seiner tatkräftigen Natur widerstand jedes träge, müßige Wesen, und das langsame, gleichgültige Verhalten des dicken Mannes bei einer Angelegenheit, die ihn und jeden Beteiligten drängen mußte, schnell und mit dem Aufgebot aller Kräfte zu handeln, hatte ihm Worte auf die Lippen gedrängt, die er nun lieber nicht gesprochen zu haben wünschte.

Gewiß, der törichte Bettelstolz des Verwalters war ihm ärgerlich gewesen, und wer hörte wohl gern von einem seine Herkunft befleckenden Makel reden? Aber die Klage der Tochter dieses armseligen Vaters hatte ihm das Herz ergriffen. Der unverständige Tropf, den er durch einen Wink seiner Hand ins Elend zu stürzen vermochte, der aber durch seine Mahnung wohl sehr viel tiefer gekränkt worden war, als er durch das, was er soeben vernommen, jammerte ihn, und so folgte er gern dem freundlichen Antriebe seiner edlen Natur, des Unglücklichen zu schonen.

Kräftig schlug er mit dem gebogenen Finger an die Innenseite der Tür des Vorzimmers, dann hustete er laut auf und sagte, indem er sich auf der Schwelle des Wohngemachs sehr tief vor dem Verwalter verneigte:

»Ich bin gekommen, edler Keraunus, um dir, wie sich's ziemt, meinen Besuch abzustatten. Verzeih die späte Stunde, aber du weißt kaum, wie beschäftigt ich war, seitdem wir uns trennten.«

Keraunus hatte den späten Gast zuerst erschrocken, dann verblüfft angeschaut.

Nun trat er ihm näher, streckte ihm wie von einem Alp befreit beide Hände entgegen und über sein Gesicht breitete sich ein so warmer Schimmer aufrichtiger Herzensbefriedigung, daß Pontius sich wunderte, ganz übersehen zu haben, ein wie wohlgebildetes Gesicht dieser dicke Sonderling hatte.

»Nimm an unserem bescheidenen Tische Platz,« bat Keraunus. »Geh, Selene, und rufe den Sklaven. Vielleicht ist noch ein Fasan im Hause, ein gebratenes Hühnchen oder dergleichen; – aber freilich die Stunde ist spät.«

»Verbindlichsten Dank,« entgegnete der Baumeister lächelnd. »Mein Abendbrot wartet auf mich in der Musenhalle, und ich muß zu den Leuten zurück. Ich wäre dir dankbar, wenn du mich begleiten wolltest. Wir haben über die Beleuchtung der Räume miteinander zu reden, und so etwas bespricht sich am besten bei einem saftigen Braten und einem Schluck Wein.«

»Ganz zu deinen Diensten,« sagte Keraunus und verneigte sich höflich.

»Ich gehe voran,« rief der Baumeister. »Habe nur zuerst die Güte, alles, was du an Lichtern, Lampen und Pechpfannen besitzest, den Sklaven zu übergeben, die in wenigen Minuten vor deiner Tür auf deinen Befehl warten werden.«

Als sich Pontius entfernt hatte, sagte Selene tief aufatmend:

»O, diese Angst! Ich gehe jetzt und suche die Lampen. Wie schrecklich konnte das enden!«

»Es ist gut, daß es so kam!« murmelte Keraunus. »Der Baumeister ist für seine Herkunft immerhin ein artiger Mann.«


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