Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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84. Kapitel.

Man begreift die Wirkung, welche die königliche Proklamation und die Predigten der Priester und Mönche auf die Bevölkerung der Dörfer und der Stadt hervorbrachten. Als ich die Gefangennehmungen der Jakobiner und die Enthauptungen von Emanuel de Deo, Gagliani, Vitagliano erzählte, sagte ich, wie die Stimmung der mittleren und aufgeklärten Klasse von Neapel war. Die Klasse der Lazzaroni, das heißt die zahlreichste, vielleicht hunderttausend Seelen, war aber für den König und hielt die Franzosen für Gottlose und für mit dem Kirchenbanne Belegte und Ketzer. Die Proklamation des Königs war nichts anderes als ein Aufruf zur Straßenräuberei. Nun ist aber, sozusagen, die Straßenräuberei in den Abruzzen und in der Terra di Lavoro eine Nationalsache. Jeder nimmt die Flinte, das Beil oder Messer und macht sich auf, ohne ein anderes Ziel vor Augen als Zerstörung, mit keinem anderen Trieb als nur Plünderung. So unterstützt er seinen Anführer, ohne ihm zu gehorchen; er folgt seinem Beispiel, aber nicht seinen Befehlen. Massen waren vor den Franzosen geflohen, nur vereinzelte Scharen marschierten gegen sie; eine Armee war verschwunden.

Was die Vorgänge in der Stadt betrifft, so war hier die furchtbarste Verwirrung zu sehen. Eine ganze Klasse der Gesellschaft, der Mezzoceto, die, welche sich Patrioten nannten und die man Jakobiner hieß, hielten sich zu Haus eingeschlossen, denn sie fürchteten sich der Wut des Volkes auszusetzen, die durch den Anblick eines langen Beinkleides oder eines à la Titus frisierten Kopfes bis aufs höchste gesteigert werden konnte. Ungeheure Zusammenrottungen bildeten sich auf allen Plätzen, auf dem Largo Castello, auf dem Largo de la Trinità, auf dem Largo delle Pigne, auf dem Mercatello, auf dem Altmarkt, kurz überall, wo man Gerüste gebaut und wo von diesen Gerüsten herab mit einem Kruzifix in der Hand ein Mönch predigte. Die Lazzaroni betrachteten sich als die Häupter dieser Versammlungen, stellten sich an die Spitze derselben und liefen durch die Toledostraße, die Chiaja und die Santa Lucia, indem sie riefen: »Es lebe der König, Tod den Jakobinern! Tod den Franzosen!« Vor ihnen schlossen sich alle Türen, alle Läden, alle Fenster. Als der Abend kam, zündete man, da man im Dezember stand und das Wetter regnerisch und kalt war, große Feuer an und verbrachte die Nacht in ihrer Nähe, indem man trank, sang und heulte.

Die Königin sah oft zu den Fenstern hinaus und konnte nicht umhin, über den Sturm zu erschrecken, den sie zu entfesseln beigetragen hatte, ohne zu wissen, ob unter diesen Windstößen nicht auch der Thron untersinken würde. Indessen faßte der König bei dem Anblicke des allgemeinen Aufstandes, bei den Nachrichten, die aus der Provinz kamen, wieder einigen Mut. Er ließ den schwachen Willen merken, den Widerstand zu organisieren und die Franzosen zu erwarten. Die Bauern fuhren fort Wunder des Fanatismus, und die Offiziere Wunder der Feigheit zu vollbringen. Tchudy, ein alter Oberst aus der Schweiz, der in Gaëta kommandierte, hatte die Tore dieser Festung geöffnet, obgleich dieselbe für uneinnehmbar galt. Civitella del Tronto, eine Festung, die auf einem unzugänglichen Berge lag, wurde von einem Spanier, dessen Name ich nicht mehr weiß, verteidigt. Nach zehn Stunden Belagerung ergab er sich mit seiner ganzen Garnison als Kriegsgefangener. Der Gouverneur des Forts von Pescara wartete gar nicht einmal, bis die Belagerung begann, sondern ergab sich bei den ersten feindseligen Kundgebungen. Dafür aber sengten, würgten und metzelten die Bauern alles nieder, was ihnen unter die Hände kam. Sie hatten sich der Stadt Teramo bemächtigt, die sie den Franzosen wieder abgenommen. Eine Masse Freiwillige waren aus der Terra di Lavoro ausmarschiert und zogen den Garigliano entlang, indem sie die Brücken abbrachen, sich auf der Landstraße in den Hinterhalt legten und Boten, einzelne Leute, ja sogar kleine Abteilungen von Soldaten ermordeten.

Auf der andern Seite, und wenn auch Gaëta, Civita del Tronto und Pescara sich ergeben hatten, so war Capua standhaft, und Macdonald erlitt hier einen schweren Verlust. Duhesme war vor demselben Capua mit zwei noch blutenden Wunden angekommen, dem General Maurice Mathieu war eine Kugel durch den Arm gegangen; der Oberst von Arnaud war gefangen genommen worden, der General Boisregard war getötet und Championnet kam keuchend aus der Terra di Lavoro heraus – und nannte die noch unbekannten Namen Fra Diavolo und Mammone, welche später eine so traurige Berühmtheit erlangen sollten. Die Täuschung verschwand. Wenn die Franzosen auch immer unbesiegbar waren, so waren sie doch wenigstens nicht mehr unverwundbar. Auch sagte man, daß die Franzosen sich bei Capua nicht in der Hoffnung, dasselbe einzunehmen, vereinigten, sondern um sich einen ehrenhaften Rückzug zu bereiten. Alle diese Nachrichten gaben den Neapolitanern das Vertrauen wieder, Ferdinand war so geliebt, daß er die Mißliebigkeit Actons und der Königin beim Volke nicht bloß aufwog, sondern auch vergessen machte. Jene eilige Flucht, die dem König die Achtung aller Leute von Charakter geraubt, hatte nur dazu beigetragen, ihn den Lazzaroni noch werter zu machen. Einer sagte dem andern wiederholt, daß Ferdinand, von seiner Armee verraten, gekommen sei, sich in ihre Mitte zu flüchten. Übrigens sagten sich die vernünftigen Freunde des Königtums – und wenn es deren auch nur wenige gab, so konnte man doch in Neapel noch eine ziemliche Zahl zusammenbringen – daß noch vierzigtausend Mann in den Händen Macks und Damas' seien, daß Nascelli acht- bis zehntausend aus Toscana zuführen könne, daß die bewaffneten Banden, die beim Aufrufe des Königs entstanden waren und die im Lande umherschweiften, wenigstens fünfzehntausend Mann betragen würden. Alle diese vereinigten Kräfte bildeten eine Totalsumme von sechzig- bis fünfundsechzigtausend Mann, gestützt auf eine Stadt von fünfhunderttausend Einwohnern, und auf die dreifache Flotte der Engländer, Portugiesen und Neapolitaner.

So war es augenscheinlich, daß in diesem Ozean von Menschen zehn- bis zwölftausend Franzosen verschlungen werden und verschwinden mußten. Dies alles aber beruhigte Karolinen nicht. Sie fühlte bei dem Widerwillen, den sie gegen die Neapolitaner empfand, daß diese sie haßten. Acton hatte ebenso wie sie das Gefühl dieses Hasses. Auf der andern Seite hatte sich die Furcht der Staatsinquisitoren vom ersten Augenblicke an bemächtigt. Castelcicala, Vanni, Guidobaldi wußten sich von geheimer Rache umgeben und verstärkten, indem sie um die Wette zitterten, die Fluchtpartei. Nelson, der in Sizilien für alles bürgte, haftete in Neapel für nichts. Aber wenn der König in Neapel blieb, so durfte niemand wagen, ihn zu verlassen. Deshalb mußte man den König dazu bestimmen, indem man ihn durch irgend ein furchtbares Schauspiel erschreckte, und sozusagen aus Neapel hinausjagte. Wenn in dem Ereignis, welches ich erzählen will, ein Verbrechen lag – worüber ich weiter nicht entscheiden will – so war dieses Verbrechen von der Königin und Acton beschlossen und ausgeführt.

Ich habe bereits ein Wort von der Verlegenheit gesagt, die Ferrari verursachte, weil er dem König eine falsche Depesche überbrachte. Wenn der König nun in einem solchen Augenblicke auf irgend eine Weise erfuhr, daß er getäuscht worden war, so konnte sein Zorn ein furchtbarer werden. Nun aber war am Abend des 19. Dezember eine Depesche aus Wien gekommen, und die Königin, die stets auf der Lauer lag, hatte dieselbe aufgefangen. Diese Depesche hätte dem König, wenn sie bis zu diesem gekommen wäre, alles offenbart. Der Kaiser schrieb nämlich seinem Neffen, daß er, indem er vor der Zeit gehandelt, die Sache Europas verraten habe, und daß er verdiene, seinem Schicksale überlassen zu werden. Von diesem Augenblicke an war über Ferrari, der bis jetzt bloß gerichtet war, der Stab gebrochen und sein Tod bestimmt, den König zu schrecken. Ich wiederhole es, in dieser ganzen Sache spreche ich nur vom Hörensagen, und wenn ich mir geschworen hätte alles der strengsten Wahrheit gemäß zu gestehen, so würde ich diese Tat mit Stillschweigen übergehen, weil ich die Richtigkeit hier nicht so bestätigen kann, wie bei Sachen, bei denen ich selbst beteiligt gewesen bin. Ich glaube von einem gewissen Pasquale de Simone gesprochen zu haben, der im Solde der Königin stand und den man deshalb den Sbirren oder Häscher der Königin nannte. Er erhielt, sagte man, fünftausend Dukaten mit dem Befehle, einen Teil davon unter das Volk, besonders unter die Hafenarbeiter und Seeleute, zu verteilen. Es handelte sich darum, sich eines Mannes zu entledigen, den Pasquale de Simone dem Zorne des Volkes dadurch bezeichnen würde, daß er ihn einen Jakobiner nannte. Am 20. Dezember, gegen zehn Uhr abends, kam Ferrari aus dem Palais, um ein Billett des General-Kapitäns an Lord Nelson zu besorgen. Pasquale de Simone wartete auf ihn in der Nähe der Straße del Piliero, d. h. an der Ecke des Kai, dem Hafendamme gegenüber. Durch ein Zeichen gab er den Seeleuten zu verstehen, daß dies der Mann sei, von dem die Rede war. Die Seeleute antworteten durch ein anderes Zeichen, daß sie ihn verstanden hätten. Ferrari sprang ohne irgendwelches Mißtrauen vom Kai in ein Boot und befahl zweien der Seeleute, ihn an Bord von Nelsons Schiff zu bringen. Die Ruderer verlangten im voraus bezahlt zu werden.

Ferrari gab ihnen vier Carlins. Es war dies gut bezahlt. Die Seeleute forderten einen Piaster. »Nehmt euch in acht, was ihr tut,« sagte Ferrari; »ich bin der Kurier des Königs.« – »Du?« antwortete einer der Seeleute, ermutigt durch ein Zeichen von Pasquale de Simone. »Wir kennen dich, du bist ein Jakobiner.«

Kaum war das Wort gesprochen, so blitzten auch schon zwanzig Messer und der unglückliche Ferrari fiel, von Stichen durchbohrt. Den Tag vorher hatte eine große Demonstration stattgefunden, die den König in seinem Entschlusse, in Neapel zu bleiben, nicht wenig bestärkt hatte. Eine ungeheure Menge Volkes hatte sich auf dem Schloßplatze versammelt, indem sie rief: »Tod den Jakobinern!« Zugleich hatte man nach ihren Namen gefragt, um sie alle niederzumetzeln, und zu verstehen gegeben, daß, wenn erst die inneren Feinde vernichtet seien, es leicht sein würde, auch die äußeren Feinde zu vertilgen. Bei dem wütenden Geschrei, welches die Menge erhob, hatte sich der König auf dem Balkon gezeigt, dem Volke durch Gebärden und Worte gedankt und den Fürsten Pignatelli unter die Menge geschickt, mit dem Auftrage, mit ihren Anführern zu sprechen und ihnen zu sagen, daß die Abreise des Königs, die man vor der Zeit gemeldet, noch lange nicht bestimmt sei, und daß aller Wahrscheinlichkeit nach der König, wenn er sicher sein könnte, durch das Volk unterstützt zu werden, bleiben würde.

Und das Volk hatte gerufen:

»Für Gott und den König sind wir bereit, uns vom ersten bis zum letzten umbringen zu lassen!«

Das war die Demonstration, welche die Königin und die ganze Fluchtpartei so sehr erschreckt hatte. Den nächsten Tag, zu derselben Stunde, hörte der König denselben dumpfen Lärm, der mit Heulen und Geschrei vermischt war, wie es der Pöbel aller Länder und besonders der Pöbel Neapels hören läßt. Der König glaubte, es wäre eine harmlose oder wenigstens nur den Worten nach feindselige Demonstration, und begab sich wie gewöhnlich auf seinen Balkon. Die Menge kam dieses Mal von der Seite des Theaters San Carlo herauf und rollte etwas Unförmliches mit sich fort, was der König vergebens zu erkennen bemüht war. Man hörte nur das Geschrei:

»Der Jakobiner! Tod dem Jakobiner!«

Der König fing an zu begreifen, daß dieser unförmliche, blutende, durch den Kot geschleifte Gegenstand sehr wohl der Körper eines Menschen sein könne. Der Körper dieses Menschen, wenn es wirklich ein Körper war, konnte aber nur der eines Feindes sein, und der König war so ziemlich derselben Meinung wie König Carl der Neunte, welcher, indem er den Leichnam des Admirals Coligny betrachtete, sagte: »Die Leiche eines Feindes riecht immer gut!« Somit empfing er die Menge mit seinem gewohnten Lächeln. Als aber die Menge, um dieses Lächeln auf angemessene Weise zu beantworten, den Leichnam aufrichtete, erkannte der König nach einem Augenblicke des Zögerns Ferrari, stieß einen Schrei des Entsetzens aus, wankte zurück, und fiel, die Augen mit den Händen bedeckend, in einen Lehnstuhl. Diesen Augenblick hatte die Königin eben abgewartet. Sie trat ein, nahm den König beim Arm und führte ihn fast mit Gewalt an das Fenster.

»Sehen Sie,« sagte sie, »mit unseren Dienern fängt man an; mit uns wird man aufhören. Das ist das Schicksal, was uns, Ihnen, mir und unsern Kindern, vorbehalten ist!«

»Geben Sie Befehl, und reisen wir ab!« rief Ferdinand, indem er sein Fenster zuwarf, und sich in den Hintergrund seiner Zimmer zurückzog. Die Partie war gewonnen.


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