Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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68. Kapitel.

Die Königin und ich, wir blieben allein. Marie Karoline war bewegt; man fühlte aber, daß es bei diesem mit einem dreifachen Panzer bekleideten Herzen ganz anderer Bewegungen bedurfte, um es zu schmelzen. »Jetzt kommt die Reihe an uns,« sagte sie. Ich hatte meinen Mantel nicht abgelegt, sie band den ihrigen um, schlug ihre Kapuze über das Gesicht, nahm meinen Arm und zog mich nach der Treppe. Am Fuße derselben fanden wir den Wagen, in dem ich nach der Brigittenstraße gefahren war. Die Königin stieg ein, ich folgte. Der Lakai schloß die Tür. »Wohin?« fragte er. – »Nach der Vicaria,« erwiderte die Königin. Und der Wagen fuhr schnell durch die Toledostraße, verließ dieselbe an der Ecke des Palastes Maddalone, um sich in dem Labyrinth von Gäßchen zu verlieren, welche nach dem alten capuanischen Palaste führen. Ich war mehrere Male am Fuße dieser Mauern vorübergekommen und hatte mit Grauen die Gefangenen an dem Gitter ihres Gefängnisses hängen und die Häupter der Geköpften an den Ecken der Mauern ihres eisernen Käfigs vertrocknen sehen. Jetzt aber sollte ich in den furchtbaren Umkreis treten, wo die Verurteilten ihren dreitägigen Todeskampf kämpften.

Es war sehr wahrscheinlich, daß ich nicht nur etwas Neuem, sondern auch etwas Schrecklichem, Furchtbarem, etwas Unerhörtem beiwohnen sollte.

Ich schmiegte mich schaudernd an die Königin und fühlte, wie sie hart und kalt wie Marmor war. Sie mußte furchtbar gelitten haben, daß sie so gleichgültig hatte werden können.

Ohne Zweifel erwartete man uns, denn schon bei dem Geräusch unseres Wagens öffnete sich die Tür und wir befanden uns auf dem Hof. Ein Mann stand am Fuße einer linksgelegenen Treppe mit einer Laterne. Der Lakai öffnete den Schlag, die Königin stieg aus und schritt gerade auf diesen Mann zu. Ich folgte ihr mit wankendem Tritt.

»Sie sind der Oberkerkermeister, nicht wahr?« sagte die Königin in dem befehlenden Tone, der nur ihr eigen war. – »Ja, Madame.« – »Sie erwarten mich?« – »Ich erwarte eine Person, die mir einen Befehl des Fiscalprocurators überbringen soll.«

»Hier ist dieser Befehl.«

»Sie erlauben doch, daß ich ihn lese?«

»Das ist sogar Ihre Pflicht.«

Der Kerkermeister las den Befehl des Fiscalprocurators, faltete das Papier zusammen und steckte es in die Tasche. »Jetzt, Madame,« sagte er, »haben Sie mir zu befehlen, und ich habe zu gehorchen. Was wünschen Sie?« – »Der Vater des Verurteilten Emanuelo de Deo hat von dem Herrn Fiscalprocurator die Erlaubnis erhalten, eine Stunde mit seinem Sohne zu sprechen. Ich möchte der Unterredung beiwohnen, ohne daß man wüßte, daß ich da wäre, und wo möglich hören, was sie sprechen.«

»Nichts ist leichter, Madame. Die drei Gefangenen sind in der Totenkammer.« So nennt man nämlich das Zimmer, in welchem die Verurteilten die letzten drei Tage ihres Lebens zubringen. Von einer Seite steht dieses Zimmer mit der Kapelle in Verbindung, von der anderen mit der Garderobe, in welcher die Brüderschaft der Bianchi, welche die Verurteilten zur Richtstätte begleiten, ihre langen weißen Kleider aufbewahrt. In diesem Kabinett, in welches man durch eine geheime Treppe gelangt, ohne daß man weder durch die Kapelle noch durch die Totenkammer gehen muß, sind unsichtbare Öffnungen angebracht, damit die Richter das Gespräch der Gefangenen untereinander hören, und selbst ihre Gebärden wahrnehmen können. »Sie können in dieses Kabinett gehen, und werden daselbst alles sehen und hören, was in der Totenkammer vorgeht.«

»Es ist gut. Wir wollen gehen!«

Der Kerkermeister öffnete das Gitter, an welches er sich lehnte, die Königin ging durch und stieg kühn die dunkle Treppe hinauf, die sich vor ihr befand.

»O Madame, Madame, warten Sie!« rief ich ihr zu.

Das Gitter schloß sich hinter uns, indem es in seinen Angeln knarrte. Dann rasselte der Schlüssel im Schloß.

Karoline hatte den ersten Treppenabsatz erreicht, tastend hatte ich sie gesucht und gefunden, denn dank unserer schwarzen Kleider waren wir in der Dunkelheit vollkommen unsichtbar. Ich klammerte mich an die Königin an.

Der Kellermeister ging an uns vorüber und seine Laterne warf einen bleichen Lichtschein auf die schwarzen Mauern.

In der ersten Etage schloß ein zweites Gitter die Treppe in ihrer ganzen Breite. Der Kerkermeister öffnete es wie das erste, mit demselben Knarren der Angeln und Schlüssel, dann gingen wir hindurch, dann schloß es sich hinter uns und ich fühlte mich doppelt bedrückt, denn jedem, auch dem Unschuldigen, der ein Gefängnis betritt, ist es, als ob diese furchtbaren Pforten, obgleich sie für das Verbrechen allein gemacht sind, sich nie wieder öffnen sollten. Wir gingen einen feuchten und engen Korridor entlang, auf den sich vergitterte Fenster öffneten, die Licht in die Zellen bringen sollten. Als die Laterne zu einer so ungewöhnlichen Stunde an den Fenstern vorüberkam, sah man hier und da die undeutliche Gestalt eines Gefangenen sich auf seinem Lager aufrichten und hörte das Knistern des Strohes. Ich war von unendlicher Furcht erfüllt, wie es stets der Fall ist, wenn man sich an einem unbekannten und unheimlichen Orte befindet. Von Zeit zu Zeit mußten wir warten; ein neues Gitter ward vor uns geöffnet, dann wieder geschlossen und bei jedem war es mir, als ob ich, wie Dante, eine neue Stufe in der Hölle überschritte. Wenn ich mit unserem Führer allein gewesen wäre, so wäre ich ohnmächtig zusammengesunken, und wenn ich ganz allein gewesen wäre, so hätte die Furcht mich getötet. Endlich erreichten wir das Ende des Korridors, welches an eine ebenso enge Treppe wie der Korridor selbst stieß und die mit einem Gitter eiserner Querstangen wie die der Fenster geschlossen war. So klein meine Hand auch war, so konnte ich doch dieselbe nicht durch diese Stangen bringen. Der Kerkermeister drehte sich herum und sagte mit leiser Stimme: »Wir brauchen nur dieses Gitter noch zu öffnen und diese Treppe hinaufzugehen, dann sind wir da.« – »Dann öffnen Sie,« sagte die Königin mit einer Stimme, welche nicht die geringste Gemütsbewegung verriet.

Der Kerkermeister gehorchte, jedoch mit einer Vorsicht, welche bewies, daß mir uns wirklich unserem Ziele näherten und daß er nicht von denen gehört zu werden wünschte, denen unser Besuch galt. Übrigens waren die Schlösser und Angeln dieses letzten Gitters so angebracht, daß sie sich ohne das geringste Geräusch bewegten. Mußten nicht Augen und Ohren sich denen, die sie bespionieren und verraten wollten, schweigend nähern können?

Wir erreichten eine Art großes Kabinett, in welches die Königin entschlossen eintrat, ich aber blieb auf der Schwelle stehen. An den Wänden hingen, stehenden unbeweglichen Schatten gleich, die langen weißen Gewänder der Bianchi, nur an den Augen durchlöchert, denn, wie wir bereits gesagt haben, legten die Bianchi in diesem Kabinette, welches an die Totenkammer stieß, das unheimliche Kostüm an, in welchem sie die zum Tode Verurteilten zum Schafott begleiteten.

Die Königin sah meine Furcht und erriet die Ursache derselben. Ohne etwas zu sagen, faßte sie eins der Gewänder und schüttelte es, um mir zu beweisen, daß nichts unter seinen Falten verborgen wäre, nicht einmal ein Gespenst. Dann deutete sie mir an, daß ich eintreten sollte.

Hierauf zeigte ihr der Kerkermeister in dem Getäfel der Wand so angebrachte Löcher, daß man sie von der Totenkammer aus nicht bemerken konnte. Übrigens konnten die Gefangenen in dieser Kammer, da sie nicht mehr die Freiheit ihrer Bewegungen besaßen, weder das Getäfel noch die Wände untersuchen. Außerdem war eine blecherne Röhre nach Art eines Sprachrohres für das Ohr angebracht, ebenso wie das Auge gerade in die Öffnung hineinpaßte, so daß die in dem Kabinette versteckte Person zugleich sehen und hören konnte, was in der Totenkammer vorging. Es waren zwei solche Öffnungen und zwei solche Röhren vorhanden. Der Kerkermeister zeigte uns dieselben.

»Erwarten Sie uns unten an der Treppe auf dieser Seite des Gitters,« sagte die Königin zu ihm.

Der Kerkermeister gehorchte. Er ließ seine Laterne auf der Erde stehen, die Königin hob sie auf und gab sie ihm in die Hand.

Wir blieben im Dunkeln, da aber die Totenkammer, um den Namen einer »brennenden Kapelle« zu verdienen, tageshell erleuchtet war, so erschienen zwei lichte Punkte an dem dicken Getäfel und zeigten genau den Ort an, zu welchem das Auge hineinsehen sollte. Wir näherten uns, indem wir den Atem einhielten, dem Getäfel, legten sorgfältig die Hand darauf, damit es nicht knistern sollte, dann blickten wir durch die Öffnung und sahen folgendes: In einem viereckigen Gemach von mittlerer Größe, das keinen anderen Ausgang als eine nach einer Kapelle führende Tür besaß, lagen drei Matratzen am Boden, und auf den Matratzen lagen die drei Verurteilten, Emanuelo de Deo, Gagliani und Vitagliano. Ihre Füße und Hände staken in eisernen, am Boden befestigten Ringen. Nur waren die Fußringe fest im Boden, während die Handschellen, welche an einer, drei bis vier Fuß langen Kette hingen, den Gefangenen erlaubten, sich auf ihr Bett zu setzen und selbst die Hand zu einer gewissen Höhe zu erheben. Diese drei Matratzen waren an die Wand gelehnt, die eine im Hintergrunde des Zimmers uns gegenüber, die beiden andern uns zur Rechten und Linken. Nur war die zur Rechten liegende, welche dem jungen Emanuele de Deo gehörte, an eine an die Wand gemalte Freske gelehnt, die Christus am Kreuze und Maria zu seinen Füßen kniend darstellte. Vor dieser Freske brannten ungefähr zwanzig Kerzen, die den Gefangenen wie eine feurige Mauer umgaben. Er saß auf seinem Lager, wie das Gemälde oder der Kupferstich – denn ich habe das Gemälde nie gesehen – wie der Kupferstich von Davids Gemälde uns Sokrates darstellt, wie er eben im Begriff ist, den Giftbecher zu trinken. Anstatt des alten Weisen aber mit der gewölbten Stirn, der abgeplatteten Nase, wie er zu den Athenern sagt: »Es war gar nicht der Mühe wert, mir das Leben zu nehmen, Ihr hättet mich nur sterben zu lassen brauchen,« saß hier ein junger Mann mit griechischem Profil, bleichem Teint, flammenden Augen und schwarzem Haar, welches in langen Locken auf seine Schultern herabfloß, denn, wie sein Vater gesagt hatte, hatte sein Haar während der dreijährigen Haft Zeit gefunden, wieder zu wachsen.

Ich weiß nicht, welches Gefühl des Mitleids oder der Bewunderung der Anblick des jungen Emanuele der Königin einflößte; was mich betraf, so kehrten meine Augen, nachdem ich einen Blick auf seine Gefährten geworfen, wieder zu ihm zurück, um ihn nicht wieder zu verlassen. Ein Maler hätte ein prachtvolles Bild schaffen können, wenn er diesen jungen Mann dargestellt hätte, der von den ihn umgebenden Kerzen beleuchtet ward, an eine Matratze zu Füßen der Freske, an die er sein Haupt lehnte, gefesselt war, nur mit einem schwarzen Beinkleide bekleidet, den Kragen auf die Schultern zurückgeschlagen, das Hemd auf der Brust offen. So sprach er mit seinen Gefährten über Tod und Unsterblichkeit. Er war wirklich wunderschön und man hätte ihn für den heiligen Johannes, den Lieblingsjünger des Herrn, halten können, hätte er nicht schwarzes Haar an Stelle der blonden Locken gehabt, die Leonardo da Vinci, der unsterbliche Maler des »heiligen Abendmahls«, dem Jünger gibt.


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