Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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79. Kapitel.

Der König und die Königin bestiegen nach mir den »Vanguard« und fanden mich in dem bereits geschilderten Zustande an Nelsons Brust, von seinem einzigen Arm gestützt. Sein Hut war auf das Deck gefallen und in der Ekstase seines Glückes blickte er mit rückwärtsgeneigtem Haupte gen Himmel. Endlich brachten ihn die Hurras der auf den Raaen stehenden Matrosen wieder zu sich; er wendete den Blick wieder der Erde zu und sah nun, was um ihn her vorging. Um ihn herum standen der König, die Königin, die Minister und die Höflinge, die alle gekommen waren, um dem Helden von Abukir zu huldigen, wie sie dem Siegesgotte selbst gehuldigt haben würden. Der König hielt einen prachtvollen Degen in der Hand, der reich mit Diamanten besetzt war und der einen materiellen Wert von fünftausend Pfund Sterling hatte, jedoch außerdem noch von unberechenbarem historischen Werte war. Es war dies nämlich der Degen, den Ludwig der Vierzehnte Philipp dem Fünftem bei seiner Abreise nach Spanien gegeben hatte und den dieser wieder seinem Sohne schenkte, als dieser nach Neapel ging. Als der König Philipp der Fünfte den Degen seinem Sohne Don Carlos gab, sagte er: »Dieser Degen gehört dem Eroberer des Königreichs Neapel,« und als Don Carlos ihn seinem Sohne vermachte, hatte er gesagt: »Dieser Degen gehört dem Verteidiger des Reiches, das ich dir erobert habe.« Ferdinand betrachtete jetzt Nelson als den Erretter des Königreiches und gab ihm das prachtvolle Erbstück, das von seinem Großvater und seinem Vater auf ihn gekommen war. Die Königin überreichte ihrerseits dem verstümmelten Helden das Patent eines Herzogs von Bronte. Es war dies eine feine Schmeichelei, da Bronte einer der drei Zyklopen war, die den Donner schmieden, und die Königin nannte ihn in Wirklichkeit auch den Herzog vom Donner. Mit dieser Herzogswürde war ein Einkommen von dreitausend Pfund Sterling verbunden. Außerdem teilte der König Nelson mit, daß er die Absicht habe, einen militärischen Verdienstorden zum heiligen Ferdinand zu stiften, und versprach ihm den ersten Grad dieses Ordens, der nach den Familienpatenten verteilt werden würde. Damit die vornehmen Gäste bequem an Bord steigen könnten, hatte der »Vanguard« beigelegt. Ich glaubte, daß es für Nelson die angenehmste Schmeichelei sein müßte, wenn wir ihn bäten, uns die Narben seines Schiffes, das nicht weniger verstümmelt war, als er, zu zeigen. Denn dadurch ward er genötigt, uns die Schlacht zu erzählen und demnach auch von sich zu sprechen. Natürlich begannen wir mit der Kajüte des Admirals. Kaum hatten wir dieselbe betreten, als ein kleiner Vogel, eine Art Feigenschnepfe, zum Fenster hereinflog und sich auf Nelsons Schulter setzte. Eben wollte ich, erstaunt über die Zutraulichkeit dieses neuen Gastes, Nelson fragen, als dieser einen Freudenschrei ausstieß.

»O,« sagte er, »sei mir willkommen, und heute mehr denn je, mein reizender Begleiter!« Und er nahm den kleinen Vogel in die Hand, küßte ihn und reichte ihn mir zum Kusse, worauf er ihn wieder auf seine Schulter setzte, wo er ganz ruhig sitzen blieb, ohne sich durch unsere Gegenwart stören zu lassen. Was Nelson soeben gesagt, erregte den lebhaften Wunsch in mir, etwas Näheres über das reizende kleine Tier zu erfahren, welches gekommen zu sein schien, um dem Sieger vom Nil seine Glückwünsche darzubringen. Dieselbe Neugierde bemerkte ich auch in den Augen der Königin, des Königs und in denen aller Umstehenden. »So hören Sie denn, was ich Ihnen sagen werde,« hob Nelson an, »und halten Sie es nicht für ein Weihnachtsmärchen. Dieser kleine Vogel ist mein guter Genius!« – »Inwiefern, Mylord?« fragte ich. – »Die Alten kämpften nicht, ohne die Wahrsager zu befragen, versichert man uns. Auch ich sollte nie kämpfen, ohne meinen kleinen Vogel zu befragen, denn er ist mein Prophet.« – »O erzählen Sie uns die Geschichte, Mylord!« sagte die Königin. – »Ich weiß wirklich nicht, ob es der Mühe wert ist, eine solche Kinderei Euer Majestät zu erzählen,« sagte Nelson. – »O ja, ja,« riefen wir, die Königin und ich, gleichzeitig. – »Nun, Madame, nun, Mylady, in was für einem Lande der Erde ich mich auch befinde, so kommt stets, wenn mir ein Glück bevorsteht, ein solcher Vogel – ich will nicht behaupten, daß es stets derselbe ist – und setzt sich auf meine Schulter. Wenn mir jedoch ein Unglück bevorsteht, so verschwindet er. Zum ersten Male sah ich ihn in Nordamerika und zwar in Kanada. Von vier französischen Fregatten verfolgt, wußte ich keinen anderen Ausweg, als eine bis dahin für unzugänglich gehaltene Durchfahrt zu passieren. Der Vogel setzte sich auf meine Schulter. Ich lenkte meine Brigg durch die Felsen und kam glücklich durch. Hierauf flog der Vogel fort. . . . Vor fünf Jahren kam ich von Toulon nach Neapel. Ich kreuzte den Kanal von Ischia, stand auf dem Deck und der Vogel setzte sich auf meine Schulter. Am folgenden Morgen hatte Seine Majestät der König die Gnade, mich wie einen Freund zu empfangen und Sir William nahm mich auf wie einen Sohn. Die Königin reichte mir die Hand zum Kusse, und Sie, Mylady, sagten zu mir: ›Dieses Haus ist das Ihrige,‹ indem Sie mir ein Zimmer im Gesandtschaftshotel zur Verfügung stellten. . . . Bei der Belagerung von Calvi, wo ich ein Auge verlor, und bei der Belagerung von Teneriffa, wo ich einen Arm verlor, habe ich meinen kleinen Propheten nicht gesehen. Am Morgen von Abukir aber setzte er sich wieder auf meine Schulter, und jetzt ist er abermals da. Er ist zugleich mit Ihnen in die Kajüte gekommen. So kann ich diesen Vogel denn mit Recht meinen guten Genius nennen. Wenn ich ihn am Vorabend einer Schlacht nicht wiedersehe, so werde ich mein Testament machen, denn der nächste Tag wird dann wahrscheinlich mein letzter sein. . . . Verzeihen Sie aber, daß ich Ihnen eine solche Torheit erzählt habe! Sie wissen ja, Madame, daß die Seeleute ihren Aberglauben haben; mein lieber, kleiner Vogel ist mein Aberglaube, und mehr als je werde ich von nun an daran festhalten.«

»Und niemals hat er sich auf die Schultern eines andern, als auf die Ihrigen gesetzt?« fragte ich Nelson. – »Niemals.« – »Niemals hat er sich von einer andern Hand als der Ihrigen angreifen lassen?« – »Niemals – Sie müßten es aber versuchen.« Ich streckte die Hand aus, der Vogel ließ sich fassen. Ich weiß nicht, warum ich so erfreut war, etwas mit diesem Helden gemein zu haben. Ich ließ den Vogel los und er setzte sich wieder auf Nelsons Schulter. »Ah, Madame,« sagte ich zur Königin, »versuchen Sie es doch auch einmal.« – Die Königin streckte die Hand aus, der Vogel tat jedoch einen leisen Schreckensruf, flog nach dem Fenster und verschwand. Nelson hielt meine Hand und drückte sie. Ich konnte nicht umhin, diesen Druck zu erwidern.

Dieser Zwischenfall, an den ich seitdem so oft gedacht habe, lenkte uns eine Zeitlang von dem begonnenen Besuche ab, dann aber setzten wir denselben fort. Wenn man die Kugellöcher zählte, welche sich in dem »Vanguard« befanden, so fragte man sich, wie es möglich gewesen, daß das Schiff nicht gesunken und die ganze Mannschaft vom ersten bis zum letzten Mann getötet worden war.

Es war ein Uhr. Um nach Neapel zurückzukehren, brauchte man wenigstens zwei und eine halbe Stunde, und dann mußten wir auch das Te Deum anhören. Sir William, der ein Diner bestellt hatte, welches eines Apicius würdig gewesen wäre, fürchtete für dasselbe und sagte dem Könige, daß man, wenn man noch länger auf dem »Vanguard« verweile, Gefahr liefe, entweder alles kalt oder verbrannt essen zu müssen. Der König Ferdinand war für dergleichen Bemerkungen sehr empfänglich. Er sprach daher mit der Königin und diese lud Nelson ein, mit an Bord der Hauptbarke zu kommen. Jetzt war der Admiral Caracciolo an der Reihe, die Honneurs auf der Barke zu machen. Er stellte sich unten an die Treppe des »Vanguard« und empfing zuerst den König, die Königin und mich, dann den Kronprinzen und seine Schwester, vor der man mir fast immer mit oder ohne Absicht den Vortritt ließ, dann die Minister, die Gesandten, die hohen Offiziere, kurz alle, die mit der Hauptbarke gekommen waren, und dann Nelson. Die Begrüßung der beiden Admiräle war auf beiden Seiten kurz und kalt. Überdies sprach Caracciolo auch nicht englisch, ebensowenig wie Nelson italienisch. Er sagte seinem Kollegen ein Kompliment in bezug auf die Schlacht am Nil und da Nelson nicht antworten konnte, so lächelte und grüßte er nur. Man steuerte auf Neapel zu. Caracciolo begab sich wieder auf seine Quartierbank. Die Königin ließ Nelson zwischen sich und mir Platz nehmen.

Kaum hatte man von den Kastellen aus gesehen, daß die Flottille sich vom »Vanguard« trennte und wieder den Weg nach Neapel einschlug, so fingen auch die Kanonen wieder zu donnern und die Glocken zu läuten an. In dem Augenblicke, wo Nelson den Fuß auf die Galeere setzte, hatte die Musik auf ein Zeichen das prächtige Lied: »God save the King« angestimmt, welches Ludwig der Vierzehnte zu Ehren Jakobs des Zweiten, der als Verbannter in Saint-Germain lebte, von Lully hatte komponieren lassen. Nelson, der einfache Sohn eines Pfarrers von Burnham-Thorpe, der nie an den Hof gekommen und höchstwahrscheinlich nie mit einem König, einer Königin, ja nicht einmal mit einem Fürsten gesprochen hatte, war berauscht, ja beinahe wahnsinnig. Meine Augen, die ihm das Interesse, welches ich für ihn empfand, nicht verbargen, brachten ihn vollends um die Besinnung. Diese Rückkehr nach Neapel schien eine Auferstehung der antiken Gebräuche, die zu der Zeit herrschten, als Miltiades oder Themistokles als Sieger in Athen einzogen. Noch mehr aber war dies der Fall, als man sich dem Ufer näherte, als Nelson den Molo, die Kais, die Plattformen der Türme, die Terrassen der Häuser mit Menschen bedeckt sah, als er die Beifallsrufe, die Vivats, die Hurras der Menge hörte, als die Artillerie die Salven und die Glocken ihr fröhliches Geläute verdoppelten, kurz, als ganz Neapel, diese zu allen Zeiten so geräuschvolle Stadt, die verschiedenartigen Geräusche, welche stets bei besonderen Gelegenheiten der Ausdruck der Freude oder des Zornes von fünfhunderttausend Einwohnern sind, verdrei-, vervier-, ja verfünffachte.

Noch sehr von seiner letzten Wunde angegriffen, erblaßte er mehrere Male sichtlich und schien nahe daran, ohnmächtig zu werden.

Ehe ich die Barke verließ, lud ich, auf die Bitte der Königin, den Admiral Caracciolo ein, mit an dem Feste teilzunehmen, welches seinem Kollegen, dem englischen Admiral Nelson, zu Ehren gegeben werden sollte. Mochte uns nun aber der neapolitanische Fürst für zu schlechte Gesellschaft für sich halten, oder mochte seine Entschuldigung eine wirklich begründete sein, kurz, er erwiderte mir mit großer Höflichkeit, daß er, da die Nacht stürmisch zu werden drohte, und der Hafen von nur mäßiger Sicherheit wäre, das Ankern der englischen Schiffe, die, da sie schon im Kampfe sehr gelitten, vielleicht einem Sturme nicht mehr würden widerstehen können, selbst überwachen wolle. Mochte diese Entschuldigung nun gut oder schlecht sein, ich nahm sie an; da aber seine Schwester und seine Nichte Cäcilia zu dem Ball eingeladen waren, welcher auf das Diner folgen sollte, so sagte ich Caracciolo, daß ich wenigstens hoffte, das Vergnügen der Gesellschaft der beiden Damen zu genießen. Er antwortete mir jedoch mit derselben Höflichkeit, aber auch mit derselben Kälte, daß seine Schwester schon seit drei Tagen so unpäßlich sei, daß sie das Zimmer nicht verlassen dürfe, und daß sie daher, zu ihrem großen Bedauern, meiner Einladung nicht Folge leisten könnte. Die erste Entschuldigung hatte ich ruhig und lächelnd hingenommen, bei der zweiten abschlägigen Antwort aber konnte ich mich einer ungeduldigen Bewegung nicht enthalten. Die Königin bemerkte es und näherte sich uns. »Der Fürst Caracciolo,« sagte sie, »ist ein zu fein gebildeter Edelmann, als daß er dir eine unhöfliche Antwort hätte geben können, liebe Emma, und dennoch scheint es, deinem Gesicht nach zu urteilen, als ob du dich über ihn beklagen müßtest.« Anstatt sich zu beeilen eine Antwort zu geben und sich zu rechtfertigen, ließ der Admiral mir Zeit, das Wort zu ergreifen. »Nein, Madame,« erwiderte ich, »nicht über den Admiral, sondern über mein Verhängnis muß ich mich beklagen.« – »Du weißt, liebe Emma, daß ich die Rätsel nicht liebe, daher erkläre dich!« sagte die Königin in dem Tone, der bei ihr stets den Beginn eines Sturmes andeutete. – »Gewiß, Madame, das Verhängnis will, daß wir des Vergnügens beraubt werden, Seine Exzellenz zu empfangen, da das jetzt so herrliche Wetter diese Nacht stürmisch zu werden droht. Und ein nicht minder grausames Geschick hat es gewollt, daß die Schwester des Herren Admirals noch an demselben Tage, wo sie unsere Einladung erhalten, von einer so ernsten Unpäßlichkeit befallen worden ist, daß sie das Zimmer hüten muß, wodurch die reizende Cäcilia genötigt worden ist, als gute Tochter bei ihrer Mutter zu bleiben. So kommt es denn, daß durch dieses doppelte Verhängnis die Festlichkeiten, die man dem einen Admiral zu Ehren gibt, und zwar einem Admiral, welcher die Franzosen besiegt hat, vorübergehen werden, ohne daß wir zu seiner Ehre nur eine einzige Person aus der Familie des berühmten Admirals Caracciolo bei uns sehen können, und ohne daß der Herr Admiral selbst im Namen der neapolitanischen Marine einen Toast auf die englische Marine ausbringen kann.«

Die Königin ward sehr bleich und runzelte die Stirn. »Nehmen Sie sich in acht, mein Herr Admiral!« sagte sie, »diejenigen, welche gute oder schlechte Entschuldigungen gefunden haben, um nicht den Festen beiwohnen zu müssen, welche die Gemahlin des englischen Gesandten gibt, werden auch nicht zu den Festen eingeladen werden, welche die Königin von Neapel geben wird.« – »Madame,« sagte Caracciolo, ohne sich zu rühren, »die Krankheit meiner armen Schwester ist mit solcher Heftigkeit aufgetreten, daß ich, selbst wenn diese Festlichkeiten einen Monat dauern sollten, daran zweifle, daß meine Schwester selbst in einem Monat soweit wieder hergestellt sein würde, um an diesen Festen teilnehmen zu können.« Jetzt ward der König ungeduldig, weil er nicht wußte, was der Gegenstand dieser langen Unterredung mit seinem Admiral war, und Nelson, welcher sah, daß ich rot vor Scham und die Königin bleich vor Zorn war, kam unruhig auf uns zu. Die Königin, welche Nelson jede Erklärung, die ihn hätte verwunden können, ersparen und mich jeder Demütigung, die mich in seinen Augen hätte herabsetzen können, entziehen wollte, zog mich schnell mit fort, indem sie sagte: »Komm, Emma, komm! Die Gesundheit der Schwester des Fürsten liegt uns so am Herzen, daß wir uns jeden Tag nach ihrem Befinden erkundigen lassen, bis wir wissen, daß es ihr besser geht.« – »Das ist eine Aufmerksamkeit, welche meine Schwester um so höher schätzen wird,« erwiderte der Fürst, »da sie in dem Umstand, daß sie nicht weiß, womit sie dieselbe verdient hat, eine ganz besondere Gunst Euer Majestät sehen wird.« – Der Admiral sprach diese letzten Worte mit so ehrfurchtsvoller Höflichkeit, daß die Königin, die nicht leicht das letzte Wort von einem Gegner, mochte dieser sein wer er wollte, annahm, keine Antwort darauf fand und sich entfernte, indem sie mich mit fortzog. Ich gestehe, daß ich ihr mit Tränen in den Augen und mit durchbohrtem Herzen folgte. Wie jene römischen Triumphatoren inmitten ihres Triumphes die Stimme des Sklaven hören mußten, der ihnen zurief, daß sie sterblich wären, rief auch mir inmitten meines Triumphes eine Stimme zu: »Favoritin der Königin! Gemahlin des englischen Gesandten! Mylady Hamilton! Denke an das Apollobett und das Trottoir von Haymarket!« Man wartete nur noch auf die Königin, ehe man landete. Obgleich ich mich auf ihren Arm, anstatt daß sie sich auf den meinigen stützte, was doch das Zeichen der größten Gunst war, schritt ich mit gesenktem Haupte durch die Reihen der Höflinge, die mich beneideten. Ich hatte ein Lächeln auf den Lippen und den Tod im Herzen! Niemals hatte ich gehaßt, nie gewünscht, mich an jemanden zu rächen, von diesem Augenblicke an aber fühlte ich, daß Haß und der Wunsch, mich zu rächen, wie eine doppelte Schlange sich in mein Herz schlichen.

Endlich stieg man ans Land. Die königlichen Equipagen und die Wagen der Gesandtschaft warteten am Arsenal. In den ersten Wagen stieg der Admiral Nelson mit dem König, der Königin und mir, der Kronprinz und die Kronprinzessin stiegen mit Sir William in den zweiten. In die anderen Wagen konnte sich jeder setzen, wer da wollte, was jedoch auch erst nach einigen Zeremonien und Etikettestreitigkeiten geschah. Die Kutscher hatten Befehl erhalten, nach der St. Klarakirche zu fahren, wo das Te Deum von dem Kardinal-Erzbischof von Neapel, Capece Zurlo, gesungen werden und wobei ihn der Kardinal Fabrizzio Ruffo, von dem zu sprechen ich bereits Gelegenheit gehabt habe und der, ohne daß noch sonst jemand es vermutete, sich der Epoche näherte, in der er eine so große politische Rolle spielte, unterstützen sollte. Den Befehl jedoch, nach der Klarakirche zu fahren, konnten die Herren leichter geben, als die Diener ihn befolgen, denn die Straßen waren so mit Menschen überfüllt und die Wagen so dicht von einer unglaublichen Menschenmenge umringt, daß sie vom Meer umtosten Schaluppen glichen, die von den Wogen geschüttelt werden. So unbeliebt die Königin war, so beliebt war dagegen der König. Niemals stand, wenn er ausging, eine Truppe, ein Gendarm, eine Garde trennend zwischen ihm und dem Volke. Der letzte Lazzarone konnte zu ihm, ihn berühren, mit ihm sprechen, sich nach seinem Befinden erkundigen, ihn fragen, wann er seine Fische in Mergellina verkaufen, oder seine Makkaroni im Theater San Carlo essen würde, und wie man leicht begreifen wird, benutzen diese zutraulichen Menschen diese Erlaubnis in ihrer ganzen Ausdehnung. So war es nicht selten, daß der König bei Feierlichkeiten wie die heutigen drei bis vier Lazzaroni auf dem Kutscherbock, ebensoviel auf dem Bediententritt bei den Lakaien und ebensoviel wie Pagen auf den Tritten an den Schlägen des Wagens stehen hatte.

Nelson konnte sich darüber nicht genug verwundern, und da er an die majestätische Würde der Herrscher Großbritanniens, wie an den ruhigen und kalten Enthusiasmus des Volkes in London gewöhnt war, so machten diese lärmenden Gefühlsexplosionen der Südländer ihn schwindlig. Übrigens nahmen der König und die Königin in seinen Gedanken, besonders aber in seinem Herzen jetzt nur den zweiten Platz ein. Da er der Königin und ich dem König gegenüber saß, so hatte er sich meiner rechten Hand bemächtigt und drückte dieselbe unter fieberhaften Zuckungen, welche die Unruhe seiner Seele verrieten und mir sagten, was für stürmische Gefühle das Blut nach seinem Herzen trieben. Wir brachten gewiß eine Stunde zu, ehe wir vom Kai bis in die Klarakirche gelangten. Dann dauerte das Te Deum ungefähr eine halbe, und die Rückfahrt drei Viertelstunden. Endlich erreichten wir das englische Gesandtschaftshotel und es ward hohe Zeit, denn ich war vor Ermattung, Aufregung, hauptsächlich aber vor Zorn wie zerschlagen. Das ungeheure Portal des Palais Calabrito war in einen Triumphbogen verwandelt worden, an dessen beiden Seiten sich Masten mit Bannern erhoben, deren jedes Nelsons Namen trug. Bis zur ersten Etage glich die Treppe einer Laube aus Lorbeeren und Blumen. Ein Diner von achtzig Kuverts war in der Gemäldegalerie, serviert worden. Beim Dessert spielten die hundertundzwanzig Musiker des Theaterorchesters die Melodie des Liedes: ›God save the king‹, wozu eine wundervolle Stimme die eingelegten Couplets sang.

Das letzte derselben war Nelson zu Ehren gedichtet worden und lautete folgendermaßen,

»Drum Heil Dir, starker Held,
Dich preist die ganze Welt,
Zu Frankreichs Spott,
Egyptens Wüstensand
Singt, wie das stolze Land,
Wo deine Wiege stand:
Dich segne Gott!«

Man wird begreifen, mit welchem Enthusiasmus dieser Vers aufgenommen ward. Der König, die Königin, der Kronprinz, wie alle Gäste hörten ihn stehend an, und der Ruf: »Es lebe Nelson! Es lebe der Sieger vom Nil! Es lebe der Retter Italiens!« ertönte zuerst von den Lippen der königlichen Familie und ward hierauf von allen Gästen wiederholt. Wie hätte ich von allen diesen Lobeserhebungen, diesen Huldigungen und Schmeicheleien nicht berauscht werden sollen? Nein! Ich bekenne es laut, ich konnte, da ich von der Königin dazu getrieben, ja von Sir Williams Schweigen fast dazu berechtigt ward und er nichts tat, um mich zu stützen, einen solchen Fall nicht vermeiden; keine Frau hätte an meiner Stelle widerstehen können.

Dann hat man auch gesagt, daß ich mich gleich vom ersten Tage, ja vom ersten Augenblicke an, wo ich Nelson gesehen, ihm hingegeben hätte. Dies ist eine der vielen Verleumdungen, die man in bezug auf mich verbreitet hat. Unglücklicherweise konnte auch meine Vergangenheit mich durchaus nicht gegen die verteidigen, die mir übel wollten! In Wirklichkeit aber geschah es erst nach sechs Monaten, daß ich Nelson, der fern von mir war, in einem Briefe zu wissen tat, daß ich seine Liebe erwidern könnte. Und zum Beweis dessen, was ich hier sage, führe ich den folgenden Brief Nelsons an. Er ist vom 24. Oktober 1798, also einen Monat nach seinem Einzug in Neapel, datiert und wird beweisen, daß zu dieser Zeit noch durchaus keine engeren Beziehungen zwischen uns bestanden.

»Vanguard, Malta.

»Teure Lady!

So wären wir denn nach einer langen Reise angekommen. Es ist alles, wie ich vermutet hatte. Die Minister von Neapel wissen gar nicht, in welchem Zustand die Insel sich befindet. Weder ein Haus noch eine Bastei von Malta ist im Besitz der Inselbewohner, und der Marquis von Nizza hat mir gesagt, daß es ihnen sicher an Munition, Waffen, Lebensmitteln, kurz an Beistand aller Art fehle. Er weiß nicht, ob neapolitanische Offiziere auf der Insel sind, und obgleich ich ein Verzeichnis ihrer Namen habe, so sind sie doch nicht angekommen. Was der Marquis von Nizza bestätigt hat und was ganz gewiß ist, ist der Umstand, daß die Gouverneurs von Messina und Syracus auch nicht die geringste Hilfe geschickt haben. Ich will jedoch alles wissen. Sobald der Marquis morgen früh abgereist sein wird, werde ich mich nach allem erkundigen. Er sagt mir, daß er sehr wünscht, unter meinem Kommando zu dienen. Von dem Augenblicke an, wo er einwilligt, das Schiff zu wechseln, werde ich es glauben. Wir werden übrigens sehen, wie er sich unter unsere Zucht beugen wird. Nach meiner Abreise wird Ball die Blockade leiten. Ich sage nach meiner Abreise, im Fall es am Hof des Königreiches beider Sizilien scheint, als ob meine Gegenwart zu Anfang November in Neapel nötig sei. Ich hoffe, daß dies der Fall sein wird, zugleich fühle ich, daß meine Pflicht mich nach dem Orient ruft, denn obgleich die französische Flotte in Egypten vernichtet worden ist, so bin ich doch nicht ganz sicher, daß die Armee nie wieder nach Europa zurückkehren wird. Vor allem aber ist es mein Ziel, dem Königreich beider Sizilien zu dienen und das zu tun, was Ihre sizilischen Majestäten wünschen, selbst wenn es gegen meine Ansichten wäre, sobald ich nach Neapel kommen werde und das Land Krieg führen wird. Ich hoffe bestimmt, über diesen Punkt eine Konferenz mit dem General Acton halten zu können. Ich weiß gewiß, daß Sie mir Gerechtigkeit widerfahren lassen werden, und daß die Königin überzeugt ist, mein einziger Wunsch sei, ihren Beifall zu verdienen.

Gott möge Sie und Sir William in seinen Schutz nehmen, und seien Sie versichert, daß ich stets mit der liebevollsten Hochachtung sein werde, Ihr dankbarer und treuer Freund.

Horatio Nelson

Ich hoffe, daß niemand in diesem Briefe ein einziges Wort finden wird, welches nicht das Wort eines Freundes, allerdings eines zärtlichen, hingebenden Freundes, aber doch nur das eines Freundes ist. Gewiß, weder ich noch die Königin täuschten sich über diese große Ergebenheit Nelsons für sie und ihren Gemahl. Wenn Nelson nach Neapel zurückkehrte, so geschah es, weil er mich sehen wollte. Wenn er nicht nach dem Orient ging, wohin seine Pflicht ihn rief, so geschah es, weil er sich nicht von mir entfernen wollte. Und seine Voraussehungen in bezug auf den Orient waren so richtig, daß er vielleicht, wenn er nicht in Neapel geblieben wäre, als der General Bonaparte sich am 22. August 1799 einschiffte, um nach Frankreich zurückzukehren, diese Rückkehr, welche die Geschicke von ganz Europa änderte, verhindert hätte. Am 22. August 1799 aber war er bei mir in Palermo und ich glaube, daß er, selbst wenn er die Gewißheit gehabt hätte, Bonaparte gefangennehmen zu können, doch keinen einzigen Tag von mir gewichen wäre.


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