Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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13. Kapitel.

Ich war selbst sehr aufgeregt und setzte mit bewegter Stimme Admiral den Zweck unseres Besuchs auseinander, indem ich ihm zugleich versicherte, daß er sich, wenn er den armen Dick wieder freiließe, ein ewiges Recht auf meine Dankbarkeit erwerben würde. Sei es nun, daß der Admiral dies wirklich glaubte, oder daß er mir eine Schmeichelei sagen wollte, kurz, er fragte mich, welchen Grund eine Person von meinem Stande haben könne, um sich für einen gemeinen Menschen wie den zu interessieren, dessen Freilassung ich soeben begehrte. Mit einem Gemisch von Demut und Stolz antwortete ich hierauf, ich sei durchaus keine Person von Stand, sondern ein armes Landmädchen und Dicks Landsmännin. Er ergriff mich bei der Hand, betrachtete dieselbe und schüttelte mit zweifelnder Miene den Kopf. Meine Hände, welche ich mit einer Koketterie, die bei mir dem Alter voranschritt, stets sorgfältig gepflegt, waren in der Tat sehr schön. »Diese Hände,« rief der Admiral lachend, »sind nicht die Hände einer Bäuerin.« Ich versicherte dem Admiral, daß er sich irre. »Dann,« sagte er, indem er von seinem kleinen Finger einen Diamantring zog, den er an den meiner Hand steckte, welcher der Stärke des seinigen entsprach, »dann fehlt bloß dieser Ring, um Hände einer Herzogin daraus zu machen.«

Ich fühlte, daß ich mehr vor Freude als vor Scham bis an die Augen errötete. Dennoch aber und obschon meine Hand mir mit dem Schmucke, den sie empfangen, noch weit schöner erschien, wollte ich dem Admiral den Ring, den er mir auf so galante Weise anbot, zurückgeben. Er hielt jedoch meine Hand in der seinigen fest und sagte, wenn ich auf meiner Weigerung beharrte, so müßte ich mich darauf gefaßt machen, daß er auch bei der seinigen beharre. Ich warf die Augen auf Amy. Diese sah mich durch ihre Tränen hindurch mit so bittendem Blick an, daß ich nicht den Mut hatte, längeren Widerstand zu leisten. Ich behielt den Ring. Amy schien nun wieder Mut zu fassen. »Und mein armer Dick?« fragte sie.

»Hören Sie, was ich sage,« antwortete der Admiral. »Ich allein kann diese Frage nicht entscheiden. Ich kann wohl die Entlassung des jungen Mannes beantragen, dieselbe bedarf aber der Autorisation durch die Admiralität.« – »Ja,« sagte ich, indem ich Sir John Paynes Hände ergriff, »aber wenn Sie diesen Antrag stellen, so wird die Entlassung bewilligt werden, nicht wahr?« – »Ich hoffe es.« – »Sagen Sie, daß Sie dessen sicher sind.« – »Ich werde alles tun, was ich kann, um mich Ihnen angenehm zu machen,« sagte der Admiral indem er sich höflich verneigte. – »Ach, wenn es Ihnen gelänge,« rief ich, »wie dankbar wollte ich Ihnen sein!« – »Ist. das wahr, was Sie mir da sagen?« fragte der Admiral, indem er mich fest und mit wenn auch nicht liebendem, doch begehrlichem Blick betrachtete. Ich errötete und senkte das Haupt, ohne zu antworten. Es war mir jetzt, als sähe ich ihn einen Blick mit Amy wechseln; Amys Blick aber konnte ebenso wie der meinige ein bittender sein. »Hören Sie,« hob er wieder an, »ich werde Ihnen einen Beweis meines guten Willens geben. Noch heute gehe ich nach London und tue daselbst die nötigen Schritte.« – »Ach, wie gütig Sie sind!« – »Und,« fragte Amy, »wann und wo werden wir Antwort erhalten?« – »Das ist sehr einfach,« sagte der Admiral. »Warten Sie.« – »Hier?« fragte ich zögernd, denn ich dachte an mein Stelldichein für den Abend. – »Nein, in London, in meinem Haus in Piccadilly.« – Ich sah Amy fragend an. – »Fragen Sie Emma,« sagte sie. »Ich stehe ganz zu Ihren Befehlen, Mylord.« – »Ich werde warten, wo es Ihnen beliebt, Mylord,« antwortete ich, »in der Hoffnung, daß die Antwort, die Sie uns bringen, eine gute sein werde. Nur –« setzte ich hinzu. – »Nur –« wiederholte der Admiral. – »Nur muß ich bis zehn Uhr abends zu Hause sein.« – »Es wird Ihnen freistehen, sich zu entfernen, sobald es Ihnen beliebt. Da aber die Antwort sich verzögern und mich selbst ziemlich lange aufhalten kann, so werden Sie eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen genießen. Dann gebe ich Ihnen Ihre Freiheit zurück, und bitte Sie um die meinige, was ich ganz gewiß nicht tun würde, wenn ich Sie nicht verließe, um Ihnen einen Dienst zu leisten.« Er schlug auf eine lautdröhnende chinesische Glocke. Ein Diener trat ein. »Den Tee,« befahl der Admiral. Ohne Zweifel war alles schon im voraus angeordnet, denn wenige Augenblicke darauf trat der Diener wieder ein und brachte einen mit Konfitüren bedeckten Präsentierteller, den er auf einen Tisch setzte. »Nun, meine schöne Bittstellerin, machen Sie jetzt die Honneurs beim Tee,« sagte der Admiral zu mir. Ich gehorchte ihm errötend und verlegen und schenkte eine Tasse Tee ein, welche ich dem Admiral mit einer Hand präsentierte, indem ich ihm mit der anderen den Zucker darbot und dabei zugleich einen Knix machte, so wie man mich in der Pension gelehrt. »In der Tat,« sagte Sir John zu mir, »man hatte mir nicht zu viel gesagt. Sie sind wirklich anbetungswürdig!« Ich warf einen vorwurfsvollen Blick auf Amy. Die dem Admiral soeben entschlüpfte Bemerkung bewies mir, daß mein Besuch nicht, wie ich glaubte, vorausgesehen, sondern erwartet worden war. »Nehmen Sie es Amy übel, daß sie mir gesagt, sie hätte das schönste Wesen der Welt zur Freundin, und nehmen Sie mir es übel, daß ich Sie zu sehen gewünscht habe?« fragte der Admiral. »Wenn Sie dies täten, so wären Sie sehr grausam, denn Sie hätten, wenn Sie sich geweigert zu kommen, aus Ihrem Freund Dick einen Matrosen gemacht, was, wie mir scheint, durchaus nicht der Beruf des jungen Mannes ist, und Sie hätten mir nicht erlaubt, mich Ihren Diener zu nennen, was gleichwohl mein Beruf zu sein scheint.« Ich wußte nicht, was ich auf dieses so leicht hingeworfene, aber durchaus nicht ehrerbietige Kompliment sagen sollte. Er hielt mir seine Tasse hin, damit ich einige Tropfen Sahne hineingösse, und er konnte sehen, wie meine Hand zitterte. »Wie! hier vereiniget sich also alles – Tugend, Zartgefühl und Keuschheit – abgesehen von Schönheit und Jugend,« murmelte er. Ich betrachtete ihn mit erstauntem Blick.

»Haben Sie vielleicht einmal Hamlet spielen sehen?« fragte er mich. – »Nein,« antwortete ich. – »Wohlan, was ich Ihnen soeben gesagt, ist dasselbe, was Hamlet zu Ophelia sagt, als er erstaunt ist, so viel Anmut, Liebe und Züchtigkeit in einer und derselben Person vereinigt zu finden.« – Ich schüttelte den Kopf. – »Und,« fuhr Sir John fort, »da Ophelia nicht an die Liebe des Prinzen von Dänemark glaubt, so setzt er hinzu:

»Zweifle an der Sonne Klarheit,
        Zweifle an der Sterne Licht,
Zweifl', ob lügen kann die Wahrheit,
        Nur an meiner Liebe nicht.«

Sir John ergriff mich bei beiden Händen, gab seiner Stimme den zärtlichsten Ausdruck und fuhr fort: »O liebe Ophelia, es gelingt mir schlecht mit dem Silbenmaße und ich besitze nicht die Kunst meine Seufzer zu messen, aber daß ich dich bestens liebe, o Allerbeste, das glaube mir.« – »Und was antwortet Ophelia auf diese Verse?« fragte ich. Sir John erhob sich. »Hamlet,« sagte er, »läßt ihr nicht Zeit zum Antworten. Er entfernt sich und verläßt sich darauf, daß selbst in seiner Abwesenheit das Herz der Person, die er liebt, für ihn sprechen werde.« – »Sie verlassen uns also auch?« fragte ich Sir John. – »Nach drei Uhr würde ich die Lords der Admiralität nicht mehr beisammen finden und ich will wenigstens das Verdienst besitzen, mein Versprechen zu halten und Ihnen heute noch eine Antwort zu bringen, mag dieselbe nun gut oder schlimm ausfallen.« – »Und wir?« fragte Amy. – »Sie,« sagte Sir John, »Sie werden die Güte haben, mich in Piccadilly zu erwarten, wohin mein Diener Sie begleiten wird.« – »Werden Sie mittlerweile dem armen Dick wenigstens vierundzwanzig Stunden Urlaub geben?« – »Ja,« sagte Sir John lachend, »aber nur, dafern Miß Emma mir mit ihrem Worte dafür bürgt, daß der Bursche nicht desertiert, denn in diesem Falle würde Miß Emma mit ihrer eigenen Person für ihn haften.« – »Hörst du, Emma?« sagte Amy. – Ich reichte Sir John die Hand. »Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, Mylord,« sagte ich zu ihm. – »Nun,« sagte der Admiral, »wünsche ich weiter nichts, als daß der Bursche bis ans Ende der Welt davonlaufe. Wollen Sie mit mir kommen, damit ich Sie ans Land bringen kann?« – »Wir sind,« sagte ich, »Ihretwegen, Mylord, an Bord dieses Schiffes gekommen und von dem Augenblicke an, wo Mylord es verläßt, haben wir keinen Grund mehr, länger zu bleiben.« – Sir John schlug abermals auf die Glocke und derselbe Diener trat wieder ein. »Die Jolle!« befahl der Admiral. – »Sie liegt bereit, Mylord.« – »Ihr werdet mit uns ans Land kommen, und diese Damen nach Piccadilly begleiten. Um sieben Uhr wird soupiert.«

Ich wollte in bezug auf dieses Souper eine Bemerkung machen, Sir John aber ließ mir nicht Zeit dazu, sondern bot mir den Arm und führte mich nach der Treppe. Sämtliche Offiziere waren von der Kajüte bis zur Treppe in doppelter Reihe aufgestellt. Ich senkte nicht bloß die Augen, sondern auch das Haupt, denn alle Blicke lasteten gewissermaßen auf meiner Stirn und beugten dieselbe nieder. Ich sah mich in der Jolle, ohne recht zu« missen, wie ich hineingekommen war. Ich hörte Sir Johns Stimme, welcher Dick befahl, uns zu folgen. Dann stieß das Boot leicht wie ein Vogel von dem Schiffe ab und näherte sich dem Ufer. Hier wartete Sir Johns Equipage. Daneben stand unser bescheidener Mietwagen. »Sie wollen doch nicht in diesem Fuhrwerke nach London zurückkehren?« fragte der Admiral. – »Wie sollen wir anders dahin zurückgelangen?« fragte ich. – »Piccadilly ist auf meinem Wege, ich werde Sie im Vorüberfahren dann absetzen.« Er winkte seinem Diener, welcher den Kutscher unseres Mietwagens bezahlte. Dann öffnete er selbst den Schlag seines Wagens und ließ mich zuerst einsteigen, während Amy einige Worte mit Dick wechselte, um ihn an einen Ort zu bestellen, wo sie ihm von Sir Johns Schritten Rechenschaft geben könnte. Dick, der weniger stolz war, als wir, bemächtigte sich des Mietmagens und ließ sich im Triumphe nach London zurückfahren. Sir John setzte sich auf den Vordersitz und überließ uns die beiden Hinterplätze. Der Diener setzte sich neben den Kutscher, der Wagen rollte fort, während ich mich in ganz andere Träume versenkt sah, als die waren, mit welchen ich meine Wohnung verlassen.

Für mich hatte das Leben in der Tat ein sich unaufhörlich drehendes Rad zum Symbol. Aber in welcher Richtung drehte sich dieses Rad? Geschah es, um mich zu erhöhen, oder geschah es vielmehr, um mich zu erniedrigen? War ich seit dem Tage, wo ich die Schafe hütete, etwas Besseres oder etwas weniger Gutes geworden? Ich überließ mich diesen Betrachtungen so vollständig, daß ich kaum fühlte, wie Sir John sich meiner Hand bemächtigte. Ich ließ dieselbe willenlos und untätig in der seinigen.

Nach einer halben Stunde machte der Wagen Halt. Wir waren in Piccadilly. Der Schlag öffnete sich und Sir John stieg zuerst aus, um uns die Hand zu bieten. Ich war dankbar dafür, daß ein Gentleman uns begegnete wie Herzoginnen, und mit unfreiwilliger Bewegung drückte ich die Hand, welche mir dargeboten ward. »Ich danke,« murmelte der Admiral leise. Rasch zog ich meine Hand zurück. Er betrachtete mich mit einem gewissen Erstaunen; an meinem Lächeln aber sah er, daß in diesem Zurückziehen meiner Hand nichts Beleidigendes für ihn lag. Es war jetzt über drei Uhr. Er hatte folglich keinen Augenblick zu verlieren, wenn er noch zur rechten Zeit auf die Admiralität kommen wollte. Er stieg daher wieder in seinen Wagen und wir gingen, von dem Diener geführt, in das Haus hinein. Dieses Haus, welches so ziemlich auf der Mitte des Weges von London bis zu Sir John Paynes Station lag, war ein mit der größten Eleganz möbliertes allerliebstes kleines Hotel und hatte keinen andern Eigentümer oder Mieter als Dicks aristokratischen Gönner. Der Lakai, den uns dieser zurückgelassen, führte uns eine jede in ihr Zimmer. Als ich das meinige betrat, blieb ich stehen und suchte in meinen Erinnerungen, wo ich dieses Zimmer schon gesehen hätte.

Es lag in der Wirklichkeit dieser Vision etwas Unmögliches. In die Richtung von Piccadilly hatte mein Weg mich niemals gefühlt und man weiß, daß, als ich nach London kam, dies zum erstenmal geschah. Ich stand vor einem großen Goldrahmenspiegel in einem eleganten Zimmer mit himmelblau seidenen Vorhängen, Toilettenmöbeln und eine Kommode von Rosenholz. Unter meinen Füßen hatte ich einen türkischen Teppich, über meinem Kopfe einen Plafond mit Freskomalereien, welche dem Pinsel eines Boucher oder Watteau zu entstammen schienen. Tanz gewiß hatte ich dieses Zimmer schon gesehen.

Ich setzte mich in einen Sessel, dessen seidener Überzug von derselben Farbe war wie die Vorhänge, und diese blaue Farbe führte mich durch die Analogie auf den Gedanken an mein erstes Kleid als Pensionärin. Ich sah mich wieder mit jenem Kleide an der Quelle sitzen, in deren Nähe meine Schafe weideten. Ich dachte wieder an den Tag, wo Dick zu mir gesagt hatte: »Betrachte dich in unsern Quellen, Emma; später einmal wirst du in die Stadt gehen und dich in großen Goldrahmenspiegeln betrachten, wie der ist, der an der Tür des Spiegelhändlers in Hawarden steht.« Durch den Faden meiner Erinnerungen geführt, besann ich mich auf alles. Dieses Zimmer, dieser Spiegel, diese türkischen Teppiche, diese Vorhänge, die so blau waren wie mein Kleid im Pensionat, ja dies alles hatte ich in einem Traume meiner Kindheit gesehen und jetzt nach sieben oder acht Jahren fand ich es in der Wirklichkeit wieder. Und Dick, welcher jene Prophezeiung ausgesprochen, war jetzt auch Ursache der Verwirklichung derselben. Seltsame Verkettung von Umständen, welche meinem Herzen jene verhängnisvolle Idee eingepflanzt, daß eine Macht, die stärker wäre als mein Wille, über mein Schicksal verfügen und daß ich vergebens versuchen würde, mich dieser Macht zu widersetzen. Nach ungefähr einer halben Stunde trat Amy Strong in mein Zimmer und fand mich in demselben Sessel, in welchen ich nach meinem Eintritt gesunken war. Mein Hinbrüten schien sie zu beunruhigen. Sie versuchte mich daraus aufzurütteln, indem sie von Sir John Payne, von seiner Güte gegen Dick und von seiner Artigkeit gegen uns sprach. Ich begnügte mich zu lächeln, ohne zu antworten, ich begriff den Zweck dieser Artigkeit, die Berechnung dieser Güte und ich fühlte, instinktartig, daß meine Ehre das Lösegeld für Dicks Freilassung sein würde.

Zum Unglück war Sir John Payne jung, schön und reich; zum Unglück war er auch artig und schien gutmütig zu sein. Alles vereinigte sich sonach, um mich ins Verderben zu stürzen, sogar die guten Instinkte meines eigenen Herzens, welche mich drängten, Dick zu retten und Amy zu trösten. Um fünf Uhr machte ein Wagen vor dem Tore Halt. Ich erschrak. Amy eilte an das Fenster und stieß einen Freudenruf aus. Ich brauchte nicht erst an das Fenster zu eilen, um zu fühlen, daß es Sir John war, welcher nach Hause zurückkam.

Einen Augenblick später öffnete sich die Tür und er trat mit heiterer Miene ein. »Was geben Sie mir, Miß Emma,« sagte er zu mir, »wenn ich Ihnen eine gute Nachricht für Ihren Schützling bringe?« – »Was,« antwortete ich, indem ich mich erhob und ihm beide Hände entgegenstreckte, »was könnte ich Ihnen weiter geben als den Dank eines tiefgerührten Herzens, Mylord?« – »Gut,« sagte er. »Für jetzt begnüge ich mich mit diesem Dank. Unsere Rechnung werden wir später ausgleichen.« – »Dann ist Ihr Vorhaben also gelungen, Mylord?« fragte Amy. – »Wenigstens ist es auf dem besten Wege dazu,« entgegnete der Admiral. »Man hat mir die Freilassung Ihres Bruders für diesen Abend versprochen. Wir wollen sie, wenn es Ihnen recht ist, bei Tische erwarten. Sie müssen sehr hungrig sein, denn Sie haben weiter nichts als ein kleines Stück Kuchen genossen. Ich meinerseits gestehe, daß die weiten Wege, die ich gemacht, meinen Appetit ebenfalls nicht wenig gereizt haben.« Ich wollte eine Bemerkung über die Notwendigkeit machen, in der ich mich befand, nach Oxfordstreet zurückzukehren, als der Diener eintrat und meldete, daß die Tafel serviert sei. Sir John Payne bemächtigte sich meines Armes, führte mich nach dem in derselben Etage gelegenen Speisezimmer und rief: »Kommen Sie, meine schönen Tischgenossinnen!«

Der Tag begann sich zu neigen und aus dem durch die dichten Vorhänge vermehrten Halbdunkel meines Zimmers traten wir in ein prächtig erleuchtetes Speisezimmer, dessen Lichter von dem Kristall der Gläser und dem funkelnden Silbergeschirr widergespiegelt wurden. Es war in der Tat, als wenn von Feenhänden ein Souper für ihren König Oberon und ihre Königin Titania zubereitet worden wäre. Die Atmosphäre war lau und von einem gleichzeitig herben und süßen Parfüm erfüllt, welches durch alle Poren einzudringen schien. Beim Anblick dieses Luxus und infolge dieser duftenden Atmosphäre bemächtigte sich meiner gleichsam ein plötzlicher Rausch. Ich fühlte, mich einer Ohnmacht nahe. Meine Füße zitterten und mein Kopf neigte sich auf die Schulter herab. Sir John fühlte, daß ich seinem Arm schwerer ward, und als er mir an dem matten Ausdruck meiner Augen und der schlaffen Haltung meines Körpers ansah, was in mir vorging, sagte er: »Sie gehören zur Gattung der Sensitiven. Sie sind Weib und Blume zu gleicher Zeit. Glücklich der Mann, welcher den Wohlduft der Blume atmen und das Wort Liebe von den Lippen des Weibes pflücken wird.« Ich stieß einen Seufzer aus und der Admiral führte mich, während ich förmlich taumelte, zu meinem Stuhle und nahm neben mir Platz.

Der Zauber des Reichtums ist für mich ebenso groß gewesen wie die Furcht vor dem Mangel. Stamme ich denn wirklich aus aristokratischem Blut und sind alle meine Bestrebungen darauf gerichtet, mir die durch meine illegitime Geburt zertrümmerte Stufe wieder zu erobern? Mein Leben ist in dieser Beziehung weiter nichts gewesen als ein langer Rausch, und wenn ich von dem Rang und dem Reichtum nichts mehr zu verlangen hatte, blendete als reiche und vornehme Dame mich wiederum der Ruhm, ebenso wie als armes Mädchen hoher Stand und Reichtum mich geblendet hatten.

Es war jetzt das erstemal, daß ich mich an eine reichservierte Tafel setzte. Es war das erstemal, daß die Gläser gleich Diamanten durch ihre Flammenreflexe mein Auge blendeten. Es war das erstemal, daß ich meine Lippen mit jenem französischen Schaumwein benetzte, welcher gleich dem des Altertums durch die Hände der Bacchantinnen in dem Becher der Freude gekeltert wird. Nichts von diesem allen aber war imstande mich aus meinem Taumel zu erwecken, das Blut, welches rascher durch meine Adern kreiste, zu beruhigen und das Feuer, welches gleichsam stoßweise aus meiner Brust auf meine Stirn stieg, zu löschen. Als ich mich an den Tisch setzte, war ich schon trunken von Wohlgeruch und Kerzenglanz. Beim Dessert trat ein Diener ein, welcher eine mit einem großen Siegel verschlossene Depesche überbrachte. Sir John entsiegelte die Depesche, überzeugte sich, daß es wirklich Dicks Entlassung war, und überreichte sie Amy. Amy erhob sich sofort und bat unter dem Vorwande, daß sie nicht länger zögern wolle, ihrem Bruder diese gute Nachricht mitzuteilen, um die Erlaubnis, sich zu entfernen. Sir John hatte durchaus nichts dagegen, sondern lobte im Gegenteile diesen Beweis von schwesterlicher Gesinnung.

Ich sah ein, daß von den nächsten fünf Minuten meine ganze Zukunft abhinge. Als ich sah, daß Amy sich erhob, tat ich dies ebenfalls. Sir John machte keine Bewegung, mich zurückzuhalten; ich hatte aber aus meinem Zimmer erst meine Mantille und meinen Hut zu holen. Fest entschlossen, mich dem Bereich der Verführung zu entziehen, eilte ich nach dem Zimmer, welches ich mild durch eine Alabasterampel beleuchtet fand. Es konnte nichts Reizenderes geben als dieses Zimmer, besonders in diesem gedämpften Lichtschein, welcher dem des Mondes in einer stillen Sommernacht glich. Stumm, unbeweglich, entzückt blieb ich einen Augenblick stehen und kämpfte mit dem Wunsche zu bleiben und dem, Amy zu folgen. Ich begriff nun, daß ich eine Stütze außer mir suchen müßte. Ich drückte die Hand aufs Herz, ich suchte und fand hier Harrys Brief. Nun atmete ich auf und wollte sofort aus dem Zimmer eilen, hinter mir aber hatte die in dem Schnitzwerk des Wandgetäfels angebrachte Tür sich geschlossen und war unsichtbar geworden. Es war, als beherrschte mich ein unwiderstehlicher Zauber, der mich in einen Feenpalast geführt hätte. Ich drehte mich um und wollte die Klingel ziehen. Zwischen mir und dem Kamin aber stand Sir John mit ausgebreiteten Armen und murmelte mit leiser Stimme das Wort: »Undankbare!« Bei dieser Stimme ergriff der eben erst beschwichtigte Taumel mich von neuem. Eine Flammenwolke zog an meinen Augen vorüber und ich sank in die mir geöffneten Arme.

Ich danke dir, mein Gott, dafür, daß mein erster Fehltritt seinen Grund in Herzensgute und Aufopferung für andere, aber nicht in sinnlicher Begierde oder im Hang zur Ausschweifung hatte.


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