Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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31. Kapitel.

Ich habe gesagt, daß die römischen Conversazion sehr langweilig waren; ich hätte sagen sollen für die andern, denn für mich boten sie ein so neues Schauspiel dar, daß sie amüsant oder vielmehr außerordentlich waren. Die Römerinnen sind allerdings schön, doch im Volke häufiger als unter der Aristokratie. Oft findet man unter den Bäuerinnen der Umgegend von Rom Gestalten und Physiognomien, welche an die Madonnen Raphaels erinnern. In den vornehmeren Ständen sind die Schönheiten seltener und mein Erscheinen machte daher in den römischen Salons keine geringe Sensation.

Es war beinahe, als ob unter den Prälaten und Kardinälen eine Revolution zum Ausbruche kommen sollte. Ich muß hier zunächst sagen, was eine römische Soirée gewöhnlich ist, wenn nicht durch ein großes Ereignis wie meine Gegenwart ein Grad von Leben und Aufregung hineingebracht wird. Die römischen Abendgesellschaften richten sich natürlich nach dem Geist der Regierung und des Priestertums. Die Zeit vergeht damit, daß man den Anforderungen der Etikette genügt und wenn auch zuweilen das Herz dabei interessiert ist, so ist doch der Geist es niemals. Überall stößt man auf Zwang, die Heiterkeit existiert hier nicht, nicht einmal unter den jungen Leuten. Da die Furcht in aller Herzen lebt, so leuchtet auch das Mißtrauen aus aller Augen. Anstatt sich freimütig auszusprechen, wie man in Frankreich und in England zu tun pflegt, sieht man sich an, mustert sich und schweigt, aus Furcht, sich zu kompromittieren. Die Fremden sind natürlich nicht von denselben Befürchtungen beseelt, das eisige Wesen der andern erkältet aber auch sie. Die ganze Gesellschaft hat das Ansehen einer ungeheuren Uhr, deren Räder stehen geblieben sind und sich bloß von Zeit zu Zeit infolge eines Stoßes in Bewegung setzen, um wieder stehen zu bleiben. Zum Glück spielt man und zwar hoch; obschon ich aber gern spielte, so zog ich es doch vor, das zu studieren, was ich hier vor Augen hatte, denn ich meinte, zu der Karte könnte ich immer noch zeitig genug zurückkehren.

Wenn die Herrin des Hauses nicht spielt, so bemächtigt sie sich einer Eminenz oder eines Ministers und plaudert mit ihm so lange, als die Soirée dauert.

Die anderen mit irgendeiner Würde bekleideten Personen machen es ebenso, und diese Zwiegespräche werden, so zahlreich sie auch sind, so ernst und leise gepflogen, daß man mitten unter fünfzig Personen eine Fliege schwirren hört. Die Unbeweglichkeit aller dieser Leute erinnerte mich an die der altrömischen Senatoren, die auf ihren curulischen Stühlen saßen und von der Hand der Gallier den Tod erwarteten. Wenn es drei oder vier Kardinale unter der Gesellschaft gibt, so wird die Sache für die Zuschauer sehr unbequem. Die vornehmen Eminenzen spazieren unaufhörlich hin und her. Man muß ihnen stets Platz machen, sich, wenn sie an einem vorbeikommen, tief verbeugen und sich in acht nehmen, daß man nicht auf die ungeheure Schleppe ihres Gewandes trete. Die einfachen Prälaten, welche sie umgaben, gehen stets gebückt wie Parenthesen und schenken jeder Redensart Beifall, welche die Eminenz ihrem geheiligten Munde entfallen zu lassen geruht.

Meine Ankunft in Rom und meine Einführung in die Gesellschaftskreise hatte, wie ich schon gesagt, eine förmliche Revolution hervorgerufen. Die Eminenzen bildeten, anstatt auf und ab zu spazieren, wie der »eingebildete Kranke« Molières, einen Kreis um mich, und da ich geläufig italienisch sprach und von ihnen nur sehr wenige französisch und keiner englisch, so waren sie nicht wenig erfreut, mir ihre gleichzeitig faden und übertriebenen Komplimente in ihrer Muttersprache machen zu können.

Einer meiner eifrigsten Courmacher war Lord Harvey, Bischof von Derry, und da er mit mir englisch sprach, da seine Konversation, wenn auch nicht gerade viel Geist und Witz, doch etwas Originelles hatte, und da wir beiderseitig über die Dinge lachten, die von uns gesprochen worden, so waren die Eminenzen und ultramontanen Größen, welche uns umgaben, sehr ärgerlich darüber.

Die angenehmsten von allen Soiréen waren die bei der Marquise von Santa Croce. Allerdings empfing sie in ihrem engeren Zirkel – und in diesen ward ich infolge der politischen Stellung meines Gemahls eingeführt – nur eine gewählte Gesellschaft, die fast ganz aus dem diplomatischen Korps bestand. Ich hatte darauf bestanden, der Marquise von Santa Croce vorgestellt zu werden, denn ich wußte, daß man um zehn Uhr abends in ihren kleinen Soiréen den Kardinal von Bernis antraf und ich wünschte diesen liebenswürdigen Greis kennen zu lernen, dessen Gedichte, welche er seine Jugendsünden nannte, ich gelesen hatte. Der Kardinal von Bernis zählte damals dreiundsiebzig Jahre und hatte von seinem Witze, ja ich möchte beinahe sagen auch von seiner Jugend noch nichts verloren. In Rom trug er den Titel eines Beschützers von Frankreich. Man weiß, daß er, nachdem er eine Rolle in der europäischen Diplomatie gespielt, in den geistlichen Stand trat, den Titel Abbé annahm, nach Paris ging, dort galante Verse drucken ließ, der Frau von Pompadour gefiel, mit neunundzwanzig Jahren Mitglied der Akademie ward, nach dem Tode des Kardinals Fleury schnell sein Glück machte, Gesandter in Venedig und bald darauf Kardinal wurde. Er war es, der als Minister der auswärtigen Angelegenheiten den Allianztraktat mit Österreich unterzeichnete und während des siebenjährigen Krieges in Ungnade fiel, weil er gegen die Meinung der Frau von Pompadour zum Frieden geraten. Als Frau von Pompadour im Jahre 1764 starb, ward der Kardinal von Bernis zum Erzbischof von Alby und fünf Jahre später zum Gesandten in Rom ernannt.

In den ersten Jahren seines Aufenthaltes hier spielte er eine sehr glänzende Rolle, und obschon Spanien in Rom den herrschenden Einfluß wieder gewonnen, so hatte der Kardinal doch durch seine persönlichen Eigenschaften Frankreich in einer guten Stellung erhalten. Gleich an dem Tage, wo wir ihm vorgestellt wurden, lud er uns für den nächstfolgenden zur Tafel.

Wir wußten im voraus, daß diese Tafel eine ganz vorzügliche war, und daß, den Gewohnheiten des römischen Bedientengesindels ganz entgegen, die Lakaien sich von den Gästen nicht den Preis der Mahlzeit bezahlen ließen, welche letztere am Tage vorher zu sich genommen. Der Kardinal führte ein großes Haus. Er hielt offene Tafel, und wer ihm einmal vorgestellt worden, hatte für immer sein Kuvert bei ihm. Dieser täglich wiederkehrende Aufwand, die Feste, die er gab, führten ihn geraden Weges seinem Ruin entgegen, umsomehr, als seine mit der Verwaltung seiner Güter in Frankreich beauftragte Familie jedes Jahr, um ihm keinen Ertrag schicken zu müssen, bald eine Dürre, bald eine Überschwemmung erfand. Was von diesen Landplagen verschont blieb, ward durch angeblich notwendige Baureparaturen verschlungen. Der liebenswürdige Greis erzählte mir dies alles lachend, indem er mit mir kokettierte.

»Zum Glück,« sagte er, »bin ich dreiundsiebzig Jahre alt, und so lange ich lebe, wird mein Vermögen wohl noch reichen.« Leider täuschte sich der würdige Mann. Als er drei Jahre später wegen seiner Opposition gegen die französische Revolution zurückgerufen und seines ganzen Vermögens beraubt ward, sah er sich, der bis jetzt ein jährliches Einkommen von einhunderttausend römischen Talern gehabt, in sehr beschränkte Umstände versetzt und hätte ohne die Unterstützung, welche der Chevalier Azara, sein Freund, ihm beim spanischen Hofe auswirkte, geradezu Mangel leiden müssen.

Wir trafen bei dem Kardinal von Bernis diesen würdigen Spanier, in bezug auf dessen Redlichkeit und Courtoisie in Rom nur eine Stimme war. Er und sein Hof – der Carls des Dritten – war augenblicklich mit dem Papst ein wenig gespannt und zwar infolge einer kleinen Escamotage, welche letzterer sich erlaubt, und in bezug auf welche Azara trotz aller Bitten noch keine Genugtuung hatte erlangen können. Bekanntlich ward die Gesellschaft Jesu im Jahre 1767 aus Spanien und Neapel verbannt und endlich im Jahre 1773 von Clement dem Vierzehnten unterdrückt, welcher diesen Akt nur um zwei Jahre überlebte.

Obschon der König Carl der Dritte gegen die guten Väter keinen geringen Groll hegte, weil sie schon von seiner Geburt an das Gerücht verbreitet, er sei der Sohn des Kardinals Alboni und nicht der Philipps des Fünften, so hatte seine Rache sich doch darauf beschränkt, daß er sie aus seinen Staaten verbannte und auch aus denen seines Sohnes Ferdinand verbannen ließ. Dabei fuhr er fort, ihnen ihre Pensionen in vortrefflichen spanischen Piastern zu bezahlen, welche in Italien und besonders in Rom, wo das Gold fürchterlich gefälscht ist, einen Mehrwert hatten.

Nun war in Civita Vecchia ein von dem Hofe in Madrid abgesendetes, mit Piastern beladenes Schiff angekommen. Diese Piaster waren zur Bezahlung der Pensionen der Verbannten bestimmt. Pius der Sechste ließ sie in der Münze deponieren. Als das Geld einmal hier war, ließ er, anstatt es unter die guten Väter zu verteilen, es einschmelzen, mischte ein Vierteil geringhaltiges Metall darunter, ließ Paoli, Papeti, Carlini und Testoni daraus schlagen und bezahlte die Jesuiten mit diesem erbärmlichen Gelde, so daß er, wie Jenkens, Sir Williams Bankier, uns versicherte, mehr als fünfundzwanzig Prozent daran gewann. Die Jesuiten und der Chevalier Azara mochten reklamieren, wie sie wollten; sie fanden kein Recht. Endlich richteten sie eine Bittschrift an den König Carl den Dritten und baten ihn, sie später direkt durch die Hände des spanischen Gesandten auszahlen zu lassen. Es ist dies jedoch noch nichts im Vergleich mit dem, was man von den Mitteln erzählte, welche jener Papst anwendete, um sich Geld zu verschaffen, oder vielmehr um das Vermögen des Prinz-Herzogs und des Kardinals Onesti, seiner beiden Neffen, zu vermehren, denn der Krebs des Nepotismus nagte ihn ab bis auf die Knochen.

Im Augenblicke unserer Ankunft in der ewigen Stadt stand Pius der Sechste im Begriff, trotz seiner weltlichen und geistlichen Macht, einen Prozeß zu verlieren, den er, wenn derselbe bloß ungerecht gewesen wäre, zehnmal gewonnen hätte.

Unglücklicherweise aber war dieser Prozeß geradezu ruchlos. Die Tatsache war folgende: Es gab in Rom einen Lastträger aus der Umgegend von Mailand, welcher durch seine Arbeit, echte Lastträgerarbeit, die fabelhafte Summe von achthunderttausend römischen Talern oder vier Millionen vierhunderttausend Franks französisches Geld zusammengebracht hatte. Dieser Lastträger hieß Levi. Er hatte drei Söhne Amasis, Giuseppe und Giovanni. Er teilte sein Vermögen unter sie und stellte dabei die Bedingung, daß das Vermögen eines jeden ohne männliche Kinder sterbenden Bruders wieder an die anderen zurückfallen sollte.

Giovanni, der älteste der Söhne, starb einige Zeit nach seinem Vater, ohne Kinder zu hinterlassen. Giuseppe war der zweite, welcher starb, und er hinterließ eine Tochter Anna Maria. Es blieb nun noch der dritte, Amasis übrig, welcher Priester geworden und folglich keine Aussicht für Kinder hatte. Dem Rechte nach hätte nun alles, selbst das Erbteil des Priesters, der Tochter zufallen sollen, da ja keiner der Verstorbenen männliche Kinder hinterlassen hatte. Der Priester aber behauptete, alles gehöre ihm, und bemächtigte sich in der Tat des ganzen Vermögens, zum Nachteil Anna Marias, deren Mutter er nicht leiden konnte.

Anna Maria machte einen Prozeß gegen ihren Onkel anhängig. Der Priester wußte durch seinen Einfluß Zeugen aufzutreiben, welche aussagten, Anna Maria sei nicht von legitimer Geburt. Diese List hatte kein anderes Resultat, als daß dadurch die öffentliche Meinung aufgeregt ward. Das Gerücht von diesem Prozesse kam auch zu Ohren des Papstes, der hier ein gutes Geschäft witterte. Er beauftragte einen gewissen Nardini, Amasis den Kardinalshut und eine Rente zu bieten, über deren Höhe man sich verständigen würde. Man machte Amasis bemerklich, da das ganze Vermögen von seinem Vater in den Staaten des Papstes erworben worden, es nicht mehr als recht sei, wenn es, mit Abzug des Anteils, welcher ihm, Amasis, zuerkannt werden würde, an den heiligen Stuhl zurückfiele. Amasis sah in diesem Vorschlag ein Mittel, um zugleich seinen Stolz und seinen Haß zu befriedigen. Er schenkte dem Papst sein sämtliches Besitztum und stellte die Entscheidung der Entschädigungsfrage seiner Großmut anheim.

Der Papst setzte sofort den Prinzen-Herzog in den Besitz dieses Vermögens, vergaß aber die Amasis versprochene Rente ebenso wie den Kardinalshut. Amasis reklamierte, aber vergeblich. Nun begann er zu bereuen, ohne Nutzen für sich eine schlechte Tat begangen zu haben. Er errichtete deshalb ein Testament, in welchem er erklärte, die Schenkung, welche er dem Papste gemacht, sei das Resultat hinterlistiger Ratschläge, und hinzufügte, er habe besonders sich von dem Haß leiten lassen, den er gegen seine Schwägerin gehegt, die er nun um Verzeihung bat, indem er sein Verbrechen gestand, und die gemachte Schenkung widerrief.

Nardini, der päpstliche Agent, dem man ohne Zweifel ebenfalls vergessen, seine Courtage zu bezahlen, machte nun gemeinschaftliche Sache mit Amasis, indem er erklärte, er bereue, sich zum Werkzeuge des Papstes hergegeben und ihm bei dieser abscheulichen Tat noch geholfen zu haben. Das Testament Amasis und die Geständnisse Nardinis wurden bald öffentlich bekannt, und man begann von allen Seiten zu murren. Der Papst begnügte sich jedoch zu antworten, die von Amasis zu seinen Gunsten geübte Freigebigkeit sei ein Wunder des Apostels Petrus, und es komme ihm nicht zu, sich dem Wohlwollen zu widersetzen, welches der Heilige für seinen Nachfolger bewahre. Da zu der Zeit, wo dies geschah, der Papst bereits einundsiebzig Jahre zählte, so begnügten Anna Maria und ihre Mutter sich damit, daß sie die besten Advokaten Roms eine Konsultation abhalten ließen und dieser gemäß beschlossen, den Tod des Papstes abzuwarten, und den Prozeß nicht gegen diesen, sondern gegen den Prinz-Herzog anhängig zu machen. Dieser Beschluß erschreckte Pius den Sechsten. Wenn er tot war, so war niemand mehr da, welcher das ganze Gewicht seiner Macht in die Wage geworfen hätte, welche eine alte mythologische Tradition der Göttin der Gerechtigkeit in die Hand gibt. Er zwang daher Anna Maria, ihre Rechte sofort geltend zu machen und den Prozeß gegen ihn zu beginnen. Das Interesse, welches das arme Kind einflößte, dem man sein rechtmäßiges Erbe rauben wollte, ward so allgemein, und die Ungerechtigkeit, gegen welche es reklamierte, war so augenscheinlich, daß die Richter dem Papst mitteilten, sie könnten nicht anders als gegen ihn erkennen, weshalb sie ihm rieten, sich mit der Klägerin zu vergleichen. Der Papst hatte demzufolge Anna Maria gewisse Eröffnungen machen lassen.

So weit war die Sache gediehen. Man sagte, Anna Maria würde die Hälfte des Vermögens ihres Großvaters annehmen und die andere Hälfte dem Prinz-Herzog überlassen, welcher auf diese Weise von vier Millionen vierhunderttausend Franks zwei Millionen zweihunderttausend behielt. Dies hieß vielleicht nicht sich mit Ehren, jedenfalls aber mit gutem Gewinn aus der Sache ziehen.


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