Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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43. Kapitel.

Ich hatte aus Frankreich eine Menge Kleider mitgebracht. Ich zögerte einige Zeit, um zu erfahren, in welcher Art von Toilette ich mich bei der Königin präsentieren sollte. Ich entschied mich für das einfachste. Ein Kleid von weißem Atlas, eine weiße Feder im Haar, ein hellblauer Kaschmir auf den Schultern, dies war der ganze Luxus, den ich entfaltete. Um zehn Uhr machte ich mich auf den Weg nach Caserta, um elf Uhr stieg ich am Fuß der großen Treppe aus. In der ersten Etage öffnete man mir eine Tür, welche in einen Korridor führte. Die Königin erwartete mich in ihren kleinen Gemächern. Ich brauche nicht erst zu sagen, wie gewaltig das Herz mir pochte. Ich fühlte, daß ich bleich ward, denn mein ganzes Blut strömte mir nach dem Herzen zurück. Endlich, nachdem sich drei oder vier Türen geöffnet und geschlossen hatten, öffnete man die letzte. Ich war wie geblendet, aber dennoch hörte ich den mir voranschreitenden Lakai die Worte aussprechen: »Lady Hamilton!« – Ich trat ein, ohne etwas zu sehen. Ein Nebel hatte sich über meine Augen gebreitet. Ich wollte eine Verbeugung machen. Ich taumelte und mußte mich an einem Sessel anhalten. Ich fühlte, wie jemand mich um den Leib faßte und stützte: »Was fehlt Ihnen, Mylady?« sagte eine wohlwollende Stimme zu mir. – »Ich bitte um Verzeihung, Madame,« stammelte ich, »die Aufregung, welche mir die so lange gewünschte und so lange erwartete Ehre, vor Ew. Majestät erscheinen zu dürfen, verursacht.« – »Mein Gott, bin ich denn so imposant?« – »Sie sind Königin, Madame.« – »Da irren Sie sich. Ich bin Weib und ein Weib, welches eine Freundin sucht. Wenn Sie mir diese Freundin bringen, so werden Sie mir mehr gegeben haben, als ich Ihnen jemals vergelten kann. Nachdem ich dies vorausgeschickt, bitte ich Sie, sich zu setzen, damit ich Sie mit Muße betrachten kann.« – Ich machte eine Bewegung, um mein Gesicht mit den Händen zu bedecken. »Wollen Sie mir wohl gestatten, dieses reizende Antlitz zu betrachten, welches ich bis jetzt nur von der Seite oder verstohlen gesehen?« – Ich stieß zwei- oder dreimal einen halberstickten Schrei aus und fing an zu schluchzen. »Aber für so töricht hätte ich Sie nicht gehalten,« rief die Königin. »Soll ich mich vielleicht bei Ihnen entschuldigen?« – »O Madame,« murmelte ich. – »Kokette!« sagte sie. »Ganz im Gegensatz zu den Frauen, welche wenn sie weinen, häßlich werden, weiß sie, daß die Tränen sie nur noch schöner machen. Es ist ja nur eine einzige Frau hier und Sie brauchen daher nicht la civetta zu spielen. Lassen Sie mich Ihnen die Augen trocknen und plaudern wir dann.«

Die Königin wollte mir in der Tat die Augen trocknen. Ich warf mich ihr zu Füßen und küßte ihr die Hände. »Na, das wird schon besser,« sagte sie, »und wenn ich Sie auf beide Wangen geküßt haben werde, so sind wir dann quitt.« Mit diesen Worten umarmte und küßte sie mich. »So,« sagte sie dann, »nun sind die Kinderpossen vorbei, nicht wahr? Nehmen Sie wieder Platz neben mir und lassen Sie uns gute Freunde sein. Es müßte denn sein, daß Sie nicht wollten. Dann aber ist die Schuld nicht mehr mein.« Ich fand hierauf nichts zu antworten, sondern lächelte bloß auf die dankbarste Weise. »Wohlan,« fuhr die Königin fort, indem sie mit meinem Haar spielte, »ich liebe nicht die Vormittage, welche mit Regen anfangen.« – »Ach, Madame,« stammelte ich, »wer hätte mir jemals gesagt, daß eine große Königin, daß die erhabene Tochter Maria Theresiens –« »Still, still! – oder vielmehr, da Sie von einer Königin sprechen – ich weiß, daß Sie meine Schwester in Versailles gesehen haben – in ihrem letzten Briefe schreibt sie mir, daß die Dinge in Frankreich einen immer schlimmeren Verlauf nehmen, daß sie sehr leidend ist und körperlich immer mehr verfällt. Was ist an diesem allen wohl wahr?« – »Ach, Majestät, ich hatte die Königin von Frankreich seit acht Jahren nicht gesehen und ich muß allerdings gestehen, daß sie in diesen acht Jahren von der schönen und glücklichen Seite des Lebens Abschied genommen zu haben scheint.« – »Und ich, die ich sie seit neunzehn Jahren nicht gesehen, wie würde ich sie wohl wiederfinden! Die arme Antoinette!« – »Dennoch zählt sie erst dreiunddreißig Jahre,« entgegnete ich, »und mit dreiunddreißig Jahren ist man noch jung.« – »Wenn man Königin ist, nicht,« antwortete Karoline, indem sie die Stirn runzelte. »Übrigens, wenn die Angelegenheiten sich immer trüber gestalten, so werden wir die Aufgabe haben, dies reiflich zu überlegen. Jetzt lassen Sie mich einmal Ihre Toilette in Augenschein nehmen. Ich weiß nicht, ob Sie Ihrem Kleide gut stehen, oder ob Ihr Kleid Ihnen gut steht. Gewiß aber ist, daß es reizend, geschmackvoll ist. Ich werde mir ein ganz genau ähnliches fertigen lassen. Einen blauen Kaschemirshawl wie der Ihrige habe ich schon und wir werden dann aussehen wie zwei Schwestern.« – »O Madame!« – »Natürlich werden Sie die jüngste sein. Wie alt sind Sie? Dreiundzwanzig?« – »Etwas über sechsundzwanzig, Madame.« – »Ihr Gesicht hat einen unschätzbaren Fehler, meine Liebe, nämlich den, daß es zu Ihrem Vorteil lügt. Mit mir ist gerade das Gegenteil der Fall. Ich bin stets älter erschienen, als ich bin. Sie werden mir doch nicht etwa Komplimente machen? Morgen schicken Sie mir Ihr Kleid und ich werde mir sofort ein ähnliches fertigen lassen. – Aber wer stört uns denn da? – Ah, es ist der König – ich kenne seinen Tritt.« – »Der König, Madame?« rief ich, indem ich mich erhob. »Ich bin, wie Sie gesehen haben werden, in Dingen der Etikette durchaus nicht bewandert. Was soll ich tun?« – »Was Sie tun sollen? Bleiben sollen Sie. Übrigens macht der König mir niemals lange Besuche.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und der König trat mit Geräusch ein. Wenn ich übrigens sage »der König«, so muß ich bemerken, daß ich mich glücklich schätzte, von der Königin soeben gehört zu haben, daß sie ihn an seinem Tritt erkannte, denn ich würde in dem Bauer, welcher jetzt in das Zimmer der Königin trat, nun und nimmermehr einen König vermutet haben. Man denke sich einen noch jungen Mann von hohem, ziemlich gut geformten Wuchse, obschon seine Füße zu groß und seine Hände zu dick waren, in Jagdschuhen von großen ledernen Gamaschen, einer Weste von Hirschleder, samtner Jacke und dergleichen Beinkleidern, von frischer Gesichtsfarbe, zurücktretender Stirn und eben so geformtem Kinn, einer ungeheuren Nase, die ihm das Ansehen nicht eines Adlers, sondern eines Papageien gaben, mit einer Stutz- und Zopfperücke und in der Hand an den Pfoten drei Truthühner haltend, welche aus Leibeskräften zappelten und glucksten. Hierzu denke man sich noch gemeine Gebärden und eine gemeine Sprech- und Ausducksweise und man hat einen ungefähren Begriff von dem, was Ferdinand der Vierte war. »Aber, mein Gott, was ist Ihnen denn begegnet?« rief die Königin. »Ich bin allerdings daran gewöhnt, Sie von der Jagd zurückkommen zu sehen, heute aber scheinen Sie etwas noch Besseres zu tun, denn ich glaube, Sie kommen aus dem Hühnerstalle.« – »Ach, meine liebe Schulmeisterin,« sagte Ferdinand – mit diesem Namen nannte er sie, wenn er bei guter Laune war, denn sie war es, welche ihn hauptsächlich Lesen und Schreiben gelehrt hatte – »Sie haben mir immer gesagt, wenn ich nicht König wäre, so würde ich nicht wissen, womit ich mein Brot verdienen sollte. Dies hier aber wird Ihnen das Gegenteil beweisen. Sehen Sie einmal diese drei Truthühner an.« – »Ich sehe dieselben.« – »Und nun machen Sie mir das Vergnügen, sie zu betasten.« – »Es ist geschehen, mein Herr.« – »Nun Sie, Mylady.« – Mit diesen Worten hielt der König die Truthühner mir vor die Augen. Ich wußte nicht, was ich tun sollte, ich zögerte. »Betasten Sie doch!« sagte er. »Da Sie davon essen werden, so kann es nicht schaden, wenn Sie sich überzeugen, daß sie fett sind. Ich hoffe doch, daß wir Sir William mit bei Tische haben.« – »Er wird die Ehre haben, Ihrer Einladung zu folgen, Majestät.« – »Und daran wird er wohl tun! Er wird die Truthühner schmausen, die ich gewonnen habe.« – »Aber, mein Herr,« sagte die Königin im Tone der Ungeduld, »so kommen Sie doch mit der Geschichte dieser unglücklichen Vögel zu Ende.« – »O, Sie können sagen: mit der meinigen, denn dieselbe ist mit der dieser Tiere so innig verflochten, daß keine von der andern getrennt werden kann. Denken Sie sich, daß ich gestern, als ich im Garten spazieren gehe, einer armen Frau begegne, welche vor mir stehen bleibt und sagt: ›Mein Herr, man hat mir gesagt, ich sollte hierhergehen, wenn ich dem König begegnen wollte. Glauben Sie, daß er bald vorbeikommt?‹ – ›Nichts ist wahrscheinlicher als dies, gute Frau.‹ – ›Aber wie wird er gekleidet sein, damit ich ihn erkenne?‹ – Ich hatte Lust, ihr das Signalement von San Marco oder Ascoli zu geben; ich zog es jedoch vor, das Abenteuer zu Ende zu verfolgen. – ›Höret,‹ sagte ich, ›da der König nicht alle Tage spazieren geht, und Ihr daher warten könntet bis zum Abend, ohne daß er vorüberkäme, so wollen wir etwas Besseres tun. Wenn Ihr ihm vielleicht eine Bittschrift zu überreichen habt, so will ich dieselbe zur Beförderung übernehmen.‹

»›Da würden Sie mir allerdings einen großen Gefallen tun,‹ sagte die gute Frau. ›Ich bin eine arme Witwe und habe weiter nichts als drei Truthühner; wenn Sie aber Wort halten, so will ich Ihnen dieselben geben.‹ – ›Sind sie fett?‹ fragte ich, denn Sie können sich denken, daß ich nicht Lust hatte, die Katze im Sacke zu kaufen. – ›Jawohl, fett wie Gänse, mein Herr,‹ antwortete die Frau. – ›Nun gut, dann ist die Sache abgemacht. Kommt morgen mit Euren drei Truthühnern. Habt Ihr Eure Bittschrift bei Euch?‹ – ›Ja.‹ – ›Dann gebt sie her, morgen werde ich sie Euch mit dem darauf geschriebenen Beschluß des Königs wieder zustellen. Ich gebe Euch Eure Bittschrift zurück, Ihr gebt mir die drei Truthühner und wir sind quitt.‹ – Sie können sich denken meine Damen, daß ich nicht verfehlt habe, mich zur rechten Zeit einzufinden. Ich hatte einen Mann als Schildwache aufgestellt, und sobald als er kam und mir sagte: ›Es ist eine Bäuerin mit drei Truthühnern unten,‹ ging ich hinunter, gab der guten Frau ihre von mir mit Resolution versehene Bittschrift zurück und sie übergab mir ihre drei Truthühner. Die arme Frau! Ich fürchte sehr, daß sie dieses Opfer vergeblich gebracht hat.« – »Warum?« – »Weil die Richter auf meine Empfehlung keine sonderliche Rücksicht nehmen werden. Diesmal aber bin ich entschlossen, wenn es sein muß, einen Staatsstreich auszuführen, damit man dieser armen Witwe Gerechtigkeit widerfahren lasse – das heißt, wenn ihre Truthühner wirklich fett sind.« – Und der König ging, in ein lautes Gelächter ausbrechend, wieder hinaus und nahm seine drei Truthühner mit, um sie selbst in die Küche zu tragen.

Die Königin sah ihm mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke von Verachtung nach, richtete dann ihren Blick wieder auf mich und sagte: »Sie haben ihn gesehen; etwas Weiteres brauche ich nicht hinzuzufügen.« Meine Augen weilten nun auf ihr selbst und ich betrachtete sie mit der größten Aufmerksamkeit. Sie war, wie sie gesagt hatte, siebenunddreißig Jahre alt, so daß bei ihr schon die Schönheit der Matrone auf die der jungen Frau folgte. Sie besaß den weißen Teint der Frauen des Nordens, wunderschönes blondes Haar, blaue Augen, welche fähig waren, jeden Ausdruck, von dem der zärtlichsten Liebe bis zu dem des glühendsten Hasses, wiederzugeben. In letzterem Falle besaß ihr Gesicht eine Härte, welche man ihm nimmermehr zugetraut hätte. Die Nase war gerade und gut geformt und der Mund, obschon schön, doch durch jenes den Prinzessinnen aus dem Hause Österreich eigentümliche Hervorragen der Unterlippe ein wenig entstellt. Die Schultern, die Arme und die Hände waren prachtvoll, dabei aber ließ die Gewohnheit der königlichen Majestät all' diesem eine Steifheit, welche die Königin der Anmut des Weibes in hohem Grade beraubte. Die Italiener haben für diese Art von Anmut, welche in Italien ganz besonders mangelt, ein Wort geschaffen. Sie nennen sie Morbidezza Die nachlässige Grazie der Kreolinnen würde davon den vollständigsten Begriff geben. Während ich die Königin betrachtete, tat sie in bezug auf mich dasselbe und schien mich ebenso genau zu mustern wie ich sie. Es erwachte in uns beiden gleichzeitig derselbe Gedanke. Wir fingen beide an zu lachen. Sie umschlang mich mit ihren Armen, drückte mich an sich und küßte mich mit einem Ungestüm, welches man eher von einem Liebhaber als von einer Freundin erwartet hätte. Ich stutzte. Es erinnerte mich dies an Miß Arabellas Freundschaft. Wir aßen die Truthühner gebraten und als Pastete zum Diner; sie waren fett, aber hart, was seinen Grund darin hatte, daß der König nicht einige Tage warten gewollt, um sich von ihrer Qualität zu überzeugen. Kommen wir mit dieser Truthühnergeschichte sofort zu Ende. Ganz wie Ferdinand gedacht, hatte seine Signatur nicht den mindesten Einfluß. Der Richter hatte die Empfehlung gelesen, und da er sie bloß als eine der vielen betrachtete, welche die Monarchen sich durch ungestümes Bitten oder Achtlosigkeit abnötigen lassen, die Achseln gezuckt und die Bittschrift beiseite gelegt. Die Folge davon war, daß nach Verlauf von vierzehn Tagen der König der Witwe abermals begegnete. Sie machte ihm heftige Vorwürfe und beschuldigte ihn, ihre Gutmütigkeit gemißbraucht zu haben, indem er ihr weisgemacht, er kenne den König.

»Ich will Euch etwas sagen,« entgegnete Ferdinand. »Kommt heute über vierzehn Tage wieder und wenn dann Euer Prozeß nicht gewonnen ist, so mache ich mich verbindlich, Euch für jedes Eurer Truthühner hundert Dukaten zu geben.« Die gute Frau schüttelte den Kopf. Es war augenscheinlich, daß sie an die Entschädigung ihrer Truthühner ebensowenig glaubte, als an das Gewinnen des Prozesses und sie brummte zwischen den Zähnen hindurch noch allerlei von Intriganten, welche viel versprächen und sich im voraus bezahlen ließen, aber ihr Versprechen nicht hielten. Der König notierte sich den Namen des Berichterstatters und schrieb an den Justizschatzmeister, ihm seinen monatlichen Gehalt, welcher den drittnächsten Tag fällig geworden wäre, nicht zu bezahlen, indem er zugleich befahl, ihm, wenn er die Ursache wissen wollte, zu sagen, daß er bezahlt werden würde, sobald er den von dem Könige empfohlenen Prozeß expediert hätte, aber keine Stunde eher. Vierzehn Tage später übergab der König der guten Frau das Dezisum, durch welches sie ihren Prozeß gewann und indem er sich zu erkennen gab, fügte er zugleich die dreihundert Dukaten hinzu, welche er für die drei Truthühner versprochen.


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