Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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70. Kapitel.

Während des ganzen Weges sprach die Königin kein Wort, nur hielt sie meine Hand fest in der ihrigen und an den krampfhaften Bewegungen derselben fühlte ich, bis zu welchem Paroxysmus ihre Wut sich steigerte. Als wir ihr Zimmer erreicht hatten, warf sie sich, immer noch stumm und aufgeregt, in einen Lehnstuhl. Dann rief sie plötzlich: »Wie mich diese verworfenen Neapolitaner hassen! Hast du ihn gehört? Er ist der Dolmetsch seiner ganzen Generation. – O, wie froh ich bin, das mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört zu haben, was ich gesehen und gehört habe! – Ich machte mir Gewissensbisse, ich wollte begnadigen – begnadigen! Jetzt mögen sie nur kommen und um Gnade flehen, ich werde ihnen zu antworten wissen: ›Ihr habt rein gelebt, so sterbet auch rein!‹ O sie sollen sterben und mit ihnen alle, die nicht Haupt und Knie beugen wollen!« Nach augenblicklichem Schweigen fuhr sie fort: »Die Junta ist abgeschmackt; ich werde eine andere ernennen. Man fordert dreißig Köpfe von ihr, und sie bewilligt nur drei und wählt gerade die Jüngsten, deren Tod die meiste Bewegung in der Öffentlichkeit hervorrufen wird. Sie sollen aber nicht etwa enthauptet werden, diese Ehre soll ihnen nicht widerfahren, sondern wie gemeine Diebe, wie Mörder von gemeiner Geburt will ich sie hängen lassen. O, ich habe meine Leute dazu und werde diesen elenden Jacobinern ein Tribunal geben, welches sie nicht schonen wird . . . . Vanni, Castelcicala, Guidobaldi, das sind Männer, auf die ich mich verlassen kann. Castelcicala ist Fürst und ich kann ihm keinen höheren Titel geben, Vanni aber werde ich zum Marquis und Guidobaldi zum Grafen machen, ich werde sie mit Gold überhäufen, während sie mich mit Blut sättigen!« Und sie erhob sich gleich einer Nemesis, um dann mit Wutgeschrei auf ihr Bett zu sinken. Ich folgte ihr, warf mich vor ihr auf die Knie und sagte: »Schonen Sie sich, Madame!« – »O nichts wider sie zu können! Sie töten, das ist alles! Und hast du nicht gesehen, daß sie dem Tode trotzen, daß sie ihn laut herbeirufen, daß sie die Märtyrer spielen! Sage mir, wäre es nicht besser, sie in dem Bergwerk von Favignana oder von Maritimo zu begraben?« – »Ja, Madame,« rief ich, »das ist eine Eingebung des Himmels! Sie hätten dann Zeit zu bereuen.« – »Zu bereuen, sie? Niemals! sie werden mich nur um so ärger hassen. Übrigens gibt es auch kein so gut verwahrtes Gefängnis, aus dem sie nicht entflöhen. – Man hat mir erzählt, daß ein französischer Gefangener, namens Latude, dreimal aus der Bastille entwischt sei. – Nein, nur dem Grabe kann niemand entfliehen. Ich will bei ihrer Todesstrafe nichts als die Art ihres Todes ändern.« – »Fürchten Sie denn keinen Aufstand, Madame?« – »O, ich wünsche einen! Ich wünsche eine Gelegenheit herbei, bei der ich Neapel verbrennen und ein Drittel seiner Einwohner vernichten könnte! Nur das Volk ist gut, nur die Lazzaroni sind treu, alles, was ein Tuchkleid trägt, ist durch die Vico, Genovese, Beccaria, Filangieri, Pagano und Conforti verderbt worden. Es ist ein Glück, daß dieser Emanuele de Deo den armen Caramanico geschont hat, denn wenn er von diesem dasselbe gesagt hätte, wie von Acton, so hätte ich ihm das Fleisch mit glühenden Zangen zerreißen lassen!« Ich ergriff die Gelegenheit, die sie mir selbst bot, ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben. »Haben Sie lange nichts von ihm gehört?« fragte ich. – »Von wem?« – »Von dem Fürsten von Caramanico.« – »O, er schreibt mir schon lange nicht mehr. Wenn ich ihm schreibe, so geschieht dies, wie ich dir bereits gesagt zu haben glaube, durch die Vermittelung seiner Gemahlin, die in Neapel geblieben ist. Sie schickt ihm meine Briefe zu, da sie glaubt, daß es sich um Staatsangelegenheiten handelt, ihm aber habe ich selbst befohlen, mir nicht mehr zu schreiben, denn ich traue hier niemandem als dir. Wenn man denken sollte, daß er noch an mich denkt oder sich einbildet, daß er wieder erster Minister werden will, so mag Gott wissen, was geschehen könnte! . . . . Du hast wohlgetan, mit mir von ihm zu sprechen, Emma. Siehe, das beruhigt mich, . . . o, wenn er doch hier wäre!« Und sie umschlang schluchzend das Kissen. »Befehlen Sie, daß ich Sie zu Bett bringe und den Kasten mit den Briefen und Buketts neben Sie stelle?« – »O,« sagte sie, »du bist mein Trost, du allein weißt, was den Frieden in meinem Herzen herstellen kann, und auch dich beschimpfen sie!«

»Denken Sie nicht an mich, Madame. Zum Unglück haben diese Menschen in ihren Bemerkungen über mich recht, da sie mir nichts Unwahres vorwerfen, und ich bin ihnen sogar noch dankbar, daß sie bei der Wahrheit geblieben sind. Denken Sie also nicht mehr an mich, Madame, sondern nur an ihn. Vielleicht denkt er gerade in dieser Stunde an Sie.« – »O, du bist von Sinnen! Er hat dort schöne Sizilianerinnen. Ich bin mit meinen siebenunddreißig Jahren eine alte Frau, er dagegen mit seinen vierzig ein junger Mann. Von dreißig Jahren an muß man die Jahre bei uns doppelt zählen, das wirst du eines Tages auch erfahren.« –

»Pst, Madame!« sagte ich lachend, »ich habe es bereits erfahren. Obgleich ich das Datum meiner Geburt, das nicht wie das Eurer Majestät in dem Almanach von Gotha verzeichnet steht, nicht genau kenne, so muß ich doch meine zweiunddreißig, mindestens aber meine einunddreißig Jahre alt sein.« – »Du bist zwanzig Jahre alt,« sagte sie, »und ich glaube, Gott vergebe mir, du wirst es immer bleiben.«

»Wollen Eure Majestät mir den Schlüssel zum Sekretär geben?« – »Nein, das ist nutzlos. Ich will mich zu Bett legen, denn ich bin wie gerädert, du wirst dich zu mir setzen, und dann wollen wir von ihm sprechen. Es ist außerordentlich, wie schon die Erinnerung an ihn mich beruhigt. O, ich weiß nicht, warum ich mich beklage, denn ich bin ja zwei oder drei Jahre glücklich gewesen, und welche Frau, besonders welche Königin, kann drei Jahre des Glücks in ihrem Leben zählen!«

Zuerst war ihr Zorn in Aufregung übergegangen und jetzt verwandelte sich ihre Aufregung in Melancholie. Ich half ihr beim Auskleiden, sie legte sich zu Bett, ich rückte einen Lehnstuhl an ihr Bett und nahm ihre Hand.

»Und jetzt,« sagte ich, »erzählen Sie mir von ihm.«

Nun öffnete sich dieses übervolle Herz und schüttete sich aus. Eine Stunde lang rief sie sich auch die kleinsten Ereignisse dieser drei glücklichen Jahre ins Gedächtnis zurück. Keine Einzelheit entschlüpfte ihr, und während dieser Stunde vergaß sie alles, sogar die tiefverwundende Beschimpfung, die man ihr angetan. Eine so große Macht haben die Erinnerungen einer ersten Liebe auf das Herz des Weibes! Allmählich aber ward ihre Stimme matter, ihre Hand entzog sich der meinigen, ihre Augen schlossen sich und ein sanfter Atem wie der eines Kindes strömte aus diesen vor zwei Stunden noch wutschäumenden Lippen. Sie schlief. Ich vermutete, daß ihr Schlaf nach den Aufregungen, die sie soeben durchgekämpft, ein tiefer und langer sein würde und gab daher in den Vorzimmern Befehl, daß man am folgenden Morgen diesen Schlaf durch nichts stören solle. Dann zog ich mich in mein Zimmer, welches an das der Königin stieß, zurück und ließ die Tür zwischen beiden offen. Am folgenden Morgen oder vielmehr am folgenden Tage, am 3. Oktober 1794, erwachte die Königin erst um zehn Uhr und rief mich beim Erwachen.

Ich war vor ungefähr fünf Minuten aufgestanden und eilte an ihr Bett. »Wirklich,« sagte sie, »du bist die mächtigste Zauberin, die existiert hat. Du besitzest Macht über die Herzen und über die Leidenschaften. Ich habe sieben Stunden lang den Schlaf eines Kindes geschlafen. – O, du wirst mich niemals verlassen, nicht wahr? Du bist mein guter Genius!« Sie breitete die Arme nach mir aus. Ich neigte mich über sie und küßte sie auf die Stirn.

»Frage, ob niemand zu mir gewollt hat,« sagte sie.

Ich erriet ihre Gedanken. Sie hoffte, daß der verzweifelte Giuseppe trotz des Abredens seines Sohnes doch einen Versuch bei ihr machen würde, ihre Gnade zu erlangen. Ich ging selbst in die Vorzimmer und fragte nicht nur die Ehrendamen, sondern sogar die Türsteher; allein es war niemand gekommen. Ich kehrte zu Karolinen zurück, und teilte ihr diesen Umstand mit. Ihre Stirne umdüsterte sich.

»Sie haben es gewollt,« murmelte sie, »und ich habe mir dann keinen Vorwurf zu machen.« Zu mir gewendet fuhr sie dann fort: »Ich gebe dir auf den ganzen Tag deine Freiheit. Ich habe mehrere Briefe zu schreiben, mehrere Personen zu empfangen und morgen viele Befehle zu erteilen. Sei um sechs Uhr hier; wir werden uns heute abend nach Caserta begeben.«

»Und – wenn der Vater wieder kommen sollte –« sagte ich bittend.

»Wenn er wieder käme, so wollten wir sehen, was zu tun wäre,« erwiderte die Königin. »Sei doch ruhig, er wird nicht wieder kommen.«

Als ich das Palais verließ und die Kirche des heiligen Ferdinand passierte, um in die Chiajastraße einzubiegen, sah ich wie eine Menge Menschen nach dem Largo del Castello strömte. Ich befahl meinem Lakai, vom Wagen zu springen und nach der Ursache dieses Gedränges zu fragen. Er stieg ab, näherte sich einer Gruppe, die er fragte, und kam dann zurück. Mir war es, als ob die Leute in dieser Gruppe mich drohend anblickten. »Was gibt es denn?« fragte ich den Lakai. – »Mylady,« erwiderte er, »es scheint morgen auf dem Largo del Castello eine Hinrichtung stattfinden zu sollen. Man errichtet das Schafott.«

«Ins Hotel! ins Hotel!« rief ich, indem ich meinen Kopf in den Händen verbarg.

Ich begab mich zu Sir William.

»Sie wissen doch, was geschieht, mein Herr?« fragte ich.

»Ja,« erwiderte er, »das Tribunal scheint drei Jacobiner zum Tode verurteilt zu haben und morgen wird man sie wahrscheinlich hängen.« – »Die Königin fürchtet, daß morgen, eben wegen dieser Hinrichtung, ein Aufstand ausbrechen könnte, und fordert uns auf, den Tag in Caserta bei ihr zuzubringen.« – »Gehen Sie nur mit. Ich kann Neapel nicht verlassen. Ich soll meiner Regierung morgen über alle Vorgänge berichten und wenn ich in Caserta wäre, so könnte ich der Genauigkeit meiner Depesche nicht gewiß sein.«

»Ich hoffe doch, daß Sie der Hinrichtung der Unglücklichen nicht beiwohnen werden?« – »Ich weiß es noch nicht. Der englische Bankier Leigh hat mir einen Platz an seinen Fenstern angeboten, und da er am Largo del Castello wohnt, so nehme ich sein Anerbieten vielleicht an. Auf alle Fälle werde ich morgen abend oder spätestens übermorgen früh nach Caserta kommen und das Nähere über den Vorgang mitteilen.« Ich schauderte bei dem Gedanken an diese Einzelheiten, die mir Sir William so ruhig versprach. Da er durchaus nicht wußte, was in der vorhergehenden Nacht geschehen war, so konnte er meine Aufregung nicht begreifen; da er mich aber überhaupt niemals fragte, so richtete er auch jetzt keine Frage an mich. Zur bestimmten Stunde war ich bei der Königin, nur hatte ich dem Kutscher befohlen, durch Chiatamone und Santa-Lucia zu fahren, weil ich die Nähe des Largo del Castello meiden wollte. Dennoch mußten wir nach Caserta durch die Toledostraße fahren. Wir saßen aber in einem geschlossenen Wagen und ich zog die Vorhänge zu. Da wir einen Wagen ohne Wappen und in Livreen gekleidete Diener hatten, so konnten wir durch die Menge, die fortwährend auf der Toledostraße hin- und herwogte, fahren, ohne Neugierde zu erregen. Ich fühlte mich doch erst wieder ruhig, als ich, nachdem wir uns außerhalb der Stadt befanden, das Fenster herunterlassen und die Luft der Felder atmen konnte. Ich hatte nicht nötig gehabt, die Königin zu fragen, ob jemand bei ihr gewesen, und ob sie Gnade hätte gewähren oder verweigern müssen. Wir kamen ungefähr halb acht Uhr in Caserta an. Als wir das massive und schwere Gebäude betraten, war es mir, als ob wir in ein Grab stiegen.

Man wird sich vorstellen können, welchen traurigen Abend wir verbrachten. Wir wurden beide, die Königin sowohl als ich, von einem und demselben Gedanken gepeinigt. Wir konnten an nichts anderes denken, und dennoch wollte keine von uns von der Sache sprechen, die uns so hartnäckig beschäftigte. Was mich betraf, so schwebten mir fortwährend jene drei jungen Männer und besonders der, welcher die Hauptrolle in dieser Tragödie spielte, vor Augen. Sein braunlockiges Haupt, seine beredten Augen, seine vibrierende Stimme, seine feierlichen Gebärden, alles trat mir so lebhaft vor die Seele, daß ich, wäre ich allein gewesen, dem Wunsche nicht hätte widerstehen können, einen Bleistift zu nehmen und die ganze Szene zu skizzieren. Die Königin hatte ein Buch genommen und tat, als ob sie lese, da sie jedoch die Blätter umzuwenden vergaß, so konnte man leicht sehen, daß sie nicht las.

Gegen zwei Uhr brachte man uns einen Imbiß, wir tranken jedoch nur eine Tasse Tee. Zu wiederholten Malen versuchte sowohl die Königin als ich, einige der gleichgültigen Phrasen zu erwähnen, auf denen in Ermanglung großer Gedanken die gewöhnlichen Unterhaltungen beruhen, jede dieser Phrasen aber glich einem Stein, der in einen Schlund fällt und ohne Echo darin versinkt. Die Pendule auf dem Kamin war von Meißener Porzellan. Sie stellte die mit einer Sense bewaffnete Zeit dar. Nie habe ich eine frappantere und düstrere Allegorie gesehen. Nach und nach schlug die Uhr die zehnte, die elfte und die zwölfte Stunde. Mit dem letzten vibrierenden Klange der Glocke traten wir in den 4. Oktober ein; es war der Tag der Hinrichtung.

Die Königin erhob sich, ging nach dem Kamin, nahm die Glasglocke der Uhr in die Höhe und hielt den Perpendikel an. Sie sorgte dafür, daß die Uhr die vierte Stunde nicht schlüge, denn um vier Uhr sollte sie nicht mehr die Zeit messen, sondern die Ewigkeit anzeigen. Die Hinrichtung der drei jungen Männer sollte um vier Uhr stattfinden. Ich wußte es nicht, die Königin aber wußte es, und wir waren beide so sehr mit einem und demselben Gedanken beschäftigt, daß, als sie den Pendel der Uhr anhielt, ein Schauer meinen ganzen Körper durchrieselte, denn ich verstand ihre Absicht.


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