Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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34. Kapitel.

Wir reisten mit zwei Post- und einem Gepäckwagen von Rom ab, und schlugen auf die Gefahr hin, angefallen und beraubt zu werden, den Landweg ein. Die sechs Diener des Grafen von Bristol und unsere beiden, lauter starke, mutige Engländer, bildeten eine zu unserer Verteidigung hinreichende Eskorte. Für mich, die ich stets von dem Wunsche beseelt gewesen bin, den Kreis meiner geringen Kenntnisse zu erweitern, war es ein großes Vergnügen, mit Sir William Hamilton zu reisen. In allen Dingen des Altertums bewandert, hatte er sein ganzes Wissen der Sichtung einer gesunden Kritik unterworfen, so daß, wenn er eine Tatsache erzählte, ein Datum zitierte oder ein Monument beschrieb, man alles, was er sagte, unbedingt auf Treu und Glauben hinnehmen konnte. Wir verließen Rom auf der appischen Straße, das heißt durch das alte appische Tor, so daß das Tal der Egeria, der Zirkus Caracallas, das Grab der Cecilia Metella zu unserer Linken und die Katakomben von St. Sebastian und die Monumente der aurelischen Familie zu unserer Rechten blieben. Sir William ließ unseren Wagen vor dem Grabmale der Tochter des Kritikers Metellus Halt machen, wo die Asche jener jungen, intelligenten Frau ruhte, die in jenem schönen Zeitalter Roms gelebt, welche Cäsar, Pompejus, Cicero, Clodius, Catullus, Hortensius, Lucullus und Cato gekannt und dieselben vielleicht einmal alle zusammen an ihrem Herd vereinigt hatte, ehe sie durch den unversöhnlichen Haß des Bürgerkrieges getrennt wurden. Trotz seiner zweiundsiebzig Jahre stieg Mylord Harvey, mein dienender Ritter, aus dem Wagen, und wollte durchaus bis auf den obersten Rand des Grabmales hinaufsteigen, um mir ein Reis von dem wilden Granatbaume zu pflücken, der in den Ruinen wuchs.

Als wir in Aqua Ferentina anlangten, zeigte Sir William uns den Ort, wo Clodius von den Gladiatoren des Milo tödlich verwundet ward.

In Genzano verließen wir unseren Wagen einen Augenblick und stiegen, von vier Mann unserer Leibwache mit der Kugelbüchse auf der Schulter begleitet, bis zum See Nemi hinauf. Es ist dies einer der reizendsten Orte der römischen Campagna und trennt den Berg Gentili von den unsichtbaren Ruinen von Alba La Longa. Lord Harvey, welchem die Liebe zu mir die Rüstigkeit eines zwanzigjährigen Jünglings geliehen zu haben schien, verließ uns keinen Augenblick und marschierte entweder uns voran oder neben uns her. Der Ausflug dauerte ungefähr eine Stunde. Wir nahmen dann wieder in unseren Wagen Platz und rollten einen ziemlich steilen Abhang hinab, den pontinischen Sümpfen entgegen, welche Pius der Sechste beschäftigt war austrocknen zu lassen, nicht um des öffentlichen Wohls, nicht um der Verbesserung der Gesundheitsverhältnisse der Stadt Rom willen, sondern um den Grundbesitz seines Neffen, des Prinzen-Herzogs, zu vermehren. Auf der Hälfte dieses Hügelabhanges begegneten wir einer Karosse, welche, wie wir schon von weitem bemerkten, einem hohen Würdenträger der Kirche angehören mußte. Als wir näher kamen, erkannten wir Monsignore Ruffo. Er redete uns an und fragte, ob wir nicht ein Glas Wasser für einen armen Teufel hätten, der von dem furchtbaren Fieber der pontinischen Sümpfe befallen worden und den er in seinem eigenen Wagen mit nach Rom zurücknahm. Er hatte ihn am Fuße eines Baumes liegend gefunden, auf seine Schultern geladen und bis in seinen Wagen getragen, um ihm in Rom die weitere nötige Pflege angedeihen zu lassen. In seiner Eigenschaft als Großschatzmeister hatte Ruffo die Arbeiten, welche Pius der Sechste ausführen ließ, zu beaufsichtigen und die Arbeiter auszuzahlen.

Bei einer dieser Gelegenheiten hatte er eben Anlaß gefunden, die gute Tat auszuführen, deren Zeugen wir waren. Der blinde Haß des Bürgerkrieges machte Hamilton, Nelson und mich eine Zeitlang zu erbitterten Feinden des Kardinals Ruffo. Heute aber, wo der Haß schweigt, wo ich schreibe, mit der rechten Hand auf dem Papier, mit der linken Hand auf dem Gewissen, muß ich sagen, daß der Kardinal gegenüber der blinden Rache, an welcher ich unglücklicherweise einen für die Ruhe meiner Seele allzu tätigen Anteil nahm, oft die Aufgabe der Humanität vertrat. Übrigens werde ich, wenn die Zeit da sein wird, wo ich diese furchtbaren Ereignisse erzähle, ihm volle Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Wir gaben ihm das Wasser, welches er für seinen Fieberkranken begehrte, der jeden Augenblick zu trinken verlangte. Wir hatten auf unserem Gepäckwagen ein ganzes Faß voll mitgenommen. Der Oberschatzmeister verließ uns, indem er uns sagte, wir würden uns wahrscheinlich in Neapel wiedersehen.

Der Kardinal war nämlich Neapolitaner und stammte aus einer vornehmen Familie von San Lucido in Calabrien. Sein Adel war sprichwörtlich. In Italien sagt man, wenn man von einem alten unbestreitbaren Adel sprechen will: »Die Evangelistas in Venedig, die Bourbons in Frankreich, die Colonna in Rom, die Sanseverini in Neapel, die Ruffo in Calabrien.«

Wir setzten unsern Weg nach Terracina, er den seinigen nach Rom weiter fort.

Nichts konnte malerischer sein als dieser Weg durch die pontinischen Sümpfe, zu dessen beiden Seiten die Arbeiter einen Kanal gruben. Man sah nur hagere, kränkliche Gestalten, denn alle diese Unglücklichen litten mehr oder weniger an den Einwirkungen der Malaria. Man mußte sie alle vierzehn Tage durch frische Arbeiter ersetzen, während die ersteren auf den Höhen wieder die Gesundheit zu erlangen suchten, die sie in den Sümpfen verloren. Ganz besonders als die Nacht einbrach, gewann die Landschaft ein vollkommen gespenstisches Ansehen.

Der sich durch dicke schwarze Wolken wälzende Mond beleuchtete gewisse Teile der Sümpfe, um andere dagegen im tiefsten Dunkel zu lassen. Bei dem Getöse, welches die Hufschläge unserer Pferde und die Peitschen unserer Postillone machten, erhoben sich große Vögel von der Gattung der Reiher und Rohrdommeln schweigend aus dem hohem Grase und den Wassertümpeln, in deren Mitte geräuschvoll, die scheußlichen Köpfe und die dampfenden Nüstern emporhebend, große Büffel schnarchten, die durch die Nacht noch riesiger gemacht wurden.

Es war dies das erstemal, daß ich diese Ungeheuer während der Nacht und in Freiheit sah, und ihr Anblick flößte mir unwillkürlichen Schauer ein. Ganz besonders aber auf den Poststationen trug alles, was uns umgab, einen Charakter, den ich in meinem Leben nicht vergessen werde. Dörfer gibt es in den pontinischen Sümpfen nicht, sondern bloß zwei oder drei Poststationen, welche aus einigen hölzernen Hütten bestehen, in welchen die unglücklichen Postillone mit ihren Familien wohnen. Die kleinen, magern, dichtbehaarten Pferde sind nicht in Ställe eingeschlossen, sondern weiden im Freien.

Auf den Knall der Peitschen unserer Postillone sahen wir fünf oder sechs mit langen Stangen bewaffnete Männer gleich Schatten aus den Hütten herauskommen. Sie sprangen auf das erste beste Pferd, auf welches sie stießen, ritten dann im weiten Kreise um die im Freien weidenden herum und trieben sie im Galopp und mit großem Geschrei auf die Hütten zu. Hier faßten andere, in Bereitschaft stehende Männer die Pferde bei der Mähne und legten ihnen endlich nach einem verzweifelten Kampfe ein zerfetztes Geschirr an, mittels dessen man sie trotz ihres Wiehern, Stampfens und Ausschlagens, womit sie gegen die Gewalt, die man ihnen antat, protestierten, an unsern Wagen spannte.

Als die drei Wagen bespannt waren, wurden die bis jetzt durch das Gebiß zurückgehaltenen Pferde sich selbst überlassen und rannten in wütendem Galopp davon, rechts und links von zwei Reitern begleitet, welche gemeinschaftlich mit dem Postillon durch ihre Zurufe und Peitschenhiebe Wagen und Gespanne auf der Mitte der Straße erhielten. Es waren jetzt nicht mehr drei Kaleschen oder Postwagen, sondern Lawinen, Wirbelwinde, Orkane, welche nicht einen Weg zurücklegten, sondern die Entfernung förmlich verschlangen.

Gegen drei Uhr morgens langten wir in Terracina an. Hier ruhten wir zwei Stunden lang auf Stühlen aus, denn die zweifelhafte Reinlichkeit der Betten hielt uns ab, uns derselben zu bedienen. Gegen sechs Uhr morgens machten wir uns wieder auf und hielten das nächstemal in Molo de Gaëta. Während die Diener unseres Begleiters das Frühstück aus den Bagagewagen holten und auf den Tisch setzten, ließen wir uns nach den Ruinen der Villa Ciceros führen. Hier, den Plutarch in der Hand, schilderte Sir William uns den Tod des großen Redners von dem Augenblick an, wo er mitten unter den Raben, die ihn – eine Verkündigung des nahebevorstehenden Todes – hartnäckig begleiteten, den Fuß ans Land setzte, bis zu dem, wo er aus der Villa nach dem Meere fliehend, hinter sich die Tritte der Mörder hörte, welche ihn verfolgten, seine Sänfte Halt machen ließ und, nachdem er sein ganzes Leben in Furcht vor dem Tode zugebracht, mit der Ruhe eines Märtyrers und der Seelengröße eines Helden starb. Es ist eine der seltsamen Eigentümlichkeiten, an welchen die Geschichte des Altertums so reich ist, daß jene Furcht, welche die Römer zu so vielen Niedrigkeiten trieb, sie in dem Augenblicke, wo sie sich dem so gefürchteten Tode gegenüber sahen, plötzlich verließ, um der wunderbarsten Unerschrockenheit Platz zu machen. Als Beleg hierzu dient der Tod des Petronius, des Lucanus und Senecas, dieser drei Schmeichler Neros. Nach Verlauf einer Stunde kamen wir wieder in Molo de Gaëta an, wo wir frühstückten. Dann setzten wir unsern Weg nach Neapel weiter fort, wo wir gegen neun Uhr abends mittels der Straße von Capua anlangten. Ein nicht weniger unauslöschliches Gefühl, obschon von ganz anderer Art als in den pontinischen Sümpfen, erfüllte mich bei meiner Ankunft in Neapel, als ich mich in einer schönen hellen Nacht dem dampfenden Vesuv gegenüber sah, in dessen Krater gleich einer glühenden Kugel über der Mündung eines Mörsers der Vollmond in seinem Glanze sich in einer dunstigen Atmosphäre zu schaukeln schien. Wir fuhren durch die Porta Capuana, durch das sogenannte alte Kastell, die Marina und den Piliero. Das Castello Nuovo blieb zu unserer Linken, die Piazza Medina zu unserer Rechten. Wir kamen an dem Porticus des San Carlotheaters vorüber, welches wegen einer außerordentlichen Vorstellung hell erleuchtet war. Dann fuhren wir über den Largo San Fernando, die Chiaja entlang und hielten endlich an der Ecke vor dem Palast Calabrita Capella Vecchia, der Wohnung des englischen Gesandten. Diese erste Nacht schlief Mylord Bristol oder Harvey mit in dem Gesandtschaftshotel, da sich aber glücklicherweise über Sir Williams Zimmer, der die beiden ersten Etagen innehatte, eine leerstehende Wohnung befand, so richtete Lord Harvey sich hier für die Dauer ein und bezog diese Räumlichkeiten schon am nächstfolgenden Tag. Nun war ich endlich in Neapel. Ich befand mich hier in einer Stellung, welche ich mir in den wahnsinnigsten Anwandlungen meines Ehrgeizes nicht zu träumen gewagt. Emma Lyonna war verschwunden, Miß Heart war verschwunden, alle jene unsaubere Vergangenheit war im Schmutze Londons begraben zurückgeblieben. Es gab jetzt bloß noch Lady Hamilton, die Gemahlin des Gesandten Englands. An mir war es, dies nicht zu vergessen.


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