Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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40. Kapitel.

In Erwartung des für den nächstfolgenden Tag versprochenen Schauspiels fragte Sir William mich, wo ich den Abend zuzubringen wünschte. Es versteht sich von selbst, daß ich antwortete: In der Comédie française. Das Theater war und blieb stets meine herrschende Leidenschaft, und wenn zur Zeit meines Elends Drury Lane nicht niedergebrannt wäre, so wäre ich höchst wahrscheinlich dort aufgetreten und vielleicht die Nebenbuhlerin einer Mistreß Siddons geworden, anstatt die einer Aspasia zu werden. Für das Heil meiner Seele und die Ruhe meines Gewissens wäre dies ohne Zweifel besser gewesen. Man gab »Berenice« von Racine.

Sir William ließ eine Loge verlangen; man meldete ihm aber, daß keine mehr zu haben sei. Mitten unter Emeute und Hungersnot keine Loge mehr im Theater! Das erschien mir ganz unglaublich. Wir fragten nach der Ursache dieses Andranges.

Man antwortete uns, ein junger Tragöde, der erst seit zwei Jahren debütiere, aber stets mit dem größten und verdientesten Beifall, werde an diesem Abend zum ersten Male in der Rolle des Titus auftreten. Ich fragte wie er hieße. Sein Name war François Talma. Sir William sah, daß ich über dieses Mißgeschick ganz trostlos war. Er schrieb deshalb sofort an seinen Kollegen, den englischen Gesandten am französischen Hofe, um ihn zu fragen, ob er nicht zufällig eine auf das ganze Jahr gemietete Loge in der Comédie française habe.

Der Gesandte, der wahrscheinlich nicht verheiratet war, oder dessen Frau das Theater nicht liebte, antwortete, er könne zu seinem großen Bedauern Sir Williams Wunsch nicht befriedigen, denn er habe keine Loge. Ich war so außer mir, daß ich Sir William bat, unsern Wirt heraufkommen zu lassen und denselben zu befragen, ob er nicht ein Mittel müßte, wodurch eine Loge oder auch nur Plätze überhaupt, möchten es sein, was für welche es wollten, zu erlangen seien. »Ich kenne nur ein Mittel,« sagte der Wirt, »und dies besteht darin, daß Sie an Herrn Talma selbst schreiben.« Sir William machte eine verneinende Gebärde. »Talma ist ein vortrefflicher junger Mann,« hob unser Wirt wieder an. »Er verkehrt in der besten Gesellschaft von Paris, ist ausgezeichneter Patriot und wird sicherlich, wenn Sie sich nennen wollen, Mylord, alles, was in seinen Kräften steht, tun, um Ihnen das Vergnügen zu verschaffen, ihn zu sehen.« Sir William drehte sich nach mir herum und wußte nicht, was er tun sollte. Er sah, daß ich die Hände faltete und ihn mit flehendem Blick ansah. »Wohlan,« sagte er, »da du es einmal willst, so soll es geschehen.« Er ergriff die Feder und schrieb: »Sir William Hamilton, Gesandter des Königs von Großbritannien, und seine Gemahlin haben die Ehre, Herrn Talma zu begrüßen und ihm den Wunsch zu erkennen zu geben, ihn heute abend in der Rolle des Titus zu sehen. Alle ihre Bemühungen, sich eine Loge zu verschaffen, sind vergebens gewesen. Sie sehen sich deshalb, selbst auf die Gefahr hin, zudringlich zu erscheinen, genötigt, sich an ihn selbst zu wenden und ihn um zwei Plätze zu bitten, mögen dieselben sein, wo sie wollen, dafern sie nur von einer Dame besucht werden können.«

29. April.«

»Wollen Sie es übernehmen, diesen Brief an Herrn Talma zu befördern?« fragte Sir William unsern Wirt.

»Jawohl, es wird dies durchaus keine Schwierigkeiten machen.«

»Und Sie werden uns die Antwort zustellen lassen?«

»Damit der Auftrag richtig ausgeführt werde,« sagte unser Wirt, »werde ich selbst gehen.« Und ohne unsern Dank abzuwarten, entfernte er sich, indem er den Brief mitnahm. »In der Tat,« murmelte Sir William, als ob er es nur ungern zugestünde, »es läßt sich nicht leugnen, daß das französische Volk ein sehr artiges und höfliches ist. Wie schade, daß es auch ein so leichtsinniges ist!« Sir William war weit entfernt zu ahnen, daß die Franzosen so nahe daran waren, die gute Eigenschaft, wegen welcher er sie lobte, und den Fehler, welchen er ihnen zum Vorwurf machte, abzulegen. Nach Verlauf einer halben Stunde trat unser Wirt mit freudestrahlender Miene wieder ein. Er hielt ein Billett in der Hand.

»Sie haben eine Loge?« rief ich ihm entgegen, als ich ihn erblickte.

»Ja,« sagte er, indem er sein Billett emporhielt. »Hier ist sie.« Ich nahm ihm das Billett aus der Hand. Es standen darauf die Worte geschrieben: »Gut für meine Loge. Talma.« Und darunter: »Eingang der Artisten.« Außer mir vor Freude bemächtigte ich mich des Billetts. »Warte,« sagte Sir William zu mir; »es ist dies noch nicht alles. Titus erzeigt uns die Ehre, uns zu antworten.«

»Ah, lassen Sie sehen.«

Ich las: »Der Bürger Talma bedauert, dem berühmten Sir William Hamilton und Mylady Hamilton bloß seine eigene, auf der Bühne selbst befindliche Loge anbieten zu können. So aber, wie sie ist, offeriert er dieselbe mit dem Ausdruck seiner umfassenden Dankbarkeit dafür, daß man die Gewogenheit gehabt hat, sich seiner zu erinnern. 27. April 1789.« Es versteht sich von selbst, daß wir Schlag halb acht Uhr im Theater waren. Der Schweizer erwartete uns an der Tür, ließ uns quer über die Bühne gehen und führte uns in die Loge. Es war leicht zu sehen, daß der Mann welchem dieselbe gehörte, hier die ganze Koketterie entfaltet hatte, deren ein Künstler fähig ist. Ein großer Spiegel schmückte eine der Wände, die Möbel waren mit türkischen goldgestickten Stoffen bedeckt. Die ganze Loge erinnerte mich im kleinen an Romneys Atelier. Ich war ganz entzückt darüber, mich auf der Bühne zu befinden. Es freute mich dies zehnmal mehr, als wenn ich im Zuschauerraum gewesen wäre, selbst wenn man mir die königliche Loge zur Verfügung gestellt hätte. Mit Ungeduld erwartete ich das Aufgehen des Vorhangs. Mittlerweile aber hatte ich ein Schauspiel, welches fast noch interessanter war als das der Tragödie, nämlich das hinter den Kulissen. Alle Künstler sprachen miteinander über ihren Kollegen Talma und fragten sich, welche neue »Ausschreitung« in bezug auf das Kostüm er sich erlauben würde. Mit diesem Ausdrucke »Ausschreitung« bezeichneten sie nämlich die förmlich wissenschaftliche Arbeit, welcher Talma sich unterzog, um das Theater zur historischen Wahrheit zurückzuführen. Endlich ließ das Glöckchen sich hören, man tat die drei Schläge, der Regisseur machte Platz für die Künstler und der Vorhang ging auf. Ich gestehe, daß, als in der ersten Szene des zweiten Aktes Titus auftrat, ich einen Ruf der Bewunderung ausstieß. Es war mir, als sähe ich eine römische Bildsäule einhergewandelt kommen. Der Kopf war ganz besonders wunderschön. Das nach antiker Weise kurz geschnittene Haar, der Lorbeerkranz, der nicht festgebundene, sondern nachlässig über die Schultern geworfene Purpurmantel, so daß dem Träger freies Spiel damit gestattet war – alles dies ließ der Physiognomie des Künstlers ein eigentümliches Gepräge, welches den Zuschauer um siebzehnhundert Jahre zurückversetzte. Die sämtlichen übrigen Darsteller sahen dagegen aus wie Masken. Die Rolle der Berenice war, so viel ich mich erinnern kann, mit einer jungen schönen Aktrice besetzt, welche Madame Bestris hieß. Sie trug das altertümliche Kostüm, Puder und Reifröcke. Als sie in der vierten Szene des zweiten Aktes auftrat und sich Titus gegenüberbefand, machte sie erst eine Gebärde der Überraschung und unterdrückte dann eine heftige Anwandlung zum Lachen. Titus ging mit nackten Armen und Beinen, während die andern Trikots und seidene Beinkleider trugen. Nichtsdestoweniger sagte sie mit dem ganzen seelenvollen Ausdruck, welchen sie dareinlegen konnte, die lange Tirade, welche fast diese ganze Szene ausfüllte. Nachdem sie jedoch den letzten Vers gesprochen, hörte sie nicht auf die Antwort des Titus, sondern betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen und murmelte:

»Aber, mein Gott, Sie haben ja keine Perücke! Sie tragen ja weder Trikot noch Beinkleider.«

Talma, der mittlerweile zu Ende gesprochen, antwortete ihr leise:

»Liebe Freundin, dergleichen trugen die Römer ja nicht.«

Berenice fuhr in ihrer Rolle weiter fort, und die Zuschauer, welche von diesem leisen Zwischenspiel nichts gehört, waren zu Tränen gerührt.

Ich bog mich in den Hintergrund der Loge zurück, um ungeniert lachen zu können, während Sir William in seiner Eigenschaft als Altertumskenner wiederholt sagte:

»Er hat recht, er hat vollkommen recht. Bravo, junger Mann, Bravo! Sie sehen aus wie eine in Herkulanum oder Pompeji ausgegrabene Statue. Perge! Sic itur ad astra!«

Der Tragöde verneigte sich zum Zeichen des Dankes leicht nach unserer Seite. »Wer sind die Leute, die du in deiner Loge hast?« fragte Madame Bestris in mürrischem Tone, während sie immer weiter spielte.

»Es sind englische Künstler,« antwortete Talma mit einem leichten Lächeln, welches auf die Rechnung der Liebe gebracht ward, welche Titus für Berenice empfindet.

»Ja, Künstler, Herr Talma!« rief ich Beifall klatschend, »Sie haben recht, echte Künstler.« Als Titus abtrat, spendete ich doppelten Beifall, denn dieser Abgang ward von dem jungen Tragöden bewundernswürdig ausgeführt. In dem Augenblicke, wo nach Beendigung des zweiten Aktes der Vorhang hinabfiel, hörte man einen lauten Beifallssturm im Zuschauerraum. Man bog sich aus den Logen und man schrie: »Bravo!« Von unserm Standpunkt aus konnten wir nichts sehen, einige Künstler aber näherten sich dem Vorhang und lugten durch das darin angebrachte Loch. »Was gibt es? was gibt es?« fragten die andern Schauspieler diejenigen, welche so glücklich waren, durch die Öffnung schauen zu können,

»Na,« antwortete eine Stimme, »das fehlte bloß noch!«

»Was denn?«

»Der Narr von Talma findet Nachahmer.«

»Wie?« fragte einer der Schauspieler; »gibt es vielleicht im Parterre Leute, welche keine Beinkleider anhaben?«

»Nein, wohl aber gibts im Orchester einen jungen Mann, der sich wahrscheinlich im Zwischenakt das Haar hat abschneiden lassen. Er ist à la Titus frisiert und er ist es, dem man Beifall zujubelt.« Zwischen dem zweiten und dem dritten Akt ward dieses Beispiel von noch drei oder vier anderen jungen Leuten nachgeahmt. Im letzten Akte hatte Talma wenigstens zwanzig Nachahmer unter den Zuschauern. Ich brauche nicht erst zu sagen, daß von diesem Abend an die Mode datierte, das Haar à la Titus zu tragen. Als nach dem fünften Akt der Vorhang fiel, ließ Sir William Hamilton, meinen Wünschen entgegenkommend, durch den Schweizer den Bürger Talma fragen, ob wir ihm einen Besuch in seiner Ankleideloge machen könnten, um uns bei ihm zu bedanken. Er ließ uns sofort antworten, es sei dies für ihn eine so große Ehre, daß er nicht gewagt habe, dieselbe zu erwarten; wenn wir ihm aber dieselbe erzeigen wollten, so würde er sie gern annehmen. Wir machten uns auf den Weg nach seiner Loge. Der Korridor war gedrängt voll; als man aber eine Dame, welche der höhern Gesellschaft anzugehören schien, erblickte, drückte jeder sich an die Wand, so daß es uns gelang unser Ziel zu erreichen.

Titus erwartete uns an der Tür, um die Honneurs seiner Loge zu machen. Unser Erstaunen war groß, als er uns in vortrefflichem Englisch anredete und uns oder vielmehr Sir William fragte, ob er sein Inkognito beibehalten wolle oder nicht. Sir William antwortete, er habe durchaus keinen Grund, die Ehre zu verbergen, welche er sich selbst erzeige, indem er einem großen Künstler seinen Dank und seine Komplimente abstattete. Im Gegenteil wünsche er, der Gesellschaft, die sich in der Loge befände und die dem Anscheine nach der intelligenten Klasse angehöre, vorgestellt zu werden. Sir William irrte sich auch nicht. Talma stellte uns nach der Reihe den Dichter Marie Joseph Chenier, dessen »Carl den Neunten« er wieder aufnehmen wollte, Ducis, dessen »Macbeth« er studierte, den jungen Arnault, der für ihn den »Marius« gedichtet, La Harpe, der ihn quälte, seinen »Wasa« zu spielen; den Maler David, der ihm seine Kostüme zeichnete, den Chevalier Bertin, der vor fünf oder sechs Jahren sein Buch über die Liebe herausgegeben und der den nächstfolgenden Tag nach St. Domingo abreiste, wo er schon ein Jahr später sterben sollte, Parny, den man den französischen Tibull nannte und der im Begriff stand, seine »Eleonore« zu dichten, während sein Bruder vielleicht mit weniger Poesie, aber mit ebensoviel Witz Mademoiselle Contat sang, und endlich fünf oder sechs andere junge Leute vor, welche alle einen Namen hatten oder im Begriff standen, sich einen zu machen. Sir William hatte seinen Hof und ich hatte auch den meinigen. Die Poeten kamen zu mir, die Maler gingen zu Sir William. Er verwickelte sich mit David und Talma in eine gelehrte Diskussion über das antike Kostüm, während ich den Chevaliers Bertin und Parny Komplimente über ihre Verse machte, und sie mir mit Lobsprüchen über meine Schönheit vergalten. Sir William, der fortwährend bedacht war, mir Triumphe zu verschaffen, bereitete mir auch jetzt einen. Er ersuchte Talma, sich mit seinen sämtlichen Freunden, die sich in seiner Loge befänden, den nächstfolgenden Abend in seinem Hotel einzufinden. Wenn Talma sich dazu verstünde, Verse von Corneille, Racine und Voltaire zu deklamieren, so würde Lady Hamilton ihrerseits einige Szenen aus Shakespeare vorführen. Talma ward zugleich gebeten, seine Freunde in Kenntnis zu setzen, daß der Abend mit einem Souper schließen würde. Die Einladung ward einstimmig angenommen und wir begaben uns nach Hause. Wir hatten, wie man sich erinnert, versprochen, uns den nächstfolgenden Morgen um zehn Uhr in der Bastille einzufinden, um mit dem Gouverneur zu frühstücken.


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