Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

58. Kapitel.

Der Kardinal hatte recht. Basseville's Tod rief in Frankreich eine ungeheure Aufregung hervor. Der Konvent beschloß, furchtbare Rache für diesen Mord zu nehmen, und das Vaterland sollte den Sohn des Gemordeten adoptieren.

Dieses Gerücht aber verschwand bald vor dem Gerüchte von einer viel furchtbareren Katastrophe! Am 27. Januar erfuhr man in Neapel, daß Ludwig XVI. zum Tode verdammt worden sei und am 1. Februar kam die Kunde seiner Hinrichtung. Gleich in dem Augenblicke, in welchem diese Nachricht nach London kam, deutete Pitt dem französischen Minister an, daß er England binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen habe. Von mir gedrängt, und ich muß sagen, daß es dieses Antriebes nicht bedurfte, hatte Sir William sogleich drei oder vier Briefe an den König Georg geschrieben und dieser hatte ihm in einem kleinen Billette selbst geantwortet, daß England, welches die Schuld auf Frankreich schieben wollte, warten würde, bis die Franzosen ihren König wirklich hingerichtet hätten; sobald dies aber geschehen wäre, würde man sofort mit der Republik brechen.

Wir erhielten beide Briefe in Neapel zugleich; den, welcher die am 21. Januar vollzogene Hinrichtung Ludwigs XVI. mitteilte, und den, in welchem man uns die Ausweisung des französischen Gesandten aus London anzeigte. Obgleich man den Tod Ludwigs erwartete, so war dies doch ein furchtbarer Schlag für die Königin. Der Brief des Gesandten war auf schwarzgerändertes Papier geschrieben und schwarz gesiegelt. Als Karoline den Brief sah, wußte sie alles. Sie stieß einen Schrei aus und ward ohnmächtig, indem sie sagte: »Sie haben ihn gemordet!«

Augenblicklich ward befohlen, daß alle Karnevalsfeste aufhören, daß der ganze Hof und alle Würdenträger des Reiches Trauer anlegen sollten, und daß in allen Kirchen Totengebete gelesen würden. Castelcicala, Guidobaldi und Vanni wußten nun, daß sie mit dem Werke beginnen konnten, zu dem man sie berufen. Verhaftungen wurden vorgenommen, und erst als die Zahl der eingekerkerten Jakobiner nicht weniger als dreihundert betrug, lächelte die Königin wieder. Dann bereitete sich das neapolitanische Gouvernement, indem es dabei immer mit Frankreich verbündet blieb, für den Krieg vor. Die Landarmee ward bis auf eine Stärke von 36 000 Mann erhöht und die Seemacht bis zu einer Anzahl von 102 Schiffen von allen Größen vermehrt.

Der Kardinal Ruffo hatte bei allem einen militärischen oder politischen Einfluß ausüben wollen, den ihm ohne Zweifel das Bewußtsein seines Verdienstes wünschen ließ, und auf welchen ihm nicht nur die Empfehlung des Papstes, sondern auch Studien, die er in der Artilleriekunst gemacht, ein Recht gaben – Studien, die, wie ich glaube, in der Erfindung einer neuen Methode, glühende Kugeln zu machen, bestanden. Allein, mochte nun der Minister Acton das Vertrauen nicht teilen, welches der Kardinal zu seinem eigenen Verdienst hatte, oder fürchtete er im Gegenteil den Einfluß eines überlegenen Mannes für sein Glück, oder hatte die Königin, welche eine gewisse Abneigung gegen den Kardinal empfand, die guten Absichten des Königs, der ihn offen unter seinen Schutz genommen, neutralisiert, kurz, es vergingen zwei bis drei Monate, ohne daß der Kardinal Ruffo irgend eine offizielle Stellung am Hofe erhielt. Marie Karoline ließ sich jetzt nicht im entferntesten träumen, welchen Dienst ihr derselbe Kardinal, den sie jetzt von militärischen Angelegenheiten fernhielt, sechs Jahre später als Soldat erweisen würde! Der König aber, welcher, wie ich bereits gesagt habe, eine große Sympathie für Se. Eminenz empfand, wollte dem Kardinal endlich einen Beweis dieser Sympathie geben, nur wies er ihm, wie er so gern den Spott zu seiner Gnade gesellte, einen Posten an, der gewiß am wenigsten für einen Diener der Kirche paßte. Er ernannte ihn nämlich zum Inspektor seiner Kolonie in San-Leucio.

Ich möchte hier auf einige Einzelheiten in bezug auf diese Kolonie von San-Leucio eingehen, von der ich in einem früheren Kapitel dieser Memoiren nur einen kurzen Begriff gegeben habe. Die Sache ist ziemlich schwer zu sagen, allein es tut nichts. Ich habe bereits schon so viele schwere Dinge gesagt, und habe deren noch so viele zu erzählen, daß damit zu zögern, lächerlich sein würde. Überdies werde ich den König Ferdinand selbst sprechen lassen, und jeder wird dann selbst entscheiden können, ob Gutherzigkeit, Heuchelei oder Zynismus ihn bewogen, über seine Schöpfung, die Kolonie von San-Leucio, einen ländlichen Harem, wo er nicht weniger Sultan war, als der Sultan in dem seinigen, Rechenschaft zu geben. Ich folge hier dem Originalmanuskripte des Königs, welches mir die Königin Karoline an einem ihrer heiteren oder verächtlichen Tage mitteilte und welches betitelt war: »Ursprung und Fortschritt der Bevölkerung von Leucio

»Da einer meiner lebhaftesten Wünsche,« sagte Ferdinand in dieser Schrift, »stets der gewesen war, einen angenehmen und vom Geräusch des Hofes entfernten Ort zu finden, wo ich die wenigen Mußestunden, die mir die ernsten Regierungsgeschäfte lassen, nützlich anwenden könnte, und da das herrliche Caserta und der prachtvolle Palast, den mein Vater begonnen hat und den ich vollendet habe, nicht die Stille und Einsamkeit bieten, die zum Nachdenken und zur Ruhe des Geistes erforderlich sind, sondern vielmehr, um so zu sagen, eine zweite Hauptstadt inmitten des Landes bilden, wo dieselbe Pracht und derselbe Luxus wie in Neapel mich umlagern, so beschloß ich, mir in dem Park von Caserta einen einsameren Ort zu wählen, wo ich völlig mir selbst leben könnte, und meine Wahl fiel auf San-Leucio.«

Man wird sogleich sehen, was der König Ferdinand unter Nachdenken und Ruhe des Geistes verstand.

»Nachdem ich daher 1773 den Wald mit einer Mauer hatte umgeben lassen, innerhalb welcher der Weinberg und das alte Kasino der Prinzen von Caserta, welches das Belvedere hieß, lagen, ließ ich auf einer kleinen Anhöhe einen kleinen Pavillon einzig und allein zu meiner Bequemlichkeit auf der Jagd bauen. Außerdem ließ ich auch, so gut es eben ging, ein altes, halb verfallenes Haus ausbessern, auch einige neue Häuser bauen und berief fünf oder sechs Individuen, welche zu der Bewachung des Waldes und des besagten Pavillons dienten, auf die Weinpflanzungen und die Ländereien, welche innerhalb der Ringmauer lagen. 1776 ward der Salon des alten Kasinos in eine Kirche verwandelt und diese Kirche zur Bequemlichkeit der Bewohner, die sich täglich vermehrten und bald die Zahl von siebzehn Familien erreichten, zum Kirchspiel erhoben. So ward es denn wegen der vielen Bewohner nötig, noch mehr Häuser zu bauen.«

Der König fährt fort:

»Als der Pavillon vergrößert worden, fing ich an daselbst zu wohnen und den Winter dort zuzubringen; da ich aber das Unglück hatte, mein erstes Kind zu verlieren und deswegen mich nur vorübergehend dort aufhielt, so beschloß ich einen nützlicheren Gebrauch von dieser Wohnung zu machen. Da die Bewohner, von denen ich gesprochen, mit vierzehn andern Familien, die sich zu ihnen gesellt, die Zahl von vierunddreißig Köpfen erreicht hatten – dank der Fruchtbarkeit, welche durch die Reinheit der Luft und die Ruhe und den häuslichen Frieden, in dem sie lebten, herbeigeführt ward – so fürchtete ich, daß so viel Säuglinge, welche sich tagtäglich vermehrten, in Zukunft infolge ihrer mangelhaften Erziehung eine gefährliche Gesellschaft von Wüstlingen und Bösewichtern werden könnten, und wollte ein Erziehungshaus für Kinder beiderlei Geschlechts gründen, wozu ich meinen Jagdpavillon benutzte. So fing ich denn an, Regeln aufzusetzen und geschickte und geeignete Personen für die Ämter zu suchen, die zur Erfüllung meines Zweckes gegründet werden mußten. – Nachdem ich beinahe alles geordnet, dachte ich darüber nach, daß alle Mühe, die ich mir gegeben, alle Kosten, die ich aufgewendet, leider ohne Nutzen sein würden, da diese jungen Leute, nachdem ich ihre Erziehung beendet, entweder Müßiggänger werden oder, wenn sie irgendein Handwerk erlernen wollten, die Kolonie verlassen müßten, um ihren Lebensunterhalt anderswo zu verdienen, da ich in meinem Dienst nur einige beschäftigen konnte. Ich bedachte, wie schmerzlich jede Trennung für die betreffenden Familien sein müßte und wie sehr ich mich selbst betrüben würde, wenn ich mich dieser schönen Jugend beraubt sähe, die ich alle wie meine eigenen Kinder betrachtet und mit so viel Mühe aufgezogen hatte. Ich wendete mich daher einem anderen Zweck zu. Ich beschloß diese Kolonie, die, da sie sich unaufhörlich vergrößerte, dem Staate sehr nützlich werden konnte, in einer Weise zu regieren, welche geeignet wäre, diese armen Leute ruhig und glücklich zu machen und ihnen ein Leben in der Furcht Gottes und vollkommener Harmonie zu bereiten. Sie hatten mir bisher kein einziges Mal Anlaß zu Verdruß gegeben, sondern im Gegenteil dazu beigetragen, daß ich unter ihnen die erhabene Zufriedenheit, die in den Stunden, wo die Staatsangelegenheiten gegen meine Ruhe konspirierten, so beneidenswert war, genießen konnte.«

Wie man sieht, hatte der König Ferdinand nun endlich »die für das Nachdenken und die Ruhe des Geistes so notwendige Einsamkeit und den so nötigen Frieden gefunden.«

Als der König diesen unverhofften Zweck erreicht hatte, beschloß er aus Dankbarkeit für die schöne Jugend, die sein Herz erquickte, seiner so gut gedeihenden Kolonie, die immer blühender zu werden versprach, Gesetze zu geben, welche an die erinnerten, die Saturnus und Rhea ihren Völkern im goldenen Zeitalter gegeben. Demnach begann er die tyrannischen Rechte der Eltern über die Kinder aufzuheben, durch welche letztere so oft gehindert werden, den Regungen ihres Herzens und ihrer Natur zu folgen. So stand es den Kindern frei, sich zu wählen und zu heiraten, ohne daß die Eltern etwas in dieser ernsten Angelegenheit zu tun hatten, in die sie sich oft nur mischen, um alles zu verderben. Jedes Jahr zu Pfingsten mußten die jungen Leute, wenn sie aus der großen Messe kamen, dem ganzen Dorf zeigen, welche Wahl sie getroffen. Unter dem Portal der Kirche bot der junge Mann, nicht mehr und nicht weniger als ein Schäfer auf einem Gemälde von Watteau oder Boucher, dem jungen Mädchen, das er liebte, einen Strauß roter Rosen. Wenn die Person, welcher er angeboten ward, die Liebe des jungen Mannes erwiderte, so gab sie ihm einen Strauß weißer Rosen, und alles war gesagt. Die beiden Liebenden waren von diesem Tage an Brautleute und wurden den folgenden Sonntag getraut. In der Zwischenzeit ließ der König sie zu sich kommen, natürlich jedes allein. Er hielt ihnen eine Rede über ihre ehelichen Pflichten, und da er sich das Recht vorbehalten, das junge Paar auszustatten, vermehrte oder verminderte sich je nach der Aufmerksamkeit, mit welcher das junge Mädchen die Rede des Königs angehört, die Ausstattung. Nun wird man wohl begreifen, mit welcher Aufmerksamkeit die Braut einer so wichtigen Rede lauschte. Übrigens gab es keine Richter, kein Tribunal. Wenn irgendein Prozeß vorkam, so gaben drei Greise, welche die Kolonie gewählt hatte, unter einer Eiche ihr Urteil ab, wie ehemals der heilige Ludwig. Um Narrheiten und Luxus zu vermeiden, von denen sich selbst Bäuerinnen fortreißen lassen, trugen alle jungen Mädchen der Kolonie dasselbe Kostüm, welches einfach, aber geschmackvoll war, und welches der König durch seinen gewöhnlichen Maler hatte zeichnen lassen. Die Auszeichnungen ausgenommen, welche der König Ferdinand selbst daran zu Gunsten guter Arbeiterinnen vornahm, konnte niemand etwas daran ändern. Unter anderem war auch die Konskription abgeschafft.

Man wird leicht sehen, daß der König, um zu einem so glücklichen Resultate zu kommen, die Weisheit des Königs Salomo mit dem sozialen Wissen eines Idomeneus hatte vereinigen müssen. Da nun der königliche Gründer der Kolonie von San-Leucio nicht wußte, was er mit dem Kardinal Ruffo anfangen sollte, so stellte er ihn an die Spitze dieser Kolonie. Vielleicht war dies kein geeigneter Platz für einen Kardinal; geistreiche Leute aber, sagt man, sind nirgends am unrechten Platze, und der Kardinal Ruffo besaß außerordentlich viel Geist. Was die Königin betraf, die nicht weniger geistreich als der Kardinal war, so sah sie mit großer Befriedigung, wie die Kolonie von San-Leucio gedieh, sich vergrößerte und bevölkerte. Wenn der König den Salomo und Idomeneus studiert hatte, so hatte sie dagegen Frau von Pompadour studiert und regierte, während der König sich belustigte. Zwar war es nicht ein heiteres Geschäft, im Jahre der Gnade 1793 zu regieren. Das werden wir bald sehen, indem wir uns wieder den Staatsangelegenheiten zuwenden.


 << zurück weiter >>