Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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60. Kapitel.

Einige Zeit nach der Ankunft Nelsons in Neapel begab ich mich, vielleicht vor der gewöhnlichen Stunde, zur Königin. Man sagte mir zu meinem großen Erstaunen, daß die Königin sich eingeschlossen, und daß sie verboten habe, irgend jemanden ohne ihre Erlaubnis bei ihr eintreten, zu lassen.

Da die Königin mit mir jedoch stets eine Ausnahme gemacht, so zog ich mich zurück, erstaunt, daß diese Ausnahme heute nicht wie an anderen Tagen beibehalten worden, als ich im Zimmer der Königin klingeln hörte. Man eilte bei dem Geräusch der Klingel herbei und fragte an der geschlossenen Tür: »Was befehlen Ihre Majestät?«

»Ruft Louis Custode,« erwiderte die Königin.

Da ich wissen wollte, warum ich wie die andern an die Tür ihres Zimmers gewiesen worden, so rief ich: »Ich bin da, Majestät!«

»Emma!« sagte sie und öffnete die Tür ganz weit.

»Ich sehe wohl, daß du da bist,« sagte Karoline lachend, »warum stehst du denn aber hier?«

»Weil,« erwiderte ich, »Eure Majestät jedem, wer es auch sein mag, den Eintritt in Ihr Zimmer verboten haben.«

»Bist du denn jemals mit dem ›wer es auch sein mag‹ gemeint? Du bist Emma, das heißt meine Freundin, die einzige, vor der ich keine Geheimnisse habe. Komm, komm!« Und sie rief mich durch eine Kopfbewegung ebenso wie mit dem Munde. Ich folgte ihr. In ihrem Schlafzimmer lagen auf einem breiten Kanapee, welches dem Bett gegenüber stand, eine ganze Welt von Papieren, die wie ein Wasserfall von dem Sofa auf den Boden gefallen waren.

»O Gott!« rief ich, »ich hoffe, daß Ihre Majestät nicht verurteilt ist, dies alles zu lesen?«

»Nein, ich habe es aber gelesen, ohne dazu verurteilt zu sein.« – »Dann überrascht es mich nicht, daß Ihre Majestät heute morgen so bleich und so leidend aussehen.«

»Das ist begreiflich, denn ich habe nicht geschlafen.«

»Was haben Ihre Majestät denn getan?«

»Ich habe es dir ja gesagt, ich habe alle diese Papiere, die du hier liegen siehst, vom ersten bis zum letzten gelesen.«

»Und zu welchem Zweck?« – »Sieh', an wen diese Papiere adressiert sind,« sagte Karoline und zeigte mir ein Kuvert. »An den Bürger Mackau, Gesandter der französischen Republik in Neapel.« Ich blickte die Königin an. »Wie!« fragte ich sie erstaunt, »der Bürger Mackau teilt Ihrer Majestät die Briefe mit, die er von seiner Regierung erhält?« – »O welche Unschuld!« rief die Königin. In diesem Augenblicke hörte man eine Stimme, welche vor der Tür sagte: »Hier ist der Mann, den Eure Majestät haben rufen lassen.« Karoline zog den Riegel, den sie vorgeschoben, selbst zurück und öffnete die Tür.

Ein Mann, der zu der Dienerschaft zu gehören schien, trat ein. Als er die Königin erblickte, verneigte er sich bis auf die Erde. »Ist es gewiß,« fragte ihn Karoline, »daß ich hier alle Papiere der französischen Gesandtschaft habe?«

»Alle, ohne Ausnahme, Majestät! Selbst die, welche in dem Schreibtisch des Gesandten lagen.« – »Du lügst nicht?« – »Ihre Majestät werden es an dem Geschrei sehen, welches der Gesandte erheben wird, wenn er bemerkt, daß er bestohlen worden ist.« – »Ich habe dir zweitausend Dukaten für diesen Diebstahl versprechen lassen.« – »Ja, Majestät, und ich habe tausend als Abschlagszahlung erhalten.« – »Obgleich die Papiere nicht so sind, wie ich es wünschte, so sind doch hier die anderen tausend Dukaten.« – »Ich danke, Majestät; man hat mir aber noch mehr versprochen.« – »Was denn noch?« – »Da ich der einzige bin, der das Zimmer des Gesandten betreten, so wird man mich zuerst in Verdacht haben und gewiß festnehmen.« – »Was kann es dir denn schaden, wenn die Richter dich nicht verurteilen?« – »Ich werde dennoch einige Monate im Gefängnis sitzen müssen.« – »Was kann das dir denn aber schaden, wenn du für jeden Monat, den du im Gefängnis zubringen wirst, hundert Dukaten erhältst?« – »Wenigstens ist dies dann eine Entschädigung. Auf alle Fälle vertraue ich mich der Gnade der Königin an.« – »Lasse dich festnehmen, leugne kühn, was auch für Beweise wider dich sein werden, stelle uns unter keinem Vorwand bloß und sei ruhig.«

Der Dieb – denn, wie man gesehen haben wird, war es wirklich ein Dieb – steckte die Börse ein. »Wie!« sagte die Königin, »du zählst ja nicht?«

»O, das wäre ja ein Beweis von Mißtrauen.«

»Es ist gut, du wirst wegen deines Vertrauens belohnt werden. Verlaß mich jetzt.« Der Mann verneigte sich abermals bis auf die Erde und ging fort. »Nun?« fragte mich die Königin, »verstehst du jetzt den Stand der Dinge?«

»Nein, denn ich kann nicht glauben, daß Ihre Majestät den französischen Gesandten durch diesen Mann haben seiner Papiere berauben lassen.«

»Dies ist aber dennoch die einfache und genaue Wahrheit.«

Ich gestehe, daß ich erschrak, denn ich dachte, daß ein auf den Befehl meiner Königin ausgeführter Diebstahl doch immer ein Diebstahl sei. Karoline erriet, was in meinem Innern vorging. »Ich glaubte in diesen Papieren Beweise für ein Einverständnis zwischen den Jakobinern von Neapel und den Jakobinern von Paris zu finden,« sagte sie. »Ich habe mich allerdings geirrt, jedoch darin etwas nicht weniger Wichtiges gefunden.«

»Und was haben Ihre Majestät gefunden?«

»Warte,« sagte Karoline, »es ist mir, als ob das der Tritt des Königs wäre – ja, er ist es. – Was will er denn zu dieser Stunde bei mir?« In diesem Augenblicke klopfte man ziemlich laut an die Tür.

»Ob ich nicht recht habe!« sagte die Königin, indem sie sich so setzte, daß sie die Papiere unter den Falten ihres Gewandes verbarg. Ich öffnete. Der König sah sehr unruhig aus.

»Mein Himmel!« rief Karoline lachend, »was fehlt Ihnen denn, mein Herr, und warum sehen Sie denn so verstört aus?«

»Sie wissen wohl nicht, was diese Nacht geschehen ist?« – »Nein, wenn Sie mir es aber gesagt haben werden, so werde ich es wissen.« – »Gestatten Sie aber vorher, daß ich als galanter Kavalier Mylady die Hand küsse und mich nach dem Befinden Sir Hamiltons erkundige.« Ich reichte dem König die Hand, die er, wie er gesagt, galant küßte. »Sir William befindet sich ausgezeichnet gut,« erwiderte ich, »und wird sich sehr darüber freuen, daß Ew. Majestät sich seiner so gnädig erinnern.«

»Jetzt, nachdem Sie diese Pflichten erfüllt haben,« hob die Königin wieder an, »erzählen Sie mir die schreckliche Begebenheit, die sich diese Nacht ereignet hat.«

»Nun, diese Nacht hat man die Papiere der französischen Gesandtschaft gestohlen.« – »Bah!« – »Und heute morgen hat der Kanzler in Namen des Bürgers Mackau bei dem General Acton auf Klage angetragen.« – »Wirklich?« – »Und die Klage lautet dahin, daß man eine Person am Hofe von Neapel der Tat verdächtig hält.« – »Dann ist er intelligenter, als ich glaubte.« – »Wer er?« – »Der Bürger Mackau.« – »Was meinen Sie?« – »Ich meine, daß Ihr bester Spürhund, Sire, die Spur der Papiere nicht besser hätte verfolgen können, als es der Bürger Mackau getan.« – »Wie, Madame! Sie wissen um diesen Diebstahl?« – »Ja, ich habe davon sprechen hören.« – »Und Sie wissen, wo die Papiere sind?« – »Ich vermute es.« – »Wo sind sie denn aber?« – »Wollen Sie es wissen?« – »Gewiß, und wäre es nur um den Forderungen des Bürgers Mackau nachzukommen.« – »Nun, hier sind sie!« sagte die Königin, indem sie sich erhob und die Papiere sichtbar machte, auf denen sie gesessen, und die sie unter den Falten ihres Gewandes verborgen hatte. »O mein Gott!« rief der König erbleichend. – »Emma! Emma« sagte die Königin lachend, »rücke Seiner Majestät einen Fauteuil hin, sie wird schwach.«

Die Lachlust steckte auch mich an und ich rückte dem König einen Lehnstuhl hin, auf dem er niedersank. »Madame,« sagte er, »man wird aber erfahren, daß wir es sind, die die Papiere haben stehlen lassen, und der Diebstahl dieser Papiere zieht einen Krieg mit Frankreich nach sich!«

»Erstens, mein Herr,« sagte die Königin, »haben nicht wir die Papiere stehlen lassen, sondern ich habe es getan; zweitens wird man nicht erfahren, daß ich es gewesen bin, und drittens hätten wir auch ohne den Diebstahl dieser Papiere einen Krieg mit Frankreich gehabt. Der Diebstahl der Papiere ändert also nichts.« – »Und warum hätten wir ohnedies Krieg mit Frankreich?« – »Ganz einfach, weil der Bürger Mackau Augen hat, weil er unsere Rüstungen gesehen, die Soldaten und Schiffe, die wir nach Toulon geschickt haben, gezählt hat, weil Frankreich von allem unterrichtet ist und weiß, daß wir viertausend Mann und vier Schiffe in Toulon haben.«

»Wir können dem französischen Gesandten dennoch nicht die geforderte Genugtuung verweigern.« – »Und welche Genugtuung fordert er?« – »Kriminelle Untersuchung des Diebstahls, wenn der Dieb ein Neapolitaner ist.« – »Geben Sie ihm nur diese Genugtuung!« – »Wenn der Dieb nun aber gesteht?« – »Er wird nichts gestehen!« – »Wenn er aber dennoch verurteilt wird?« – »Er wird nicht verurteilt werden, da er vor einem neapolitanischen Tribunal stehen wird.« – »O Madame,« sagte der König, »verlassen Sie sich nicht darauf; heutzutage strebt man nach Unabhängigkeit.« – »Eben das will ich verhindern, mein Herr,« sagte die Königin, indem sie die Stirn runzelte, »und wenn es sein muß, so werde ich mit den Tribunalen den Anfang machen.«

»So ist dies also Ihre Sache?« – »Jawohl!« – »Sie wollen dies Geschäft auf sich nehmen?« – »Ja.« – »Dann handeln Sie nach Ihrem Dafürhalten. Meinetwegen mag geschehen, was da will, wenn mir nur meine Wälder bleiben, in denen ich jagen, und ich den Golf behalte, wo ich fischen kann.« – »Und San-Leucio, wo Sie sich ausruhen können,« fügte die Königin mit verächtlichem Lachen hinzu.

»Würde mir Ihre Majestät die Ehre erweisen, sich um San-Leucio zu kümmern?« fragte der König.

»Und warum sollte ich das, wenn jetzt an der Spitze dieser interessanten Kolonie ein so verdienstvoller Mann wie der Kardinal Ruffo steht? O, wenn er anstatt Inspektor Schatzmeister wäre, so würde ich vielleicht nicht so ruhig sein.« – »Was haben Sie denn gegen den armen Kardinal? Ich versichere Sie, daß er ein Mann von großer Ergebenheit für uns ist.« – »Für Sie wollen Sie wohl sagen?« – »Du mein Gott, Madame,« sagte der König lachend, »sind wir denn nicht beide eins?« – »O nein, mein Herr, und ich rühme mich dessen.«

»Sie behandeln mich heute morgen sehr ungnädig, Madame.« – »Behandle ich Sie denn abends besser als am Morgen?« – »Was soll denn Lady Hamilton von mir denken?«

»Lady Hamilton bildet ihre Meinungen nach den meinigen.« – »Das heißt,« sagte der König lachend, »daß Lady Hamilton mir, wie Sie, die Ehre erweist, mich zu verabscheuen.« – »O!« sagte die Königin, »Sie wissen recht wohl, daß ich ein anderes Gefühl als das des Hasses für Sie empfinde.« – »Ich sehe nun wohl ein, daß ich heute morgen bei Ihnen nicht das letzte Wort behalte.«

»Waren Sie deshalb gekommen?«

»Nein, Madame; ich war gekommen, um Sie zu sehen und Ihnen die Neuigkeiten des Morgens mitzuteilen.« – »Nun gut, ich will Ihnen dafür die Neuigkeiten des Tages sagen. Wir, Monsignor Acton und ich, haben beschlossen, daß zwei Schiffe und dreitausend Mann Verstärkung zur anglo-spanischen Flotte gesandt werden. Die Generale von Gambo und Pignatelli sollen den Oberbefehl erhalten. Ich überlasse Ihnen die Ehre der Initiative, wenn Sie dieselbe heute im Kabinettsrat nehmen wollen, nur drängen Sie zur Eile, denn der Kapitän Nelson verlangt diese Verstärkung durchaus.«

»Und wird es mir durch diese Tätigkeit gelingen, Ihre Gnade wiederzuerlangen?« – »Sie haben dieselbe ja niemals verloren, mein Herr,« sagte die Königin mit halb anmutigem, halb spöttischem Lächeln. – Der König näherte sich ihr, faßte ihre Hand und küßte dieselbe, indem er sie mit einem unbeschreiblichen Ausdruck anblickte. »So sind Sie also entschieden zum Krieg entschlossen?«

»Ja, entschieden, mein Herr, und dies um so entschiedener, als es gar nicht anders geht.«

»So sei es denn, Madame! In den Kampf! Sie werden sehen, daß, wenn der Augenblick gekommen sein wird, den Degen aus der Scheide zu ziehen, ich eben so tapfer sein werde, wie jeder andere.« – »Das wird Ihnen um so leichter sein, mein Herr, da König Carl der Dritte, als er Neapel verließ, Ihnen den Degen zurückgelassen hat, mit dem Philipp Spanien und er selbst das Königreich Neapel besiegt hatte. Nun ist dieser Degen seit der Schlacht von Velletri nicht ans Tageslicht gekommen und in dreiundvierzig Jahren kann zwischen einer Scheide und einer Klinge vieles geschehen.« – »Meiner Treu, meine liebe Schulmeisterin,« sagte der König kopfschüttelnd. »Sie besitzen für mich zu viel Geist und ich lasse Sie daher im alleinigen Besitz des Terrains.«

Nachdem er sich vor uns verneigt, zog er sich zurück. »Jetzt,« sagte die Königin, »während mein teurer Gemahl ein Alexander oder ein Cäsar wird, wollen wir die nutzlosen Papiere verbrennen und nur die aufheben, die es wert sind.« Wir machten uns ans Werk und ich muß offen bekennen, daß dieser entschiedene Charakter mich in seinem Willen mit fortriß, wie ein Gestirn den Trabanten in seinen Kreislauf mitzieht.

Die Begebenheiten, die ich soeben erzählt, waren acht oder zehn Tage vor der Ankunft des Kapitän Nelson geschehen, auf den zurückzukommen, es jetzt Zeit ist.


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